Danksagung Rengha Rodewill, die Agentur Wort + Kunst und der Verlag sagen hiermit allen Mitwirkenden an diesem Buch Dank für die freundliche Unterstützung, insbesondere den Frauen von Hoheneck, Theo Schreckenbach und der ARTEMIS GmbH.
Bibliographische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abruf bar. ISBN: 978-3-86408-162-0
Inhalt
Vorwort von Katrin Göring-Eckardt
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Erinnerungsort Hoheneck
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Bilder von Hoheneck
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Verena Ersfeld „Tolle DDR-Tugenden? Was ist das für ein Mist?“
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Konstanze Helber „Unglauben im Westen.“
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Julia Klötzner „Wir wurden wie Abschaum behandelt.“
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Heidrun Breuer 156 „Ich hatte vor Ekel eine Gänsehaut von oben bis unten.“ Petra Schulz „Ich war trotzig, man konnte mich nicht brechen.“
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Anita Goßler „Der Körper funktioniert einfach weiter.“
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Sylvia Öhlenschläger „Man musste jede Scham ablegen.“
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Bilder von Hoheneck – Zur Entstehung der Dokumentation von Rengha Rodewill: Shaya Schwartz / 2014
Elke Scheffer „Frauen sind untereinander grausamer.“
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Korrektorat der Interviews: Wolfgang Leder
Bildlegenden 288
Künstlerisches Gesamtkonzept: Rengha Rodewill Herausgeberin: Agentur Wort + Kunst, Micaela Porcelli Fotos von Rengha Rodewill, © Copyright: VG Bild-Kunst, Bonn / 2014 Foto Umschlag: Rengha Rodewill, © Copyright: VG Bild-Kunst, Bonn / 2014 Interviews mit ehemaligen inhaftierten Frauen geführt und aufgeschrieben: Rita von Wangenheim / 2012 Erinnerungsort Hoheneck – Eine Einführung;
Grafisches Gesamtkonzept, Titelgestaltung, Satz und Layout: Stefan Berndt – www.fototypo.de www.vergangenheitsverlag.de Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen und digitalen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten.
Vorwort von
Katrin
Göring-Eckardt
Bilder und Worte sind alles, was wir haben, wenn wir uns dem Leiden anderer Menschen nähern wollen. Natürlich lassen sich die Schmerzen, Qualen und Demütigungen nicht nachfühlen, selbst wenn wir noch so empathisch sein wollen. Aber das kann und darf nicht heißen, dass wir wegschauen und weghören. Das wäre nichts anderes als zynisch. Nein: Selbst wenn Bild und Sprache das Erlebte und Erlittene niemals vollständig und angemessen wiedergeben können, müssen wir uns trotzdem und gerade deswegen mit ihnen auseinandersetzen. Wir sollten es zumindest versuchen, denn sie sind das Einzige, was wir haben. Wir brauchen Bilder und Worte – trotz allem. Trotz ihrer Unvollständigkeit. Trotz der Tatsache, dass sie nichts ungeschehen machen können. In ihrem Buch über das Frauenzuchthaus Hoheneck finden wir solche Bilder und Worte – trotz allem. Die Fotografin Rengha Rodewill hat das ehemalige Gefängnis aufgesucht, entstanden sind dabei die über 200 Schwarz-Weiß-Fotografien, die hier zu sehen sind. Es fällt nicht leicht, Worte für diese Bilder zu finden. Denn es gelingt ihnen etwas Eigenartiges und Seltenes: Sie schaffen Nähe durch Distanz. Denn Rodewill nähert sich den Zellen, Sammelräumen, Fluren und den – hygienisch katastrophalen – Toiletten mit einem nüchternen und dokumentarischen Blick. Sie lässt die Architektur der Unterdrückung für sich sprechen und überfrachtet sie nicht mit künstlerischen Konzepten. Genauso wenig mit versteckten moralischen Appellen. Das Gebäude des ehemaligen Gefängnisses steht unschuldig, ja geradezu pittoresk in der Landschaft. Behutsam und ohne schlichte Schockeffekte dringt die Kamera in die Innenräume und Zellen vor. Wir können zunächst nur erahnen, was sich dort zugetragen hat. Wir wollen es uns am liebsten gar nicht vorstellen, aber die beigefügten Texte über ehemalige politische Gefangene zwingen uns
