Jugendzeitung YAEZ

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Lernen, wo Meer ist Schiff statt Schule: Helga lernt ein halbes Jahr auf dem High School-Segler TEXT und fotos: Stefanie Hiekmann

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e langatmiger die Stunde, desto stickiger und enger scheint er zu werden. Die Hoffnung auf Abwechslung durch überraschende Zwischenfälle bleibt meist unerfüllt: Der deutsche Klassenraum ist und bleibt ein Inbegriff von unspektakulären Zeitabschnitten im Schüleralltag. Helga Twelbeck hatte genug davon. Sie kehrte nach den Herbstferien nicht in ihren Klassenraum zurück, sondern packte die Koffer. Ihre Abenteuerlust brachte die 16jährige Schülerin nicht etwa auf die Idee ein »einfaches Auslandsjahr« zu verbringen. Die junge Osnabrückerin entschied sich für sieben spektakuläre Monate auf hoher See: In einem »segelnden Klassenzimmer« entdeckt Helga seit Ende Oktober die Welt. Zusammen mit 24 anderen Jugendlichen aus ganz Deutschland schipperte sie in Hamburg los. Mit an Bord des Zweimastsegelschiffes sind auch eine erfahrene Crew und eine Reihe von Lehrern, die die Schüler täglich an Board unterrichten. Wobei sich der Stundenplan deutlich von dem eines staatlichen Gymnasiums unterscheidet: Auf der »High Seas High School«, die Helga besucht, wechseln sich Denkund Schreibaufgaben aus dem Mathe-, Englisch-, Bio- oder Deutschunterricht mit alltäglichen Schiffsarbeiten ab. »Wir haben zum Beispiel einen 24-Stunden-Wachdienst«, erzählt Helga. Von zwölf Uhr an gezählt immer im Vierstundentakt, auch nachts. Dann stehen die Jugendlichen mit Fernglas an Deck oder auch direkt beim Kapitän und versuchen das, was sie in ihrer Umgebung sehen, in der Karte wiederzufinden, eben das Schiff zu orten. Tagsüber wird in der Kombüse gekocht, das Schiff sauber gehalten und all das verrichtet, was in einem Schiffshaushalt anfällt. Von Hamburg aus ging die Route zu den kanarischen Inseln, über den Atlantik in die Karibik, nach Südamerika und

yaez • november/dezember 2008

Für Helga ist dieses Schuljahr ein einmaliges Erlebnis. »Als ich von einer Freundin von dem Projekt erfahren habe, war klar, dass ich das machen muss!«

bevor es wieder nach Deutschland geht, machen die Segler im Frühjahr noch auf Kuba halt. Auf Costa Rica freut Helga sich ganz besonders. Denn hier leben die Schüler der »High Seas High School«, die seit 1993 von der Hermann Lietz-Schule Spiekeroog organisiert wird, traditionell für drei Wochen in Gastfamilien. »Ich bin gespannt, wie die Leute dort leben und wie ich mit der Sprache zurechtkomme«, sagte die Schülerin kurz vor ihrem Start. Bisher konnte sie kein Wort Spanisch. »Aber das wird schon«, meint sie optimistisch. Schließlich ginge das fast allen ihren teilnehmenden Altersgenossen so, und an Bord bekämen sie deshalb ja auch extra Spanischunterricht. Das halbe Schuljahr auf hoher See ist gespickt mit spannenden Exkursionen an Land. Mit ihrer Mutter musste Helga vor der Reise das erste Mal einen Trekkingladen aufsuchen: »Ich glaube, wir werden da zu richtigen Abenteuerern«, vermutete sie. Im Regenwald würde man eine Nacht in Hängematten übernachten, Weihnachten, so weiß es Helga von den Berichten vorhergehender Reisen, würde unter Palmen am Strand gefeiert. Ziemlich anstrengend würde sicher die Exkursion in die venezolanischen Tafelberge werden. Bei diesen Eindrücken kommt man glatt auf die Idee, sein Klassenzimmer auch mal ins Schaukeln zu versetzen. Wobei die Variante, die Helga gewählt hat, für die meisten Familien schlichtweg nicht finanzierbar ist: Rund 16.000 Euro kostet das halbe Schuljahr auf hoher See. •

Das maritime Lernabenteuer ist heiß begehrt: Über 80 Schüler hatten sich aus ganz Deutschland für den aktuellen Turn 2008/2009 beworben. Helga Twelbeck hat den Probeturn im Sommer gut überstanden und durfte als eine der 25 Teilnehmerinnen mit aufs Schiff und um die Welt. Ihre größte Sorge: Wie überlebe ich die drei Wochen ohne Landkontakt auf dem Atlantik? Schleckermäulchen Helga hat vorgesorgt: Für den Schokoproviant hat sie extra eine Ecke in ihrem Koffer reserviert. »Ohne Süßes geht es bei mir nicht«, gesteht sie.


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