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Wie Achter bahnfahren
Kristina Vogel ist Olympiasiegerin und Weltmeisterin im Bahnradfahren. Dann stürzt die Ausnahmesportlerin. Uns erzählt sie, wie sich ihr Leben, ihre Beziehung Wie Achter ba hnfahren und ihre Träume verändert haben.

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Kristina Vogel liegt im Krankenbett und schaut auf ihre nackten Beine. Sie sind schwer, regungslos – als ob sie nicht mehr zu ihr gehörten. „Meine Beine nicht mehr zu spüren ist total befremdlich. Am liebsten würde ich sie mir einfach abschneiden lassen, so schlimm fühlt sich das an.“
Es ist das erste Mal, dass sich die Spitzensportlerin wieder bewusst mit ihrem Körper auseinandersetzt. Die ersten Wochen kämpfte sie einfach nur ums Überleben.
Schon als junges Mädchen ist sie ehrgeizig und gewissenhaft, ihr sportliches Talent herausragend. Sie verbringt jede freie Minute auf der Radbahn. „Bahnradfahren war meine Leidenschaft und meine Liebe. Es ist wie Achterbahnfahren und Schachspielen in einem. Um 70 km/h zu brettern, braucht es Mut und eine perfekte Technik.“
Mit 17 kommt Kristina im Zuge ihrer Polizeiausbildung in die Sportfördergruppe, der Beginn ihrer Profikarriere. In den folgenden Jahren gewinnt sie zweimal Gold bei Olympia und wird elfmal Weltmeisterin. Von der Presse wird sie als Ausnahmesportlerin gefeiert. „Ich war ganz oben, und der Druck war irgendwann enorm. Deshalb nahm ich die Trainings auch so ernst.“
Am 26. Juni 2018 trainiert sie bis zum Maximum. „Die anderen wollten schon aufhören, aber ich wollte noch eine allerletzte Runde fahren“, erinnert sich die Sportlerin.
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„Bin ich querschnittsgelähmt?“, fragt Kristina, als sie aus dem Tiefschlaf erwacht.
1. Auf Rekordfahrt beim Berliner Sechstagerennen. 2. Der Traum eines jeden Sportlers: Gold bei Olympia. 3. Kristina bei der Gala zum Thüringer Sportler des Jahres 2017.
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Also startet sie noch einmal in den Teamsprint. Sie fährt im Windschatten einer Kollegin, soll dann die Führung übernehmen. Das Adrenalin schießt durch Kristinas Körper.
Dann geht etwas schief. Im Bruchteil einer Sekunde kollidiert sie unter Höchstgeschwindigkeit mit einem anderen Fahrer und stürzt schwer. „Als ich verletzt am Boden lag, habe ich versucht, ruhig zu atmen. Ich konnte mich nicht bewegen, und mir war sofort klar, dass mir etwas Schlimmes passiert ist.“ Kristina beobachtet, wie Ersthelfer sie versorgen. Als sie sieht, wie jemand ihre Schuhe wegträgt, weiß sie, dass sie ihre Beine nicht mehr spürt.
EIN MÜHSAMER WEG Die Sportlerin wird mit dem Hubschrauber ins Unfallkrankenhaus Berlin geflogen und operiert. Ihre Verletzungen sind schwer. Unter anderem ist ihr Brustbein zertrümmert, ihr Rückenmark ab dem 7. Brustwirbel verletzt. Als sie aus dem künstlichen Tiefschlaf erwacht, will sie eines sofort wissen: „Bin ich querschnittsgelähmt?“ Ihr langjähriger Lebensgefährte Michael und der behandelnde Chefarzt müssen ihre Befürchtung bestätigen. „Ich weiß noch, wie mir dabei eine kleine Träne über meine Wange gerollt ist.“
In der ersten Zeit geht es für Kristina ums Überleben, erst nach Wochen kann sie sich ihrer Querschnittslähmung stellen. „Michael hat einmal die Hand auf meinen Oberschenkel gelegt und mich gestreichelt. Ich war so sauer. Ich