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dazu. In den Berichten der damals oft noch sehr jungen Frauen erfahren wir von entsetzlichen Demütigungen. Es hat oft lange gedauert, bis die Frauen eine Sprache für ihre traumatischen Erfahrungen finden konnten. Das Gefängnissystem machte die Frauen zu bloßen Nummern und die Berichte geben uns einen Eindruck davon, was diese Entmenschlichung mit Menschen anstellt. Denn nicht nur die Gefängnisaufseher übten Gewalt aus, auch untereinander fügten sich die Gefangenen Schmerzen zu. Die politischen Gefangenen wurden zu willkommenen Opfern der „unpolitischen“ Gefangenen. Das Strafsystem der DDR nahm die Quälereien, die nichts anderes waren als Folter, nach dem Prinzip divide et impera gerne in Kauf. Die Wärter schauten meist weg. Wenn man eines an diesem beeindruckenden Buch vermisst, dann sind es O-Töne der „normalen“ Kriminellen, die mit im Frauenzuchthaus Hoheneck einsaßen. Nachträglich wird durch ihr Fehlen der Eindruck erweckt, sie seien die „schlechteren“ Gefangenen gewesen. Die Bilder nehmen uns mit auf eine Reise ins Innere der Einsamkeit. So objektiv ihr Stil einerseits wirkt, so solidarisch ist ihre fotografische Perspektive dann doch. Erschütternd sind ihre Fotografien gerade deshalb, weil sie die Perspektiven der Gefangenen einnehmen und beispielsweise der Blick durch die Gitterstäbe der Zelle nachvollzogen wird. Es lässt sich regelrecht nachspüren, wie im Gefängnis die Erinnerung an das Leben in Freiheit verblasste und die Welt draußen nur noch als schwach hereinschimmerndes Licht anwesend war. Die Angst überträgt sich durch die klaustrophobische Stimmung in den Abbildungen auf den Betrachter. Die Distanz wird zu Nähe, die bedrücken kann. Die Bilder wirken dadurch authentisch, obwohl wir diese Art der
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Authentizität heute vielleicht gar nicht mehr unbedingt gewohnt sind. In Zeiten der digitalen Massenbildproduktion müssen Fotos verwackelt und unscharf sein, um Authentizität für sich beanspruchen zu können. Rodewills Bilder sind scharf und klar und konturiert. Die Gefangenen von Hoheneck, über die wir in diesem Buch eindringliche Porträts lesen können, wollten nichts anderes als frei sein. Allein der Plan, die DDR zu verlassen, reichte aus, um inhaftiert zu werden. Für die heutige Generation der Erasmus-Studenten und EasyjetTouristen muss das klingen wie aus dem Mittelalter. Auch weil die Fotografien schwarzweiß sind, kann der – psychologisch entlastende – Eindruck entstehen, das alles sei ja schon ewig her. Aber es war gerade einmal vor 25 Jahren, dass die DDR-Diktatur von Bürgerinnen und Bürgern beseitigt wurde. Rengha Rodewills Arbeiten sind deshalb mehr als Erinnerungsbilder. Sie sind nicht nur Relikte eines untergegangenen Unrechtsystems, sondern Zeugnisse dessen, was Menschen anderen Menschen antun können. Es sind Bilder gegen das Schweigen und das Vergessen. Sie sind zudem Bilder gegen eine immer noch grassierende Ostalgie. Einige der Gefangenen, die in dem Buch zu Wort kommen, betreiben heute an Schulen aktiv Aufklärung gegen die Verklärungsformel des „Es war nicht alles schlecht.“ Die Bilder tragen somit einen Auftrag an uns heran: Den Auftrag, dafür zu sorgen, dass so etwas nicht wieder vorkommt. Menschen dürfen niemals für ihren Freiheitswillen bestraft werden. Das Buch ist kein Coffee Table-Book, das wir nebenbei und ungerührt durchblättern könnten. Es reißt uns vielmehr sanft heraus aus der behaglichen Betrachterrolle und erinnert uns daran, dass der Mensch geboren ist, um frei zu sein. Und dass sich Freiheit nicht von selbst versteht, sondern immer wieder aufs Neue behauptet und erkämpft werden muss.
