Landwende im Anthropozän: Von der Konkurrenz zur Integration

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Renaturierung: Landbasierte CO2-Entfernung synergistisch gestalten  3.1

logischen oder wirtschaftlichen Zielen gegenüber (Tab. 3.1-1). Die Anreicherung von Kohlenstoff im Boden, sei es durch Änderungen im Umgang mit den betreffenden Landflächen oder durch Einarbeitung von Biokohle oder verbesserte Waldbewirtschaftung (­Kasten 3.1-4), trägt zusätzlich zum Nährstoffgehalt und generell zur Bodenqualität bei (Smith et al., 2019a). Ähnliche Effekte auf die Bodenqualität können sich mit dem Ausbringen von Gesteinspulver im Zuge der beschleunigten Gesteinsverwitterung ergeben. Auch die (Wieder-)Aufforstung ist mit vielfältigen positiven Nebeneffekten verbunden, sofern sie dem Kontext angepasst und nicht über Monokulturen umgesetzt wird (Smith et al., 2019a:  259f.): Sie hilft, regionale Wasserhaushalte zu stabilisieren, die Wasserqualität zu steigern und trägt zur Verbesserung des lokalen Klimas bei. (Wieder-)Aufforstung kann der (lokalen) Biodiversität zugutekommen, schützt vor der Erosion von Böden und trägt zum Nährstoffhaushalt von Böden bei. Aufgeforstete Wälder bieten lokal neue Quellen für Nahrungs- und Futtermittel und eröffnen auch neue Möglichkeiten zur Sicherung des Lebensunterhalts. Schließlich liefert (Wieder-)Aufforstung mit Holz auch einen vielfach einsetzbaren Produktionsfaktor, der als Grundstoff und Baumaterial klimaschädlichere Materialien ersetzen kann (Kap. 3.5.3). BECCS wiederum entfernt nicht nur CO2 aus der Atmosphäre, sondern erzeugt klimaverträglich) Energie. BECCS eröffnet zugleich (­ zudem ebenfalls neue Einkommensmöglichkeiten im ländlichen Raum, von denen auch kleinbäuerliche Betriebe profitieren können, wenngleich dies – wie so viele der hier genannten positiven Wirkungen – nicht gesichert ist (Fuss et al., 2018:  13). In der Gegenüberstellung von Risiken und Synergien sowie negativer und positiver Begleitwirkungen gilt insbesondere bei einzelnen ökosystembasierten Methoden zur Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre wie der Bodenkohlenstoffsequestrierung oder der Renaturierung von Feuchtgebieten und Wäldern, dass die positiven Begleiteffekte deutlich überwiegen bzw. insgesamt kaum negative Implikationen bekannt sind (Smith et al., 2019a:  276). Im Fall der Renaturierung von Ökosystemen stehen die positiven Begleitwirkungen und Potenziale, Konflikte im Sinne des Trilemmas der Landnutzung abzumildern, angesichts der eher beschränkten Potenziale zur Entfernung von CO2 tendenziell sogar im Vordergrund. Als Strategie mit multiplen Mehrgewinnen wird die Renaturierung in Kap. 3.1.3 vertiefter betrachtet. Bei den übrigen Methoden der CO2-Entfernung hängt das Verhältnis von positiven zu negativen Nebenwirkungen und damit auch die Frage, inwieweit sie Landnutzungskonflikte herrufen oder verschärfen können, vielfach ganz wesentlich von der Skalierung und Umsetzung der jeweiligen Methode zur

CO2-Entfernung ab (Smith et al., 2019a). Diese über den Klimaschutz hinausreichenden ökologischen und gesellschaftlichen Implikationen fließen, je nach Studie und Ansatz, in die Potenzialabschätzungen zu einzelnen Methoden und Technologien ein. Dies gilt insbesondere auch für die in Tabelle 3.1-1 gezeigten Abschätzungen nachhaltig erzielbarer Potenziale. Die Berücksichtigung von Risiken im Sinne des Trilemmas und sonstiger Begleitwirkungen führt beispielsweise im Fall der (Wieder-)Aufforstung zu deutlichen Einschränkungen des unter Nachhaltigkeitserwägungen realisierbaren Potenzials gegenüber manchem Extremszenario (Kasten 3.1-1). Weitere Aspekte, die in die Abschätzung (nachhaltig) realisierbarer Potenziale einfließen, sind die Kosten der jeweiligen Methode und die Möglichkeiten, wie schnell der jeweilige Ansatz im Zeitverlauf ausgebaut werden kann. Die Angabe des Zeitpunkts wie in Tabelle 3.1-1, für den bestimmte jährliche Sequestrierungspotenziale erwartet werden, ist deshalb relevant. Eine Rolle spielen dabei in vielen Fällen die noch notwendigen, technologischen Entwicklungsfortschritte, bei DACCS beispielsweise Produktionskapazitäten der chemischen Industrie (Realmonte et al., 2019) oder im Fall der (Wieder-)Aufforstung, dass das Wachstum von Wäldern Zeit beansprucht und Bäume je nach Alter unterschiedlich viel CO2 einspeichern können (Kap. 3.1.3.2). Gleichwohl bestehen insgesamt deutliche Wissensdefizite zu Risiken über drohende Landnutzungskonflikte, Begleitwirkungen, sinnvollen Begrenzungen und damit der Bestimmung nachhaltiger Nutzungspoten­ ziale der verschiedenen Methoden zur CO2-Entfernung. Die Bestimmung nachhaltiger Nutzungspotenziale ist nicht zuletzt deshalb eine Herausforderung, weil sie konkurrierende Ansprüche an Land und landbasierte Ökosysteme berücksichtigen muss, die stark von wesentlich allgemeineren bzw. über den Bereich der Landnutzung hinausreichenden sozioökonomischen Entwicklungen abhängen, z.  B. der Entwicklung von Mobilitätsverhalten oder Ernährungsgewohnheiten (Hurlbert et al., 2019:  687). Im Zusammenhang mit den realisierbaren Potenzialen der CO2-Entfernung können auch technische Entwicklungspfade eine Rolle spielen, die weitere Nachfrage nach CO2 erzeugen, das der Atmosphäre entzogen wurde, ohne dass diese zu einer längerfristigen Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre führt. Um den Transportsektor klimaneutral zu gestalten wird etwa der Einsatz synthetischer kohlenstoffbasierter Kraftstoffe (Kohlenwasserstoffe) diskutiert (The Royal Society, 2019). Hierbei wird neben Wasserstoff, der mit erneuerbaren Energien erzeugt wird, CO2 eingesetzt, das z.  B. aus der direkten, technischen Abscheidung von CO2 aus der Atmosphäre (direct air capture, „DAC“) oder aus

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