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1 Vorwort
reits dreitausend Kilometer südlich oder östlich diese Norm nicht mehr gilt, weil dort andere Auffassungen nicht nur bezüglich des anderen Geschlechts, sondern auch über die Gesellschaft herrschen. Zwar müssen dort die archaischen Grundsätze, auf die ich mich abstütze, auch gelten, aber die «Anpassungen» an die Neuzeit sind so anders verlaufen, dass das heutige Resultat mit unserem kaum mehr vergleichbar ist.
Wenn ich versuche die Mechanismen in Beziehung und Liebe zu erklären, gebe ich natürlich gleichzeitig Hinweise darauf, warum und wie wir etwas machen. Wenn eine Frau, weil sie nun weiss, warum ihr Partner nicht über ihre Beziehung sprechen will, ihr Verhalten ändert, oder wenn ein Mann sich hinterfragt, wovon ihre gemeinsame Beziehung eigentlich lebt, dann sein eigenes Verhalten ändert und neue Bedürfnisse sucht, dann soll mir das recht sein. Und wenn ein Paartherapeut zwischendurch mal einen anderen Ansatz wählt und neue Fragen stellt, dann habe ich wohl mein Ziel erreicht.
Dieses Buch ist aber auch keine «wissenschaftliche» Abhandlung. Ausser im Kapitel 3 (Beziehung und Liebe in der Wissenschaft) zitiere ich nur ganz selten, berufe mich kaum auf Untersuchungen und stelle selber ganz sicher keine an (meine Erfahrungen kaschiere ich also nicht in «Untersuchungen», sondern bezeichne sie auch als Erfahrungen). Ich zitiere nur ganz selten, weil ich die meisten Zitate aus ihrem Zusammenhang reissen und neu interpretieren müsste oder weil ich nur minimste Teile von anderen Werken (das meiste lässt sich generalisieren) zitieren könnte. Wo ich Zusammenstellungen, Definitionen und «Beweise» verwende, gebe ich selbstverständlich die Quelle an. Von Untersuchungen, Erhebungen und Statistiken im psychologischen Bereich halte ich wenig bis
nichts – in jeder anderen wissenschaftlichen Disziplin würden all diese Resultate mit dem lapidaren Hinweis auf (mindestens) mangelnde Signifikanz zur Seite gewischt. Wenn ich eine von mir aus gerechtfertigte Annahme treffe (weil ich sie von Grundvoraussetzungen herleiten und begründen kann) und meine, dass sich das leicht zeigen liesse, heisst das nicht, dass das mit einer Versuchsanordnung bewiesen werden könnte, sondern dass es kaum möglich wäre, das Gegenteil mit mindestens einem Evidenzbeweis aufzuzeigen.
Die wenigsten Gedanken in meinem Buche sind neu, die meisten würden sich, isoliert, in anderen Zusammenhängen oder mindestens als Ansatz, in den Werken namhafter Denker finden lassen – eine andere Behauptung wäre eine Anmassung. Ich habe mir nicht die Mühe gemacht zu forschen, wer wie wann was schon gesagt hat. Auch bei meinen Anlehnungen an die Tiefenpsychologie, die wohl einfach zu erkennen sind, verzichte ich darauf, einzelne Autoren zu nennen. Meine generalisierten Aussagen finden sich in dem Sinne, wenn auch in anderen Worten bei den meisten Schülern Freuds. Genau gleich ist es bei den Erkenntnissen anderer psychologischer Richtungen.
Eine letzte Bemerkung zu meinen Überlegungen: Ich bin mir absolut bewusst, dass es neben dem, was wir «normalen» Menschen wissen, fühlen oder uns vorstellen können, noch Dinge gibt, die jenseits der Grenzen liegen, die wir kennen, Dinge, die wir uns eben gar nicht vorstellen können. Diese einzubinden möchte ich aber den Leuten überlassen, die mehr davon verstehen und sich intensiver damit befasst haben als ich.
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Die drei Prämissen
Meine Ausführungen in diesem Buch basieren auf drei Prämissen, die ich als kategorisch bezeichne, ohne dass ich weitere Voraussetzungen ausschliessen möchte.
Grundlage für die drei Prämissen, auf denen ich basiere, ist die Behauptung (auf Grund der Lebensumstände in der Urzeit), dass der Mensch, aus Ressourcengründen grundsätzlich nichts tut, was ihm nicht nützt, ursprünglich und vorwiegend natürlich im biologischen Bereich und dass er einen ständigen Kampf ums Überleben führt und um das, was er hat. Obschon sich unsere Lebensumstände stark verändert haben, sind wir genetisch noch genau die gleichen, die wir vor 40 000 Jahren waren, und die archaischen Muster, Reaktionen und Instinkte sind nach wie vor vorhanden – unter dem Vorbehalt, dass wir sie etwas an unsere heutige Zeit angepasst und dass wir sie zum Teil verdrängt oder auch substituiert haben. Dass sie heute immer noch wirken können, merken wir in der Regel in Ausnahmesituationen, wo wir automatisch darauf zurückgreifen. Ich zeige im Verlaufe meiner Betrachtungen immer wieder anhand von Beispielen, wie diese archaischen Muster nach wie vor Gültigkeit haben, auch wenn sie sich vielleicht in einem ganz anderen Kontext, einer moderneren Umgebung bemerkbar machen.
Man hat mir oft vorgeworfen, eine negativistische Weltsicht zu haben, ein Pessimist zu sein (wer mich kennt, weiss, dass das nicht stimmt). Ich glaube, es ist sogar falsch, aus meinen drei Prämissen respektive den Grund
lagen Egoismus/Depression/Biologiepur zu schliessen, die Welt sei schlecht oder auch nur negativ: Dass die Welt nicht das Paradies ist, weiss man seit Adam und Eva, dass das Leben kein Zuckerschlecken ist und es nur die wenigsten zum grossen Glück bringen ist jedem klar – eigentlich sollte es auch klar sein, dass jeder einzelne sein Weltbild macht mit dem, was er aus der Welt schöpft, mit dem, was er in der Lage ist, dafür zu fühlen. Eine elektrische Heizung funktioniert, indem Elektronen in einem Heizdraht Widerstand überwinden, ihn langsam zerstören; trotzdem gibt sie behaglich warm – oder entzündet hin und wieder ein Feuer.
2.1 Erste Prämisse: Der Mensch ist von Natur aus egoistisch
Egoismus als Begriff hat aus meiner Sicht heute zu Unrecht eine negative Bedeutung, die eigentlich aus einem falschen Verständnis heraus resultiert. Der Begriff wird übrigens auch von Fachleuten oft «falsch» verwendet – verständlicherweise, da sie ja auf den normalen Sprachgebrauch Rücksicht nehmen müssen. Unter einem Egoisten verstehen wir heute einen Menschen, der nur auf sich selber schaut und «über Leichen geht», das heisst, die Bedürfnisse und das Wohlergehen der anderen kümmern ihn nicht. Dafür hätten wir aber einen Namen, der genau das trifft: Egozentriker! Ich spreche hier aber vom ursprünglichen Egoismus.
Die erste Aufgabe des Menschen, der Menschheit ist es, das Überleben der menschlichen Rasse zu sichern, indem sie dafür sorgt, dass sie selber möglichst lange respektive lange genug überlebt, bis die Nachkommen das