Depot neu
Die Sammlung des Wien Museums zieht um
Herausgegeben von Gudrun Ratzinger
Lisa Rastl, Das ehemalige Zentraldepot, J채nner 2014.
Inhalt
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Lisa Rastl
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Inhalt
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Wolfgang Kos Vorwort
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Christian Kircher
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Gudrun Ratzinger Von null auf hundert oder aus zehn mach eins. Das Projekt „Depot NEU“
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Martina Klauser
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Elisabeth Graff Von der römischen Kupfermünze bis zu Bruno Kreiskys dunkelgrünem Rover. Konservatorische Herausforderungen einer Sammlungsübersiedlung
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Michalea Kronberger Die Systematik der Sammlungsaufstellung als komplexe Aufgabe. Von der Mengenerfassung an den alten Standorten bis zur Einlagerungslogistik im neuen Depot
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Frauke Kreutler
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Viktoria Wagesreiter Kein Zutritt für Motten & Co. Integrated Pest Management bei der Sammlungsübersiedlung
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Sabine Formanek Groß und sperrig, aber auch fein und zerbrechlich. Die Übersiedlung der Möbelbestände
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Andreas Gruber Archivboxen, Transportkartons und alte Schachteln. Zur Übersiedlung der Papierbestände des Wien Museums
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Andrea Hanzal
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Fotodokumentation des ehemaligen Zentraldepots
Komm, wir bauen ein Depot! Die Genese eines Großprojekts
Das neue Depotgebäude. Haustechnik und Sicherheit
Wo ist Septimia Lucilla? Die Datenbank als wichtiges Werkzeug bei der Übersiedlung
Wiens größter Kleiderschrank wechselt seinen Standort. Zur Übersiedlung der Modesammlung
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Judith Kern
Die Übersiedlung der Gemäldesammlung. Zu den Objektvorbereitungen vor dem Transport
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Regula Künzli
Das große Aufräumen. Vorbereitung, Verpackung und Einlagerung von dreidimensionalen Objekten
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Regula Künzli Geharnischt. Die Übersiedlung des „Wiener bürgerlichen Zeughauses“
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Karin Maierhofer Hals- und Beinbruch. Zur Übersiedlung der Skulpturensammlung des Wien Museums am Beispiel fragiler Gipsobjekte
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Valerie Thausig
Die Übersiedlung des Lapidariums. Räumung, Transport sicherung, Oberflächenreinigung, Schimmelbehandlung und Notsicherung der umfangreichen Steinsammlung
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Nils Unger
Die Zeit läuft. Die Räumung des alten Uhrendepots in der Klährgasse
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Lucas Horvath
Die Krippelbilder des Herrn Botuschan. Ein Fotoessay
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Elke Doppler
Das Depot schreibt mit. Eine angewandte Sammlungsgeschichte des Wien Museums
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Lisa Rastl
Fotodokumentation des neuen Depots
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Projektbeteiligte
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Impressum
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Vorwort
Wolfgang Kos, Direktor Wien Museum
Das neue Depot des Wien Museums – ein wenig spektakulärer Schritt aus der Sicht der Öffentlichkeit, aber ein gigantischer Sprung für die wertvolle Sammlung des Wien Museums und die Qualität der Museumsarbeit. Deshalb wird in diesem Buch der Bezug eines endlich den heutigen Museumsstandards entsprechenden Depots gemäß seiner Bedeutung für die Sammlungen der Stadt Wien auf die Bühne geholt, also beschrieben, dokumentiert und bildlich dargestellt. Das größte Sammlungspflegeprojekt der letzten Jahrzehnte – nach mehr als hundertjähriger Odyssee durch zahllose und meist ungeeignete Depots – ist für das Museum und die städtische Museumspolitik eine eminente Erfolgsstory, für die Besucher und Besucherinnen ist das Geleistete de facto unsichtbar, weil es die Museumswelt hinter den Kulissen betrifft. Umso mehr soll auf die Fertigstellung und Besiedelung des neuen Depots stolz und mit Trommelwirbel hingewiesen werden, in das zwischen 2012 und 2014 rund 460.000 Objekte übersiedelt wurden (die andere halbe Million der Objekte befindet sich als Studiensammlung weiterhin am Karlsplatz). Einerseits ist dieses Buch für Fachleute gedacht, glauben wir doch, dass es sich um ein Beispiel von „best practice“ handelt, aus dem sich der aktuelle Stand der Depotlogistik erkennen lässt. Zahlreiche Museen – zum Beispiel die österreichischen Bundesmuseen – haben die Lösung ihrer Depotprobleme bereits hinter sich, andere sind gerade dabei, für neue Depots zu kämpfen bzw. diese bereits zu planen. Das Buch – und das war der Herausgeberin wichtig – bietet andererseits Einblicke für alle an Museen Interessierte: Neben dem bei Depotpublikationen erwartbaren Schwerpunkt auf konservatorische Aspekte oder auf Fragen der Logiststik findet sich auch ein Beitrag von Elke Doppler aus kuratorisch-wissenschaftlicher Sicht – und jede Menge erstaunlicher Geschichten. Dieses Buch versteht sich darüber hinaus als attraktiv gestalteter Rechenschaftsbericht gegenüber der Öffentlichkeit, ging und geht es doch um die Zukunftssicherung der Sammlung der Stadt Wien. Die vom Museum betreuten Bilder und Gegenstände gehören somit allen Wienerinnen und Wienern. Dem Wien Museum obliegt es, den vielfältigen Sammlungsschatz mit höchster Verantwortung zu bewahren, damit er für die Zukunft gesichert ist. Im Kulturleben ist es ganz normal, dass für die Nutzer von Institutionen Wichtiges verborgen bleibt. Was backstage abläuft, muss das Publikum ja nicht interessieren. Im Theater weiß zwar jede und jeder, dass Autoren, Regisseure, Schauspieler und manchmal auch Bühnenbildner (in Wien gehören die riesigen Lastwagen auf dem täglichen Weg zwischen Theater und Kulissendepot zum Stadtalltag) essentiell sind. Aber was macht zum Beispiel die Dramaturgie, die für den Erfolg eines Spielplans mitentscheidend ist? Ein unsichtbarer Ort sind etwa auch die labyrinthischen Kellerräume der Staatsoper, wo die wertvollen Instrumente des Orchesters gelagert, betreut und für die Aufführungen vorbereitet werden. Diesmal wird also auf den wichtigsten Backstage-Bereich eines Museums hingewiesen. Da ein Depot ein diskretes Objekt
