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SPITALEINWEISUNG ÜBERS DACH
Ein Sonntagabend im Winter, den ich lieber am Kaminfeuer verbracht hätte als unterwegs zu einem vierzehn Kilometer entfernten Notfall.
Eine besorgte Bäuerin schilderte beim betagten Schwiegerpapa eigentlich alle Zeichen einer Lungenentzündung: Fieber, Husten, Brustschmerz und Mühe beim Atmen.
Beinah meterhoch säumt der Schnee das kurvenreiche Strässchen. Das Bauernhaus am Sonnenhang hoch über Lauenen wirkt wie in Watte eingepackt.
Über eine steile Estrichtreppe klettere ich dem Sohn hinterher in die neu ausgebaute und hübsch eingerichtete, niedrige Schlafkammer des 77-jährigen Seniorbauern. Noch vorgestern Abend sei Papa flink wie sein Kater die leider grausam stotzige Treppe hochgestiegen. Gewöhnlich sei er am Morgen vor allen andern schon wieder im Stall gestanden. Aber gestern sei er liegen geblieben, es habe ihn geschüttelt wie ein pflotschnasser Hund sich schüttle, heute mache es den Anschein, er spucke Blut. Und jetzt?
Der Papa sitzt, zwei Kissen im Rücken, mit bläulichen Lippen, aber feuerrotem Gesicht und heisser Stirn im Bett. Er atmet schnell und kurz.
Der Sohn stellt sich ans Fussende und zieht den Vater an den Händen hoch. Eigentlich könnte ich dem Kranken das Abhorchen der Lunge ersparen. Mein Sprüchlein «Bitte tief ein- und ausatmen!» kommt mir momentan lächerlich vor. Noch bevor ich mit der Untersuchung fertig bin, wird klar: Lungenentzündung. Nach allem, was der Sohn berichtet hat, mit grösster Wahrscheinlichkeit die sogenannt klassische, die meistens einen ganzen Lungenlappen erfasst. Der Mann muss dringend ins Spital.
Nur – wie soll das gehen? Der sonst so rüstige Bauer vermag sich nicht mehr auf den Beinen zu halten. Wie werden es die Sanitäter bewerkstelligen? Weder für Bahre noch Tragstuhl ist die Luke im Fussboden gross genug. Huckepack wird es erst recht unmöglich sein, den Mann herunterzuholen.
Der Sohn deutet auf das neue, grosse, verschneite Dachfenster.
«Sollen wirs probieren?»
Ich nicke. «Gute Idee. Ich denke, wir sollten nicht, wir müssens probieren. Wenn Sie Ihren Papa winterfest einpacken und auch mir eine Schneeschaufel besorgen …»
Nachdem die Ambulanz bestellt und die Situation geschildert ist, streife ich meine schwarze Zipfelmütze wieder über. Ohne sie setze ich im Winter keinen Schritt vor keine Tür. Ich hole die Sauerstoffflasche für den Patienten und für mich die Handschuhe. Erst jetzt fällt mir auf, wie tief das Haus in den Hang hinein gebaut ist. Kurz danach stapfen wir seitlich die Böschung hoch und aufs knietief schneebedeckte Dach. Unter dem sternenfunkelnden Nachthimmel schaufeln wir das Dachfenster frei. Schaufeln auch noch einen Weg übers Dach und seitlich über eine Steintreppe bis zum Vorplatz.
Bald danach fährt die Ambulanz vor.
Ich erinnere mich nicht mehr, wie die Aktion in allen Einzelheiten über die Bühne, das heisst: übers Dach ging. Aber es ging.
Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Auch wenn das Sprichwort offenlässt, ob der Weg nicht auch einmal über ein verschneites Hausdach führen kann.
LUNGENENTZÜNDUNG – PNEUMONIE
Das Wort hat seinen Schrecken weitgehend verloren, seit es das Penicillin und andere Antibiotika gibt. Sind Erkrankte nicht altershalber oder durch andere Leiden geschwächt, ist die Behandlung im Spital oft nicht einmal mehr nötig. Und doch ist die Lungenentzündung in den industrialisierten Ländern immer noch die häufigste Todesursache unter den Infektionskrankheiten.
Pneumonien werden meist durch Bakterien oder Viren verursacht. Selten finden sich Parasiten oder Pilze als Erreger oder eine allergische oder chemisch-toxische Ursache.
Die sogenannt klassische, aber eher selten gewordene Pneumonie wird durch Bakterien verursacht, die bei mindestens der Hälfte aller Leute im Nasen-Rachen-Raum vorhanden sind. Sie befallen häufig einen ganzen Lungenlappen. Typischerweise tritt diese Lungenentzündung bevorzugt zu Hause auf. Im Verlauf der Erkrankung verändert und verhärtet sich das sonst so leichte, weiche, luftgefüllte Lungengewebe durch Eiter und Entzündungsflüssigkeit dermassen, dass es eher einem Stück Leber gleicht. Schüttelfrost, sehr hohes Fieber, häufig rostroter Auswurf und ein schlechter Allgemeinzustand sind neben der Atemnot die typischen Zeichen. Die Rückbildung dieser «Leber-Lunge» kann unbehandelt oder zu spät behandelt bis zu vier Wochen dauern. Wen es wundernimmt, wie eine Lappenpneumonie vor der Antibiotika-Ära verlaufen ist, lese es bei Jeremias Gotthelf nach, zum Beispiel in «Ueli der Pächter», 20. Kapitel. Um den zehnten Krankheitstag herum entschied es sich jeweils, ob die Lungenentzündung überlebt würde.
Andere Bakterien befallen nur einen kleinen Teil der Lunge. Stecken Viren, allenfalls auch Pilze oder Parasiten dahinter, spricht man von atypischen Pneumonien. Die klassischen Zeichen wie Fieber, Husten, Brustschmerz, Auswurf und Entzündungszeichen im Blut sind dann nicht immer vorhanden. Oft führt erst das Röntgenbild zur Diagnose.