Erinnerungsort Hoheneck
Eine Einführung
Es gibt Orte, die zum Begriff geworden sind, die für Schrecken, Grauen und unbeschreibliches menschliches Leid stehen. „Schloss Hoheneck“ – der geheime Ort – im sächsischen Stollberg mit seiner ruhmlosen und wechselvollen Geschichte gehört dazu. Das Schloss, aufs Engste verknüpft mit der Entwicklung der Stadt Stollberg im Erzgebirge, kann auf eine lange Geschichte zurückblicken. Eine Ritterburg, die sogenannte „Staleburg“, wurde erstmalig 1244 urkundlich erwähnt. Während der nächsten Jahrhunderte residierten dort eine Vielzahl von Kurfürsten und Könige. Die Burganlage wurde hauptsächlich in dieser Zeit als Jagdschloss genutzt. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts verfügte die Anlage bereits über einen Bergfried auf dem „Hohen Eck“, in dem sich ein Amtsgefängnis mit dazugehöriger Folterkammer befand. 1704 wurde die Burg erstmals als „Schloss Hoheneck “ erwähnt. Im Laufe des 18. Jahrhunderts, nach einem verheerenden Brand, verfiel die Schlossanlage zur Ruine. 1862 wurde Schloss Hoheneck abgetragen und an gleicher Stelle 1864 ein sogenanntes „Sächsisches Weiberzuchthaus“ errichtet, wobei bis etwa 1885 immer wieder umfangreiche Erweiterungsarbeiten stattfanden, um auch zusätzlichen Platz für eine Strafanstalt für Männer einzurichten. Ab diesem Zeitpunkt wurde dann von einer „Landesstrafanstalt für Männer“ gesprochen, da die inhaftieren Frauen 1886 von Hoheneck nach Waldheim verlegt wurden. Im 20. Jahrhundert, während der Weimarer Republik, war Hoheneck zeitweise eine Strafanstalt für Jugendliche. Von 1933 bis 1945 von den Nationalsozialisten genutzt, übernahm nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) das Gefängnis. Aus dem aufgelösten Speziallager Sachsenhausen verlegte die
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Sowjetische Militäradministration am 12. Februar 1950 etwa 2000 verurteilte Frauen mit 30 Kleinkindern und Babys, die durch das Sowjetische Militärtribunal (SMT) verurteilt worden waren, nach Hoheneck. Die Mutter des Schriftstellers Walter Kempowski, Margarethe, war dort ebenfalls inhaftiert, während ihr Sohn Walter zeitgleich im „Gelben Elend“ in Bautzen einsaß. Die maximal für 600 Häftlinge ausgelegte Haftanstalt war damit restlos überbelegt. Auf Kinder war man in Hoheneck gar nicht eingestellt, diese wurden behelfsmäßig in Bettwäsche eingewickelt. Einige Mütter bekamen kleine Rationen Milch, um die Kinder, die teils noch Säuglinge waren, zu ernähren. Diese Kinder und die bis 1952 in Hoheneck Geborenen, trennte man von ihren Müttern und verteilte sie auf Kinderheime in der DDR. Hoheneck galt schon zu DDR-Zeiten als ein altes Gefängnis, ein finsterer Kasten aus rotem Ziegel. Aus vielen Gründen zählte es aber zu den abscheulichsten Gefängnissen der SED-Diktatur. Doch die Haftanstalt ist nicht nur symbolisch schwer aufgeladen, sie gehört darüber hinaus auch zu einem weiteren düsteren Kapitel der DDR-Geschichte. Mit dem Namen Hoheneck verbindet man noch heute katastrophale, primitive, unzureichende hygienische Verhältnisse und unmenschliche Haftbedingungen, wie die Enge in den hoffnungslos überbelegten Zellen. Was sich in Hoheneck zutrug, hat weder die Verantwortlichen, zuerst der sowjetischen Besatzungsbehörden und dann später des Partei- und Staatsapparates der DDR, davon abgehalten, Menschen unter diesen Bedingungen gefangen zu halten. 1953 kam es zu einem dreitägigen Hungerstreik der SMT-Verurteilten. Mit Mut und Verzweiflung protestieren Hunderte Frauen für bessere Haftbedingungen, auch um eine Überprüfung ihrer Haftgründe zu erreichen.
