Landwende im Anthropozän: Von der Konkurrenz zur Integration

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3.1 Renaturierung: Landbasierte CO2-Entfernung synergistisch gestalten Methoden zur Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre sind kein Ersatz für die massive Reduktion von CO2-Emissionen mit dem Ziel, die Emissionen auf Null zu bringen. Zur Erreichung der Pariser Klimaschutzziele sind solche Maßnahmen allerdings kaum vermeidbar, obwohl sie je nach Methode, Umfang und Umsetzung mit erheblichen Unsicherheiten verbunden sind und potenziell den Druck auf Land erhöhen. Der WBGU empfiehlt, Forschung zu Kosten, Umsetzbarkeit, Permanenz und Flächenpotenzial zu verstärken und die vielfältigen Mehrgewinne risikoarmer öko­ systembasierter Ansätze wie die Renaturierung degradierter ­Flächen frühzeitig zu nutzen. Die bisherige Verschleppung der Dekarbonisierung der Weltwirtschaft, die zu fortgesetzt steigenden globalen CO2-Emissionen führt, verringert zunehmend die Wahrscheinlichkeit, die Klimaschutzziele des Pariser Übereinkommens allein durch Vermeidung zukünftiger Treibhausgasemissionen erreichen zu können. Eine spätere, dauerhafte Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre wird wahrscheinlich notwendig sein. In diesem Zusammenhang werden die verschiedenen Möglichkeiten zur Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre weltweit immer intensiver diskutiert. Einen Überblick über diese Diskussion, die verschiedenen Methoden zur CO2-Entfernung, ihren Entwicklungsstand, mögliche Potenziale, aber auch die mit ihrem Einsatz verbundenen Risiken für landbasierte Ökosysteme und weitergehenden Begleitwirkungen, bietet Kapitel 3.1.1. Darauf zu vertrauen, dass zukünftig CO2 in großem Umfang der Atmosphäre wieder entnommen werden kann, ist aus Klimaschutzsicht eine risikoreiche Strategie. Vielen Methoden der CO2-Entfernung mangelt es gegenwärtig noch an technischer Reife. Auch ist die Klimaschutzwirkung der CO2-Entfernung generell unsicher. Zudem sind viele Ansätze landbasiert, insbesondere die gegenwärtig besonders im Fokus stehenden wie Aufforstung oder BECCS. Sie begründen so neue Nutzungsansprüche an Land bzw. landbasierte Ökosysteme und drohen bei entsprechend umfangreicher Anwendung in erhebliche Nutzungskonflikte um Landflächen und Öko­ systeme im Sinne des in Kapitel 2 ausgeführten Trilemmas der Landnutzung zu führen. Entsprechende sozioökonomische Risiken und negative ökologische

­Wirkungen, insbesondere auf Wälder, Graslandschaften, Feuchtgebiete oder agrarisch genutzte Flächen wären die Folge. Vor diesem Hintergrund entwickelt Kapitel 3.1.2 Grundsätze für einen nachhaltigen strategischen Umgang mit den Möglichkeiten zur CO2-Entfernung in der Klimapolitik, um den vielfältigen Risiken zu begegnen und sie zu minimieren. Klimapolitische Strategien sollten zum einen auf eine konsequente, frühzeitige Vermeidung von Emissionen setzen, um eine zukünftig notwendige CO2-Entfernung so weit wie möglich zu begrenzen. Zum anderen sollten sie stärker auf naturnahe, ökosystembasierte Methoden der CO2-Entfernung fokussieren, die nicht nur CO2 binden, sondern insbesondere vielfältige Mehrgewinne und Synergien zur Abmilderung des Trilemmas der Landnutzung versprechen. In Kapitel 3.1.3 geht der WBGU vertieft auf die Renaturierung degradierter terrestrischer Ökosysteme wie Wälder, Grasland oder Feuchtgebiete als eine solche ökosystembasierte Option der CO2-Entfernung ein. Diese stellt eine erprobte, risikoarme und kostengünstige Option zur CO2-Entfernung aus der Atmosphäre dar. Renaturierung verspricht Mehrgewinne im Sinne des Trilemmas der Landnutzung und darüber hinaus, ihr Potenzial zur CO2-Entfernung aus der Atmosphäre ist bezüglich der Menge und der Permanenz der Speicherung jedoch begrenzt. Gleichzeitig steht Renaturierung derzeit weit oben auf der internationalen politischen Agenda, wie die anstehende UN-Dekade zur Renaturierung von Ökosystemen zeigt. Der WBGU ist daher davon überzeugt, dass Renaturierung angesichts des derzeitigen politischen Rückenwinds ein erfolgversprechender Baustein der internationalen Klima- und Nachhaltigkeitspolitik werden sollte.

3.1.1 CO2-Senken: Ausgangssituation Der wissenschaftliche Kenntnisstand zu den verheerenden Folgen ungebremsten Klimawandels für Menschen und terrestrische Ökosysteme wurde in den letzten Jahren durch Berichte des Weltklimarats und des Weltbiodiversitätsrats weiter geschärft (IPCC, 2018, 2019a, c; IPBES, 2018a, 2019a). Dennoch erreichten auch im Jahr 2019 die globalen CO2-Emissionen ein Rekordhoch (Peters et al., 2020; Friedlingstein et al., 2019; Jackson et al., 2019). Auch die notwendige Verschärfung der nationalen Klimaschutzzusagen unter dem Pariser Übereinkommen schien bereits vor der Covid-19-Pandemie in weiter Ferne. Dabei hat die internationale Staatengemeinschaft im Pariser Übereinkommen 2015 beschlossen, die Klimaerwärmung

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