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Sabine Hurni über

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Stress und Zeitnot

Stress und Zeitnot

Sabine Hurni über… …den Kaffee und seinen Satz

Kaffee ist aus unserem Alltag nicht wegzudenken. Ob morgens als Wachmacher, mittags als Verdauungshilfe oder als Geschmackvolles Begleitgetränk zum Zvieri am Nachmittag verschafft der Kaffee Rituale und Strukturen im Alltag. Kaffee trinken heisst, eine Pause zu machen, ein wenig zu plaudern oder die Zeitung zu lesen. Die geröstete Kaffeebohne enthält rund 800 verschiedene Aromastoffe. Vielleicht liegt es an dieser Vielfalt an Aromastoffen, dass es so überaus schwierig ist, den Kaffeegenuss einzuschränken oder das Getränk vollkommen aus dem Alltag zu verbannen.

Obwohl der Kaffee nicht explizit als belastend für die Gesundheit gilt, ist es ein Getränk, das nicht in grossen Mengen genossen werden sollte. Das darin enthaltene Alkaloid Koffein lässt den Adrenalinspiegel in die Höhe schnellen und beschleunigt die Atmung und den Puls. Koffein erhöht den Blutdruck, kurbelt den Energiehaushalt an und bringt uns in Reaktionsbereitschaft. Es lässt den Cholesterinspiegel steigen, den Vorrat an B-Vitaminen schwinden und verhindert die Aufnahme zahlreicher Nährstoffe. Zudem reduziert der Kaffee den beruhigend wirkenden Neurotransmitter Serotonin. Das alles ist identisch mit einer Stress- und Notfallsituation. Nur dass wir nicht einer Gefahr ausgesetzt sind, sondern relativ unbehelligt im Büro sitzen oder eine Pause machen wollen. Mit zwei Tassen Kaffee pro Tag kommt der Körper gut zurecht. Insbesondere wenn wir grundsätzlich erholt und ausgeruht sind. Trinken wir jedoch Kaffee, um chronische Müdigkeit zu überwinden, laugen diese ständigen Energiekicks den Körper aus – was die Nebennieren und das Nervensystem belastet. Im Ayurveda, der indischen Naturheilkunde, gilt Kaffee als Vata und Pitta stärkendes Getränk. Das heisst, er erhöht das Luft- und das Feuerelement im Körper. Wegen seinem bitteren Geschmack wirkt er aus ayurvedischer Sicht trocken, leicht und anregend. Das Feuerelement kommt aufgrund der Röstung ins Spiel. Die Kaffeebohnen werden bei 200 bis 260 Grad geröstet, was auch im Körper eine erhitzende Wirkung auslöst. Da wir uns im September in einer Zeit befinden, in der sich die Hitze im Körper und auch in der Natur nochmals so richtig aufbäumt, sollte in den Spätsommer- und Herbstmonaten eher ein zurückhaltender Umgang mit Kaffee gepflegt werden. Generell sollte die Nahrung im Herbst nicht allzu erhitzend sein. Das gilt nicht nur für den Kaffee, sondern auch für scharfe, frittierte und sehr heisse Speisen.

Wir müssen den Kaffee nicht vollkommen aus der Küche verbannen. Immerhin gehört er zu unseren Ritualen und ist, in gesunden Mengen genossen, nicht weiter schlimm! Dazu kommt, dass bei der Kaffeezubereitung ein Produkt zurückbleibt, das im Haushalt wertvolle Dienste leistet: Der Kaffeesatz. Wer Filterkaffee, Frenchpress oder Mocca trinkt, kann den vermeintlichen Abfall im Haushalt, Garten und in der Körperpflege weiterverwenden. Am besten legt man ihn in ein offenes Gefäss, ein Blech oder eine weite Schale und stellt ihn in die Sonne. Sobald der Kaffeesatz vollkommen ausgetrocknet ist, kann man das Pulver in einer Dose lagern.

