Landwende im Anthropozän: Von der Konkurrenz zur Integration

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2  Land als Schlüssel zur Nachhaltigkeit – ein systemischer Blick

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zudem eine Monotonisierung von Landschaften und den Verlust von Biodiversität (Folke et al., 2019). Zukünftig sind neben dem Bevölkerungswachstum, das zu einer steigenden Nachfrage nach Nahrungsmitteln führt, auch zunehmende Einflüsse des Klimawandels zu erwarten, die die Nahrungsmittelproduktion beeinträchtigen. Die nachhaltige Sicherung ausreichender und gesunder Ernährung für alle Menschen ist daher eine zentrale Herausforderung der Zukunft und eine wichtige Randbedingung unseres Umgangs mit dem Land (Gerten et al., 2020; Willett et al., 2019). Dabei darf die Landwirtschaft aber nicht allein darauf ausgerichtet bleiben, möglichst große Mengen an Nahrungsmitteln zu produzieren. Ziel sollte vielmehr sein, eine Vielfalt mikronährstoffreicher Nahrungsmittel in ausreichender Menge zu produzieren, und dabei die Ernährungssysteme so auszurichten, dass sie auch die Biodiversität befördern anstatt auf wenige Ernteprodukte zu fokussieren. In Bezug auf das Trilemma ist die Frage der zukünftigen Flächenumwandlung naturnaher Landökosysteme für die Nahrungsmittelproduktion von hoher Bedeutung: Sowohl der Klimawandel als auch der Verlust von Biodiversität und Ökosystemleistungen werden direkt durch Flächenumwandlung befeuert. Aber auch die Qualität von Agrarpraktiken ist zentral: Tierbesatzdichten auf Grasland und Bodenbearbeitungsund Düngepraktiken auf Ackerflächen bestimmen über die Freisetzung von CO2 aus Bodenkohlenstoff und N2O; Wiederkäuer und Reisanbau emittieren Methan. Entscheidungen über den Einsatz von Pestiziden oder die Größe und Homogenität der Bewirtschaftung von Ackerflächen wirken sich direkt auf die Biodiversität aus. Hinzu kommen Aspekte wie Energieeinsatz, Emissionen und Freisetzung toxischer Stoffe bei der Verarbeitung und dem Transport von Nahrungsmitteln, die in diesem Gutachten nicht vertieft behandelt werden. Schließlich haben Ernährungsstile Rückwirkungen auf Produktion, Verarbeitung und Transport. Auswirkungen auf die Gesamtmenge der zu produzierenden Nahrung haben zudem Verluste, Ineffizienzen und Verschwendung: Alexander et al. (2017) zeigen, dass im gegenwärtigen Ernährungssystem nur 38  % der geernteten Energiemenge und 28  % der geernteten Proteinmenge in Form von notwendigem Nahrungsmittelkonsum genutzt werden, wenn man die Verluste durch Lebensmittelverschwendung, die trophischen Verluste durch die Tierproduktion sowie die gegenüber dem Nahrungsbedarf zuviel konsumierte Nahrung (Überkonsum) berücksichtigt. Eine Transformation unseres Ernährungssystems, von Produktionssystemen bis hin zu Ernährungsstilen, ist Voraussetzung dafür, für eine bis 2050 auf mehr als 9 Mrd. Menschen anwachsende Weltbevölkerung eine

verlässliche und gesunde Ernährung zu sichern, und dabei die Herausforderungen des anthropogenen Klimawandels (Kap. 2.2.1), des Verlusts von Biodiversität und Ökosystemleistungen (Kap. 2.2.3) sowie zentraler Aspekte der UN-Nachhaltigkeitsziele wie Gesundheit und Armutsbekämpfung zu meistern (FOLU, 2019; Willett et al., 2019). Dafür ist eine integrierende Sichtweise notwendig, die die Dimensionen des Trilemmas strategisch verbindet und auf Synergien abzielt.

2.2.3 Die Biodiversitätskrise Biodiversität, d.  h. die biologische Vielfalt von Genen, Arten und Ökosystemen (CBD 1992, Art. 2), verteilt sich sehr ungleich über die Erde (Abb. 2.2-4a). Am höchsten ist die Biodiversität in den Tropen und rund um den Äquator, den so genannten Biodiversitätshotspots (Abb. 2.2-4b; Myers et al., 2000; Kleidon und Mooney, 2008). In den mittleren Breiten dagegen ist die biologische Vielfalt deutlich geringer (­Gaston, 2000; Platnick, 2007), aber keinesfalls weniger wichtig. Die Vielfalt der terrestrischen (oder Land-)Ökosysteme lässt sich anhand ihrer Aufteilung in 14 Biome bzw. 846 Ökoregionen darstellen, innerhalb derer sich aufgrund des jeweils vorherrschenden Klimas spezifische biologische Gemeinschaften gebildet haben (Abb. 2.2‑4c; Dinerstein et al., 2017; Olson et al., 2001). Bei aquatischen Ökosystemen wird zwischen marinen (Salzwasser-) und limnischen (Süßwasser-) Ökosystemen unterschieden, wobei letztere als Binnengewässer in terrestrischen Ökosystemen integriert zu finden sind, z.  B. als Seen und Flüsse. Derzeit sind rund 1,5 Mio. Arten beschrieben (­Costello et al., 2013). Schätzungen zur Gesamtzahl an Arten weltweit sind nur grob. Auf Grundlage taxonomischer Einschätzung reichen diese von 3 bis 100 Mio. (May, 2010), systematische Berechnungen sprechen von rund 8,7 Mio. (Mora et al., 2011) und rund 5 ± 3 Mio. Arten (Costello et al., 2013). Mit rund 82,5  % stellen Pflanzen den Großteil der globalen Biomasse. Tiere machen nur rund 0,4  % der globalen Biomasse aus, aufgeteilt in rund 29  % Fische sowie 46  % marin und 24  % terrestrisch lebende Tiere. Von der tierischen Gesamtbiomasse sind rund 42  % Gliederfüßer (z.  B. Insekten), 4  % Nutztiere, 2,5  % Menschen und nur 0,3  % wildlebende Säugetiere (Bar-On et al., 2018; Abb. 2.2-5).

Die Ökosystemleistungen Für den Menschen und sein Wohlergehen hat die Biodiversität einen immensen Wert, welcher sich vor allem in den Ökosystemleistungen begründet (Costanza et al., 2017). Diese sind von Ökosystemen, die selbst Teil der


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