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ist (Stichwort Sicherheit!), muss es natürlich Grenzen der Transparenz geben. Es ist übrigens eine durch Kino und Medien wohlgepflegte Legende, dass Diebstahl die größte Gefahr für Museumsobjekte darstellt. Viel wichtiger ist es, das Sammlungsgut möglichst perfekt gegen Brand und dessen verheerende Folgen wie Löschwasser zu schützen. Dass die Depots in optimalem Zustand sein müssen, ergibt sich aus dem Museumsgesetz: Zweck und Aufgabe der Museen der Stadt Wien, so heißt es da etwas holprig, „ist insbesondere das Sammeln und Bewahren von historischem Gut, Kunst- und Kulturgut sowie der Ausbau, die Bewahrung, wissenschaftliche Bearbeitung und Erschließung, Präsentation und Verwaltung des (…) Sammlungsguts“. Für einen Direktor und Geschäftsführer, der zugleich haftbar und doch nur begrenzt entscheidungsfähig ist, ergibt sich daraus ein problematischer Widerspruch zwischen Notwendigem und Möglichem. Schon vor meinem Antritt als Direktor im Jahr 2003 war intern bekannt, wie miserabel und gefährlich die Lagerbedingungen sind, speziell im überfüllten, klimatisch unkontrollierbaren und feuergefährdeten Zentraldepot, das sich bis 2013 im 15. Bezirk befand. Sehr genau informierten die RestauratorInnen über bereits bestehende sowie drohende Schäden und ließen spüren, wie belastend gerade für hoch engagierte Museumsleute die Ohnmacht ist, die strukturellen Mängel nicht aus eigener Kraft verbessern zu können. Eine Inventur zeigte, wie viele Objekte in schlechtem Zustand waren, wofür die Temperaturschwankungen ein Hauptgrund waren. Stellen Sie sich wertvolle Möbel vor, die in einem Gebäude lagern, in dem es im Sommer über 30 Grad Hitze hat! Dass sich da nicht nur hölzerne Tischplatten irreparabel verbiegen können, wird Sie nicht überraschen. Die Handlungsnotwendigkeit war der Direktion und allen, die es wissen wollten, klar. Dennoch war es hilfreich, diese von außen – vom Wiener Kontrollamt – bestätigt zu bekommen. Wie drastisch der Bericht ausfiel, hat dennoch alle überrascht, den Kulturstadtrat ebenso wie das Museumskuratorium und die Direktion. Ermutigend war, dass im Kontrollamtsausschuss des Gemeinderats der für Museumsdinge zuständige Politiker versprach, in absehbarer Zeit die Depotsituation zu verbessern, ob durch Umbau oder Neubau des Zentraldepots – also angesichts der erwartbaren hohen Kosten noch ohne konkreten Zeithorizont, aber so verbindlich, wie es noch kein Vorgänger ankündigte. Vor über zehn Jahren begann also schon die Vorgeschichte des neuen Depots, zum Beispiel mit ersten vagen Kostenschätzungen und der Ausarbeitung von Finanzierungsmodellen durch die damalige kaufmännische Leiterin Angelika Röhr und den mit Sicherheitsfragen befassten Kurator Reinhard Pohanka. Die Ergebnisse wurden dem Kuratorium und der Stadt Wien vorgelegt, vorerst blieben die Bemühungen folgenlos, aber „die Kuh war aus dem Stall“, denn allen war klar, dass es ein neues Depot wird geben müssen. Die konkrete Planungs- und Lobbyphase begann 2006. Der damals neue kaufmännische Direktor Christian Kircher nahm sich der Sache mit Elan an und musste wie ich so manche Enttäuschung erleben. Sein Beitrag stellt diese entscheidende Vorphase ausführlich dar: Diesem kann man entnehmen, wie alarmierend für uns alle der Befund „Gefahr im Verzug“ bei der Folgeuntersuchung des Kontrollamts war, wie knapp das Projekt schon am Ziel zu sein schien, wie es immer wieder zu Warteschleifen kam – und wie schnell es letztlich ging. Als 2012 die Entscheidung für die weitgehende Finanzierung und Errichtung des Depots in Himberg bekanntgegeben wurde, sagte ich in einer Presseerklärung: „Die Depot-Problematik
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hat das Museum seit vielen Jahren belastet. Nun ist garantiert, dass die Sammlung der Stadt Wien zukünftig unter optimalen Bedingungen aufbewahrt wird“. Hinzuweisen ist aber auch darauf, wie sehr die vom Museum zu tragenden Kosten und der seit 2014 höhere Mietaufwand das bereits gefährlich geschrumpfte Museumsbudget belasten. Es wurde also eine Zukunftsgefahr beseitigt, eine andere wird aber akut, sofern es nicht endlich zur dringend notwendigen Erhöhung der jährlichen Basisabgeltung für das Wien Museum kommt. Ein Depot ist viel mehr als ein „storage room“: Es ist ein interaktiver Speicher, in dem sich die Gegenwart mit der Vergangenheit und der Zukunft im Dialog befinden. Merkwürdigerweise hat das Depot bei Menschen, denen nicht bewusst ist, dass die Sammlung das Herzstück eines Museums ist und dass immer nur ein ganz kleiner Ausschnitt permanent im Museum gezeigt werden kann, einen negativen Klang, als ginge es darum, wertvolle Bestände ignorant wegzusperren. Zum Beispiel gibt es, wenn über Schenkungen gesprochen wird (es gab mehrere Tausend in den vergangenen zehn Jahren, von Kunstwerken bis zu Alltagszeugnissen, wofür auch an dieser Stelle zu danken ist), häufig eine gewisse Enttäuschung, wenn seitens des Museums mitgeteilt werden muss, dass der künftige „Hauptwohnsitz“ auch bedeutender Neuzugänge das Depot sein wird. Doch das bedeutet zugleich, dass Objekte für die Zukunft gesichert werden und eben nicht irgendwo abgestellt werden: Denn erst, wenn diese Inventarnummern bekommen, in der Datenbank dokumentiert sind und ihr Standort in einem sicheren Depot feststeht, ist gewährleistet, dass sie weiterleben können. Musealisierung ist ein paradoxer Vorgang: Sammlungsobjekte wechseln aus ihrem „aktiven“ Leben in ein Zwischenreich, aus dem sie in Zukunft wieder auftauchen und ins Leben zurückkehren können – das Depot als eine Art von Fegefeuer und als Ort der Vertagung von Entscheidungen, die heute in vielen Fällen noch gar nicht getroffen werden können. Wir können heute zwar nach bestem Gewissen vorentscheiden, was sammlungswürdig ist, letztlich aber muss es der Zukunft überlassen bleiben, was künftig als interessant und für die Vergangenheit relevant befunden wird. Auch deshalb müssen Museumsdepots groß sein. Museumsdepots haben also mindestens so viel mit der Zukunft zu tun wie mit der Vergangenheit. Sammeln ist wesentlich für die Vitalität von Museen. Lange Zeit dienten überfüllte Depots als Begründung dafür, das aktive Weitersammeln speziell von attraktiven größeren dreidimensionalen Objekten einzustellen. Wird die Sammelkette einmal unterbrochen, entsteht ein unwiederbringlicher kultureller Schaden: Es entstehen nie mehr auffüllbare Lücken, die Sammlungen verlieren den Anschluss an die Gegenwart. Speziell für große Stadtmuseen wie das Wien Museum, dessen Sammlungsschwerpunkt im 19. und frühen 20. Jahrhundert liegt, wäre das fatal. Deshalb wurde als Sammlungsziel festgelegt, sich bevorzugt um Zeugnisse aus der jüngsten Vergangenheit und aus der Gegenwart zu bemühen. Ein neues Depot stellt einen wichtigen Einschnitt für die Organisation und die Arbeitsabläufe in einem Museum dar, es bietet neue Standards und bringt unter anderem auch zeitökonomische Vorteile. Es wird, was in der kurzen Zeit seit Eröffnung schon erkennbar wurde, die Museumsarbeit erleichtert. Dank genauer Verstandortung (das heißt nichts anderes, als die möglichst einfache und schnelle Auffindbarkeit von Objekten) und digitaler Dokumentation wird es weniger Umwege geben und das Beforschen und Recherchieren für Ausstellungen durch die Kuratorinnen und Kuratoren wird einfacher werden: das Depot auch als Erkenntni-
