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Ohne Angst könnten wir nicht existieren Interview mit Dr. Wolfgang Schmitt

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Rückblick

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«Ohne Angst könnten wir nicht existieren.»

Angst ist in unserem Leben allgegenwärtig. Im besten Fall schützt sie uns vor Gefahren. Im schlechtesten macht sie uns krank. Im Interview spricht Wolfgang Schmitt, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, über den Sinn der Angst, über die Angst in Zeiten einer Pandemie und über mögliche Strategien, mit ihr umzugehen.

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Herr Schmitt, was ist Angst?

Angst ist eine wichtige, wenn nicht sogar unsere wichtigste Emotion. Ohne Angst könnten wir nicht existieren. Angst ist eine völlig normale Schutzreaktion. Und wir haben viel öfter Angst als wir glauben.

Wann zum Beispiel?

Stellen Sie sich vor, Sie stehen mit geschlossenen Augen und Ohren an einer Strasse. Ohne das Sie sich dessen bewusst sind, haben Sie Angst vor den kommenden Autos, die sie ja weder sehen noch hören. Es ist diese Angst, die Sie letztlich dazu bringt, stehenzubleiben. Aus guten Gründen überqueren Sie die Strasse nicht. Dank Erfahrung, Erziehung und Gewohnheiten spüren wir solche lebenswichtigen Ängste im Alltag kaum.

Wenn wir sie aber spüren, wird es schnell sehr unangenehm. Warum?

Angst muss unangenehm sein. Denn nur aus diesem Gefühl heraus, wollen wir den Angstzustand überwinden. Und damit im besten Fall auch die tatsächliche reale Gefahr.

Wann wird Angst zum Problem?

Wenn Menschen Gefahren verspüren, die real nicht vorhanden sind und von anderen nicht geteilt werden. Sie verliert in diesem Fall ihren Nutzen. Zum Beispiel, wenn Sie sich davor fürchten, in ein Tram zu steigen. Diese Angst richtet sich nicht mehr auf eine reale Bedrohung. Ausserdem stehen Sie damit ganz alleine da. Eine solche Angst kann zu einer Störung führen. Und diese sollte therapiert werden.

Wie zeigt sich Angst?

Sie zeigt sich auf verschiedenen Ebenen. Zuerst im Gehirn. Hier entsteht sie und hier wird sie auch empfunden. Daran gekoppelt sind die körperlichen Reaktionen im vegetativen Nervensystem. Zum Beispiel wird die Haut feucht, das Herz schlägt schneller, der Blutdruck erhöht sich, die Atmung wird stärker und die Muskelspannung nimmt zu. Aber auch andere Reaktionen sind möglich.

Wozu das alles?

Mit diesen Reaktionen wappnet sich der Körper für die Gefahr. Danach reagiert er entweder mit Angriff oder Flucht. Das Dumme daran: In unserem heutigen Alltag sind oft weder Angriff noch Flucht angemessene Reaktionen. Der körperliche Reflex ist also mehr eine Hürde als eine Lösung. Und wir müssen lernen, damit umzugehen. In der Angst denken wir zum Glück schneller und kreativer.

Ehrlich gesagt komme ich mir in Angstsituationen nicht besonders kreativ vor.

(Lacht) Menschen mit Angststörungen sind oft enorm kreativ. Hinter ihrem Sicherheits- und Vermeidungsverhalten steht eine enorme Denkarbeit und Kreativität. Wenn Sie aus einer Angststörung heraus nicht ins Tram steigen wollen, werden Sie versuchen, diese Situation auf alle erdenklichen Arten zu vermeiden.

Gibt es einen Unterschied zwischen Angst und Panik?

Panik ist eine extreme Form der Angst. Dann gibt es aber noch etwas, das nennen wir «Panikattacke». Sie bezeichnet den Zustand, indem wir die körperlichen Symptome der Angst selbst als Bedrohung empfinden. Ich kriege zum Beispiel keine Luft mehr oder spüre einen Druck auf der Brust. Und dies verstärkt die Panik weiter.

