Landwende im Anthropozän: Von der Konkurrenz zur Integration

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2  Land als Schlüssel zur Nachhaltigkeit – ein systemischer Blick

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von Starkregenereignissen zugenommen (IPCC, 2019b:  9). Die Erwärmung hat bereits zu einer Verschiebung der Klimazonen geführt, was sich u.  a. auch auf die Verbreitungsgebiete von Pflanzen und Tieren ausgewirkt hat (IPCC, 2019b:  6). Die Risiken, z.  B. durch Wasserknappheit in Trockengebieten, Schäden durch Flächenbrände, Degradation von Permafrost und Instabilitäten der Nahrungsmittelversorgung nehmen mit steigenden Temperaturen zu. Es wird damit gerechnet, dass die negativen ökonomischen Auswirkungen eines nicht nachhaltigen Landmanagements durch den Klimawandel ebenfalls weiter verstärkt werden (IPCC, 2019a:  17). Klimaschutz, Anpassung an den Klimawandel und nachhaltige Landnutzung sind also eng verwoben. Effektiver Klimaschutz ist einerseits eine entscheidende Voraussetzung, um eine zukunftsfähige Landnutzung zu ermöglichen, denn die Auswirkungen des Klimawandels erhöhen auch den Druck auf die produktiven Landflächen (durch Extremwetterereignisse, Waldbrände, veränderte Niederschlagsmuster, Verschiebung von Klimazonen mit z.  B. tauenden Permafrostböden). Andererseits setzen ambitionierte Klimaschutzszenarien, wie oben beschrieben, vielfach auf eine zukünftige großskalige Umnutzung von Landflächen für die Aufnahme und Speicherung von CO2 aus der Atmosphäre, was seinerseits eine nachhaltige Landnutzung gefährden kann. Insbesondere Maßnahmen, die auf eine Begrenzung der Klimaerwärmung auf 1,5  °C zielen, müssen daher im Kontext einer umfassenden Nachhaltigkeitstransformation, die den Umgang mit Land umfasst, beurteilt werden. Die Klimakrise und der Umgang mit ihr haben zudem weitreichende Folgen für die Biodiversitätskrise und die Krise des Ernährungssystems. Die Reduktion der CO2-Emissionen aus Landnutzungsänderungen (vor allem Entwaldung) kann große Synergien mit der Erhaltung von Biodiversität (Kap. 2.2.3) aufweisen. Maßnahmen zur Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre hingegen können – abhängig davon, welche der oben genannten Möglichkeiten dafür verfolgt werden – sowohl positiv als auch negativ mit der Biodiversitätskrise (Kap. 2.2.3) interagieren. Die Schaffung solcher Senken sollte daher differenziert betrachtet werden. Dies wird in Kapitel 3.1 vertieft dargestellt. Möglichkeiten der Minderung von CH4- und N2O-Emissionen stehen in engem Zusammenhang mit landwirtschaftlichen Praktiken und Ernährungsstilen und werden in den Kapiteln 3.3 und 3.4 diskutiert. Sie müssen in jedem Fall in Interaktion mit der Krise des Ernährungssystems (Kap. 2.2.2) betrachtet werden. Die Klimaauswirkungen sind ein zusätzlicher Stressor im Rahmen der Krisen der Biodiversität sowie des Ernährungssystems, der sich mit fortschreitendem Klimawan-

del verstärken wird. Beispielsweise verschieben sich in mittleren Breiten die Klimazonen, an die die Ökosysteme angepasst sind, in Richtung der Pole, während in tropischen Regionen neuartige Klimabedingungen entstehen können (IPCC, 2019a). Viele landbezogene Möglichkeiten der Anpassung an den Klimawandel können jedoch auch gleichzeitig zur Bekämpfung von Landdegradation bzw. zur Ernährungssicherung beitragen. Manche Reaktionen auf den Klimawandel haben im Gegenzug wieder Rückwirkungen auf den Klimawandel. Beispielsweise zeigen Hannah et al. (2020), dass durch die Verschiebung der Klimazonen neue Flächen für den Anbau verschiedener Feldfrüchte wie Kaffee und Wein genutzt werden könnten, deren Erschließung erhebliche Mengen an CO2 freisetzen würde. Es ist also wichtig, auch die Anpassung der Landnutzung an den Klimawandel selbst klimafreundlich zu gestalten.

2.2.2 Die Krise des Ernährungssystems Das globale Ernährungssystem, also das Zusammenspiel von Produktion, Weiterverarbeitung, Handel und Konsum von Nahrungsmitteln, zeigt weltweit unterschiedliche Ausprägungen und kulturelle Verankerungen. Insgesamt kann das Ernährungssystem als krisenhaft bezeichnet werden: Längst nicht für alle Menschen ist eine ausreichende und gesunde Ernährung gewährleistet, während gleichzeitig die Nahrungsmittel­ produktion erhebliche negative Umwelt- und Klima­ wirkungen hat (Willett et al., 2019). Ein Viertel der Menschheit leidet an strukturellem Mangel, ein weiteres Viertel an strukturellem, gesundheitsschädlichem Überkonsum, so dass für die Hälfte der Menschheit ihre Ernährung nicht als Grundlage für ein aktives und gesundes Leben angesehen werden kann (IPCC, 2019a:  446). Dabei ist das drängendste Problem die Unterernährung: SDG 2 hat zum Ziel, den Hunger bis 2030 weltweit zu beenden. Der Anteil chronisch hungernder Menschen an der Weltbevölkerung nahm viele Jahre ab, stagniert aber seit 2015. Die absolute Zahl ist sogar seit 2015 von um fast 60 Mio. auf jetzt 690 Mio. Menschen gestiegen (FAO, 2020j). Noch wesentlich mehr Menschen leiden an Unterernährung im weiteren Sinne, dem so genannten „versteckten Hunger“, der durch einen Mangel an Proteinen oder Mikronährstoffen, d.  h. Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen, gekennzeichnet ist. Die FAO spricht von 1,3 Mrd. Menschen bzw. 17,2  % der Weltbevölkerung, die von moderater Ernährungsunsicherheit betroffen sind, d.  h. keinen regelmäßigen Zugang zu ausreichend Essen mit genügend (Mikro-)Nährstoffen haben. Dies ist mit verschiedenen Gesundheitsproble-


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