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sort. Vor allem aber werden fast unzugängliche und konservatorisch belastete Teilsammlungen wie beispielsweise das Lapidarium (Objekte aus Stein) neu in den Blick kommen, nachdem sie seit Jahrzehnten im feuchten Untergeschoß des bisherigen Zentraldepots ein Leben im Abseits fristen mussten. DANK Zu danken ist vor allem Kulturstadtrat Dr. Andreas Mailath-Pokorny, der die Notwendigkeit eines neuen Großdepots erkannte und entscheidende Finanzmittel bereitstellte. Unermüdlicher und krisenfester Dynamo des Projekts war Finanzdirektor Christian Kircher, der sich im Lauf der Jahre ein vielfältiges Wissen über das Depotwesen angeeignet hat, wodurch er einerseits die großen Ziele formulieren und stabile Finanzpläne erarbeiten und andererseits schnelle Detailentscheidungen treffen konnte, um das Projekt erfolgreich durchziehen zu können. Dynamik heißt bei Planung, Einrichtung und Besiedelung eines Depots vor allem Tempo. Denn jede Verzögerung bedingt Mehrkosten. Um „Unvorhersehbares“ zu minimieren, musste im Vorfeld Fachwissen akkumuliert werden – das Modewort „best practice“ bedeutet ja nichts anderes, als sich von Museen mit ähnlichen Problemlagen Erfahrungswerte zu beschaffen, positive ebenso wie negative. Der Errichtung eines neuen Museumsdepots ist für eine Museumsleitung kein Routinevorgang, sondern etwas Außergewöhnliches und Einmaliges. Deshalb galt es auch, früh genug Experten zu beauftragen, etwa für die Mengenerfassung und die optimale Lagerungsplanung. In dieser frühen Planungsphase war die organisatorische Zielstrebigkeit und das bautechnische Fachwissen von Marie-Therese Holler enorm wichtig, die bis 2011 am Wien Museum als Kreativ-Allrounderin tätig war. Als der Hebel endlich auf „Go“ umgelegt werden konnte, musste für die Jahre von 2012 bis 2014 eine leistungsfähige Projektorganisation eingerichtet werden, die parallel zum Normalbetrieb das Mega-Vorhaben umsetzen musste. Rund 50 Personen wurden für unterschiedliche Dauer zusätzlich aufgenommen, rund 20 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des ständigen Teams des Museums arbeiteten während der Projektkernzeit fast ausschließlich für die Objektsicherung und Übersiedlung. Erstaunlich war, dass die Normalarbeit (also der Publikumsbetrieb) nur beschränkt beeinträchtigt wurde. Dafür möchte ich allen an der Übersiedlung Beteiligten – von Personalverwaltung und Buchhaltung bis Objektbetreuung und Restaurierung – größten Dank aussprechen! Zentralperson des Großunternehmens „Depot NEU“ war Gudrun Ratzinger als Projektmanagerin. Sie hatte also alle Fäden in der Hand – hausintern ebenso wie im Zusammenspiel mit beauftragten Firmen und den Projektteams – und übernahm damit enorme Verantwortung. Ihrer Mischung aus Präzision und Improvisation ist es zu verdanken, dass alle Abläufe so gut klappten und auch plötzlich auftauchende Probleme so zielstrebig gelöst werden konnten. Krisenresistenz ist dafür eine notwendige Voraussetzung. Ich habe Gudrun Ratzinger in ganz verschiedenen Rollen zu schätzen gelernt – als Direktionsassistentin, als Ausstellungskuratorin, als Koordinatorin von Projekten und auch als Expertin für zeitgenössische Kunst, der das Museum wichtige Erwerbungen zu verdanken hat. Ich erwähne ihre verschiedenen Rollen stellvertretend für all jene im Museum oder beim Projekt Beschäftigten, die ebenfalls selbstverständlich zwischen den verschiedenen Aufgaben switchen. Generalistinnen haben für
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Museen, deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter allzu lange auf bestimmte Aufgaben konzentriert waren, eine immer größere Bedeutung. Der Erfolg einer Organisation ist nur dann möglich, wenn alle Bereichsverantwortlichen und Teammitglieder mit enormen Einsatz ihre Aufgaben optimal meistern. An anderer Stelle sind alle Namen zu finden, hier möchte ich lediglich einige Schlüsselpersonen dankend nennen: Elisabeth Graff als Leiterin der Abteilung Objektbetreuung und Restaurierung, die für den großen Bereich der Objektvorbereitung, Verpackung und Einlagerung hauptverantwortlich war; Michaela Kronberger, die maßgeblich bei der Einrichtungsplanung beteiligt war, beim logistischen Management der unter Zeitdruck erfolgten Einlagerung Enormes leistete und die kuratorischen Departments koordinierte; Frauke Kreutler für die Betreuung und Optimierung der Datenbank und der Verstandortung; Martina Klauser, die den Bau und die Haustechnik und damit auch die komplizierte Sicherheitsplanung betreute. Großer Dank gilt den Teamleitern und Teamleiterinnen der einzelnen Teilprojekte. Welche Schwierigkeiten sie und ihre Teams meistern mussten und welche Verbesserungen sie für die Sammlung des Wien Museums erreichten, wird anhand ihrer Berichte in diesem Band nachvollziehbar. Einige Kuratoren und Kuratorinnen hatten auf Grund der von ihnen betreuten Sammlungen ein Mehr an Aufgaben: Mein Dank gilt insbesondere Elke Doppler (Gemälde), Regina Karner (Mode), Michaela Kronberger (Archäologie), Andreas Nierhaus (Grafik) und Eva-Maria Orosz (Möbel). Schließlich danke ich für die Beiträge zu diesem Buch, insbesondere Gudrun Ratzinger für Konzept und Koordination. Es wäre kein Buch des Wien Museums, wenn es nicht bemerkenswerte Fotobeiträge gäbe: Lucas Horvath steuert als „Künstlerinsert“ die Auseinandersetzung mit einer exemplarischen Spezialsammlung bei, die auf einen obsessiven Privatsammler zurückgeht („Die Krippelbilder des Herrn Botuschan“), Lisa Rastl hat im Auftrag des Museums die Depotsituationen fotografiert, vom leeren alten Zentraldepot bis zum gefüllten neuen Depot und Didi Sattmann fotografierte im alten Zentraldepot kurz vor dem Abschluss der Übersiedlungsarbeiten.
