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Unerwünschte Nebenwirkungen

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Es ist kompliziert

Es ist kompliziert

Aggressive Kommentare, überhitzte Debatten – die Gesprächskultur im Netz scheint vergiftet. Wie lässt sich HateSpeech ausbremsen und ein konstruktiver Austausch auf Social Media fördern?

Text: Susanne Gurschler

ZUR PERSON

Svenja Schäfer studierte Medienmanagement in Hannover und Kommunikationswissenschaft in Mainz, wo sie 2020 promovierte. Sie ist Oberassistentin (post doc) in der Political Communication Research Group des Instituts für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Uni Wien. In aktuellen Forschungsprojekten befasst sie sich mit der Wirkung von Hate-Speech auf soziale Dynamiken und der (Nicht-)Nutzung von Nachrichten in Krisenzeiten.

Ob Facebook, Instagram, TikTok, YouTube oder Pinterest – Social Media ist im Marketing zu einem zentralen Kommunikationsinstrument geworden. Dazu kommen Bewertungsportale wie Booking, Trivago, Holidaycheck und Co., die im Tourismus heute eine wichtige Rolle spielen.

Mit der zunehmenden Bedeutung der Onlinekommunikation rücken auch deren negative Begleiterscheinungen in den Fokus: Debatten werden auf Social-Media-Kanälen rasch aggressiv. Wenn man falsch (re)agiert, kann man einen Shitstorm auslösen.

Was können Tourismusbetriebe tun, um einen für alle Beteiligten konstruktiven Dialog mit ihrer Community zu führen? Die Kommunikationswissenschaftlerin Svenja Schäfer ordnet das Phänomen Hate-Speech ein und die Internetexpertin Ingrid Brodnig gibt fünf Tipps für eine gesunde Diskussionskultur auf Social Media. „Kommunikation auf Social-Media-Plattformen ist generell aggressiver als die Kommunikation im Alltag“, erklärt Svenja Schäfer vom Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien. Das hängt mit mehreren Faktoren zusammen: Das Internet ist anonymer. Viele Nutzer treten ohne Klarnamen auf. Und es fehlt der Austausch face to face, von Angesicht zu Angesicht. Zudem werde Kommunikation meist von einem bestimmten Typus dominiert, so Schäfer: „Wissenschaftliche Studien zeigen, dass in Österreich nur circa zehn Prozent der Internetnutzer überhaupt in den sozialen Medien kommentieren. Diese Gruppe hat einen höheren Männeranteil und extremere politische Einstellungen als der Durchschnitt der Bevölkerung.“

DYNAMISCHE SPIRALE

Ihr grundsätzlich aggressiveres Auftreten erhöhe das Konfliktpotenzial und lasse eine Situation schneller eskalieren. Das wiederum bewirkt, dass gemäßigte Personen und weniger streitlustige Menschen sich aus Debatten zurückziehen und den Aggressiveren das Feld überlassen. Eine dynamische Spirale entsteht, die dazu führt, dass Aggressive präsenter sind als Nichtaggressive.

Prinzipiell gilt: Um Hate-Speech vorzubeugen und vergiftenden Gesprächen möglichst wenig Raum zu geben, sollten Plattformbetreiber den Diskurs aktiv lenken. „Wissenschaftliche Studien zeigen, dass für ein konstruktives Gesprächsklima eine Netiquette und eine regelmäßige Moderation essenziell sind“, so Schäfer. Werden bestimmte Regeln vorgegeben und diejenigen abgemahnt, die sie verletzen, dann wirkt das korrigierend. Das bestärkt die gemäßigten User, Kritik und Dialog wertschätzend zu gestalten.

FÜNF TIPPS

Die Digitalexpertin Ingrid Brodnig gibt fünf Tipps für eine produktive Debattenkultur auf Social Media.

#1

COMMUNITY AUFBAUEN

Wer auf Social Media unterwegs ist, egal in welchem Medium, sollte sich eine eigene Community aufbauen und den Austausch mit ihr kontinuierlich pflegen. Dazu gehört, auf Postings wertschätzend zu reagieren und zu zeigen, dass man an Kommunikation und konstruktiver Diskussion interessiert ist. Häufig ist es leider so, dass negative Kommentare mehr Aufmerksamkeit generieren als positive.

Dabei sollte man seine Aufmerksamkeit vorrangig auf die positiven Interaktionen legen. Fühlen sich User als Teil der Community, stehen sie einem bei aggressiven Meldungen, wütenden Kommentaren oder ungerechtfertigten Angriffen zur Seite, zum Beispiel, indem sie ihre eigenen Erfahrungen einbringen. Das wiederum gibt Rückendeckung und erhöht die eigene Glaubwürdigkeit.

SACHLICH BLEIBEN

Wichtig ist, zwischen (berechtigter) Kritik und Aggression zu unterscheiden. Kritik fühlt sich zwar unangenehm an, aber sinnvoll ist, sich ihr freundlich und konstruktiv zu stellen. Auf Kritik daher immer möglichst konkret eingehen, nachfragen, Lösungen anbieten – wenn es sich um ein komplexes Thema handelt, auch anbieten, das Problem direkt über Privatnachricht, Mail oder Telefon zu klären.

