Wohn!Design 2/2016

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QUALITÄTSOFFENSIVE !

Die Hamburger Auktionatorin Christiana Stahl-Kerle schaut gerne über den Tellerrand. Wenn es ihre Zeit zulässt, bereist Christiana Stahl-Kerle vom Hamburger Auktionshaus Stahl mit ihrer Familie am liebsten ferne Länder. Vor Kurzem ist sie aus Dubai und Abu Dhabi zurückgekehrt. „In beiden Städten haben mich die positive Aufbruchstimmung, die Modernität und die rasante wirtschaftliche Entwicklung beeindruckt“, erzählt die Kunstexpertin, die von Dubais zeitgenössischer Architektur begeistert ist, genauso wie von der Offenheit und Freundlichkeit der Menschen vor

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Ort. „Abu Dhabi entwickelt sich zu einer kulturellen Drehscheibe. Mitten in der Wüste entsteht ein ganz fantastisches Kunst- und Kulturzentrum. Wir haben uns das angeschaut. Stararchitekten wie Sir Norman Foster, Jean Nouvel und Zaha Hadid haben hypermoderne Bauten konzipiert. Dort werden ein Guggenheim-Museum und eine Dependance des Louvre eröffnet, die wird allerdings erst 2018 fertig. Ich fand es interessant, dass man dort aufgrund der begrenzten Erdölreserven in Bildung und Kultur investiert“, so Stahl-Kerle, wohl wissend, dass dieses Wirtschaftswunder und der Bauboom „auf Kosten ärmerer Bevölkerungsschichten ausgetragen werden. Vorbildlich finde ich das nicht. 90 Prozent der Bevölkerung in Dubai sind Gastarbeiter, meist aus Indien, und zehn Prozent sind Einheimische, die alles haben, was man sich nur vorstellen kann bis hin zu kostenfreien Wohnungen und kostenloser Krankenversicherung. Es bleibt ein Zwiespalt zurück.“ Klar, die Welt ist im Umbruch, und auch den gesellschaftlichen Wandel in Deutschland und seinen Nachbarstaaten beobachtet die Auktionatorin sehr genau. „Das Kaufverhalten im Kunstmarkt hat sich verändert und ist ein anderes als vor zwanzig Jahren. In den Achtzigern und Neunzigern wurde sehr viel zu Dekorationszwecken gekauft. Wenn ich mir heute Nachlässe anschaue, liegen in diesen Häuser meistens Orientteppiche, und die Vitrinen stehen voller Porzellan. Die Familien haben im Normalfall Meissener Porzellanservice und jede Menge Silberbesteck. Heute richtet man sich nicht mehr so üppig ein. Ich sehe einen Trend zur Qualität“, so Stahl-Kerle. „Man kauft heute bewusster und nicht mehr so viel.“ Da drängt sich natürlich die Frage auf, warum sich der Kunstkonsum so grundlegend verändert hat. Liegt es an der Sparheimer-Mentalität der Deutschen, an der erhöhten Mobilität einer Gesellschaft, für die allzuviel „Ballast“ hinderlich ist oder vielleicht an einer bewussten Abgrenzung vom Lebensstil der Elterngeneration? „Ich denke Letzteres“, überlegt die Hamburgerin. „Und wir leben in einer Überflussgesellschaft. Ich kann es nicht verallgemeinern, sondern nur für mich sprechen: Man muss differenzieren. Nach wie vor gibt es in der breiten Schicht der Bevölkerung Leute, die ausschließlich über den Preis kaufen. Kunst und Antiquitäten waren immer etwas Besonderes und nie günstig. Wir beobachten heute Schnäppchenjäger, die sich über Internetportale informieren, wo sie eine günstige Barockkommode für 300

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