Nutzen für die Pflanzen: Die Pflanzenwelt profitiert in mancher Hinsicht von den noch vorhandenen Nährstoffen wie Stickstoff, Kalium, Phosphor, Chlorogensäuren und Antioxidantien im Kaffeesatz. Zum Beispiel als

Düngemittel. Gartenfachpersonen raten, vier Mal im Jahr etwas Kaffeesatz unter die Erde zu mischen. Rund 30 Gramm Kaffeesatz reichen für zehn Liter Erde. Man kann den Kaffeesatz auch mit Wasser verdünnen und damit die Pflanzen giessen. Beliebt ist dieser Zusatz bei Orchideen, Rosen, Tomaten und Hortensien.

Nutzen für die Körperpflege: Mit dem Kaffeesatz lässt sich zudem ein herrliches Körper- und Gesichtspeeling herstellen. Auch für diese Anwendung sollte der Kaffee vollständig trocken sein. Dann mischt man zwei Esslöffel Kaffeesatz mit etwas Olivenöl und rubbelt damit sanft Körper, Gesicht und Haarboden ab. Das löst abgestorbene Hautschuppen regt allgemein die Durchblutung an und stärkt aufgrund des Restkoffeins die Mikrozirkulation in den Bindegewebszellen. Eine schöne Nebenerscheinung ist der bräunliche Teint, den der Kaffee auf der Haut hinterlässt.

Nutzen für den Haushalt: Kaffeesatz bindet schlechte Gerüche. Man kann Zwiebel- oder Knoblauchgeruch an den Händen loswerden, indem man den Kaffeesatz als Handpeeling verwendet. Ein Schälchen, gefüllt mit Kaffeesatz, kann im Kühlschrank störende Gerüche binden und als Räuchermittel hält er Wespen fern. Dazu legt man den getrockneten Kaffeesatz in einer brandfesten Schale auf eine Räucherkohle. Und als Tipp für die bevorstehende Heizsaison: Vor dem Reinigen des Kamins feuchten Kaffeesatz im Kamin verteilen. Dieser bindet die Asche und verhindert eine übermässige Staubbildung beim Putzen des Kamins. Auch als Scheuermittel für die Reinigung des Grillrostes eignet er sich.

Und wenn Sie wissen möchten, was die Zukunft bringt, dann fangen sie an, sich mit der ältesten Wahrsagemethode zu befassen, dem Kaffeesatzlesen! Sie funktioniert allerdings nur mit der Kaffeezubereitung, wie sie in der Türkei, Griechenland oder im arabischen Raum gepflegt wird: Mit dem Aufkochen von Kaffee in einer kleinen Pfanne. Ich kann Ihnen diese Zubereitung wärmstens empfehlen. Sie bringt uns wieder näher zur Kaffeezeremonie, schont den Darm und schmeckt aromatisch mild.

Sabine Hurni arbeitet als Naturheilpraktikerin und Lebensberaterin in Baden, wo sie auch Ayurveda Kochkurse, Lu Jong- und Meditationskurse anbietet.

Beratung

ORGANISCHES UND ANORGANISCHES KALZIUM

Ich habe gelesen, dass Wasser keine Mineralien liefert, da diese anorganisch seien und vom Körper nicht aufgenommen werden könnten. Mineralwasser sei also nicht förderlich als Kalziumquelle. Teilen Sie diese Meinung?

Sagen wir es so: Wasser oder Mineralwasser allein, ist sicher keine ausreichende Osteoporose Prophylaxe. Das Kalzium aus der Brokkolisuppe wird garantiert besser aufgenommen als jenes aus dem Mineralwasser. Meiner Meinung nach reden wir in Bezug auf die Osteoporose noch immer viel zu oft vom Kalzium, obwohl viele andere Faktoren ebenso wichtig sind. Wenn wir zum Beispiel den Fleischkonsum halbieren würden, bräuchten wir nur noch halb so viel Kalzium. Dazu kommt, dass Knochen hart UND flexibel sein müssen. Die Härte allein macht den Knochen noch nicht zu einem gesunden Knochen. Erst die Flexibilität durch das Bindegewebe schützt in effektiv vor Knochenbruch. Und dieses Bindegewebe benötigt in erster Linie eines: Genügend Feuchtigkeit. Wenn das Getränk auch noch Mineralien enthält, umso besser. Das muss aber nicht unbedingt ein Mineralwasser sein, sondern kann auch ein Leitungswasser sein, aufgepeppt mit Brennnessel- oder Schachtelhalmfrischpflanzensaft.

