Landwende im Anthropozän: Von der Konkurrenz zur Integration

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Drei neue multilaterale Kooperationsgemeinschaften zur Förderung einer globalen ­Landwende  4.5

Reformprogramm der europäischen Wirtschaftsund Umweltpolitik (Kap. 4.3). Kernelement ist ein europäisches Klimagesetz, dass die EU verpflichten soll, die Nettoemissionen bis 2050 auf Null zu reduzieren. Dieses Momentum sollte rasch aufgegriffen werden und ein ähnlich orientierter Green Deal vom Engagement der Kontinente übergreifenden Gemeinschaft innerhalb wie über den eigenen Staatenbund hinaus umgesetzt werden. Die zur Finanzierung der Aufgaben der Gemeinschaft zu erhebenden Beiträge können für innovative Forschungsformate und spezielle Transformationslabore genutzt werden, um – ähnlich den regionalen Modellregionen – die Umsetzung integrierter Landschaftsansätze unter weltweit unterschiedlichen Bedingungen zu erproben und umzusetzen. Die erhobenen Mittel könnten zudem, ganz im Sinne einer globalen Bewahrungsgemeinschaft, auch für Aktivitäten außerhalb des Staatenbundes Verwendung finden. Ein machtvolles Instrument kann dabei etwa die Entwicklung internationaler Pachtinitiativen darstellen, wie sie im folgenden ­Kapitel 4.5.3 spezifiziert sind.

4.5.3 Globale Bewahrungsgemeinschaften für­ ­ökologisch wertvolle Landschaften Bestimmte großflächige Komponenten der Biosphäre – wie etwa die tropischen Regenwälder – haben einerseits besondere Bedeutung für Funktion und Stabilität des Erdsystems, und sind andererseits anfällig gegenüber relativ geringen Veränderungen ihrer WachstumsB. Temperatur, Niederschlag) und bedingungen (z.   Strukturparameter (z.  B. Konnektivität). Deshalb wurden sie als Kippelemente in der globalen Umwelt eingestuft (­Lenton et al., 2019). Von disruptiven Änderungen infolge des anthropogenen Klimawandels sind auch die borealen Nadelwälder und nahezu alle Korallenriffe weltweit bedroht. Dabei sind wichtige Treiber von Umweltkrisen im Allgemeinen und von Landdegradation im Speziellen auch auf die hohe Ressourcennachfrage von Industrie- und Schwellenländern zurückzuführen (Kap. 2.1.2). Die gemeinsame, kooperative Bewahrung dieser besonders wertvollen Ökosysteme vor weitgehend irreversibler Zerstörung ist also dringend geboten, jedoch eine besondere Herausforderung (Drenckhahn et al., 2020:  18). Vor diesem Hintergrund schlägt der WBGU die Gründung globaler Bewahrungsgemeinschaften vor, in denen sich Staaten – gegebenenfalls unterstützt durch finanzkräftige private Akteure – für den Schutz und die Wiederherstellung von derartigen Ökosystemen von globaler Bedeutung zusammenschließen. Nach Über-

zeugung des WBGU sollte eine Bewahrungsgemeinschaft Verantwortung für den Schutz oder die Renaturierung dieser Ökosysteme nicht nur im Rahmen von (projektbezogener und zeitlich begrenzter) Finanzierung übernehmen, sondern auch durch eine gestaltende Verantwortungsübernahme für großflächige Gebiete und Landschaften mit wertvollen Ökosystemen, um so deren biologische Vielfalt und Ökosystemleistungen für die Weltgemeinschaft zu erhalten. Ziel sollte insbesondere die dringend erforderliche dauerhafte Grundfinanzierung für Schutz- und Renaturierungsgebiete sein (Drenckhahn et al., 2020:  17) sowie eine aktive Einbeziehung lokaler Akteure (wie lokale Entscheidungsträger*innen, ansässige Landwirt*innen, indigene Bevölkerungen oder Naturschützer*innen), um vor Ort integrativ und kontextbezogen Ökosystemschutz umzusetzen. Gerade wegen ihrer globalen Bedeutung tragen diese Ökosysteme die Züge globaler Gemeingüter, zu deren Schutz globale Kooperation erforderlich und angezeigt ist (Buchholz und Sandler, 2020). Nicht nur übersteigt der globale, langfristige Wert dieser Ökosysteme den Wert ihrer Zerstörung in der kurzen Frist für die Menschen vor Ort. Geographisch gesehen sind die Kapazitäten und die (historische) Verantwortung für den Schutz oder für die nachhaltige Wiederherstellung und Nutzung der Ökosysteme, auch bei den Industriestaaten angesiedelt, die mit ihren r­ essourcenintensiven Produktionsweisen und Lebensstilen die Degradation wertvoller Ökosysteme mindestens mitverursachen. Die Ökosysteme selbst liegen demgegenüber vielfach in Ländern, die aus wirtschaftlichen (Entwicklungs-) Zwängen heraus wenig Möglichkeiten zum Ökosystemschutz sehen und insgesamt weitaus weniger Verantwortung für Klimawandel und Ökosystemzerstörung tragen. Zum Teil stehen aber auch institutionelle Defizite in diesen Ländern dem effektiven Schutz der Ökosysteme entgegen. Im Einklang mit den skizzierten Herausforderungen beim Schutz dieser global wertvollen Ökosysteme sollte eine globale Bewahrungsgemeinschaft von einem weiten Gedanken der Reziprozität getragen werden. So sollte sich die Motivation der Industrie- und Schwellenländer in der Gemeinschaft aus dem Verständnis heraus begründen, dass (1) sie Mitverantwortung für die Zerstörung bzw. Bedrohung von erdsystemrelevanten Ökosystemen haben und (2) vom langfristigen Schutz dieser Gebiete auch das Wohlbefinden der Bevölkerung im eigenen Staatsgebiet abhängt. Sie agieren also im Sinne der Fürsorgepflicht für ihre eigene Bevölkerung und nicht als „selbstlose Geber“. In diesem Sinne ist die Unterstützung einer globalen Bewahrungsgemeinschaft auch nicht als Alternative zu eigenen Dekarbonisierungs- und Schutzanstrengungen zu sehen, sondern als Ergänzung zu diesen. Die Staaten, auf deren Staats-

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