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Wildreissende Fluten 1979

Meine erste Station in Interlaken war die Pflegeabteilung, die ich leiten durfte. Mit meiner Oberschwester hatte ich ein gutes Verhältnis, sie hatte Verständnis, dass ich beruflich weiter kommen wollte. Mit ihrer Unterstützung wechselte ich im Spätherbst 1978 meine berufliche Tätigkeit und konnte in der Notfallstation erste Erfahrungen sammeln. Gut zweieinhalb Jahre war ich dort tätig, bevor ich auf die Intensivstation wechselte. Ein ganz besonderes Erlebnis war das grosse «Stedtlifest» 1979 aus Anlass des 700-Jahre-Jubiläums von Unterseen, sofern ich mich richtig erinnere. Jedenfalls war das ein Riesenfest für Jung und Alt und sehr vieles wurde organisiert. Auf dem Gelände bei der unteren Gasse wurde eine Festhütte aufgestellt, deren Zugang über eine extra dafür erstellte Holzbrücke über einen Nebenfluss der Aare erfolgte. Am Samstagabend war ich persönlich in dieser Festhütte und genoss die gute Stimmung. Am nächsten Tag war ich auf der Notfallstation zum Arbeiten eingeplant. Es war ein schöner Sonntag, genau das richtige Wetter für ein so grosses Fest. Am Nachmittag fand ein Konzert einer Volksmusikgruppe statt, was zu einer mehr als guten Stimmung führte. Die Besucher hatten im Zelt längst keinen Platz mehr und die Menschen versammelten sich rund um das Zelt. So auch auf der zuführenden Holzbrücke. Es wurde gesungen, getanzt und geschaukelt, und die Freude war gross, bis das geschah, was nicht hätte geschehen dürfen: Die Brücke brach ein und alle sich darauf befindlichen Menschen stürzten ins Wasser. Wie uns erzählt wurde, brach Panik und ein Riesengeschrei aus. Diese Brücke führte – wie erwähnt – über einen kleinen, nicht tiefen Nebenfluss der Aare, der keine grosse Flussgeschwindigkeit hatte. Im Spital wurden wir informiert, dass in Kürze viele Patienten bei uns eingeliefert würden und wir uns etwas vorbereiten sollten. In Windeseile telefonierten wir möglichen Kolleginnen und Kollegen und baten sie um Unterstützung. Da es noch keine Natels gab, war der Erfolg bei diesem Wetter sehr beschränkt. Jedoch hatte sich das Unglück sehr schnell herumgesprochen und einige Ärzte und Kolleginnen kamen ohne Aufgebot. In kürzester Zeit erschienen über dreissig Patienten zur Kontrolle bei uns. Lediglich drei Personen waren verletzt, eine davon war unter Wasser getrampelt worden und dem Ertrinken nahe gewesen. Diese ältere Person musste intensiv betreut werden und sich danach in Spitalpflege begeben, sie erholte sich jedoch rasch. Alle anderen Personen waren nass, hatten kalt oder kleinere Blessuren, die meisten dieser abgestürzten Personen wurden uns zur Kontrolle

zugeführt. Alle sassen im Notfallkorridor und in dem sich weiter hinten befindenden grossen Saal. Sie alle wurden von Ärzten untersucht und konnten das Spital gleichentags wieder verlassen. Im Ganzen mussten drei Patienten stationär aufgenommen werden, eine davon auf der Intensivstation. Es ist mehrmals vorgekommen, dass es mehrere Verletzte gab, immer war schnell freiwilliges Personal ins Spital gekommen und mehrmals hatten wir, anstatt in einem, in zwei oder gar drei Operationssälen arbeiten und Patienten versorgen können. Die Blickschlagzeile am Tag nach diesem Unfall lautete: «30 Menschen stürzten in die wild reissenden Fluten der Aare.» Wäre dem so gewesen, hätte das keinen so guten Ausgang genommen. Da trifft der Spruch «Mit einem blauen Auge davongekommen» präzis zu.

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