Gespräch
Andrea Hirata [Indonesien]
Ich bin ein Glückspilz Andrea Hirata wurde 1984 auf der Insel
Sie hatten gar nicht vor, Ihr Buch zu publizieren, oder?
Belitung geboren. Durch das Engage-
Ich habe den Roman 2005 geschrieben, und er war einfach ein Ge-
ment zweier Lehrer konnte er in seinem
schenk an meine früheren Lehrer. Ich wollte damit meiner Dankbar-
Heimatdorf eine Grundschule besuchen.
keit Ausdruck verleihen, dass sie mich unterrichtet haben.
Er schaffte es auf eine weiterführende Schule, an die Universität und studierte schließlich auch in
Wie gelangte das Buch dann zu einem Verlag?
Paris und in Sheffield. In seinem autobiografischen Roman Die
Irgendjemand hat eine der ersten zehn Kopien genommen und sie an
Regenbogentruppe (Hanser 2013, Übers. Peter Sternagel) er-
einen Verleger geschickt, der das Buch tatsächlich drucken lassen
zählt er von seiner Schulzeit: von der Freude am Lernen, von
wollte. Für die Allgemeinheit musste ich die Geschichte aber noch-
seinen Klassenkameraden und von der ersten Liebe. Der
mal kräftig überarbeiten. Die Überarbeitung hat sieben Monate lang
Roman wurde in Indonesien zum Bestseller. Nun ist er auch auf
gedauert.
Deutsch erschienen. Katharina Borchardt hat Andrea Hirata auf der Leipziger Buchmesse zum Interview getroffen.
Und Sie wissen nicht, wer die Kopie weitergegeben hat? Nein. Wahrscheinlich war es ein damaliger Arbeitskollege von mir, aber so genau weiß ich das bis heute nicht.
Katharina Borchardt: Ihr Roman hat sich allein in Indonesien fünf Millionen Mal verkauft. Man sagt, er sei das erfolgreich-
Und jetzt wird Ihr Buch in etliche andere Sprachen übersetzt.
ste indonesische Buch aller Zeiten. Wieso hatte das Buch so
Es wird zum Beispiel in Ungarn, Spanien, Portugal, in den Niederlan-
einen Erfolg?
den und den USA publiziert. Ich bin wirklich ein Glückspilz!
Andrea Hirata: Mein Buch ist sicherlich so erfolgreich geworden, weil ich eine exemplarische Geschichte geschrieben habe. Viele Leser
Und Ihre Heimatinsel Belitung ist auf einmal weltberühmt.
konnten sich mit meiner Hauptfigur Ikal und seinen Freunden identi-
Ja, aber das liegt auch daran, dass Riri Riza das Buch 2008 fürs Kino
fizieren. Uns beschäftigen ja alle dieselben Themen: Kindheit, Familie
verfilmt hat. Der Film ist toll, er wurde 2009 sogar auf der Berlinale
und Bildung.
gezeigt. In dem Film konnte man auch die Strände von Belitung und die Vielfalt der dort ansässigen Kulturen sehen. Deshalb kommen nun
Haben Sie viele Reaktionen auf das Buch bekommen?
auch viel mehr Touristen zu uns als vorher. Das ist wichtig für uns,
Oh ja! Ich habe über 100.000 Briefe, Mails und SMS bekommen. Die
denn das Leben auf Belitung ist bis heute sehr hart. Viele arbeiten ja
meisten Leute haben mir geschrieben, wie sehr sie das Buch berührt
noch immer im Zinnbergbau, doch der Weltmarktpreis für Zinn
hat. Aber ich habe auch kritische Rückmeldungen bekommen.
schwankt. Darauf können wir unsere Zukunft nicht bauen.
Zum Beispiel?
Und der Tourismus ersetzt den Zinnabbau nach und nach?
Manche fanden das Buch langweilig. Manche haben mir auch ge-
Ja, total! Es arbeiten immer mehr Menschen im Tourismusbereich.
schrieben, es sei kein literarisches Werk, weil es stark autobiografisch
Zum Beispiel die Souvenirverkäufer, die Taxifahrer, die Fremdenführer
ist.
und die Inhaber von Reisebüros. Und auch die Bootsführer. Es gibt
Sie erzählen in der Tat Ihre eigene Schulgeschichte. Warum
manche Touristen auch gerne hin.
nennen Sie das Buch trotzdem einen Roman? Die Hauptfiguren – meine Lehrer, meine Freunde und mich – gab es
Indonesien ist ein an Bodenschätzen reiches Land. Es gibt
wirklich. Aber ich habe unsere Erlebnisse natürlich ein bisschen dra-
dort viel Öl, Erdgas, Zinn und Kupfer. Das meiste Zinn wird in
matisiert und auch einiges hinzuerfunden. Insgesamt aber erzähle ich
Ihrer Heimatregion Bangka-Belitung abgebaut. Sie erwähnen
eine sehr einfache Geschichte. Ich bin im Grunde ein Dorfjunge.
dies auch immer wieder in Ihrem Roman. Was hat der Zinn-
Wenn Sie etwas Kompliziertes oder etwas Hochintellektuelles von mir
abbau, mit dem einst die Holländer begonnen haben, der
erwarten, dann werden Sie enttäuscht.
Insel gebracht? Und was hat er zerstört?
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LiteraturNachrichten Nr.117 Sommer 2013
© Katharina Borchardt
mindestens 180 kleinere Inseln um Belitung herum, und da wollen