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In der Strafanstalt Hoheneck wurden vor allem nach 1970 Frauen inhaftiert, die eine Republikf lucht geplant, unerlaubte Kontakte mit Personen aus dem Westen gepf legt, mehrere Ausreiseanträge gestellt oder einfach nur das freie Wort für sich in Anspruch genommen hatten. Für das SED-Regime waren sie alle Verbrecherinnen. Man stufte die Frauen als schwerkriminelle Straftäterinnen ein und behandelte sie auch so. Das zeigte sich im Alltag der Haftanstalt. Die Verurteilten wurden bewusst in Großzellen mit Schwerverbrecherinnen eingesperrt, darunter zahlreiche Mörderinnen, sodass es durch die Zellen-Hierarchie zu schwersten brutalen Misshandlungen, Übergriffen und Vergewaltigungen kam. Außerdem wurden erniedrigende Haftbedingungen und Übergriffe vom Wachpersonal, den sogenannten „Wachteln“ geduldet und auch gefördert. Kleinste Vergehen wurden mit drakonischen Strafen geahndet, wie das Einsperren in den Dunkelarrest. Als schwerste und grausamste Maßnahme galt aber die Wasserzelle, die sich im Keller ohne Fenster und Licht befand. Die Frauen standen in einer tiefen Senke umgeben von Finsternis, wo eiskaltes Wasser in die Zelle durch kleine Löcher eindrang und stetig weiter anstieg und im Zulauf variiert wurde. Diese Foltermethode konnte sich über mehrere Stunden oder Tage hinziehen. Die Strafanstalt war in den 1960er- und 1970er-Jahren mit bis zu 1.600 Insassinnen permanent überbelegt. Der Anteil der politischen Gefangenen lag zu dieser Zeit bei ungefähr 30 Prozent. Eine Definition, die so zu DDR-Zeiten gar nicht existierte. Nach offizieller Aussage der SED-Führung gab es in der DDR keine politische Haft bzw. politischen Gefangenen. Heute ist publik, dass ungefähr 180.000 Menschen aus politischen Gründen in der DDR eingesperrt waren, davon
Tausende bis 1989 in Hoheneck. Perfiderweise machte die DDR mit ihrer politischen Unterdrückung auch noch Devisengeschäfte. Sie verkaufte von 1963 bis 1989 geschätzte 34.000 Häftlinge an die Bundesrepublik Deutschland für etwa 3,5 Milliarden D-Mark. Im Herbst 1989 kam es noch einmal zu Arbeitsverweigerungen und einem Hungerstreik, um eine Verbesserung der Haftbedingungen zu erreichen. Die unsagbaren Zustände endeten erst nach der „Friedlichen Revolution“ und einem Wechsel des politischen Systems 1989/90. Im Dezember 1989 trat eine große Amnestie für die „Politischen“ in Kraft, danach diente das Gefängnis noch einige Jahre als Justizvollzugsanstalt für etwa 50 Gefangene. Ende April 2001 wurde die ehemalige Strafvollzugseinrichtung (StVE) Stollberg (Hoheneck) vom Freistaat Sachsen geschlossen, die zurückgebliebenen Strafgefangenen wurden in umliegende Gefängnisse verlegt. Der Freistaat Sachsen verkaufte 2002 das ehemalige Frauengefängnis mit seinen historischen Bauten an einen privaten Nutzer. 2012 gründete sich der Förderverein „Gedenkstätte Stollberg, Frauenhaftanstalt Hoheneck e.V.“ Der Verein setzt sich zur Aufgabe, die Erinnerung an die politische Verfolgung in der Zeit des Nationalsozialismus und während der kommunistischen Diktatur in Ostdeutschland, hier insbesondere in der ehemaligen Frauenhaftanstalt Hoheneck wach zu halten.