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Lisa Rastl, Kulturhistorische Objekte (Depot Himberg, A3), November 2014
Christian Kircher
Komm, wir bauen ein Depot!
Die Genese eines GroSSprojekts
Zur Vorbereitung des Projekts „Depot NEU“ haben sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Wien Museums über Jahre mit vergleichbaren Projekten anderer Museen beschäftigt. Die Aneignung von Grundwissen zu Depotthemen war erforderlich, um überhaupt die Dimension eines allfälligen Depotneubaus abschätzen zu können. Wie können hunderttausende Objekte binnen weniger Monate übersiedelt werden? Ist es notwendig, alle Objekte auch zu restaurieren? Welche Lagertechnik entspricht den Anforderungen der vielfältigen Sammlungen? Wieviel Geld kostet der Bau eines Depots? Nach welchen Maßstäben wird die erforderliche Lagerfläche berechnet? Mit welchen Argumenten kann die Politik und in weiterer Folge die Öffentlichkeit von der Unumgänglichkeit eines neuen Depots überzeugt werden, da doch die Außenwirkung und mediale Aufmerksamkeit eines solchen Unternehmens wenig attraktiv ist? Wie lange ist der Projektzeitraum vom Erkennen der Notwendigkeit bis zum Projektabschluss? So vielfältig die Fragen waren, so unterschiedlich fielen die Antworten aus. Lediglich in Bezug auf die Projektdauer waren die Antworten von KollegInnen anderer Museen mit soeben fertig eingerichteten Depots frappierend gleichlautend: Für ein Unternehmen dieser Größenordnung ist von der ersten Idee bis zum Abschluss mit zirka zehn Jahren Arbeit zu rechnen. Unvorstellbar für uns aus Wien. Immerhin wollten wir ja etwas tun, etwas weiterbringen und bewegen. Außerdem galt es die Sammlung der Stadt Wien zu bewahren, wie es im gesetzlichen Auftrag formuliert ist: „Zweck und Aufgabe der Museen der Stadt Wien im Rahmen ihrer Bedeutung und Ziele […] und ihres kulturpolitischen Auftrags ist insbesondere das Sammeln und Bewahren von Geschichts-, Kunst- und Kulturgut […]“1, wobei im Sinne des Gesetzes das Bewahren „die Konservierung, erforderlichenfalls die Restaurierung, sowie die laufende Überwachung der Sammlungsexponate im Hinblick auf ihren Erhaltungszustand“2 bedeutet. Mit Jahresende 2014 wurde das Projekt „Depot NEU“ nun offiziell abgeschlossen. Abgeschlossen heißt, dass alle Objekte übersiedelt sind – übrigens ohne nennenswerten Schadensfall –, die Organisationsstruktur für das Projekt aufgelöst, die befristeten Verträge beendet wurden und die restlichen Arbeiten im Depot wie das „Verstandorten“ oder Einlagern von wenigen Teilbeständen nun von der Regelorganisation des Museums übernommen werden. Das erste ausführliche Dokument über ein „Projekt Neues Zentraldepot“ stammt aus dem August 2005.3 Zehn Jahre war also der Zeitraum, den auch wir für Vorbereitung, politische Willensbildung, Planung, Finanzierung und Übersiedlung benötigten. Mittlerweile haben wir diese Zeitspanne auch zahlreichen interessierten KollegInnen genannt, die nun zur Vorbereitung ihres eigenen Projekts das neue Depot des Wien Museums in Himberg besichtigen und die in Anbetracht der prognostizierten langen Vorlaufzeit sehr skeptisch wirken – immerhin wollen sie ja etwas tun, weiterbringen, bewegen …
1 Landesgesetz vom 12. November 2001, mit dem die Museen der Stadt Wien als Anstalt öffentlichen Rechts eingerichtet und deren Organisation, Betrieb und Erhaltung geregelt werden (Wiener Museumsgesetz – Wr. MuG): § 4 (2), in: LGBl. für Wien Nr. 95/2001, S. 538. 2 Wr. MuG (2001): § 5 (2), S. 538. 3 Reinhard Pohanka: Projekt „Neues Zentraldepot“, Wien August 2005.