Wir unterscheiden zwischen organischem und anorganischem Kalzium. Das organische Kalzium stammt von pflanzlichen Quellen wie zum Beispiel Rotalgen. Das anorganische Kalzium aus Kalkstein und anderen Mineralquellen. Kalzium ist als reines Element immer anorganisch. Nur ist es im Gestein an ein Carbonat angehängt, in der Alge oder im Gemüse an ein Phosphat oder Citrat. Deshalb ist Kalziumcarbonat anorganisch und Kalziumphosphat oder -citrat organisch. In Form von Kalziumcitrat ist das Kalzium sehr gut löslich und kann vom menschlichen Körper sehr gut aufgenommen werden. Dasselbe gilt für Kalziumascorbat oder Kalziumorotat.

Das Kalziumcarbonat, wie es im Mineralwasser oder auch in vielen Kalziumpräparaten vorkommt, muss vom Körper zuerst verändert werden. Was immer zu einem gewissen Aufnahmeverlust führt. Insbesondere dann, wenn jemand nur wenig Magensäure hat. Bei einem normalen Magensäurespiegel wird bedeutend mehr Kalziumcarbonat aufgenommen als bei einem niedrigen Magensäurespiegel.

Sowohl Leitungswasser wie auch kalziumreiches Mineralwasser liefern Ihnen anorganisches Kalzium. Wenn durch die Transformation im Magen ein gewisser Prozentsatz verloren geht, profitieren Sie immer noch ein wenig mehr vom Mineralwasser im Gegensatz zum Leitungswasser. Aber hier reden wir nicht von den relevanten Kalziummengen. Viel wichtiger scheint mir, dass Sie ein Kalziumpräparat auf der Basis von Rotalgen oder einem anderen organischen Kalzium einnehmen, dass Sie Hülsenfrüchte, Kohlgemüse, Petersilie und Sesam essen, mehrheitlich vegetarisch kochen, sich oft im Freien aufhalten, Brennnesseltee trinken und immer mal wieder ein Schachtelhalmpräparat zu sich nehmen.

GRÜNTEE

Ich leide unter starken Rückenschmerzen und muss zeitweise ein Schmerzmittel einnehmen. Nun habe ich gelesen, dass man bei diesem Schmerzmittel wegen den Nebenwirkungen kein Grüntee trinken sollte. Ich trinke täglich zwei Liter Grüntee und bin nun etwas beun-

ruhigt. K. S., Bern

Nicht alkoholische Getränke beeinflussen die Wirkung oder Nebenwirkung von ihrem Schmerzmittel nicht. An den Tagen, an denen Sie das Medikament einnehmen, sollten Sie keinen Alkohol trinken, das wäre sehr belastend für die Leber und die Nieren. Beim Grüntee sehe ich keinen Grund, weshalb er ein Problem sein könnte. Gibt es einen bestimmten Grund, weshalb Sie so viel davon trinken?

Grüntee ist sehr bitter und herb, was vom ayurvedischen Aspekt her eher Trockenheit und Leichtigkeit in den Körper bringt. Bei Schmerzen wäre es hingegen besser, mit süsslichen Gewürzen den Körper ein wenig zu erden. Fenchel, Kardamom, Nelken, Zitronenmelisse oder Kamille zum Beispiel. Wenn Sie möchten, könnten Sie als Selbsttest zwei Wochen lang frischen Zitronenmelissentee trinken. In derselben Menge wie bisher der Grüntee. So erforschen Sie, ob sich die Wirkung Ihres Schmerzmittels verändert. Ob es besser oder schneller wirkt und ob es einen Unterschied macht. Wenn nicht, weitermachen mit dem, was sich für Sie bewährt hat.