Nutzungsmöglichkeiten entstehen. Die Sanierungsmaßnahmen werden in mehreren Bauabschnitten erfolgen. Am 7. 1.2014 wurde der Fördermittelbescheid für die Gedenkstätte Hoheneck vom Oberbürgermeister der Stadt Stollberg und dem sächsischen Staatsminister des Inneren unterzeichnet. Der symbolische Akt ist als offizieller Startschuss für das Projekt „Gedenkstätte Hoheneck“ anzusehen. Das ehemalige Frauenzuchthaus Hoheneck muss eine Stätte des Gedenkens und eine mahnende Erinnerung an die Opfer der DDR-Diktatur und des Stalinismus sein. Hoheneck kann nicht mehr ungeschehen gemacht werden, aber besonders für die jüngere Generation, die heute in Freiheit aufwächst, soll ein authentischer Ort geschaffen werden, um das Bewusstsein für Menschenrechtsverletzungen und begangenes Unrecht zu schärfen und aufrechtzuerhalten.
Die Stadt Stollberg kaufte die Anlage 2013 von dem Investor zurück. Das Vorhaben für eine Gedenkstätte im ehemaligen DDR-Frauengefängnis Hoheneck war schließlich möglich. In dem Gebäudekomplex sollen neben der eigentlichen Gedenkstätte unterschiedliche
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Bilder von Hoheneck
Zur Entstehung der
Dokumentation von Rengha Rodewill
Wenn wir von der Strafvollzugsanstalt StollbergHoheneck im Erzgebirge sprechen, dann meistens sehr nüchtern und distanziert. Denn wer kennt schon die grausamen Vergehen und das menschliche Unrecht, das sich hinter dicken, meterhohen Mauern mit Stacheldraht, Elektrozaun und Wachturm abspielte? Die Berliner Fotografin Rengha Rodewill folgt seit Jahren den Spuren politischer Häftlinge in der ehemaligen DDR, die – wie auch in Hoheneck – nach ihrer Verhaftung zu „Nummern“ gemacht wurden. Nachdem ihre erste Fotodokumentation Bautzen II im Frühjahr 2013 erschien, folgte sie weiteren Spuren der „Politischen“ bis nach Hoheneck: „Denn kein Wort vermag so eine tiefe Betroffenheit auszulösen, wie der Anblick eines authentischen Ortes.“ Menschliches Leid, wie Unterdrückung, Isolation, Folter, Demütigung, Willkür, Verrat, Verfolgung, Rechtlosigkeit, Psychoterror und Verletzung der Menschenrechte macht die Künstlerin zum Thema ihrer neuen Arbeit. 2012 fing sie damit an, eine Konzeption für die Schwarz-Weiß-Fotodokumentation zu erarbeiten. Wie schon bei Bautzen II sollen Haftschicksale von Zeitzeuginnen aufgezeichnet werden, die von ihrer Verhaftung und über ihre Haftzeit in einem der skandalösesten Gefängnisse des SED-Staates berichten. Auch war es für die Fotografin sehr wichtig zu erfahren, wie es den ehemaligen inhaftierten Frauen heute geht, wie sie ihr tägliches Leben bewältigen, und wie sie mit den Haftfolgeschäden leben. „Schloss Hoheneck“ – malerisch thront das gewaltige Burg-Ensemble über dem kleinen sächsischen Städtchen Stollberg, das reizvoll in der Erzgebirgslandschaft eingebettet liegt, zwischen Chemnitz und Zwickau. Als die Fotografin Anfang Mai 2012 nach StollbergHoheneck kam, um mit ihren Fotoarbeiten zu beginnen,
