7 minute read

Die jungen Tänzerinnen und Tänzer kommen aus 14 afrikanischen Ländern

Pina Bauschs „Frühlingsopfer“ entsteht in Afrika neu Die jungen Tänzerinnen und Tänzer kommen aus 14 afrikanischen Ländern

Advertisement

Probenszene von „Le Sacre du printemps“ am Strand von Toubab Dialaw, Senegal. Foto: polyphem Filmproduktion

Corona stoppte die Einstudierung von Bauschs legendärer Strawinsky-Choreogra- fie mit afrikanischen Tänzerinnen und Tän- zern kurz vor der Premiere. Mitglieder des Einstudierungsteams erzählten „der besten

Zeit“ von ihren Erfahrungen. Eigentlich sollten sie jetzt schon längst in Paris sein, in London und in Amsterdam. Auf Gastspielreise mit Pina Bauschs legendärer Strawinsky-Choreografie „Le Sacre du printemps“ aus dem Jahr 1975: junge Tänzerinnen und Tänzer aus diversen Ländern des afrikanischen Kontinents. Sechs Wochen haben sie gemeinsam an der École de Sables im Senegal verbracht, haben bis zum Umfallen geprobt. Zum ersten Mal hätten sie an großen europäischen Häusern auf einer Bühne gestanden. Dann kam Corona und brachte den Traum vom afrikanischen Sacre erst einmal zum Platzen.

Auch in Wuppertal war die für April angesetzte Premiere mit großer Spannung erwartet worden, natürlich. Bereits 2019 hatte die Pina Bausch Foundation das Projekt gemeinsam mit der École de Sables im Senegal und dem Londoner Sadler’s Wells Theatre sowie mit Unterstützung des Tanztheaters Wuppertal Pina Bausch auf den Weg gebracht. 220 Tänzerinnen und Tänzer aus ganz Afrika hatten sich auf den Aufruf der Foundation hin mit einem kurzen Video für das Projekt beworben. Tänzerinnen und Tänzer mit ganz unterschiedlichen Hintergründen – von Modern Dance bis zu Streetdance und afrikanischer

Gloria Ugwarelojo Biachi und Serge Arthur Dodo bei einer der letzten Proben vor dem Lockdown. Foto: polyphem Filmproduktion

Folklore. 135 von ihnen erhielten die Gelegenheit, an drei Orten in Burkina Faso, dem Senegal und der Elfenbeinküste an einer jeweils dreitägigen Audition teilzunehmen, 120 kamen. „Nicht alle hatten genug Geld oder Unterstützung, um die Reise bezahlen zu können. Für einige hatten sogar Freunde das Ticket bezahlt“, erzählt Kenji Takagi, ehemaliges Ensemblemitglied des Tanztheaters Wuppertal und jetzt Teil des achtköpfigen Einstudierungsteams unter der Gesamtleitung von Jo Ann Endicott. 67 wurden zu einem Intensivworkshop an die École de Sables eingeladen. Übrig blieben schließlich 38 Tänzerinnen und Tänzer aus 14 verschiedenen afrikanischen Ländern. „Nur wenige Tänzer kannten sich untereinander. Viele von ihnen hatten aber bereits irgendwann einen Workshop an der École de Sables abgeschlossen und kannten Germaine Acogny und Helmut Vogt, die Gründer der Schule“, erzählt Endicott.

Es war für alle ein großes Abenteuer. „Von vornherein war mir klar, dass es eine völlig andere Arbeit sein würde als sonst“, sagt Jo Ann Endicott. „Der Name Pina Bausch war für die meisten der Tänzer unbekannt, ebenso der des Komponisten Strawinsky. Afrika ist ein riesiges Land, weit weg von den Opernhäusern in Europa und von der Welt des klassischen Balletts. Die Tänzer hatten fast keine klassische Ausbildung, wussten nichts von Tutus, Spitzenschuhen und gestreckten Füßen. Sie kamen mir mehr naturbelassen vor, wild, roh, voller Energie und doch verletzlich“, erzählt sie. Nun ist Pina Bauschs „Sacre“-Choreografie zwar offenkundig kein klassisches Ballettstück, enthält aber noch viele aus dem klassischen Ballett abgeleitete Elemente. Gar nicht zu reden von Bauschs eigener Bewegungssprache mit ihrem hochkomplexen Zusammenspiel der Gliedmaßen. Jorge Puerta Amarante, der am gesamten Einstudierungsprozess beteiligt war, sucht nach einem Vergleich, um die Schwierigkeit deutlich zu machen: „Das war, als ob man jemandem eine neue Sprache beibringen soll. Einige lernen schneller, andere langsamer, wieder andere fühlen sich komplett verloren.“

