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26.03.2009
12:39 Uhr
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REAL LIFE LEBENSART
Jahre kommt Dr. Gnirs regelmäßig zum Segeln hierher. Während des Freizeitsports und über einen seiner besten Freunde, der als Kieferchirurg auf Mallorca praktiziert, entstanden die ersten Kontakte zu anderen Medizinern und Klinik-Betreibern: „Warum kommst du nicht hierher und arbeitest für uns?“ fragten sie ihn. Gnirs wartete zehn Jahre lang ab und baute seine beruflichen Kontakte aus. Er überließ nichts dem Zufall und brachte die Abwicklung der Formalitäten vorab ins Laufen: „Allein die Beglaubigung meiner deutschen Doppel-Promotion und medizinischen Sonderzertifikate in Madrid und bei der Ärztekammer der Balearen hat knapp drei Jahre gedauert.“ Irgendwann war es doch soweit. Die Praxis in Palmas Calle República Dominicana öffnete am 1. September 2007 ihre Pforten. Joachim Gnirs (49) und Elena (39) starteten dort bei Null, verteilten Visitenkarten und warteten auf Patienten. Die kamen zuerst tröpfchenweise und dann geradezu lawinenartig. Gnirs: „Nach einer Faustregel braucht ein auswärtiger Arzt 3 bis 5 Jahre, um hier seine Praxis zu etablieren. Bei uns ging es Gott sei Dank deutlich schneller.“ Neben der Behandlung von Privatpatienten in der Praxis operiert Gnirs als externer Spezialist an den Kliniken Juaneda, Palma Planas und Miramar, oft bis Freitag Nacht, 22 Uhr. Die Geburten an Wochenenden kommen dazu. „Die Arbeitszeiten korrigieren wir langsam nach unten, damit ich mehr Zeit für die
Trotz einer Prise „südländischem Chaos“ und diversen Mentalitätsunterschieden – Gnirs hat mit lokalen Handwerkern nicht nur gute Erfahrungen gemacht – ist die Familie glücklicher als in Deutschland: „In den letzten 10 bis 15 Jahren sind die Menschen dort noch härter geworden. Spanien ist kinderfreundlicher, lebensbejahender, warmherziger. Die Familie und Werte wie
IN DEUTSCHLAND HABE ICH ÖFTER UNENTGELTLICH OPERIERT, WEIL MEDIZIN MEINER MEINUNG NACH EINE ETHISCHE VERPFLICHTUNG IST. Familie habe“, erklärt Gnirs. Ein bisschen Freizeit entfällt auch auf Mallorcas Oldtimer Club, den „Classic Car Club Mallorca“ (CCC). Gnirs besitzt seit der Studienzeit einen wunderschönen Triumph TR6, den er demnächst mit spanischem Kennzeichen zulassen will. Bei den nötigen Behördengängen greift ihm CCC-Präsident Georg Letzerich unter die Arme. Gelegentlich setzen sich Elena und Joachim Gnirs auch auf ihr Motorrad, einen BWM-Sport-Tourer, „aber nur an Sonntagen und auf beruhigten Straßen“, versichert Gnirs. Das regellose Autofahren auf Mallorca schreckt den Familienvater ab.
Zivilcourage haben hier einen deutlich höheren Stellenwert. Unter Medizinern sind Hungerneid und Mobbing in Deutschland weit verbreitet – hier gibt es schneller Anerkennung in einem kollegialen Miteinander, wenn man selbst bescheiden auftritt und fachlich gute Arbeit abliefert.“ Dennoch hat der Wechsel „viel Kraft gekostet“. Dr. Gnirs ist noch dabei, sein Spanisch quasi nebenbei zu perfektionieren. Er sagt ganz klar, dass man „hier finanziell runter muss“. Man müsse auf Mallorca „mehr arbeiten bei gleichzeitig drastisch weniger Einkommen“. Glück ist jedoch für ihn die Harmonie der sozialen Beziehungen, die Ehe,
die Familie, und nicht der Reichtum. Der Wechsel auf die Insel ist „endgültig“, doch der beruflich-private Kontakt nach Deutschland besteht weiter. Viele Freunde kommen zu Besuch. Und Prof. Dr. Gnirs möchte seinen Lehrauftrag an der Technischen Universität München auf jeden Fall behalten: „Das ist eine intellektuelle Herausforderung, durch die ich angehalten bin, medizinisch immer auf dem neuesten Stand zu sein.“ Der Gynäkologe reist mindestens alle zwei Monate nach Bayern, um Vorlesungen zu halten und Spezialisten auf seinem Gebiet auszubilden. Er ist Verfasser zahlreicher Lehrbuchbeiträge und wissenschaftlicher Publikationen zum Thema Geburtshilfe und gynäkologische Chirurgie. Über allem steht die Liebe zu neuem Leben. Der Beruf des Paares ist echte Berufung. Gnirs: „In Deutschland habe ich öfter unentgeltlich behandelt operiert, weil Medizin meiner Meinung nach eine ethische Verpflichtung ist.“ Oft sprechen beide zu Hause über Patienten und komplizierte Fälle. „Wenn ein Kind zur Welt kommt, muss ich jedes Mal weinen“, gibt Elena freudestrahlend zu. Auch am Tag ihres Gesprächs mit AbcMallorca haben sie bereits ein neues Baby auf die Erde geholt. Und das Handy von Dr. Gnirs – er bezeichnet sich selbst als „Anwalt und Sicherheitsfanatiker des Kindes“ – klingelt unablässig. Ungeborene Klienten sind am anderen Ende der Leitung – Treffpunkt ist die Klinik – und das Segelboot muss wohl noch lange auf ihn warten.
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