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4. & 5. Lebensgefährte Michael ist Kristinas „starke Schulter zum Anlehnen, wenn ich sie brauche“. 6. Emotionaler Moment: bei der Ehrung als Radsportlerin des Jahres 2018. 7. Voller Vorfreude auf das Olympische Jahr 2016. 8. Starke Frau: Kristina beim Covershooting des Red Bulletin Magazins.

konnte nicht begreifen, warum er mich dort überhaupt noch anfasst, wenn ich doch rein gar nichts mehr spüre.“
Für die Spitzensportlerin beginnt ein mühsamer Weg. Das erste Mal im Rollstuhl sitzen. Ihn fahren. Die, wie sie sagt, schweren und lästigen Beine mobilisieren. Ohne Hilfe vom Bett in den Rollstuhl überwechseln. Alleine duschen. „Ich war noch nie geduldig. Und plötzlich dauerte alles ewig. Manchmal bin ich ausgerastet“, gibt sie ehrlich zu. Aber Kristina bleibt dran und wird immer selbständiger.
Bald darf sie zurück in ihr Haus, in dem manches adaptiert und ein Lift eingebaut werden muss. „Bei vielem konnte mir auch Michael helfen.“ Ihr Fels, wie bei jeder Erzählung über den ehemaligen Radsprinter deutlich wird. Ob es sich wie eine Bürde anfühlt, die sie auch ihm auferlegt hat? „Ja“, sagt sie, „gerade am Anfang. Nichts war mehr, wie wir es geplant hatten. Ich hätte verstanden, wenn er gegangen wäre.“ Aber Michael bleibt. Und blendet den Rollstuhl aus. „Er sagt immer, ich bin immer noch ich, nur eben kleiner“, lächelt sie.
WORÜBER NIEMAND SPRICHT Bei einer SportlerGala erscheint Kristina dann zum ersten Mal im Rollstuhl. Sie trägt ein langes weißes Kleid und goldenen Haarschmuck. Michael ist bei ihr. Die Journalisten stürzen sich auf die Spitzensportlerin, jeder möchte wissen, wie es ihr geht. „Ich habe mich stark gezeigt, aber natürlich bin ich zu dieser und zu vielen weiteren Veranstaltungen durch die Hintertüre rein, weil einfach nichts barrierefrei ist“, sagt sie. Und wird noch privater: „Es gibt auch einfach Dinge, über die niemand sprechen möchte. Ich weiß jetzt, wie es ist, in Windeln in einer TVShow zu sitzen. Oder immer Angst haben zu müssen, die Inkontinenz nicht verbergen zu können.“
Ein heikles Thema, mit dem fast alle Querschnittsgelähmten kämpfen müssen. „Ich bin dabei, diesbezüglich noch dazuzulernen.“ Kristina ist es wichtig, solche Probleme anzusprechen und auf Missstände aufmerksam machen. Dafür ging sie sogar in
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7 die Politik. „Diskriminierung ist zu Recht ein großes Thema. Das hört nicht bei der Hautfarbe, der sexuellen Orientierung oder einer Behinderung auf – es ist dauernd überall. Auch wenn wieder ein Gesunder den Behindertenparkplatz besetzt.“
Etwas in ihr hat aber auch Frieden mit der neuen Situation geschlossen. „Ich habe im Sport alles erreicht und nichts verpasst. Ich wollte immer unbesiegt aufhören – und das ist mir ja irgendwie gelungen“, schmunzelt sie mit schwarzem Humor. „Das Leben ist schön, und ich habe immer noch sehr viel Lebensfreude in mir. Ich weiß, dass es auch viele Menschen gibt, die es schlimmer erwischt hat als mich. Und die es auch schaffen.“
Für die Zukunft plant Kristina ein paar spannende Projekte, darunter eine eigene Sendung, in der sie andere Sportler vorstellt, und Kommentatorenjobs bei Sportübertragungen. Und irgendwann eine eigene Familie. „Ich bin stolz darauf, was ich in den letzten Jahren geschafft habe. Von jemandem, der sich nicht mal alleine umdrehen kann, bis hierher war es ganz schön viel Arbeit. Es ist wie ein Wettkampf, und ich bin immer noch mittendrin.“

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