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Peter Kowald Gesellschaft startet eine Kammermusikreihe. Und einen neuen Flügel gibt’s auch

Neue Klänge am ORT für Improvisierte Musik

Peter Kowald Gesellschaft startet eine Kammermusikreihe. Und einen neuen Flügel gibt’s auch.

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Edel sieht er aus in seinem von keinem Kratzer getrübten glänzend schwarzen Lack. Würde sich auch in jedem kleineren Kammermusiksaal hervorragend machen. Im ORT, der legendär-

en Spielstätte für Improvisierte Musik in Wuppertal, bildet der brandneue Flügel einen interessanten Kontrast zum keineswegs schicken, aber dafür mit jahrzehntelanger Geschichte aufgeladenen Ambiente. Da steht er nun, still und stumm, und wartet darauf, endlich erklingen zu dürfen. Bereits im November hat er sein neues Quartier bezogen – kurz bevor der ORT wie alle anderen Spielstätten aufgrund des „Teillockdowns“ zur Eindämmung der Corona-Pandemie die Türen zum zweiten Mal innerhalb des Jahres für mehrere Wochen schließen musste.

„Wir sind überglücklich und sehr dankbar, dass die Dr. Werner Jackstädt-Stiftung es uns ermöglicht hat, diesen schönen Flügel anzuschaffen“, sagt Wolfgang Schmidtke, Vorsitzender der Peter Kowald Gesellschaft. „Jetzt können wir es natürlich kaum erwarten, ihn endlich im Konzert zu hören.“ Besonders schade: Eigentlich hätte Alexander von Schlippenbach das Instrument Anfang Dezember offiziell einweihen sollen. Der 82-jährige Pianist und Free-JazzPionier war fest entschlossen gewesen, auch im Dezember 2020 mit seinen Trio-Kollegen Evan Parker und Paul Lytton von Berlin nach Wuppertal zu reisen, um im ORT wieder das Jahresprogramm abzuschließen und damit eine lieb gewordene, langjährige Tradition fortzusetzen. Nur eines der vielen unwiederbringlichen kulturellen Erlebnisse, die der Corona-Pandemie bislang zum Opfer gefallen sind.

Jetzt hofft das ORT-Team darauf, dass der Spielbetrieb bald wieder aufgenommen werden darf – und auch der neue Flügel endlich seinen ersten großen Einsatz haben wird: Nämlich dann, wenn in Kooperation mit der Musikhochschule in Wuppertal eine neue Reihe startet, die mit Neuer Musik und klassischer Kammermusik eine ganz neue Klangfarbe in den ORT bringen wird. Kuratiert wird sie von Werner Dickel, der mit der Initiative dazu auch die Anschaffung des Flügels maßgeblich mit vorangetrieben hat. Der Bratschist und Professor für Viola an der Musikhochschule Wuppertal ist seit vielen Jahren Mitglied der Peter Kowald Gesellschaft, übt und probt als Untermieter des Vereins im ORT und hat den Raum ins Herz geschlossen: „Die Intimität, das liebevoll Provisorische, nicht Perfektions- sondern Prozessorientierte, das darin wohnt, hat mich immer dahin gezogen“, sagt er. „Zudem ist der Raumklang zugleich weich und klar, präsent und rund, perfekt für Streichinstrumente – und nicht nur dafür“, findet der Musiker, betont aber auch: „Wer in den letzten Jahren im ORT war und ein Konzert gehört hat, bei dem der Flügel gespielt wurde, der wusste auch, dass da ein anderes Instrument stehen sollte.“ Auch die eingeholte Expertenmeinung ergab: Das über hundert Jahre alte Instrument war nicht mehr so zu überarbeiten, dass es einem anspruchsvollen Konzertbetrieb gewachsen gewesen wäre.

Gemeinsam mit seiner Kollegin Jee-Young Phillips, Dozentin für Klavier an der Musikhochschule Wuppertal, hat Werner Dickel den Kawai-Flügel für den ORT ausgesucht und ist nach einer ersten Probe begeistert: „Das Instrument klingt, als wäre es für den Ort gebaut.“ Vorerst drei Konzerte hat Dickel für die Reihe Neue Musik und Kammermusik im ORT im ersten Halbjahr 2021 geplant. Renommierte Musikerinnen und Musiker ihres Fachs (in der Regel Dozentinnen und Dozenten an der Musikhochschule Wuppertal) werden mitunter auch gemeinsam mit ihren Studierenden auftreten, um die Nachwuchsarbeit zu fördern und den fortgeschrittenen Studierenden Praxiserfahrung im Konzertbetrieb zu ermöglichen.