Allen gemeinsam aber war ihr Enthusiasmus, ihre Hingabe, ihr unbedingter Wille, es zu schaffen und die Herausforderung zu meistern – darin sind sich alle Gesprächspartner einig. „Manchmal haben wir gesehen, wie einige Tänzer schon vor dem Frühstück am Strand für sich geprobt haben“, erzählt Takagi. Und alle seien ungeheuer wissbegierig gewesen, hätten alles verstehen wollen. „Just do it“ – Macht einfach –, war dann oft erst einmal die Antwort.

Germaine Acogny, Gründerin der Édole de Sables, und Salomon Bausch

im Kreise von Tänzerinnen und Tänzern.

Foto: Maarten Vanden Abeele, © Pina Bausch Foundation

Ein großes Abenteuer war das ganze Projekt nicht nur für die Tänzerinnen und Tänzer, auch für das Einstudierungsteam war es eine völlig neue Erfahrung. „Keiner von uns wusste wirklich, worauf wir uns da eingelassen hatten“, sagt Jo Ann Endicott. „Die Sonne schien brennend von Himmel jeden Tag. Fünf wunderbare Trommler haben uns begleitet. Es gab keine Geschäfte in der Nähe. Nur Natur – Bäume, Sand, Katzen, Ziegen, Esel, magere Hunde und der Ozean. Keine Ablenkung. Wir waren sechs Wochen lang voll und ganz auf unser Sacre konzentriert – bis Covid 19 uns gestoppt hat“, erzählt Endicott schwärmerisch und mit Wehmut über das plötzliche Ende. Aber nicht nur bei ihren Erzählungen ahnt man auch, dass der Weg zum vorgestellten Ziel oft ein steiniger war.

Kenji Takagi bekennt: „Wir waren manchmal genauso verloren wie die Tänzer. Bei anderen Einstudierungen gab es immer einen Prozess, den wir ungefähr kennen. Jetzt mussten wir ganz neu herausfinden, wie es gehen kann.“ Genau darin sieht er aber auch eine große Chance für dieses Stück, das schon so oft gespielt worden ist. Was für einen Zugang finden Tänzer, die keine Vorbildung, Vorwissen, Vorurteile mitbringen zu dem Stück? „Die Hoffnung ist, dass da eine Direktheit in das Stück kommt, die man sonst nie hat“, sagt er und findet, das sei bereits spürbar gewesen. Aber wie viel Freiheit lässt man dabei letztendlich zu? Auch das war für die Probenleiterinnen und -leiter ebenso ein Lernprozess: „Wir mussten auch lernen, nicht zu versuchen, alles zu kontrollieren. Es ist immer noch schwer für uns loszulassen“, bekennt Jorge Puerta Amarante, der als Mitglied der Wuppertaler Company das Stück selbst zahllose Male getanzt hat.

Freilich: Wenn man Tänzerinnen und Tänzer mit solch unterschiedlichen Vorbildungen zusammenbringt, um ein Stück von Pina Bausch einzustudieren, dann dürfte von vornherein klar sein, dass es sich dabei verändern wird und dass keine möglichst perfekte Eins-zu-eins-Kopie zu erwarten ist. Auf die aber kommt es ja auch gar nicht an. „Am Ende ist es nicht entscheidend, ob da ein Fuß richtig gestreckt ist“, findet Jo Ann Endicott. Wichtig sei vielmehr, dass die Essenz des Stücks zum Ausdruck komme. Die Angst, das Wollen, das Gemeinsame des Rituals, die Sehnsucht darin. Und das, ist sie überzeugt, hätten sie gemeinsam erreicht: „Wir waren auf einem sehr guten Weg.“ Knapp zwei Wochen Probenzeit waren bis zur Premiere noch eingeplant, als Corona diesen Weg jäh hat abreißen lassen. Was für eine Enttäuschung nach so harter Arbeit, so vielen Hoffnungen, so viel Vorfreude!

