Die Wochenschau Münster

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JENSEITS VON …

… DEN STERNEN von Anna Lohmeier

„Raus!“, schreit mein Hirn, „Neues“ verlangt mein Herz, „Großstadtluft“ japst meine Lunge. Vier Monate Provinzhauptstadt sind der Eintönigkeit genug! Also mopse ich den Reiserucksack meiner Cousine, mache seinem Namen alle Ehre und schnappe mir den nächsten Billigflieger. Kaum berühren meine Sohlen das pulsierende Pflaster einer inspirierenden Metropole, leuchten meine Augen und meine Fingerspitzen kribbeln – vor

Angst. Denn Spontanität und Reiseplanung gehen selten Hand in Hand. Wo werde ich heute Abend schlafen? Die Jagd nach dem günstigsten und zentralsten Hostel ist eröffnet. Durch diesen SuperlativAnspruch zum Scheitern verurteilt, endet die Hatz stets in einem abgerockten

Viertel vor einer bunt lackierten Holztür mit riesiger Klingel. Wird diese erhört, heißt die nächste Hürde Sprachbarriere. Ein Job in der Tourismusbranche ist kein Garant für Englischkenntnisse. Selbst englischsprachige Länder folgen dem Trend und setzten Volunteers an den, die Rezeption imitierenden, Tresen, deren Akzent den Status einer eigenständigen Sprache verdient. Die wahre Hostel-Experience lauert jedoch im Schlafraum, im dorm, im dormitorio: Ob Berlin, London oder Rom, die Fragen bleiben stets

die Selben: Wohin mit dem Gepäck in einem 8 qm Vierbettzimmer? Wo schlafe ich lieber: Am brüchigen Fenster oder zwischen den zwei schnarchenden Typen mit Mauldampf? Und wie schlüpfe ich unbehelligt in mein Schlafshirt? Völlig entnervt investiere ich fünf Minuten Zeit und zehn Euro mehr in die nächste Unterkunft, um in einem kuschligen B&BBettchen aufzuwachen. Beschwingten Schrittes kehre ich in den Frühstücksraum ein und finde mich in einer Eichen-vertäfelten Seniorenheim-Hölle wieder. Da schlafe ich doch lieber ohne Stern. 15


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