Jahresbericht AAG

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Freie Hochschule für Geisteswissenschaft

Ein Schicksalsjahr – Sektion für Landwirtschaft –

„Ich habe es immer auch als eine meiner Aufgaben empfunden, die Brücke von der biologisch-dynamischen Bewegung in die Anthroposophische Gesellschaft zu schlagen.“ Nikolai Fuchs Eine Frage des Gesichtspunktes: während die hohen Agrarpreise 2008 für arme Länder dramatische Konsequenzen hatten, brachte es den ökologisch arbeitenden Landwirten wirtschaftliche Entspannung. Endlich hatte Getreide einen Preis, der dem menschlichen und maschinellen Aufwand entsprach. Aber das Preisniveau war von kurzer Dauer. Das Pendel schlug zurück und liess die Einkommen beispielsweise von Milchviehbetrieben um ein Drittel fallen. Die verschütteten Milchmengen waren erschütternder Protest. Das Jahr 2009 war hinsichtlich der Ernte ausgezeichnet. Aber die Landwirte konnten ihre Ernte nicht auf den Markt bringen. In vielen Geschäften ist Milch billiger als Mineralwasser. Gleichzeitig sind in den südlichen Ländern die Lebensmittel unerschwinglich. Während in Europa die Bauern unterbezahlt sind und ihre Produkte nicht los werden, hat die Zahl der Hungernden weltweit die Milliardengrenze überschritten. “Es ist eine Weltkatastrophe”, fasst Nikolai Fuchs diesen schrecklichen Gegensatz zusammen und ergänzt: “denn Lebensmittel gibt es genug; sie sind nur für einige unerreichbar. Das gibt dieser Katastrophe ihren zynischen Charakter.” Nikolai Fuchs, Agrar­ wissenschaftler, leitete 9 Jahre die Sektion für Landwirtschaft und beendet im Sommer 2010 diese Aufgabe.

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2009 galt die Landwirtschaftliche Tagung dem Landwirtschaftlichen Kurs. Nach “Spiritualität in der Landwirtschaft” und “Identität und Offenheit” war mit dem Jahresthema 2008/2009 der Kern der biologisch-dynamischen Arbeit erreicht. Mit der Tagung im Februar und dem anschliessend publizierten Jahresband schloss sich dieses Thema und führte zu einer Selbstbesinnung. Den Landwirtschaftlichen Kurs in seinen einzelnen Vorträgen an der Tagung so auseinanderzufalten, war nur möglich, so Nikolai Fuchs, weil ein Studium und viele Gespräche im Vertreterkreis der Sektion vorausgingen. Das Jahresthema 2009/2010 widmet sich den christlichen Entwicklungsmotiven.

Stefan Mahlich und Nikolai Fuchs ist es gelungen, für die Jahrestagung zu diesem Thema auch Vertreter anderer Glaubensrichtungen als Vortragende zu gewinnen. Ein Höhepunkt der gut besuchten Tagung war, als Ha Vinh Tho darstellte, dass im Buddhismus von vier Ebenen menschlicher Ernährung die Rede ist: physische Ernährung, seelische Ernährung durch die Sinne, geistige Ernährung durch das Bewusstsein und schliesslich Ernährung im Schicksal, indem man für andere Menschen handelt. Mit diesem Gedanken war der Bogen zum Christentum geschlagen. 2009/2010 ist für den Landbau ein richtungweisendes, denn mit dem ökologisch orientierten Weltagrarbericht stellt sich Regierungen und Verbänden die prinzipielle Frage nach der Zukunft des Landbaus. An dieser Wegscheide steht auch der bisher einzige Lehrstuhl für biologisch-dynamischen Landbau in Kassel, für den die Sektion viel Engagement entwickelt. Noch ist die Frage nicht beantwortet, ob aus dem stiftungsfinanzierten Lehrstuhl ein regulärer Lehrstuhl wird. Ernüchternd und schmerzlich für die Mitarbeitenden in der Sektion war die Erfahrung, dass selbst erfolgreiche Forschungsprojekte kaum in angemessene wissenschaftliche Journale zu bringen waren. Mit Ausnahme der Studie von Andreas Wolfahrt zur Individualisierung im Naturschutz ist es bislang nicht gelungen, den Forschungsresultaten die akademische Verbreitung zukommen zu lassen, die ihrer Qualität entspricht. „Bei Goetheanum als Absender schliessen sich die Türen der meisten wissenschaftlichen Redaktionen”, stellt Nikolai Fuchs fest. Auch diese Tatsache hat einen zynischen Geschmack, denn die Naturwissenschaft, derer sich die renommierten Blätter verpflichtet fühlen, ist diejenige, die zu der heute lebensbedrohlichen Lage der Natur beigetragen hat. Was kann man dennoch tun? Nikolai Fuchs: „Gediegenheit in unserer eigenen Herangehensweise ist das, was nötig ist.“


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