Manchmal wirkt ein Kommentar erhitzt und man kann durch eine sachliche, zuvorkommende Reaktion auch sehr viel Emotion rausnehmen. Hat sich ein Follower eingeschossen, gar auf ein bestimmtes Thema fokussiert, das eigentlich nichts mit dem Betreiber der Site zu tun hat, muss man nicht auf alles antworten oder kann auch noch mal auf das eigentliche Thema hinweisen. Wenn ein Posting wirklich beleidigend wird, ist es

#2

KLARE BOTSCHAFT

Bevor es auf Social Media aktiv wird, sollte man klar definieren, was man vermitteln will, welche Botschaft, Message – was also das (gefühlte) Alleinstellungsmerkmal meines Angebots, meiner Einrichtung ist. Auf dieses baut man die Kommunikation auf, sodass die User ein Bild bekommen und mich positiv mit dieser Message verbinden. Der professionelle Auftritt auf Social Media braucht also eine Kernbotschaft, um die sich alles dreht. Sie zieht jene Leute an, die genau das suchen, genau an diesem Angebot interessiert sind. Damit baut man sich eine positiv gestimmte Community auf.

#3

angemessen, dieses zu entfernen – man kann aber auch probieren, vor dem Löschen oder Blockieren um einen sachlichen Umgangston zu bitten. Damit sehen auch die Mitlesenden, dass die Person nicht konstruktiv agiert, und können das Geschehen einordnen.

Oberste Prämisse: immer ruhig und sachlich bleiben, nicht auf eine persönliche oder gar emotionale Ebene einsteigen! Dafür ist es immer gut, bereits im Vorfeld die Tonalität festzulegen, in der man auf Social Media kommunizieren möchte, passend zur Zielgruppe und zum Alleinstellungsmerkmal. Sich daran zu halten, zeigt den Mitlesenden, dass man in jeder Situation konstruktiv-professionell und souverän reagiert. Auch eine definierte Netiquette hilft einem bei der Argumentation. Die Rahmenbedingungen sind festgelegt, die rote Linie für alle fixiert.

#4

SONDERFALL REVIEWS

Negative Reviews stellen Dienstleister vor große Herausforderungen. Manchmal gibt es nur einen Stern, weil den User ein kleines Detail gestört hat. Bei manchen stellt sich die Frage, ob sie das Unternehmen wirklich besucht haben oder diesem gar schaden wollen. Dazu kommen FakeRezensionen. Solche Verstöße immer sofort an die Betreiberplattform melden. Diese löschen solche missbräuchlichen Verwendungen aber leider nicht immer und nicht immer sofort.

Wichtig: Verläufe, Kommunikation etc. dokumentieren. Schlimmstenfalls lassen sich auch Rechtsanwälte einschalten. Auch bei negativen Reviews gilt: Wer eine starke Community aufgebaut hat, hält eine negative Bewertung leichter aus. Daher sollte man die Community pflegen, auf positives Feedback reagieren, Kritik ernst nehmen, Ungerechtfertigtes als solches benennen – dabei stets bedenken, dass das Unternehmen selbst in der Auslage steht. Im Ton immer sachlich und verbindlich bleiben.

#5

GUTE BETREUUNG

Drei Punkte sind wesentlich bei der Kommunikation über Social Media: Es braucht social-media-affine Mitarbeiter, guten Content und konstruktiven Dialog! Die Betreuung des Social-Media-Kanals, der Social-Media-Kanäle sollten Menschen übernehmen, die ein Händchen dafür haben. Wer sich keine professionelle Social-Media-Betreuung von außen holt, sollte in die eigenen Leute investieren. Sie identifizieren sich mit dem Unternehmen und kommen oft auch authentisch rüber. Es muss ausreichend Zeit für Social Media zur Verfügung stehen.

Interne und externe Fortbildungen helfen, professionellen Content zu erstellen: Welcher Content erzählt, was ich erzählen will? Ein Redaktionsplan schafft den nötigen Überblick, um regelmäßig Inhalte zu erstellen. Viele Kanäle, zum Beispiel Facebook, sind mittlerweile sehr werbelastig. Daher ist wichtig, sich zu überlegen: Brauche ich diese Werbung? Bringt sie das, was ich mir erhoffe? Man kann auf Social Media viel Geld verpulvern, ohne Mehrwert zu generieren. Es lohnt sich hier, klare Ziele zu setzen – etwa wie viele Zugriffe oder Buchungen ein Inserat lukrieren soll – und das Erreichen dieser Ziele zu überprüfen. Man muss nicht auf jeder Plattform dabei sein, sinnvoll ist aber eine digitale Präsenz, also dass man für Interessierte gut auffindbar ist und beim Erstkontakt ein positives Bild rüberkommt.

ZUR PERSON

Die österreichische Journalistin und Publizistin Ingrid Brodnig hat sich auf digitale Themen spezialisiert und zahlreiche Bücher dazu veröffentlicht, zuletzt ist erschienen: „Einspruch! Verschwörungsmythen und Fake News kontern – in der Familie, im Freundeskreis und online“, mit Marie-Pascale Gafinen, Brandstätter Verlag 2021.

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