HÜFTARTHROSE

Ich habe seit längerer Zeit Probleme in der Leistengegend rechts. Vermutlich Hüftprobleme. Das Abwärtsgehen ist ein Problem, aber auch in der Ebene bin ich nur noch ca. 45 Minuten unterwegs. In der Apotheke wurde mir ein Grünlippenmuschel-Produkt

empfohlen. I. T., St.Gallen

Das Grünlippmuschelpräparat ist schon mal ein guter Schritt in die richtige Richtung. Es wird Ihnen bestimmt guttun. Ev. könnte Ihnen zusätzlich eine Gewürzmischung gegen Arthrose helfen. Mischen Sie je ein Esslöffel Muskat, Kreuzkümmel und Korianderpulver zu einer homogenen Pulvermischung zusammen. In ein Glas füllen zur Aufbewahrung. Von dieser Mischung nehmen Sie morgens und abends jeweils 1/2 Teelöffel entweder vermischt mit etwas Quark oder ins Müesli oder in die Salatsauce. Oder direkt ins Essen geben. Nehmen Sie diese Gewürzmischung mehrere Wochen ein. Sie soll schmerzlindernd, entzündungshemmend, entkrampfend und beruhigend wirken. Äusserlich könnten Sie mit einem Öl arbeiten. Zum Beispiel das Aconit-Schmerzöl von Wala. Es hilft sehr gut bei Gelenk- und Muskelschmerzen.

Gesundheitstipp

Weniger schwitzen mit Salbei

Es geht zwar allen gleich, doch angenehm ist es trotzdem nicht, wenn die schwüle Sommerhitze den Schweiss aus allen Poren drückt. Weshalb schwitzen wir eigentlich?

Der Körper verträgt keine grossen Temperaturschwankungen. Ist er erhitzt, produziert er kühlenden Schweiss, der ihn vor Überhitzung schützt. Ein Hilfsmittel der Natur gegen starkes Schwitzen ist der Salbei.

So hilft Salbei: Die Blätter der Salbeipflanze enthalten ätherisches Öl Thujon, Gerbstoffe (Rosmarinsäure), Flavonoide und Triterpene. Das Wirkstoffgemisch wirkt innerlich gegen starke Schweissbildung sowie gegen Verdauungsstörungen. Äusserlich bewährt sich Salbei vor allem bei Rachen- und Mundschleimhautentzündungen.

Das hilft ebenfalls gegen das Schwitzen:

• In Stresssituationen schwitzt man mehr. Versuchen Sie, einen kühlen Kopf zu bewahren, wenn es turbulent zu und her geht. Praktizieren Sie autogenes Training, Meditation oder Yoga.

• Atemübungen können den Körper kühlen. Formen

Sie mit der Zunge eine Röhre und atmen Sie durch diese zusammengelegte Zunge ein. Die Röhrenform der Zunge kühlt die Einatemluft.

• Essen Sie viel Obst und trinken Sie verdünnten

Aloe-vera-Saft. Der herbe Saft kühlt und befeuchtet den Körper.

Was eine seriöse Zahnbehandlung ausmacht

Eine Zahnbehandlung müssen wir uns sorgfältig überlegen – zahnmedizinische Behandlungen sind nicht Teil der Grundversicherung und können uns somit teuer zu stehen kommen. Hat man keine*n «Hauszahnärzt*in», können manche Werbeangebote umso reizvoller klingen, die grosse Verbesserungen für wenig Geld versprechen. Vielen ist jedoch nicht bewusst, dass unseriöse Angebote schnell zu unerwünschten Resultaten führen können. Doch worauf ist bei der Wahl der Behandlung zu achten?