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Ausgliederung als Impuls für Sammlungspflege Mit Inkrafttreten des Wiener Museumsgesetzes am 1. Jänner 2002 wurde die ehemalige Magistratsabteilung 10 mit allen bestehenden Außenstellen aus dem Organisationsbereich der Stadt Wien ausgegliedert und in eine „Wissenschaftliche Anstalt öffentlichen Rechts“ umgewandelt. Die Ausgliederung und die damit verbundene Übertragung des Sammlungsguts als Leihgabe der Stadt Wien an die wissenschaftliche Anstalt „Museen der Stadt Wien“ erforderten eine körperliche Erfassung – also eine Inventur –, aber auch die Inventarisierung des Sammlungsguts mit dem Ziel, die Übergabe der Sammlung bestmöglich zu dokumentieren. Der Ausgliederung folgte also einerseits die digitale Erfassung des Sammlungsguts durch händisches Übertragen von analogen Inventaren insbesondere der Inventarbücher und der Zentralkartei in ein digitales Sammlungsprogramm, andrerseits auch die körperliche Inventur der Sammlungsobjekte. Im Zuge dieser Inventur wurde das Sammlungsgut in sämtlichen Depots nicht nur auf Vorhandensein überprüft, es wurde auch der Zustand jedes einzelnen Objekts geprüft und anhand einer fünfstufigen Skala bewertet (1 = sehr guter Zustand; 5 = ungenügender Zustand). Schon bald wurde durch die Inventur bestätigt, was lange vermutet worden war: Die Aufbewahrung der städtischen Sammlung war nicht mehr zeitgemäß, entsprach nicht mehr den Anforderungen eines modernen Museumsbetriebs und gefährdete Objekte in ihrer Substanz. Bei der Inventur waren Möbelberge zu erklimmen und viele Objekte waren einfach nicht mehr zugänglich, verstellt, ineinander geschachtelt, teilweise von Schimmelpilzen befallen oder von Aussalzungen des feuchten Mauerwerks bedroht. Die Sammlung war zum Zeitpunkt der Ausgliederung 2002 bereits so stark angewachsen, dass das zum Zentraldepot umfunktionierte ehemalige Dorotheum-Gebäude im 15. Gemeindebezirk an der Ecke Kober weingasse/Schanzstraße aus allen Nähten zu platzen drohte. Das Gebäude, nach einem Entwurf von Architekt Michael Rosenauer in den 1920er-Jahren errichtet, galt als „einmaliger Sondertypus für einen repräsentativen Sonderbau“.4 Immerhin waren die niedrigen Raumhöhen zumindest in den Obergeschoßen vorteilhaft, weil die eingelagerten Objekte ohne technische Hilfsmittel von Hand zu erreichen waren. Was für das Auktions- und Pfandhaus möglicherweise als Vorteil galt, weil Objekte häufig mit dem Besitzer auch den Standort wechselten, war für das Museum mit seiner komplexen und ruhenden Sammlung zwar ein taugliches Provisorium, aber raumtechnisch nicht ideal. Außerdem mussten im Laufe der Jahre weitere Lager angemietet werden, um den ständig wachsenden Sammlungsbestand aufnehmen zu können. Das Wiener Museumsgesetz nennt in der Anlage A einzig ein „Depot, 1150 Wien Koberweingasse 1“, jenes Gebäude, welches die neu gegründete Wissenschaftliche Anstalt von der Stadt Wien zu Depotzwecken angemietet hatte. Tatsächlich war das Sammlungsgut in den Jahren ab 2004 aber bereits an bis zu acht Standorten über den Großraum Wien verteilt aufbewahrt: • Zentraldepot, Koberweingasse (u.a. Möbel, Bürgerliches Zeughaus, Gemälde, Kutschen, Lapidarium, Architekturpläne, Werke angewandter Kunst, Gipsmodelle, Skulpturen, Fahnen)
4 Friedrich Achleitner: Österreichische Architektur, Bd. III/2, Salzburg 1990, S. 114.
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• Karlsplatz — Haerdtl-Bau, Keller (u.a. Ölgemälde, sog. „Erste Garnitur“, gerahmte Grafiken, archäologische Sammlung, angewandte Kunst) — Winterthur-Gebäude, Keller (Objekte zu Geschichte und Stadtleben nach 1918) — Winterthur-Gebäude, 1. OG (u.a. Grafik sog. „Erste Garnitur“, Topografische Sammlung, Biografische Sammlung, Sammlung zu historischen Ereignissen, Freimaurer bestand, Sammlung zu Geschichte und Stadtleben bis 1918) • Leberstraße, Fa. Kunsttrans (Modesammlung) und Diverses (Möbel, Skulpturen) • Schloss Hetzendorf (Modesammlung) • Hermesvilla (Modesammlung, Uhren) • Klährgasse, ehemalige Waschküche im Gemeindebau (Uhren) • Mariahilfer Straße/Neubaugasse, U-Bahn-Schacht (Archäologie) • Korneuburg (Großobjekte wie z.B. Baureste der Beethoven-Wohnung) Parallel zu den von der Politik und vom Kulturamt geforderten Maßnahmen zur Erfassung der Sammlung hat auch das Kontrollamt der Stadt Wien – heute Stadtrechnungshof – im Sommer 2004 die Ausgliederung mit einer Prüfung begleitet, die sich insbesondere der Inventargebarung und der Sicherheitseinrichtungen widmete. Obwohl die Sammlung des Museums im Eigentum der Stadt Wien stand und auch heute steht, stellte die Übertragung der Verfügungsgewalt an die neue Wissenschaftliche Anstalt doch ein kulturpolitisches Novum dar, welches Risiken für beide Seiten barg – für die Stadt Wien als Eigentümerin und die Museen als Verfügungsberechtigte. Während also die museumsinterne Inventur sich mit dem Vorhandensein und dem Zustand der Einzelobjekte befasste, unterzogen die Prüfer des Kontrollamts die Gesamtlage der Sammlung, deren Lagerumstände und die vorgefundenen Rahmenbedingungen im abschließenden Bericht einer Kritik: Dringender Handlungsbedarf ist auf jeden Fall gegeben, da sonst beträchtliche Werte der Stadt Wien verloren gehen könnten, aus Platzmangel viele Objekte nicht fachgerecht gelagert und in einigen Bereichen auch die konservatorischen Bedingungen mehr als unzureichend zu bezeichnen sind. Da die Behebung all dieser Mängel voraussichtlich finanzielle Mittel erfordern würde, die der Anstalt nicht zur Verfügung stehen, empfahl das Kontrollamt der Wissenschaftlichen Anstalt, eventuelle Möglichkeiten für die Lukrierung zusätzlicher finanzieller Mittel abzuklären. Dabei sollte auch geklärt werden, ob die betroffene Einrichtung generalsaniert werden könnte oder ein Neubau die günstigere Variante darstellen würde.5 Im Bericht des Kontrollamts wurde also die Möglichkeit angesprochen, neben der Sanierung der „betroffenen Einrichtung“ – nämlich des alten Zentraldepots – auch einen Neubau in Erwägung zu ziehen. Aus der Stellungnahme des Museums zum Prüfbericht geht hervor, dass „Vorbereitungen zur Umsetzung der angeführten Anhebung des Standards der Lagerungen und Sicherheitseinrichtungen“6 bereits eingeleitet wurden. Tatsächlich wurden 2005 erste Vorschläge erarbeitet und dem Kuratorium sowie dem Stadtrat für Kultur und Wissenschaft unterbreitet. 5 Kontrollamt der Stadt Wien: Prüfbericht: „Museen der Stadt Wien“ – Wissenschaftliche Anstalt öffentlichen Rechts, Prüfung der Inventargebarung und der Sicherheitseinrichtungen, KA I – MW-1/04, S. 9. 6 Ebd.
