3 minute read

FALSCHE MESSUNG, RICHTIGER SCHLUSS

Next Article
BESUCH IM TIERHEIM

BESUCH IM TIERHEIM

«Herr Ramseier kommt als Notfall», meldet die Praxisassistentin Eveline. «Eine Blutdruckkrise, wie ich es verstanden habe.»

Also doch weniger harmlos, als ich nach seiner letzten Konsultation vermutet hatte, geht es mir durch den Kopf. Seit etwa zwei Jahren hat Werners Blutdruck bei verschiedenen Besuchen knapp über 150 zu 90 gelegen. Meist brachte der pensionierte und immer noch vielerorts beschäftigte Lehrer gleich auch eine Erklärung dafür mit.

«Wir haben das jüngste Enkelkind während einer Woche gehütet. Es wollte nicht richtig essen und ist doch so ein Sprenzel. Das hat mich beunruhigt und gestresst.»

Ein andermal war es der tagelange Föhn, der Werner nicht schlafen liess. Das mache ihm Kopfweh und rege ihn auf. Und Kopfweh könne doch wohl auch schuld sein, dass der Blutdruck schwanke. Bei der letzten Konsultation entschuldigte er sich, er sei zu spät von daheim abgefahren, den donners Autoschlüssel habe er einfach nicht gefunden.

«Ich rauche nicht, Cholesterin normal, die Eltern zwar lang schon gestorben, aber die sollen auch nichts mit dem Herzen gehabt haben – da magst du mir das bisschen Blutdruck wohl noch gönnen!»

Das war Werners bagatellisierende Einstellung. Ich vermutete, dahinter stecke seine grundsätzliche Abneigung gegen Medikamente –«wenns ja mit Knoblauch und der Schlangenwurzel allermeistens auch geht …!»

Um mir zu beweisen, dass es allermeistens sogar ohne Arztbesuch gut geht, hat mich Werner letzthin aus einem Supermarkt angerufen. Ob ich etwas dagegen habe, wenn er sich so ein Blutdruckapparätli kaufe: «Bedienung absolut fantastisch einfach!» Man lege das Ding ja einfach ums Handgelenk und drücke zweimal – schwupp, der Blutdruck werde angezeigt. Ganz getreu dem Motto: Selbst ist der Mann, selbst ist der Patient.

Jetzt sitzt er bei mir und klagt, das Ding zeige Werte bis 230 zu 110 an. Sein Gesicht verrät: Das findet er nun selbst gar nicht mehr lustig. Er hat auch schon von Leuten gehört, die wegen zu hohen Blutdrucks an einem «Schlegli» gestorben seien.

«Weisst du, einfach so ganz plötzlich … nein, nein, das hingegen will ich nicht. Das macht mir jetzt doch Angst.»

Meine Kontrolle mit Oberarm-Blutdruckmanschette und Stethoskop beruhigt die Situation. Dass es heute knapp 160 zu 95 sind, können wir mit der momentan aufgeregten und aufregenden Situation erklären.

Ich schiebe ihm unser Handgelenksapparätli zu. «Jetzt miss du selber auch noch mal …»

Ja klar, ein solches Ding gibts in der Praxis auch, aber eigentlich bloss, um damit instruieren zu können.

Werner legt es bedächtig um. Die Seite mit dem Display, also mit den Zahlen, hinter dem Handrücken. Wie eine Uhr. Also falsch. Der Sensor misst nicht über der Schlagader, sondern über Speiche und Elle.

Wir lachen beide. Beiden tut das Lachen gut.

«Der alte Lehrer hat zwei Dinge begriffen», schmunzelt Werner. «Nicht bloss, wie so ein verflixtes Ding funktioniert. Ich habe auch den Schluss daraus gezogen, dass es vielleicht doch gescheiter ist, von heute an ein Blutdrucktablettli zu akzeptieren.»

BLUTHOCHDRUCK – HYPERTONIE

In industrialisierten Ländern dürfte der Bluthochdruck das wichtigste Problem im öffentlichen Gesundheitswesen sein. In der Schweiz hat knapp jede vierte Person einen zu hohen Blutdruck.