Hierfür gibt es verschiedene Möglichkeiten: Wenn die Zahnärzt*innen Mitglied der Zahnärzte-Gesellschaft SSO sind, kann davon ausgegangen werden, dass entlang vorgegebenen Qualitätsstandards gearbeitet wird und im schlimmsten Fall eine Berufshaftpflichtversicherung vorhanden ist. Das bedeutet, dass nachgewiesene Sorgfaltspflichtverletzungen entschädigt werden könnten.

Eine saubere Erfassung der persönlichen Krankheitsgeschichte ist der wichtigste Grundstein für eine erfolgreiche Behandlung. Zahnärzt*innen sind verpflichtet, den persönlichen Gesundheitszustand der Patient*innen zu erfassen, um das Risiko eines Misserfolges möglichst klein zu halten. Ebenfalls sollte man sich vor grösseren Eingriffen immer einen schriftlichen Kostenvoranschlag geben lassen und sich eine Bedenkzeit herausnehmen. Im Zweifelsfall sollte es immer möglich sein, sich eine zweite Meinung einzuholen.

Sandra Dutler, Beraterin Zahnmedizin SPO

Mehr zum Thema Patient*innenrecht:

Schweizerische Stiftung SPO Patientenschutz, www.spo.ch

Telefonische Beratung via Hotline 0900 567 047, Fr. 2.90/Min.

Im Rahmen der SPO-Mitgliedschaft erhalten Sie diese Beratung unentgeltlich (044 252 54 22).

REFLUX

Ich habe seit Jahren eine Refluxthematik, die ich mit Heilerde abends und ab und zu einem Säureblocker sehr gut im Griff hatte. Im Dezember ist alles eskaliert. Ich habe das Gefühl, ich mache alles, was gegen Magenbrennen helfen könnte und doch wird es nicht besser. Haben Sie mir einen Rat? M. K., Bern

Sie machen im Aussen so vieles richtig, dass das Problem bei einem Lebensmittel liegen muss, das Sie regelmässig einnehmen. Könnte es sein, dass Ihr Magen auf Gluten reagiert? Wären Sie bereit, ein Selbst-Experiment zu machen und zwei Monate strikt glutenfrei zu essen? Das heisst, sämtliche Getreidesorten weglassen mit Ausnahme von Reis, Mais, Hirse, Quinoa, Amarant. Verzicht auf Bier, Soyasauce (wenn dann glutenfrei), mit Mehl gebundene Saucen, Getreidekaffee und gewisse Gewürzmischungen, die Gluten enthalten.

Es heisst nicht, dass Sie nach diesen zwei Gluten-abstinenten Monaten nicht wieder starten können mit Getreide. Nur einfach dosiert. Das heisst, wenn es zum Znacht eine Pizza gibt, dann über den Tag verteilt nicht auch noch Kuchen, Brot und Haferbrei essen. Eine glutenhaltige Getreideportion kann Ihr Magen wohl verkraften. Aber eben nicht von früh bis spät.

Trinken Sie Kartoffelsaft, essen Sie zum Käse Kartoffeln und versuchen Sie den Morgen absolut fettfrei zu gestalten. Indem Sie sich warme Apfelschnitze kochen zum Frühstück, mit etwas Zimt und Datteln, bei grossem Hunger Hirsebrei oder etwas Reis dazu. Auf diese Weise kann sich Ihre Leber erholen, denn auch sie ist involviert, wenn der Magen übersäuert ist.

Haben Sie Fragen?

Sabine Hurni, Drogistin, Naturheilpraktikerin und Ayurveda-Expertin, beantwortet Ihre Fragen zu Gesundheits- und Ernährungsthemen persönlich und ganzheitlich: s.hurni@weberverlag.ch

Das grösste Sexualorgan ist das Gehirn

Leila Dregger

Wie viel Fantasie ist erlaubt im Sex? Wie viel steigert die Lust? Wie viel bringt einander näher? Darf SIE an wilde Orgien denken, während sie mit ihrem Göttergatten Sex im Ehebett hat? Darf ER währenddessen von der Nachbarin träumen? Möchten wir beim Sex in Gedanken auch wilde, verbotene, pornographische oder perverse Situationen heranziehen, um uns in Fahrt zu bringen? Gar Erniedrigung? Gewalt? Denn (sexuelle) Fantasie kennt keine Grenzen. In jeder besseren Onaniefantasie durchbrechen wir Regeln und Gesetze – nicht nur die des guten Geschmacks. Ist es also okay, das grösste Sexualorgan zu nutzen, das wir haben: das Gehirn?