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ahnte sie nicht, wie arbeitsintensiv und anstrengend, wie tief erschütternd für sie die Tage in der sogenannten „Hölle der Frauen“ – in der „Mörderburg“ wurden. Vom dunklen Kellergewölbe mit den unmenschlichen Folterzellen, denn dort befanden sich die berüchtigte Wasserzelle und die Dunkelzellen, bis hin zum Dachboden der Haftanstalt, schlug ihr „das Grauen“ erbarmungslos entgegen. Nach dem Fall der Berliner Mauer 1989 – dem Zusammenbruch der DDR – wurden auf dem Dachboden zahlreiche Urnen von Verstorbenen gefunden, viele davon waren ohne Anhaltspunkte einer Identität. Heute ist bekannt, dass Gefangene während ihrer Inhaftierung Selbstmord begangen, aber auch viele an Schwäche und Krankheit das Martyrium nicht überlebten. In einem Sammelgrab auf dem Chemnitzer Zentralfriedhof wurden die sterblichen Überreste beigesetzt. Jährlich wird den Opfern des Stalinismus am Gedenkstein, der sich an der Haftanstalt Hoheneck befindet, mit einer feierlichen Kranzniederlegung gedacht. Zellen, Gitterfenster, Spione, Auffanggitter, Flure, Treppen, Alarmknöpfe, Stahltüren, kalte Wände, die Trostlosigkeit und Hoffnungslosigkeit widerspiegelten, alles atmete noch den Schrecken der Vergangenheit, der viele Jahre in den alten Mauern von Hoheneck geherrscht hatte, ein. Das Klappern der Schlüssel, zuschlagen von Zellentüren, laute Schritte und Stimmen auf langen Gefängnisfluren, Schreie, die Wände durchdrangen und das allgegenwärtige, bespitzelnde Auge der Aufseherinnen hinter Spionen, Fenstern und Türen. Die Fotografin konnte das Bedrohliche in den Momenten selbst nur erahnen und die Schicksale der dort Inhaftierten verspüren, als sie sich auf ihre fotografische Spurensuche durch das gewaltige, mehrstöckige und eisigkalte Gefängnis mit seiner beklemmenden Aura machte. Der Südflügel mit dem Zellenhaus,
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den Arrestzellen, Isolationszellen, Dunkelzellen und der Wasserzelle. Im Westflügel die sogenannten Großzellen in denen bis zu 48 Häftlinge untergebracht waren, und im Nordflügel die Produktionsanlagen, wo Frauen im Akkord, manchmal bis zur körperlichen Erschöpfung und psychischem Zusammenbruch, Schichtarbeit leisteten. Hoheneck hat sich eingebrannt für immer: körperlich, seelisch, unvergesslich. Eine Aufarbeitung des Unrechts, was den Frauen dort widerfahren ist und das so dringend notwendige Gedenken an die Opfer der DDRGewaltherrschaft sind ein wichtiger Beitrag zur Erinnerungskultur. Die Künstlerin und Fotografin Rengha Rodewill, will mit ihrer Fotodokumentation und den Erlebnisberichten ehemaliger Insassinnen einen Beitrag dazu leisten. Es ist ihr ein großes Anliegen, dass diese Schicksale der mutigen und couragierten Frauen von Hoheneck, die politischen Widerstand gegen ein diktatorisches Herrschaftssystem von Machtanmaßung und Unterdrückung leisteten, aber dafür wie „Schwerverbrecherinnen“ büßen mussten, noch mehr in die öffentliche Wahrnehmung gerückt werden. Bei der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit darf nicht vergessen werden, dass es die politischen Gefangenen gewesen sind – wie die Frauen von Hoheneck – die ihre persönliche Freiheit für die allgemeine Freiheit riskierten.
