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Stapi Hansueli von Allmen
from Thun Magazin 06/10
by WEBER VERLAG
«Sieben Wochen Gips waren ein Trainingslager»
Während mehr als 37 Jahren hat Hansueli von Allmen die Thuner Politik mitgestaltet, die letzten 20 Jahre als Stadtpräsident. In einem Monat läuft sein politisches Mandat aus – Zeit zum Räumen des Büros, Zeit für einen Rück- und Ausblick.
Künftig Spitzenköchen, wie hier Bruno Wüthrich «im Schloss» Spiez, Rezepte entlocken… …oder mit Gattin Anita zur körperlichen Ertüchtigung der Aare entlang pedalen.

Hansueli von Allmen, wie geht es Ihnen gesundheitlich nach dem Sturz und dem Kniesehnenriss von Ende August? Der Arzt ist mit meinem Knie und dessen Heilungsverlauf zufrieden. Jetzt ist eine intensivere Physiotherapie notwendig. Nun gut – die letzten vier Monate meiner Amtszeit hätte ich mir eigentlich anders vorgestellt! Aber alles hat auch sein Gutes: Die mehr als sieben Wochen im Gips nach der Operation waren auch ein Trainingslager für das «Loslassen» vom Amt; nicht überall dabei sein, nicht immer mitreden und sehen, wie es sein wird –oder auch nicht –, wenn ich ab Neujahr viel zu Hause sein werde.
In wenigen Wochen heisst es Büro räumen. Ist der Gedanke daran schwierig? Mein Abschied vom Amt war ja lange zum Voraus geplant. Es war seit langem klar, dass es meine letzte Amtszeit ist und natürlich gibt es auch das Nachdenkliche – nicht mehr fast täglich ins Rathaus zu gehen. Alles in allem freue ich mich auf einen neuen Lebensabschnitt.
Was wird Ihnen vom Job der letzten zwanzig Jahre am meisten fehlen? Darüber mache ich mir im Moment noch keine Gedanken. Ich hoffe, dass es mir wie meinem Vorgänger im Amt und wie den meisten Gemeinderäten gelingt, mich nicht mehr in die aktuelle Stadtpolitik einzumischen. Sicher werden mir aber meine Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter, die mir die Arbeit erleichtert haben und auch persönlich verbunden sind, sehr fehlen. Weicht mit dem Ablegen der Verantwortung aber nicht auch eine grosse Anspannung? Ja, schon auch. Natürlich gab es immer wieder Zeiten, die mich psychisch und physisch beansprucht haben. Ich bin froh, einen Teil der Verantwortung, die ich als Mitglied des Gemeinderates und Stadtpräsident tragen musste, abgeben zu können.
Ihr Rücktritt als Stapi geht parallel mit dem Erreichen des Pen sionsalters. War eine erneute Kandidatur deshalb nie ein Thema? Nein, das war nie ein Thema. Allerdings hat meine scherzhafte Bemerkung, dass ich halt wieder kandidieren würde – wenn sich keine Nachfolge finden liesse –, hier oder dort auch für Verun sicherung gesorgt.
Liegt ein erstes Fazit schon drin? Ein Rückblick auf die grössten Genugtuungen? Ich betrachte vor allem die ersten Amtsjahre – als Thun in einer grossen Krise steckte – mit einer gewissen Genugtuung. Ohne mir alles alleine auf die Fahne zu schreiben, seien z.B. der Neubau des Aarefeldareals beim Bahnhof, die vielfältige Belebung des Hofstettenquartiers, insbesondere entlang des Aarequais zwischen Casino-Ländte und Sinnebrücke, der Aufbruch Thuns zur Kulturstadt mit dem Kunstmuseum, die Schweizerische Künstlerbörse oder die thunerSeespiele so wie auch das letztlich privat finanzierte neue Fussballstadion erwähnt. Auch das neue Quartier, das im Selveareal entsteht, ist ein markantes Ereignis meiner Amtszeit.
Sie sagen, Sie schreiben sich dies alles nicht alleine auf die Fahne. Was meinen Sie damit? Als Stadtpräsident bin ich im Gemeinderat nur «einer unter Gleichen», wie alle andern führe ich nur «meine» Direktionen direkt (s. auch S. 8–9). Jeder einzelne Erfolg ist deshalb ein Gemeinschaftswerk und zwar nicht nur der fünf Gemeinderatsmitglieder, sondern ganz wesentlich auch der Verwaltung, ohne deren Einsatz und Fachkompetenz nichts umgesetzt werden könnte. Deshalb möchte ich an dieser Stelle auch den vielen Helferinnen und Helfern in der Verwaltung, im Gemeinderat und – nicht zu vergessen – in der Bevölkerung ganz herzlich danken für die jahrelange, engagierte Unterstützung!
