Wien Museum Katalog „Otto Wagner“

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Gustav Siegel, Armlehnsessel, 1900 Wien Museum, Inv.-Nr. 186.565

Hocker aus dem Kassensaal der Postsparkasse, 1906 Ernst Ploil, Wien

Armlehnsessel aus der Postsparkasse, 1906 Privatbesitz

Schreibfauteuil aus dem Effektenverkehrssaal des Postsparkassenzubaus, 1912/13 Wien, Österreichische Postsparkasse

Die Bugholzmöbelproduktion war der zweite verhältnismäßig neue Industriezweig, der aus ökonomischen und technischen Gründen Wagners Interesse erweckte. Kurz vor der Jahrhundertwende hatten Wiener Architekten erstmals damit begonnen, Möbel in Zusammenarbeit mit der Bugholzindustrie zu entwickeln. Adolf Loos bezeichnete den Thonetsessel als das modernste Sitzmöbel und machte mit der Bestuhlung des Café Museum durch J. & J. Kohn 1899 den Auftakt – er verbes­ serte ein bestehendes Modell.44 Auf Grundlage eines 1900 entstandenen Armlehnsessels von Gustav Siegel entwarf Wagner 1902 für das Depeschenbüro der Zeitung Die Zeit (Kat.-Nr. 94) und 1906 für die Postsparkasse (Kat.-Nr. 99) neue Möbel, die bei Kohn und Thonet serienmäßig produziert und in deren Kataloge aufgenommen wurden.45 Für den Erweiterungsbau der Postsparkasse 1912 griff Wagner auf einen Werksentwurf von Thonet zurück, den er nur mehr farblich überarbeitete. Eine industrielle Produktion unter Mitwirkung von Künstlern und Künstlerinnen, die der Deutsche und Öster­ reichische Werkbund insbesondere in der Zwischenkriegszeit anstreben sollten, wurde von Wagner also schon früh vorbereitet und ideell unterstützt. So regte er für das Österreichische Museum für Kunst und Industrie 1899 an, Wettbewerbe mit Breitenwirkung auszuschreiben, und gab als Beispiel für eine lohnende Konkurrenz den Entwurf für ein Kaffeehausservice, bestehend aus Schale, Glas, Tasse und Löffel, an. Sollte dieses um zwei bis drei Gulden herstellbar sein, könnte das Museum damit einen Beitrag zur Massenerzeugung leisten. So wäre für die „Kunst im Gewerbe mehr gethan“, als wenn sie einen Luxusgegenstand herstellen ließe.46 Abgesehen von Wagners serien­ mäßig hergestellten Bugholzmöbeln hätten womöglich auch seine Metallmöbel das Potenzial zur Massenerzeugung gehabt. Loos, der von Wagners Messingbett auf der Jubiläumsausstellung wegen dessen feiner Profilierung begeistert war, rief aus:

„Mit diesem Bett kann man die Concurrenz der ganzen Welt aufnehmen. Kapitalisten heraus! Gründet eine Fabrik mit der Bestimmung, dieses Bett in Hunderttausenden von Exemplaren zu verbreiten.“47

Secession und Kunsthandwerk Am anderen Ende von Wagners Skala der Alltagsgegenstände stand um 1900 das kunsthandwerklich geschaffene Produkt als Teil eines Gesamtkunstwerks. Hauptanliegen der Secessionisten war das vollkommene Durchdringen des Lebens mit Kunst. In ihren Ausstellungen stellten sie die wiedergewonnene Verbindung von Kunst und Handwerk in der Moderne, die Eben­bürtigkeit von Kunst und Kunsthandwerk exemplarisch vor. Das Atelier in der Ersten Villa in Hütteldorf gestaltete Wagner zu einer Art Weiheraum, in dem sich indi­viduell interpretierte Funktionalität mit höchstem Luxus verband (Kat.Nr. 53). Auf der achten Ausstellung der Secession, 1900, die sich dem Kunstgewerbe widmete und zu der Charles Robert Ashbee, die Mackintosh-Gruppe und Henry van de Velde geladen waren, zeigte Wagner den heute verschollenen Zeitschriftenschrank aus seinem Atelier. So dekorativ dieser Schrank auf den ersten Blick auch schien, war er dennoch programmatisch für Wagner: Auf den Türfüllungen aus Glas mit Hinterglasmalerei und unterlegter grüner Seide stand unterhalb der Lorbeersträucher in goldener Schrift „Kunst“, „Liebe“ und „Recht“. Die Türinnenseiten waren genauso prachtvoll (dunkellila mit Rosenzweigen, feinen Intarsien und Perlmutterstreifen) und nobilitierten die darin aufbewahrten Kunstzeitschriften. Mit dieser ausgesprochen exquisiten Konzeption stand Wagner mit der Ausstellung, die unter der Leitung von Josef Hoffmann nach Klarheit, Einfachheit und


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