Verena Ersfeld „Tolle DDR-
Tugenden? Was ist
das für ein Mist?“
Achtung und Schutz der Würde und Freiheit der Persönlichkeit sind Gebot für alle staatlichen Organe, alle gesellschaftlichen Kräfte und jeden einzelnen Bürger. Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 6. April 1968 (in der Fassung vom 7. Oktober 1974), Artikel 19
Ehemalige DDR-Häftlinge neigen nicht zu dem Gefühl, das man heute Ostalgie nennt. Manche haben zwar wieder Kontakt zu ihren Bekannten von früher, sie besuchen mit leichtem Frösteln die Heimat, aber sie sagen eigentlich nie etwas Freundliches oder auch nur Versöhnliches über den Staat, in dem sie einmal Bürger waren. Verena Ersfeld neigt im Gespräch nicht zu Gefühlsausbrüchen, sondern spricht sehr ruhig und sachlich über ihre Vergangenheit und die Haft in Hoheneck in den Jahren 1988/89, also zu einer Zeit, während der die DDR schon in den letzten Zügen lag. Ärgerlich wird sie nur, wenn die Rede auf die Gegenwart kommt. Schon die Wende hätte ihr Kopfschmerzen bereitet, sagt sie, auch ertrage sie es nicht, wenn die Menschen heute, obwohl die Einzelheiten des DDR-Zwangsregimes für alle längst offen lägen, die Vergangenheit beschönigen und sogar loben würden. Von wegen „tolle DDR-Tugenden“, meint sie, „was ist das für ein Mist? Es gab den viel beschworenen Zusammenhalt, wenn überhaupt, dann nur mit großen Einschränkungen, denn man hat sich gegenseitig bespitzelt und es herrschte Misstrauen untereinander. Warum nur haben alle mitgemacht?“ Auch die ersten, gleich nach der Wende erschienenen Artikel über Hoheneck empfand sie als Hohn, vor allem als eine DDR-Frauenzeitschrift das Gefängnis als vorbildlich lobte und die „schönen Zellen“ beschrieb. Verena Ersfeld hat zwar damals in der DDR ihre Verhaftung provoziert, um ausreisen zu dürfen, aber sie hätte sich den Gefängnisaufenthalt selbst in ihren schlimmsten Träumen nicht als so schrecklich ausmalen können. Ungeachtet der Tatsache, dass das Verhältnis der beiden deutschen Staaten nach außen immer normaler aussah, schienen die Haftbedingungen für politische Gefangene in Hoheneck unangenehmer geworden zu sein. Das lag vor allem an der Einzelunterbringung der „Politischen“
zwischen schwer kriminellen Straftäterinnen in einer Großzelle. Während sich die Frauen früher, in der Zwischenzeit, wo sie auf ihren Freikauf warteten, gegenseitig stützen und aufmuntern konnten, waren sie nun einsam und ausgeliefert oder fühlten sich zumindest so. Vom Wachpersonal war kaum Hilfe zu erwarten, entweder, weil die Übergriffe nicht bemerkt wurden oder weil die Verachtung für die politischen Häftlinge immer noch so groß war, dass man die Vorfälle ignorierte. Als Verena Ersfeld eines Nachts von zwei kriminellen Frauen vergewaltigt wurde, kam ihr niemand zu Hilfe. Sie hat später erlebt, wie andere Frauen in Nebenzellen verzweifelten und sich nachts Nadeln unter die Haut schoben, um zu sterben und endlich erlöst zu sein, aber sie setzte sich anders zur Wehr. In Wahrnehmung der inzwischen den Häftlingen