Es gab aber auch schwierige Zeiten und Niederlagen. Welche schmerzten am meisten? Zum Beispiel, als wir Anfang der Neunzigerjahre die Stimmbürgerschaft in drei Abstimmungen von einer Steuererhöhung überzeugen mussten. Die Ablehnung von wichtigen Vorlagen wie das Jugendhotel Junotel, die erste Vorlage des Strandwegabschnittes Bahnhof-Schadau und des Stadionneubaus oder die Minderheitsbeteiligung der BKW an der Energie Thun AG. Trotzdem: In meiner Amtszeit haben die Thunerinnen und Thuner in 74 von 86 Vorlagen, also in rund 86% die Haltung des Gemeinde rates unterstützt.
Wie hat sich die politische Kultur in Ihrer Zeit entwickelt? Es ist kein Geheimnis, dass mir die Entwicklung der politischen Kultur, das Aufkommen eines gewissen Misstrauensklimas, Mühe bereitet. Leider ist es nicht gelungen, dieses Klima nach schwierigen Abstimmungen, vor allem zwischen Stadt- und Gemeinderat, markant zu verbessern. Ich wünschte mir, dass die grösseren Thuner Parteien, die ihre Vertretung auch im Gemeinderat haben, vermehrt auch die Gesamtverantwortung für die Stadt mittragen würden. Phasenweise sind die gemeinsam erarbeiteten Legislaturziele in letzter Zeit zu einem Papiertiger ge-
DER POLITIKER HANSUELI VON ALLMEN
Hansueli von Allmen wird im kommenden Frühjahr 65 Jahre alt. Während total 37½ Jahren hat der ehemalige SBB-Angestellte als Stadtrat, Gemeinderat und Stadtpräsident für Thun politisiert. Damit ist er Rekordhalter unter den bisherigen Stadtpräsidenten. Zudem vertrat er die SP von 1986–91 im Grossen Rat und von 1995–99 im Nationalrat. Dort hat er mit einer Motion den Artikel 50 der Bundesverfassung betr. Stellung der Städte geschaffen.

Gemeinsamer Rücktritt: Auch Hans Stöckli, SP-Stadtpräsident von Biel, tritt nach über 20 Jahren ab.
worden. Leider ist auch das Überhandnehmen von Parikularinteressen von Quartieren oder Anwohnern, die mit Einsprachen und dem Ausschöpfen von Rechtsmitteln gesamtstädtischen Interessen schaden, eine unerfreuliche Entwicklung.
Welche Probleme der Stadt hinterlassen Sie der Nachfolgerin oder dem Nachfolger? Die Finanzkraft der Stadt Thun ist nach wie vor ungenügend. Die Stadt Thun lebt in keinem Bereich auf grossem Fuss. Wir geben nicht zu viel aus, sondern nehmen zu wenig ein. Die Steuererträge der vielen in der Krise gegründeten neuen Thuner Firmen und die Zuzüger in den neu überbauten attraktiven Wohngebieten werden hoffentlich in nächster Zeit eine Verbesserung bringen. Schliesslich ist zu hoffen, dass nach jahrzehntelangem Hin und Her die Thuner Verkehrs- und Parkierproblematik endlich gelöst werden kann.
Gibts auch Positives, Chancen, die sich abzeichnen? Ich freue mich, dass kurz nach meinem Ausscheiden aus der aktiven Politik das Kultur- und Kongresszentrum Thun – der ausgebaute Schadausaal – und das neue Stadion eingeweiht werden können, dass bald mit einem Hotelneubau und der Realisierung der neuen Betriebsstätte der Meyer Burger AG begonnen werden kann und dass in Kürze Leben ins neue Selve-Quartier einziehen wird. Ich freue mich darauf, dass sich die tolle Wohn- und Lebensqualität in Thun – Steuern hin oder her – weiter verbessern wird.
Ohne Kaffeesatz lesen zu müssen – wie sehen Sie die Zukunft der Stadt? Ich hoffe, dass der neue Stadtpräsident oder die neue Stadtpräsidentin, der neu gewählte Gemeinde- und Stadtrat den Faden für einen Neuanfang zueinander finden. Ideen und Projekte für eine positive Entwicklung Thuns liegen bereit.