Bleibt zu hoffen, dass es gelingen wird, alle Beteiligten wieder zusammenzubringen, wenn die Umstände es zulassen, und dass es gelingen wird, dann an das Erreichte anzuknüpfen und das Projekt zum Abschluss zu bringen. Mögliche Fragen, die man in Bezug auf ein „afrikanisches Sacre“ haben kann, werden sich erst dann beantworten lassen. Was man aber bereits jetzt sagen kann, ist: Um einer Antwort auf die große Frage näher zu kommen, wie man das Werk von Pina Bausch nicht nur konservieren, sondern lebendig halten kann – dafür braucht es solche außergewöhnlichen Projekte. Es braucht den Mut zum Experiment mit ungewissem Ausgang, den Mut, neue Wege zu gehen, und das Wagnis, dabei zu scheitern – genauso wie die Freude, sich von unvorhersehbaren Ergebnissen überraschen zu lassen. Man darf weiter gespannt sein. Anne-Kathrin Reif

Film

Kurz bevor die Gruppe im März auseinanderging, haben die Probenleiter und die Tänzer die Gelegenheit ergriffen und für eine letzte Probe die Choreografie von Pina Bausch an den Strand von Toubab Dialaw (Senegal) gebracht. Filmaufnahmen dieses vorerst letzten Probendurchlaufs dokumentieren diesen einzigartigen Moment, entstanden aus einer spontanen Reaktion auf den international eingeläuteten Lockdown. Ab 1. Juli 2020 (13 Uhr) bis zum 31. Juli 2020 wird der Film Dancing at Dusk – A moment with Pina Bausch’s The Rite of Spring über die Digital Stage des Sadler’s Wells weltweit zugänglich gemacht. Das Publikum kann sich online anmelden oder im Voraus zum Preis von 5,50 € eine Eintrittskarte für den Film kaufen. Der Erlös trägt zur Unterstützung der Künstlerinnen/Künstler und der Produktion bei. www.sadlerswells.com/whats-on/2020/dancing-at-dusk-amoment-with-pina-bauschs-the-rite-of-spring/

Malou Airaudo und Germaine Acogny bei Proben zu common ground[s] in London. Foto: Roswitha Chesher

Doppelabend

Das Einstudierungsteam für Das Frühlingsopfer besteht aus derzeitigen und ehemaligen Tänzerinnen und Tänzern des Tanztheater Wuppertal Pina Bausch. Künstlerische Leitung: Josephine Ann Endicott Probenleitung: ÇÇ Clémentine Deluy, Çagdas Ermis,

Ditta Miranda Jasjfi, BarbaraKaufmann, Jorge Puerta Armenta, Julie Shanahan, Kenji Takagi

Sacre mit afrikanischen Tänzerinnen und Tänzern ist Teil eines geplanten Doppelabends. Im zweiten Teil common ground[s] zeigen Germaine Acogny, Gründerin der École des Sables und bekannt als „Mutter des zeitgenössischen afrikanischen Tanzes“, und Malou Airaudo, Ikone der ersten Stunde im Tanztheater Wuppertal, ein neues Duett. In diesem Stück begegnen sich die beiden über 70-jährigen Tanzlegenden als Frauen, Mütter, Großmütter und Enkeltöchter und erforschen ihr tänzerisches Erbe. Der Doppelabend ist eine Gemeinschaftsproduktion von Pina Bausch Foundation, École de Sables (Senegal) und Sadler’s Wells (London), koproduziert durch das Théâtre de la Ville (Paris), Les Théâtre de la Ville de Luxembourg, Holland Festival (Amsterdam), Festspielhaus St. Pölten (Österreich). Das Projekt wird gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes, das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen und den Internationalen Koproduktionsfonds des Goethe-Instituts und unterstützt durch das Tanztheater Wuppertal Pina Bausch. Alle geplanten Aufführungen mussten wegen der Corona-Pandemie abgesagt werden. Gemeinsam mit den Projektpartnern Sadler’s Wells und École des Sables arbeitet die Pina Bausch Foundation daran, den Doppelabend 2021 auf die Bühne zu bringen.

This article is from: