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STELLUNG BEZIEHEN

1906: Kaiserin Auguste Viktoria lehnt den Besuch der Deutschen Heimarbeit-Ausstellung in Berlin ab, solange Käthe Kollwitz’ Plakat mit der erschöpften Arbeiterin öffentlich aushängt.

1983: Die Performance The Negotiation Table konfrontiert mit der von blutigen Tiereingeweiden bedeckten Künstlerin Mona Hatoum und verweist auf den Krieg im Libanon. Engagierte Kunst trifft im Kunsthaus Zürich auf engagierte Musik.

TEXT CORINNE HOLTZ

Tochter Käthe ist die Politik in die Wiege gelegt. Ihr Vater tauscht den Referendar in preussischer Staatsstellung mit dem Maurermeister und Prediger, die Sicherheit mit der Unwägbarkeit. Als zunehmend überzeugter Sozialist fühle er sich als Staatsangestellter «innerlich nicht frei genug». Hinzu kommt die religiöse Prägung Käthes durch den Grossvater, der in Königsberg die erste freireligiöse Gemeinde Deutschlands gegründet hatte.

Sie ist ein Ausnahmetalent und wird aufgrund ihres Geschlechts statt an Männern vorbehaltenen Akademien an Künstlerinnenschulen ausgebildet. Erst als Frau eines Kassenarztes im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg hätten sie die Lebensbedingungen der Unterschicht zu erschüttern begonnen, bekennt Käthe Kollwitz. Die Uraufführung von Gerhard Hauptmanns Drama Die Weber bringt ihr die Hungerrevolte schlesischer Weber nahe und zündet den Funken für ihren Zyklus Ein Weberaufstand Nach dem Durchbruch im Jahr 1898 beginnt sie die «Frauenfrage» zu beschäftigen. «Ich will wirken in dieser Zeit», ist einem ihrer Tagebücher zu entnehmen. So entwirft Kollwitz 1923 etwa ein Plakat im Auftrag der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) und titelt die Darstellung einer Mutter mit Säugling mit einem Imperativ: «Nieder mit dem Abtreibungsparagraphen!».

«Nie wieder Krieg!» ist ein vergeblicher Aufruf der pazifistischen Bewegung geblieben. Kollwitz verlor den Sohn Peter im Ersten Weltkrieg an der Front, ihr Enkel fiel im Zweiten Weltkrieg. Mona Hatoum kam 1952 als Kind palästinensischer Eltern in Beirut zur Welt, als jüngste dreier Töchter von Flüchtlingen aus Haifa. Als sich Hatoum 1975 als Kunststudentin in London aufhielt, brach der Krieg im Libanon aus. «Überwachung und die Macht der Institutionen sind immer noch mein Thema», sagt die preisgekrönte Künstlerin. Sie hat längst einen britischen Pass und steht im Ranking der globalen weiblichen Kunstszene weit vorne. Hatoum reflektiert in ihren Performances, Videos, Fotos, Skulpturen, Installationen und Papierarbeiten die Strukturen physischer und psychischer Gewalt. Sie trifft Frauen in einer Welt zunehmender Instabilität ganz besonders. Wie fragil die Verhältnisse sind, zeigte Hatoum kürzlich in der Bodeninstallation Tectonic Die Welt ist hier ein Geflecht aus Glasplatten und balanciert gefährlich wackelnd auf Glasmurmeln.

Was leistet Musik in der Welt? Ein Komponist könnte sich als «Funke vom heiligen Feuer» verstehen, seine Musik «ein Dröhnen der heiligen Stimme» sein. Arnold Schönberg erkannte sich in diesen Zeilen aus Stefan Georges Gedicht Entrückung und verarbeitete sie in seinem Streichquartett Nr. 2. Der Komponist bezahlte sein Dröhnen teuer. Er mache «wilde, ungepflegte Demokratiegeräusche, die kein vornehmer Mensch mit Musik verwechseln kann», hiess es 1906 über Schönbergs Kammersinfonie Nr.1 und als der zweite Satz seines zweiten Streichquartetts anhob, «begann ein grösserer Teil des Publikums zu lachen». Schönberg blieb wie andere Weggefährten ein Suchender und Forschender. Alexander Zemlinsky floh wie Schönberg vor den Nationalsozialisten in die USA – ein «grosser Komponist», dessen Zeit früher kommen könnte, als man denkt (so Schönberg über seinen 1942 verstorbenen Freund). Anton Webern, einst Schönbergs Schüler, blieb in Österreich und wurde trotz seiner Sympathien für das Naziregime mit einem Aufführungs- und Publikationsverbot belegt. Er war Schönberg über den tragischen Unfalltod hinaus «auf den Fersen» und trieb mit seinen neuartigen «Klangfarben-Kompositionen» den Stachel ins Fleisch seines Lehrers. Schönberg sah sich noch im Todesjahr 1951 als Erfinder besonderer Folgen von Klangfarben, die der inneren Logik von Harmoniefolgen gleichkommen würden und stellte Webern ins Licht des Plagiators. Ihrer beider Platz in der Musikgeschichte nach 1900, im unscharfen Begriff als Vertreter der Wiener Schule gefasst, stiftete hoffentlich längst Versöhnung.

KÄTHE KOLLWITZ UND MONA HATOUM

GESPRÄCHSKONZERT ZUR SONDERAUSSTELLUNG

MI, 8. NOV. 2023, 19.30 UHR

KUNSTHAUS ZÜRICH, CHIPPERFIELD

Daniel Bard Violine und Leitung Zürcher Kammerorchester

Werke von Arnold Schönberg, Alexander Zemlinsky, Anton Webern und Weiteren

In Kooperation mit dem Kunsthaus Zürich

CHF 50

Das Konzertticket berechtigt gleichzeitig zum Eintritt in die Sonderausstellung im Kunsthaus Zürich

Anita Harag Schriftstellerin