Im Zuge der Corona-Pandemie haben Angststörungen offenbar deutlich zugenommen. Welche konkreten Ängste und Probleme haben Ihre Patientinnen und Patienten?

Es gibt zum einen Menschen, die Angst vor der Krankheit selbst haben. Und zwar unabhängig davon, ob sie einer Risikogruppe angehören oder nicht. Sie fürchten sich vor der Begegnung mit anderen Menschen und benutzen beispielsweise keine öffentlichen Toiletten. Auch Symptome wie Schlafstörungen oder eine dauerhafte Anspannung können auftreten. Die Angst lässt diese Menschen gar nicht mehr zur Ruhe kommen. Dann gibt es aber auch Menschen, die unter den Corona bedingten Einschränkungen leiden. Sie könne viele Dinge, die ihnen wichtig sind, nicht mehr tun. Das kann schliesslich auch Ängste und Depressionen auslösen.

Manche Menschen reagieren in der Pandemie sehr gelassen, andere geradezu panisch. Woher kommen diese Unterschiede?

Die Veranlagung zur Angst geht zurück auf genetische Faktoren. Aber auch die Erziehung spielt eine wichtige Rolle. Manchmal entwickeln Menschen ohne Vorwarnung ganz plötzlich Ängste. Eine reale Bedrohung wie die Corona-Pandemie kann versteckte Ängste zusätzlich verstärken.

Wie genau werden diese Ängste verstärkt?

Für viele Angstpatienten wird zum Beispiel das Internet zum Problem. Sie holen sich Informationen und interpretieren diese entsprechend ihrer persönlichen Veranlagung. Wenn ich generell die Neigung habe, bestimmte Informationen überzubewerten, werde ich auf CoronaNachrichten eher mit Angst reagieren. Schon im Frühjahr hatte ich zum Beispiel eine Patientin, die sich schon früh in der Pandemie ängstigte, geschlossene Räume zu

Was soll ich also tun, wenn ich Angst habe? Meinen Medienkonsum herunterfahren?

Das ist tatsächlich vielfach meine erste Empfehlung. Patientinnen und Patienten kommen oft zu mir mit Sätzen wie «Jetzt habe ich wieder gelesen…». Wir lesen etwas und hängen dann mit dieser Information verängstigt und allein gelassen im Leben. Als Arzt verzichte ich in solchen Fällen meistens auf sachliche Diskussionen über die Nachricht selbst.

Warum?

Weil Ängste oft nicht rational lösbar sind. Nehmen Sie zum Beispiel die allgegenwärtigen Zahlen zu Corona. Diese Statistiken sind rein rationale Konstrukte. Sie lassen uns emotional auf der Strecke und angesichts einer geforderten, persönlichen Entscheidung helfen sie wenig. Ich sage den Leuten deshalb meistens: Schauen Sie sich die Corona-Regeln an. Was ist erlaubt? Was nicht? Verhalten Sie sich entsprechend. Und versuchen Sie, darüber hinaus nicht zu viel zu denken. Natürlich können wir unsere eigenen Schutz-Optionen in der CoronaPandemie definieren. Dann steigt aber auch die Angst davor, sich falsch zu verhalten.

Wie kann ich Menschen helfen, die mehr Angst haben als ich?

Es ist schwierig, jemandem seine Angst auszureden. Es sei denn, diese beruht auf einer offensichtlichen Fehlinformation. Sachliche Argumente helfen aber bei Ängsten oft nicht viel weiter. Es ist wirksamer, den Menschen in seiner Angst emotional abzuholen. Hat jemand Angst, im Laden einzukaufen, dann nützt gutes Zureden meist wenig. Besser ist es zu fragen: Was braucht mein Gegenüber? Ich muss seine Angst akzeptieren und ihn in der Angstsituation unterstützen. Und im Zweifelsfall halt für ihn einkaufen. c

Interview: Vincent Hagenow, Helena Jansen

Dr. med. Dipl.-Psych. Wolfgang Schmitt ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Oberarzt bei den Universitären Psychiatrischen Diensten Bern (UPD) und dort Leiter der Sprechstunde für Angst- und Zwangsstörungen.

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