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Untersucht wurden drei Neubauprojekte, zwei Objekte zur Anmietung und ein möglicher Umbau des alten Depots in Schanzstraße/Koberweingasse. Aus den sechs Möglichkeiten wurde vom beauftragten Mitarbeiter eine Empfehlung für den Neubau eines unterirdischen Depots mit angeschlossenem Schaudepot auf dem Gelände des Schlosses Neugebäude in Wien Simmering formuliert. Die qualitative Überprüfung der Machbarkeit dieser Optionen erfolgte auf Basis von gewonnenen Erfahrungswerten, die Zahlen beruhten auf „freien Anboten verschiedenster Dienstleister und Firmen“.7 Auch war die Einrichtung eines „Schaudepots“ wesentliches Argument für den Standort Schloss Neugebäude. Das Gebiet um das renaissancezeitliche Gebäude erfuhr um die Jahrtausendwende eine Belebung durch kulturelle Aktivitäten. Die Aussicht auf mehr Publikum durch Einrichtung eines Schaudepots mit Objekten aus der städtischen Sammlung ergänzte hervorragend die Pläne zur weiteren Aufwertung des Ortes. Die Museumsleitung entschloss sich allerdings aus organisatorischen und finanziellen Überlegungen sehr bald, das Konzept eines Schaudepots nicht weiter zu verfolgen. Eine neue Bewertung möglicher Standorte für ein Depot sollte ausschließlich nach sicherheitstechnischen Anforderungen und von wirtschaftlichen Gesichtspunkten aus geschehen. Daher wurde der Standort Neugebäude aus den weiteren Überlegungen ausgeschlossen. Bereits im Jahr 2006 erfolgte erneut eine Prüfung durch das Kontrollamt der Stadt Wien. Obwohl der Gegenstand der Prüfung die Gebarung der Jahre 2003 bis 2005 war, beanstandeten die Prüfer erneut den Zustand des Zentraldepots: „Auf Grund der kritischen Situation im Zentraldepot empfahl das Kontrollamt dem Wien Museum, in Zusammenarbeit mit den Experten der Stadt Wien die Sicherung des Bestandes und die Frage der Finanzierung dieses Projekts möglichst schnell einer Lösung zuzuführen“. 8 Erstmals fand der Ausdruck „Gefahr in Verzug“ – wiewohl als Zitat aus einem internen Schreiben – Eingang in einen Prüfbericht. Die Ausgliederung aus der Hoheitsverwaltung kann also als maßgeblicher Impuls für das Projekt „Depot NEU“ gewertet werden. Zum einen war es die Inventur im Auftrag der MA 7, die in Folge der Ausgliederung erstmals seit Jahren eine körperliche Zustandserfassung der Sammlung bewirkte, zum anderen war es die zweimalige Prüfung der noch jungen Wissenschaftlichen Anstalt öffentlichen Rechts durch das Wiener Kontrollamt. Sanierung oder Neubau? Aus Sicht des Museums waren insbesondere der fehlende Platz für die Sammlungserweiterung und zahlreiche funktionale Mängel im alten Zentraldepot ausschlaggebend für die Suche nach alternativen Standorten. Die klimatischen Bedingungen hatten vielen Objekten zugesetzt. Durch mangelnde Isolierung des Baukörpers betrug der Temperaturunterschied zwischen den Sommer- und Wintermonaten bis zu 40° C. Wenn Sammlungsobjekte aus dem Depot an andere Museen verliehen werden, gelten die international üblichen Bestimmungen des Leihvertrages, die eine konstante Temperatur von 20° C mit einer Schwankungsbreite von +/– 2° C sowie eine Luftfeuchtigkeit von 50 Prozent vorsehen. Im eigenen Depot konnten diese Werte mangels technischer Einrichtungen selten erreicht werden. Sonneneinstrahlung, Eindringen von Wind, Regen und Schnee durch schlecht sitzende Fensterflügel sowie eine fehlende Klimaanlage hatten im Depot ein Mikro7 Reinhard Pohanka: Projekt „Neues Zentraldepot“, Wien August 2005. 8 Kontrollamt der Stadt Wien: Prüfbericht: „Museen der Stadt Wien“ – Wissenschaftliche Anstalt öffentlichen Rechts, Prüfung der Gebarung der Jahre 2003 bis 2005, KA I – WM-1/06, S. 26f.
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klima erzeugt, das der Bildung von Schimmel Vorschub leistete. Dazu kam, dass sich Schädlinge aufgrund der offenen Zwischengeschoße leicht im ganzen Gebäude verbreiten konnten. Hauptpunkt der Kritik, auch des Kontrollamtes, war allerdings das Fehlen von Brandabschnitten, was im Falle eines Feuers wohl zur Zerstörung von großen Sammlungsteilen geführt hätte. Möbel wurden bis auf eine Höhe von 4,5 m zu künstlichen Bergen gestapelt und waren nur von mehreren Personen entflechtbar. Das Ordnungskriterium für Gemälde war deren Größe. Um den Lagerplatz zu optimieren, wurden Gemälde Leinwand an Leinwand gestellt und selbst alle Hängehaken abgeschraubt, da ein Haken sonst die Leinwand des nächsten Gemäldes durchbohrt hätte. Mit ihrer relativ hohen Robustheit wurde die Steinsammlung im Keller des Gebäudes gelagert. Kurz vor der Übersiedelung nach Himberg war der Kellerboden weitgehend mit einer Schicht auskristallisierter Salze und auch mit Schimmel überzogen, weshalb auch alle Steinobjekte vor deren Einlagerung im neuen Depot gereinigt werden mussten. Rückblickend wirken die Bedingungen, unter denen die Sammlung der Stadt Wien aufbewahrt wurde, fast unglaublich. Das ehemalige Dorotheum-Gebäude in der Schanzstraße ist durch Verordnung nach § 2a DMSG (Denkmalschutzgesetz) als Baudenkmal unter Schutz gestellt. Änderungen in der Bausubstanz sind daher nur eingeschränkt und mit großen Auflagen möglich. Da das Gebäude aber verkehrstechnisch an das Museum am Karlsplatz mit der U-Bahn bestens angebunden war, stellte eine Sanierung eine Option dar, die bis zur tatsächlichen Entscheidung für Himberg mehrfach geprüft wurde. Neben der reinen Gebäudesanierung im Sinne einer Instandhaltung der Bausub stanz wurden zur weiteren Verwendung als Museumsdepot folgende Erfordernisse definiert: der Einbau von Brandabschnitten in den Stockwerken und das Schließen der Zwischendecken, der Einbau eines neuen Lastenlifts, die Erneuerung der Brandmeldeanlage und des kompletten Sicherheitssystems mit Videoaufzeichnung und Bewegungsmeldern. Fraglich war, ob das Gebäude die Traglasten einer modernen Lagertechnik wie Rollregale und Gitterzugwände aufnehmen konnte. Eine Klimatisierung des Depots durch massive Dämmung der Außenmauern schien aus Sicht des Denkmalschutzes ausgeschlossen. Die Luft- und Feuchtigkeitsregulierung konnte nur über Klimageräte erfolgen, die sich in hohen Betriebskosten niederschlagen würden. Die Museen der Stadt Wien sind nicht Eigentümer der von ihnen genutzten Immobilien, sondern haben diese im Zuge der Ausgliederung lediglich zum Gebrauch überlassen bekommen. Gemäß der Gebrauchsüberlassung darf der Vermieter von ihm getätigte wertsteigernde Investitionen auch in die zu verrechnende Miete einrechnen. In enger Abstimmung mit der MA 34 als Vermieterin wurde also ein kalkulatorischer Mietzins auf Basis der o.a. erforderlichen Investitionen berechnet. Das Ergebnis dieser Berechnung zeigte, dass eine Sanierung zu einer Anhebung der Miete auf marktkonformes Niveau der museumstauglichen Lagerflächen geführt hätte. Es konnten also mit einer Sanierung des bestehenden Depots zwar die qualitativen Mängel beseitigt werden – allerdings zum Preis einer marktkonformen Miete. Da die Sanierung zusätz-
