MDZ – Das Magazin zum Markt der Zukunft

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Stadt, Land, Flucht

FOTO FILMSTILL, NGF

Lange Jahre zog es viele weg aus den Dörfern in die Städte – mit katastrophalen Folgen. Jetzt zeichnet sich ein Umdenken ab: In der allgemeinen Krise erfährt das Land eine Aufwertung. Als Raum, den es zu erhalten gilt. Und als Raum, in dem Alternativen gelebt werden können.

TEXT REBECCA GAHR & EVA SAPPL

Die Unternehmerin Theresa Mai erprobt in Gutenstein alternative Formen der Dorfgemeinschaft. [S. 18]

Franz Nahrada schafft mit seiner DorfUni Bildungsmöglichkeiten. [S. 21]

Rainer Rosegger und Dorothee Steinbauer stärken das kulturelle Leben am Land. [S. 22]

ZUKUNFT BAUEN

Teresa Distelberger zeigt in ihrem neuen Film „Rettet das Dorf”, was auf dem Spiel steht, wenn wir den ländlichen Raum vernachlässigen. Fast 8000 Menschen wohnen in der Gemeinde Herzogenburg in Niederösterreich – eine Stadt, wenn man aus den umliegenden Orten einen Blick darauf wirft, aber ein kleines Dorf, betrachtet man es aus der 80 Kilometer entfernten Bundeshauptstadt. Auf der Straße begrüßen sich freundlich Spaziergänger*innen, im Café unterhalten sich die Gäste über mehrere Tische hinweg. Man kennt sich. Auch die Regisseurin Teresa Distelberger, in Herzogenburg aufgewachsen, ist hier keine Fremde. Auf dem Weg zum Rathausplatz trifft sie Bekannte, lachend setzen sie den Weg gemeinsam fort. Distelberger ist hier, um ihren neuesten Film zu präsentieren: “Rettet das Dorf”. Es geht darin um das Leben auf dem Land, das oft romantisiert und noch öfter einfach übersehen wird.

Kurz vor Filmbeginn spricht der Bürgermeister ein paar einleitende Worte: Ehrengäste werden begrüßt und die Regisseurin vorgestellt – für die wenigen, die sie nicht kennen. Als Teresa Distelberger an diesem Abend die Bühne betritt, gibt es Applaus. Heute nennt sie Herzogenburg ihren Heimatort. Das war nicht immer so, obwohl sie bereits im Alter von zwei Jahren mit ihren Eltern hierher kam. „Ich habe mich hier nicht gleich willkommen gefühlt. Ich hatte das Gefühl, immer die ,Zuagroaste´ zu bleiben.“ Dieses Problem wird auch im Film thematisiert, ihre erste eigene Lang-Doku, die im Februar 2020 ins Kino kam. Fremde könnten einem Dorf neues Leben einhauchen, aber zu oft wird ihnen mit Feindseligkeit oder Skepsis begegnet.

Für immer die „Zuagroaste”

Retten, was es zu retten gibt

Der Beamer ist aufgebaut und ein kleines Weingut aus der Region schenkt aus. Der laue Abend bietet perfekte Voraussetzungen für das Open-Air-Kino im Innenhof des Kulturzentrums. Es ist 15 Minuten vor Filmbeginn und immer mehr Interessierte treffen ein. Teresa Distelberger lehnt an einem Stehtisch und lächelt Vorbeigehenden immer wieder grüßend zu. Sie habe Herzogenburg früher eindeutig als Dorf wahrgenommen, erzählt sie. Nach der Schule zog es sie wie viele Jugendliche aus kleinen Ortschaften in die Ferne. Sie studierte in Wien, Paris, Lancaster und den Niederlanden. Mittlerweile wohnt sie wieder in Wien – für die Arbeit, denn eigentlich würde sie lieber wieder am Land wohnen.

Obwohl 90 Prozent der Fläche Österreichs ländlich geprägt sind, wohnen 60 Prozent der Einwohner*innen in Städten, Tendenz steigend. Dörfer sterben aus. Schnell wird während der Dokumentation klar, was es zu verlieren gibt. Dass mit den Dörfern Tradition, Handwerk, Kultur und Gemeinschaft verschwinden – ein Phänomen, das nicht nur in Österreich, sondern international bemerkbar ist. „Spätestens jetzt“ muss etwas passieren, findet Distelberger, bevor sie die Bühne verlässt. Es ist dunkel geworden – gerade rechtzeitig für den Start der Vorstellung. Kurz vorm Vorspann läuft Distelberger noch einmal geduckt zum Podium. Sie hat ihr Weinglas vergessen. „Sympathisch“, findet ein älterer Herr aus dem Publikum.

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