Darauf sollte jedes Paar eine eigene Antwort finden. Hier ist meine: In meiner Beziehung darf alles sein, was wir uns mitteilen können. Denn wir haben uns versprochen: Keine Heimlichkeiten, auch nicht in Gedanken. Wir wollen im Sex beieinander sein – und nicht jeder für sich die eigene Fantasiewelt durchleben. Wenn wir beisammen sind, ist alles erlaubt, was uns in den Sinn kommt. Das macht unser Sexleben sehr vielfältig: Es gibt Begegnungen, wo er der erfahrene Mann ist, der mir alles beibringt. Und dann ist es umgekehrt: Er ist der unbedarfte Knabe, den ich als Liebeslehrerin in die Welt der Sinnlichkeit einführe und nach allen Regeln der Kunst verführe. In Lust und Liebe können wir füreinander alles sein: die Klavierlehrerin, der Kumpel, der Peiniger, die Schlampe, Bruder und Schwester, Sexsklaven oder Gott und Göttin. Viel Freude macht es uns, uns gegenseitig von sexuellen Praktiken zu erzählen, von denen wir gehört oder gelesen haben und die wir immer schon einmal ausprobieren wollten. Manchmal reicht es, darüber zu sprechen, manchmal wollen wir etwas davon ausprobieren, meistens deuten wir einfach ein wenig davon spielerisch beim Sex an. Manchmal beziehen wir Erinnerungen ein, die einen von uns in der Vergangenheit berührt, erregt, erniedrigt, verletzt, belastet, beglückt oder beschämt haben. Durch unsere Lust und unser Vertrauen heilen wir an diesen Stellen. Wer das auch will, braucht vor allem eins: Zeit. Zeit zum Austausch, zum Reden und Zuhören. Mein Liebster und ich haben uns versprochen, alles anzusprechen, was den Kontakt belastet, jede Situation zu unterbrechen, wenn es Unstimmigkeiten, Mitteilungen und Fragen gibt. Oft verbringen wir sehr lange redend, glucksend, kichernd, manchmal auch weinend im Bett, halten uns, kuscheln, tauschen uns aus, bevor wir sexuell werden. Manchmal brauchen wir dann noch die Zeit, etwas vorzubereiten, zum Beispiel eine passende Musik auszuwählen. Und hinterher brauchen wir Zeit, uns austauschen: Was hat uns berührt, erschüttert, erregt?

Und was ist mit der Attraktion zu anderen? Darf die auch sein in einer Beziehung?

Ich finde ja. Niemand glaubt ernsthaft daran, dass wir für den Partner der einzig attraktive Mensch sind. Wir werden wir uns wundern, wer alles auch noch unsere Lust erregt: oft jenseits von Schönheitsidealen oder Altersstufen, von Beuteschema oder «meinem Typ». Wer das voreinander verheimlicht, gefährdet die Beziehung. Wir entscheiden jeweils gemeinsam, ob wir der Attraktion zu anderen folgen wollen, ob es bei der Fantasie bleibt oder sogar Realität werden darf.

Wie gesagt: In unserer Beziehung darf alles sein, was in Liebe und Miteinander geschieht. Und oft ist der ganz einfache, alltägliche, wunderbare und direkte Sex ohne alle Bilder.

Leila Dregger ist Journalistin und Buchautorin. Sie begeistert sich für gemeinschaftliche Lebensformen, lebte u.a. über 18 Jahre in Tamera, Portugal, sowie in anderen Gemeinschaften. Am meisten liebt sie das Thema Heilung von Liebe und Sexualität sowie neue Wege für das Mann- und Frau-Sein.

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