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lich den zweimaligen Umzug der Sammlung sowie deren Zwischenlagerung an einem anderen Ort bedeutet hätte, die Betriebskosten durch technisch aufwändige Klimatisierung deutlich steigen würden und auch das Raumangebot nach der erfolgten Sanierung bei Weitem nicht den Platzerfordernissen der wachsenden Sammlung entsprechen würde, schien eine Sanierung aus wirtschaftlichen Gründen nicht sinnvoll. In Abstimmung mit den politischen Entscheidungsträgern nahm die Museumsleitung schlussendlich von einer Sanierung zu Gunsten eines neuen Gebäudes Abstand. Benchmarking – Vorprojekte Der Wissenstransfer von Vergleichsprojekten wurde in erster Linie durch das vom Museum beauftragte schweizerische Unternehmen Prevart GmbH sichergestellt. Prevart hatte zu diesem Zeitpunkt bereits einige Depotprojekte in Österreich und im angrenzenden Ausland begleitet wie jene des niederösterreichischen Landesmuseums, des Universalmuseums Joanneum oder des Schweizer Landesmuseums Zürich. Das Vejle County Cultural Heritage Centre9 in Dänemark wurde auf Initiative von 16 Regionalmuseen und Archiven im Jahr 2003 als Zentraldepot und Konservierungszentrum errichtet. Der Besuch in Dänemark im Juni 2006 hat das Verständnis für Kostenbewusstsein im laufenden Betrieb und den nachhaltigen Umgang mit Ressourcen geprägt. Ein Betonkern von 240 mm, umhüllt von einer 250 mm starken Außenisolierung und einer Metallhülle, sorgt an 365 Tagen für ein relativ stabiles Raumklima. Temperaturschwankungen über das Jahr zwischen 7° C und 25° C werden durch Verzicht auf wesentliche technische Unterstützung in Kauf genommen – Nachhaltigkeit auf „Skandinavisch“. In Affoltern am Albis wiederum wurde zwischen 2005 und 2007 ein Militärlager der schweizerischen Armee zum „Sammlungszentrum Schweizerische Landesmuseen“10 umgebaut. Das Projekt entsprach mit einer Gebäudegrundfläche von ca. 8.800 m² für ca. 500.000 Objekte ungefähr den zu erwartenden Dimensionen eines neuen Wiener Depots. Beim Besuch im Jänner 2007 wurde uns Gästen aus Wien in Anbetracht der unzähligen Paletten, der Tonnen an Verpackungsmaterial und der vielen Rollwägen mit Laptops zur Verstandortung erstmals bewusst, was die Übersiedlung der Sammlungen eines Universalmuseums bedeutet: „Über den wahren Umfang einer Sammlung wird man sich erst bei einem Umzug bewusst. Ein über Jahre aufgebauter und sorgfältig gehüteter Sammlungsbestand wird für den Logistikplaner plötzlich zu einer Menge physisch zu verschiebender Objekte, zu Anzahl und Volumen sowie Verpackungs- und Transporteinheiten“.11 So wie jede Sammlung in ihrer Zusammensetzung einzigartig ist, so sind es auch die für die jeweiligen Sammlungen errichteten Depoträume. Jedes Bauprojekt hat sonderbare Eigenheiten, was manchmal an der Vornutzung der Immobilie liegt, wie in Affoltern als Lager für militärisches Gerät oder in Graz als Lager für einen großen Schuhproduzenten. Jedes Projekt war Anschauungsmaterial und Lehrstück für weitere Vorhaben, sei es in München (Stadtmuseum), Graz (Joanneum) oder St. Pölten (Sammlung des Landes Niederösterreich), wo die MitarbeiterInnen des Wien Museums Einblick bekommen durften.
9 Lise Ræder Knudsen, Michael Højlund Rasmussen: Building a new shared storage facility for 16 museums and archives, in: Preprints of the 14th Triennial meeting in The Hague, ICOM-CC, Bd. 2 (2005), S. 648–654. 10 Siehe: http://www.nationalmuseum.ch/sharedObjects/04_Affoltern/UeberUns/2014/sammlungszentrum.pdf; Zugriff am 21.4.2015. 11 Joachim Huber: Weisst du, wie viel Objekte stehn …, in: Bundesamt für Bauten und Logistik, BBL, Bern und Schweizerische Landesmuseen (Hg.): Sammlungszentrum Schweizerische Landesmuseen, Zürich 2007, S. 61.
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Dass die Errichtung von Depotgebäuden im Niedrigenergiebereich mittlerweile zum Geschäftszweig avancierte, konnte die kleine Gruppe aus Wien im März 2011 im neu errichteten Depot der Firma Hasenkamp in Nordrhein-Westfalen erfahren. Nach diesem Modell sollte später auch die Anlage in Himberg gebaut werden. Von der Faktensammlung zur Entscheidungsvorlage Unter dem Eindruck der internationalen Vergleichsprojekte wurden also alle Hebel in Gang gesetzt, um schnellstmöglich auch in Wien zu einer positiven Entscheidung für einen Neubau zu gelangen. Gemeinsam mit Prevart wurde ein Mengengerüst für ein neues Depot erstellt. Alle Sammlungsbereiche wie Mode, Kunstgewerbe, Bürgerliches Zeughaus, Archäologie, Gemälde, etc. an sämtlichen Standorten wurden räumlich vermessen, es wurde die Auslastung des Depotraums für die betreffenden Sammlungsbestände ermittelt und eine Verdichtungsmöglichkeit mittels moderner Lagertechnik (Rollregale, Gitterzugwände) berechnet. Außerdem wurde für alle Objektgruppen ein Sammlungszuwachs für weitere 30 Jahre angenommen, wobei diese Annahmen sehr unterschiedlich ausfielen: Manche Sammlungen wie das Bürgerliche Zeughaus sind in sich vollständig und de facto abgeschlossen, während in anderen Bereichen wie Zeitgeschichte ein Sammlungsschwerpunkt liegt, den es auch räumlich zu berücksichtigen gilt. In Summe wurde so ein Flächenbedarf von 12.200 m2 ermittelt.