Wird sich Ihr persönliches Cabaret-, Chanson- und PantomimenArchiv mit der gewonnenen Freizeit noch weiter entwickeln? Das wird sicher ein Schwerpunkt meiner künftig gewonnen Zeit sein. Vieles in meiner Sammlung ist ungelesen und ungehört und wird von mir künftig mehr Beachtung finden.
Das heisst auch, Sie bleiben als grosser Förderer der Schweizer Kleinkunst aktiv erhalten. Im Rahmen meiner Möglichkeiten werde ich mich in Thun und soweit gewünscht auch auf nationaler Ebene weiter für die Belange der Kleinkunst engagieren.
Nennen Sie uns einige Trouvaillen Ihrer Sammlung, auf die Sie besonders stolz sind? Wie bei jedem Sammler gibt es Lieblingsstücke: Bei mir ist es eine metallene Zündholzschachtel von GROCK, die Perücke des HD Läppli und die Holzschuhe von Zarli Carigiet.
Und jetzt, das Unausweichliche – haben Sie konkrete Vorstellungen von Ihrer Zeit als Rentner? Einiges steht für die Rentnerzeit sicher fest: Mehr Zeit für mich selber, z.B. fürs Lesen, mehr Theaterbesuche, mehr Velofahren, vielleicht auch die alte Liebe zur Eisenbahn mit einem GA neu entdecken.
Weicht nun das hektische, terminierte Politleben einem leeren Terminkalender? Keine Sorge – ich behalte meinen Terminkalender und ich stelle schon heute fest, dass er für 2011 bereits mehr Termine enthält, als dass ich es mir vorgestellt hätte.
Welche Engagements werden Sie sicher weiter führen? Zeichnen sich bereits neue Aktivitäten ab? Noch bis Mitte 2011 bleibe ich Präsident der Parkhaus Thun AG und der AVAG. Und sicher werde ich mich auch künftig für das
VERABSCHIEDUNG: PLÄTZE ZU VERGEBEN
An der öffentlichen Verabschiedung von Stadtpräsident Hans ueli von Allmen mit geladenen Gästen am Sonntag, 19. Dezember 2010 sind auch Plätze für die Thuner Bevölkerung zu vergeben. Der Anlass dauert von 15.15 Uhr bis etwa 19.30 Uhr. Wer teilnehmen möchte, meldet sich am Dienstag, 30. November zwischen 9.00 und 12.00 Uhr über Tel. 033 225 82 31. Sobalddie Plätze vergeben sind, wird die Anmeldung geschlossen.

Ein Bild, das bald der Vergangenheit angehört: Hansueli von Allmen im Büro des Stadtpräsidenten.
Politforum, den KleinKunstTag und die Neujahrskonzerte engagieren. Mit meiner Frau ist zudem vereinbart, dass ich Küche und Kühlschrank übernehmen werde. Ob sich neue Aktivitäten ergeben, wird sich im neuen Jahr zeigen. Im Moment fehlt mir auch die Zeit, mir darüber grosse Gedanken zu machen.
Ihr Vorgänger Ernst Eggenberg hat Ihnen das Feld ohne gute Tipps überlassen. Werden Sie es ihm am 31. Dezember gleich tun? Ernst Eggenberg hat mir damals das Amt perfekt – ohne grossen Papierkram – mit einem Ordner der wichtigen Geschäfte und Pendenzen übergeben und stand mir in der Anfangszeit – wenn er gefragt wurde –, in optimaler Weise zur Verfügung. Ich werde versuchen, es ihm gleichzutun.
Die berühmte Fee hat für Sie persönlich drei Wünsche frei –wie lauten diese? Die Wünsche sind wohl wenig ausgefallen: Ich hoffe, dass ich bei guter Gesundheit, zufrieden mit der neuen Lebenssituation – zusammen mit meiner Frau – den nächsten Lebensabschnitt geniessen kann.
Möchten Sie an dieser Stelle etwas loswerden? Eine Botschaft an die Bevölkerung in 57000-facher Auflage? Ich wünsche mir die Einsicht, dass wir in einer so schönen Gegend, in einer tollen Landschaft und mit all den Möglichkeiten, die sich uns hier bieten, leben, und hoffe, das mit vielen Menschen hier zu teilen.
Interview und Fotos: Beat Straubhaar, Weber AG