zugestandenen Rechte schrieb sie an Wolfgang Vogel, den Rechtsanwalt, der in der DDR den Freikauf und die Entlassungen managte, und bat um Hilfe. Es funktionierte tatsächlich. Sie kam in eine Einzelzelle, zwar noch weniger komfortabel, aber dafür sicher, und sie musste auch nicht mehr in die große Nähstube, die von aggressiven Kriminellen dominiert wurde, sondern erhielt einen Arbeitsplatz, an dem zwei vertrauenswürdige Strafgefangene auf sie aufpassten. Das anstrengende Schichtsystem, über das so viele Ex-Häftlinge klagen, war aus ihrer Sicht viel leichter zu ertragen als die vorangegangene, Furcht einflößende menschliche Bedrohung. „Die Arbeit war wenigstens eine Ablenkung.“ Doch trotzdem würde sie für die Freiheit alles wieder auf sich nehmen, sagt sie heute. Dieser Freiheitswille war schon 1989, bei der damals 22-jährigen Erfurterin so unbändig, dass sie der Stasi gedroht hatte, es werde „in Berlin öffentlich ein Unglück passieren“, wenn man sie nicht endlich zur Großmutter ausreisen ließe, bei der sie aufgewachsen war. Eine jugendlich-blauäugige Drohung, aber die auf ihr Image bedachte DDR nahm sie ernst und verhaftete sie,
zumal Verena Ersfeld schon einmal mit 18 Jahren einen gescheiterten Fluchtversuch unternommen hatte. Nach ihrer Haftentlassung in den Westen am 7. Juli 1989, also kurz vor der Wende, lehnte sie das Angebot, eine Kur zu machen, ab. Sie wollte auch keine Therapie, sondern stürzte sich in die Arbeit, machte mehrere Ausbildungen, studierte und arbeitete später als selbstständige Betriebswirtin und Coach. Doch die Hoheneck-Zeit blieb auch bei ihr nicht ohne Folgen. Ein nervlicher Zusammenbruch und ein Burn-out waren zwar die direkte Folge ihres angespannten Berufslebens, indirekt aber auch das Produkt des Tätigkeitsdrangs, mit dem sie die Vergangenheit zuschüttete. Heute räumt sie ein, dass sie zum ersten Mal vor neun Jahren Zeit zum Nachdenken hatte, als ihre Tochter auf die Welt kam. Zwar hatte sie bis dahin nie über ihre DDR-Zeit so konsequent geschwiegen wie viele andere, aber nun begann sie, aktiv damit umzugehen, und begleitete sogar als Mentorin an einem Gymnasium eine Klasse mit 14-Jährigen, die für einen Geschichtswettbewerb das DDR-Thema bearbeiteten. Inzwischen hat sie sich eine persönliche Auszeit zugebilligt, um sich mit ihrem Leben auseinanderzusetzen. Die Vergangenheit ist auf einmal viel präsenter als früher. Heute geht es Verena Ersfeld darum, das Vergessen zu verhindern. Sie weiß, wie schwer es früheren Häftlingen fällt, sich der Vergangenheit zu stellen und dass viele es bis jetzt aus Furcht vor dem, was sie vorfinden würden, nicht gewagt haben, ihre Akten aus der StasiUnterlagenbehörde zu lesen. „Die Behörde jetzt schon zu schließen, wäre deshalb ein Unding.“ Fassungslos macht sie vor allem die Unwissenheit vieler heute 60-Jähriger aus der sogenannten westdeutschen Entspannungsgeneration. „Sie wollen es nicht hören, aber dann kann nichts besser werden.“
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