Im Laufe des Jahres 2007 wurden sodann zwölf mögliche Standorte einer Bewertung unterzogen, davon einer in Niederösterreich und die restlichen elf in acht Wiener Gemeindebezirken. Jeder Standort wurde anhand von 17 gewichteten Kriterien im Schulnotensystem bewertet, wobei als Kriterien zum Beispiel die Sicherheit des potenziellen Standortes (Entfernung zu nächstgelegener Polizei und Feuerwehr, Emissionsbelastung in der Nachbarschaft), die Verkehrsanbindung zum Museum am Karlsplatz, zukünftige Erweiterungsmöglichkeiten oder die Entscheidungsfreiheit im Bau (Vorgaben durch Bauherrn, Mitnutzer im Bau etc.) herangezogen wurden. Grundsätzlich ausgeschlossen wurden Standorte, die im weitesten Sinn
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ein elementares Sicherheitsrisiko aufweisen, wie die Lage in einem Hochwassergebiet oder die Nachbarschaft zu einer erhöhten Gefahrenquelle. Schon bald zeigte sich, dass nur wenige Standorte in der Gesamtbewertung als geeignet für das Museumsdepot beurteilt wurden, allen voran das Entwicklungsprojekt STAR 22 im Bereich der Erzherzog-Karl-Straße. Auch vom Bauträger wurde die Idee, in den schwer zu vermietenden unteren Ebenen des Gebäudekomplexes ein Depot zu errichten, mit großer Bereitschaft aufgenommen, zumal mit dem Rechenzentrum der Stadt Wien bereits ein Mieter mit besonderen Sicherheitsanforderungen angesiedelt werden konnte. Die Vorbereitung mündete so im Jänner 2008 in eine genaue Berechnung der Kosten zur Sicherstellung der Finanzierung. Zeitgleich konnte die Notwendigkeit für ein neues Depot anhand der mittlerweile abgeschlossenen Inventur belegt werden: Fünf Prozent der Objekte waren vom Verfall bedroht, 25 Prozent der Sammlung aufgrund der schlechten Lagerung gefährdet. In Summe war also fast ein Drittel des Sammlungsbestandes der Stadt Wien mittelfristig gefährdet. Zudem konnte mit externer Beratung, der Unterstützung von Partnerinstitutionen und dem im Haus erarbeiteten Know-how der Raumbedarf genauestens angegeben werden. Trotz der intensiven Vorbereitungen für ein neues Depot wurde dieses Projekt letztlich nicht realisiert. Zwei Gründe mögen dafür ausschlaggebend gewesen sein: Zum einen war 2008 die Zeit vielleicht einfach noch nicht reif für ein Projekt dieser Größenordnung. Zum anderen gab es bereits die Absicht, das Museum selbst zu erweitern – und damit verbunden die Möglichkeit, die Übersiedlung des Depots an einen potenziellen neuen Museumsstandort mitzudenken. 2009 kündigte der Stadtrat für Kultur und Wissenschaft an, einen Neubau für das Wien Museum realisieren zu wollen. Kontrollamt als neuerlicher Impulsgeber für das Depotprojekt Die Lösung der Depotfrage wurde verknüpft mit der Prüfung neuer Standorte für das Wien Museum. Abermals war es das Kontrollamt der Stadt Wien, welches Bewegung in die Sache brachte. Zwischen 2010 und 2012 wurden vier Standorte des Museums bezüglich der „Standsicherheit und Gebrauchstauglichkeit von Bauwerken“ geprüft. Darunter zum zweiten Mal binnen weniger Jahre das Zentraldepot in der Koberweingasse. Bereits mit Ankündigung der Prüfung war klar, dass die Bedingungen sich nicht verbessert hatten: „Im Zeitpunkt der gegenwärtigen Einschau des Kontrollamtes stand das Gebäude in gegenüber dem Jahr 2004 nahezu unverändertem Bauzustand als Zentraldepot in Verwendung. […] Das Kontrollamt nahm bei der Begehung neben den fehlenden Brandabschnitten und den schlechten klimatischen Bedingungen hinausgehend auch Baugebrechen wahr, die von Auswirkung auf die Gebrauchstauglichkeit des Gebäudes waren“.12 Im Auftrag des Stadtrates für Kultur und Wissenschaft wurde ab Mai 2011 eine neue Arbeitsgruppe beauftragt, nochmals alle Optionen inklusive der Sanierung des Hauses in der Koberweingasse auf finanzielle Machbarkeit zu prüfen. Das Kunsthistorische Museum Wien (KHM) hatte zu diesem Zeitpunkt mit dem Bau eines Zentraldepots in Himberg bei Wien begonnen. Im Neubau, der als Passivhaus mit Geothermie konzipiert ist, konnten alle sicherheitstechnischen und klimatischen Anforderungen erfüllt werden. Angrenzend an das Gebäude 12 Kontrollamt der Stadt Wien: Prüfbericht: „Museen der Stadt Wien“ – Wissenschaftliche Anstalt öffentlichen Rechts, Querschnittsprüfung der Maßnahmen zur Erhaltung der Standsicherheit und Gebrauchstauglichkeit von Bauwerken, Museen – Teil 4, KA IV – MW-1/12, S. 9.
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des KHM wurde von der Firma Amelar, einem Tochterunternehmen der Firma Kunsttrans, für den Eigenbedarf ein Depot nach denselben Maßstäben errichtet. Aufgrund firmeninterner Überlegungen wurde dieser Bau allerdings im Dezember 2011 unverbindlich als Mietobjekt dem Wien Museum angeboten. In der Sitzung vom 23. Februar 2012 wurde das Kuratorium als Aufsichtsorgan nochmals umfassend über die Auswirkungen dieser großen Entscheidung informiert. Das Kuratorium war über all die Jahre ein wichtiger Begleiter in Sachen Depot. Drei Kuratoriumsvorsitzende haben seit der Ausgliederung die Museumsleitung herausgefordert, ermutigt und die Vorlagen hinterfragt. In Summe stand der Tagesordnungspunkt „Neues Depot“ bei 77 Sitzungen des Kuratoriums seit der Ausgliederung 35 Mal auf der Tagesordnung. Schließlich gab es am 7. Mai 2012 vom verantwortlichen Stadtrat für Kultur und Wissenschaft grünes Licht für die finale Verhandlung mit dem Vermieter durch Zusage der Übernahme von wesentlichen Mehrkosten. Die Unterzeichnung des Vertrages erfolgte am 5. Juni 2012. „Schnelle Jahre“ war 2013 der Titel einer Ausstellung des Wien Museums über die eigene Ausstellungsgeschichte. Auch für uns im Depotprojekt sind die Jahre der Vorbereitung, des Recherchierens, des Überlegens und des Rechnens wie im Flug vergangen. Heute ist das neue Haus in Vollbetrieb. Es waren zehn schnelle Jahre, die nicht nur viel Arbeit, sondern auch große Freude bereitet haben. Danke an alle, die den Glauben an dieses Projekt nie aufgegeben haben und verantwortlich dafür sind, dass die Sammlung der Stadt Wien mittlerweile in einem der modernsten, zweckmäßigsten und schönsten Depots sicher gelagert ist.
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Einblicke in die alten Depots
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