Aber komponierte, noch dazu klassische Musik an „dem“ Ort für Improvisationsmusik in Wuppertal? Wie geht das zusammen? „Wir haben auch weiterhin nicht die Absicht, den ORT zu einer Spielstätte mit beliebigem Programm zu machen“, winkt Gunda Gottschalk, eine der Hauptverantwortlichen für die Programmplanung ab. „Aber in der neuen Reihe sehen wir eine stimmige Erweiterung unseres Pro-

grammspektrums. Die aus dem Free Jazz hervorgegangene freie Improvisationsmusik und die aus dem Klassikbereich sich entwickelnde zeitgenössische Neue Musik haben über die Zeit zu immer mehr Berührungspunkten und größeren Schnittmengen gefunden. Komposition verbindet sich zum Beispiel mit aleatorischen und/oder improvisatorischen Elementen“, erläutert die Musikerin, die selbst in beiden Bereichen zu Hause ist. „Dass in der Reihe nicht nur Neue, sondern auch mal ganz klassische Kammermusik erklingt, finden wir eine spannende Mischung, die vielleicht auch Publikum neugierig macht, das mit Neuer Musik noch nicht so vertraut ist“, ergänzt sie.

Den Auftakt der neuen Reihe macht Florence Millet (Klavierprofessorin in Wuppertal) am 6. Februar 2021 mit Kompositionen von Hans Abrahamsen, Daria Naminova, Elliott Carter, George Crumb, Evan Williams, Faidros Kavallaris, Debussy und mit Beethovens „Appassionata“. „Eine Pianistin und Vermittlerin ersten Ranges“, schwärmt Werner Dickel über die Kollegin. Am 19. Mai spielen Jee-Young Philipps (Klavier), Susanne Müller-Hornbach (Cello) und Werner Dickel (Violine) Klaviertrios von Beethoven und Schumann und Werke von Kurtag und Anton Webern. Professor Lukas Böhm, „Sensation am Schlagzeug aus Berlin“ (Dickel) und ebenfalls Professor an der Musikhochschule Wuppertal, kommt im Juni mit zwei Studenten in den ORT.

Die Öffnung hin zur komponierten Musik ist sicherlich die größte, jedoch nicht die einzige Veränderung im ORTProgramm 2021. „Neben der Kammermusikreihe wird es drei weitere Reihen mit jeweils eigenem Kurator, eigener Kuratorin geben,“ stellt Gunda Gottschalk in Aussicht. In der Reihe „Freie Improvisation“ fungieren die „soundtrips NRW“-Konzerte weiterhin als „Flaggschiff“ des Programms. Eine „Jazz-Reihe“, kuratiert von Wolfgang Schmidtke, holt drei derzeit sehr angesehene Ensembles in den ORT und schreibt damit die lange Wuppertaler Jazz-Geschichte weiter. Und unter dem Label „all female“ präsentiert Kuratorin Ute Völker in Kooperation mit dem Wuppertaler Netzwerk junger Künstlerinnen „Yaya“ junge Frauen aus der Region sowie internationale Gruppen aus einem weiten musikalischen Spektrum.

Vertraute Farben im ORT-Programm wie die Filmreihe cine:ort oder gelegentliche Ausstellungen und Gesprächsrunden sollen darüber nicht verschwinden. „Von dem neuen Konzept versprechen wir uns aber eine Schärfung des Programmprofils, sodass auch das Publikum klarer einschätzen kann, was es im ORT erwartet“, erläutert Gunda Gottschalk. Rückenwind gibt es jedenfalls schon mal von der „Initiative Musik“. Die vom Bund finanzierte Institution, die das ORT-Programm in den vergangenen Jahren bereits drei Mal mit dem Bundesspielstättenpreis „Applaus“ gewürdigt hat, fördert im ersten Halbjahr 2021 die Konzerte im Rahmen ihres Programms „Neustart Kultur“, das den durch die Corona-Schließungen gebeutelten Spielstätten wieder auf die Beine helfen soll. Das ORT-Team schaut mithin trotz des zweimaligen „Shutdowns“ einigermaßen zuversichtlich auf das Jahr 2021. Und freut sich darauf, endlich den neuen Flügel erklingen zu hören. Anne-Kathrin Reif

Erste Probe im ORT mit dem neuen Flügel – Werner Dickel, Jee-Young Phillips

und Susanne Müller-Hornbach. Alle Fotos: Karl-Heinz Krauskopf

Mehr zum Programm der Peter Kowald Gesellschaft unter den „Kulturtipps“, Seite 70.

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