Gemeint ist der Druck des Blutes im Moment, da das Herz das Blut in die Schlagadern pumpt oder auswirft (systolischer Blutdruck) und im Moment, da sich das Herz wieder füllt (diastolischer Blutdruck). Die Zahlen oder Werte bei der Blutdruckmessung beziehen sich darauf, wie hoch die Pumpkraft des Herzens eine Quecksilbersäule drücken kann. 130 mm Hg bedeuten: 13 cm Quecksilber(Hg)-Säule. In den ersten Jahren nach der Praxiseröffnung 1990 habe ich noch ein aufklappbares Quecksilber-Blutdruckgerät verwendet; die Leute konnten ihren Blutdruck noch sehen.

Die Medizin unterscheidet zwei Formen von Bluthochdruck:

Primäre Hypertonie: Dabei ist die Ursache nicht bekannt. Dies betrifft etwa 90 bis 95 von 100 Leuten.

Sekundäre Hypertonie: Bei diesen fünf bis zehn Prozent sind für den Bluthochdruck andere Krankheiten verantwortlich. Sie betreffen vor allem die Nieren sowie Hormonstörungen; aber auch an die Nebenwirkungen von Medikamenten ist immer zu denken.

Versuchen wir es mit Zahlen:

Normal: 120 – 129 zu 80 – 84 mm Hg

Hochnormal: 130 – 139 zu 85 – 89

Leichter Bluthochdruck: 140 – 159 zu 90 – 99

Mässiger Bluthochdruck: 160 – 179 zu 100 – 109

Schwerer Bluthochdruck: 180 und höher zu 110 und höher

Etwa zwölf Prozent der Diagnosen in einer Schweizer Arztpraxis betreffen Herz- und Kreislauferkrankungen. Ungefähr jede zehnte Spitaleinweisung erfolgt wegen dieser Diagnosen. Dass davon nur gerade ein halbes Prozent die Diagnose «Bluthochdruck» betrifft, ist damit zu erklären, dass hoher Blutdruck viele andere Krankheiten von Herz und Kreislauf nach sich zieht, die als primärer Einweisungsgrund angegeben werden.

Bei der Untersuchung wegen zu hohen Blutdrucks sollte es darum gehen, herauszufinden, ob es nicht eine sekundäre Ursache der Hypertonie gibt, die sich behandeln lässt – womit auch der Bluthochdruck behandelt wäre.

(Schweizerische Herzstiftung: Zahlen und Daten über Herz-Kreislauf-Krankheiten in der Schweiz, 2012)

Bei der vom Lehrer Ramseier erwähnten Schlangenwurzel handelt es sich um die Rauwolfiawurzel. Sie enthält Alkaloide, zum Beispiel das Reserpin, das auch in einem Medikament gegen Bluthochdruck enthalten ist. Aber aufgepasst: Reserpin kann je nach Dosis schwere Nebenwirkungen haben. Nehmen Sie bitte keine Substanzen aus Schlangenwurzel ein, ohne Ihre Ärztin oder Ihren Arzt zu informieren.

Zum Knoblauch: eine medizinische Wunderwaffe und Wundertüte. Er soll gegen Bakterien und Pilze wirken, die Blutfette senken, die Arterienverkalkung hinauszögern und die Verklumpung der Blutplättchen hemmen. Nebenwirkungen wie allergische Reaktionen oder Magen-Darm-Beschwerden sind äusserst selten.

Was dagegen äusserst häufig ist, erfahren Sie, wenn Sie sich neben einer Person aufhalten, die frischen Knoblauch gegessen hat.

1997 wurden aus dem Weizmann-Institut in Israel zwei Studien bekannt. Sie klärten die molekularen Mechanismen auf, die für die vielen aus der volksmedizinischen Erfahrung bekannten guten Wirkungen des im Knoblauch enthaltenen Stoffes Alliin verantwortlich sind.

This article is from: