Landwende im Anthropozän: Von der Konkurrenz zur Integration

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Pionier*innen des Wandels: Akteure zur Verantwortungsübernahme ermächtigen  4.1

4.1 Pionier*innen des Wandels: Akteure zur Verantwortungsübernahme ermächtigen Weltweit steigt sowohl die Zahl der Analysen zu den Bedrohungen durch den Klimawandel als auch die Bereitschaft, zum Klimaschutz beizutragen (WBGU, 2011). Aktuelle Studien (BMU und UBA, 2018; Bouman et al., 2020; Poortinga et al., 2018) bestätigen diesen Trend. Mit dem Pariser Klimaübereinkommen und dem Beschluss der UN-Nachhaltigkeitsziele (SDGs) 2015 fand dieser Wertewandel prominent durch die Staatengemeinschaft Berücksichtigung. Vielfältige Akteure aus allen gesellschaftlichen Sektoren sind an solchen Wandlungsprozessen beteiligt. Mit dem Konzept der Pionier*innen des Wandels sind hier individuelle Akteure gemeint, die aus persönlichem Engagement heraus Verantwortung für einen transformativen Wandel übernehmen wollen (­Schneidewind, 2018; WBGU, 2011:  255ff.). Damit soll nicht negiert werden, dass auch Unternehmen, Initiativgruppen oder Verbände als Pionier*innen des Wandels betrachtet werden können. Der WBGU beleuchtet hier individuelle Akteure, die in ganz unterschiedlichen Rollen Verantwortung für die Transformation übernehmen: in der Rolle als Konsument*in durch bewusst solidarische Konsumentscheidungen, in der Rolle als Bürger*in und Teil der Zivilgesellschaft durch das Einklagen und Unterstützen entsprechender transformativer Politiken, aber auch durch Initiative in der Rolle als Unternehmer*in oder Wissenschaftler*in. In diesem Teilkapitel werden Pionier*innen des Wandels als solidarische Konsument*innen (Kap.  4.1.1) und in weiteren Rollen (Kap. 4.1.2) beschrieben, die bewusst zur Überwindung des Trilemmas beitragen. Ausgehend von der Idee des Mehrgewinns werden solche Akteure und Initiativen betrachtet, die sich auf mehrere Trilemmadimensionen beziehen und somit mehrfach zu einem nachhaltigen Umgang mit Land beitragen. Dabei werden insbesondere Rahmenbedingungen analysiert, die derartiges Pioniertum ermöglichen und unterstützen. Den Abschluss bilden übergeordnete Gestaltungsempfehlungen (Kap. 4.1.3).

4.1.1 Möglichkeiten und Grenzen eines nachhaltigen solidarischen Konsums Täglich wächst die Zahl der Bürger*innen, die durch ihre Konsumentscheidungen und ihre Lebensstile Verantwortung für eine nachhaltige Gesellschaft übernehmen wollen (KPMG, 2020; z.  B. für den Energiebereich: Poortinga et al., 2018). Für dieses Phänomen und zugleich für den damit verbundenen normativen Anspruch hat der WBGU den Begriff der „solidarischen Lebensqualität“ geprägt (WBGU, 2016a). Dass solidarischer Konsum auch den Umgang mit Land und Inanspruchnahme von Ökosystemleistungen einbezieht, wird in unterschiedlichen Konsumbereichen deutlich: So steigt international der Marktanteil von fair gehandelten Produkten seit Jahren (er betrug 2019 ca. 9 Mrd. €). Der Anteil von Biolebensmitteln am gesamten Lebensmittelumsatz ist in Deutschland seit 2001 ebenfalls gestiegen und liegt derzeit bei knapp 10  % (UBA, 2019a). Auch zertifiziertes Holz hat einen wachsenden Markt (Kap. 3.5.3); in Deutschland erzielen PEFC- und FSC-zertifizierte Holzprodukte in Baumärkten einen Marktanteil von über 90  % (UBA, 2017b), und seit Frühjahr 2019 berichten deutsche Gartenbauund Gartenhandelsverbände (z.  B. der Verband Deutscher Garten-Center e.  V. und der Zentralverband Gartenbau e.  V.) eine deutliche Nachfragesteigerung bei bienenfreundlichen Pflanzen (ZVG, 2019).

Welche Rahmenbedingungen befördern die Entwicklung von solidarischem Konsum? Der WBGU nimmt hier eine systemische Sichtweise auf individuelles Konsumverhalten und die Veränderbarkeit von Lebensstilen ein. Er sieht letztere einerseits eingebettet in Konsumkontexte: Konsumstile werden durch Angebot, Produktpreise und kulturelle Normen geprägt und beeinflusst. Andererseits bestehen auch Freiheitsgrade und Gelegenheitsfenster für bewusste Veränderung alltäglicher Konsumpraktiken und für bewusste Entscheidungen (Jaeger-Erben, 2010; WBGU, 2014). Auslöser für solche Konsumbewegungen können Initiativen sein, die solidarischen Konsum gezielt unterstützen. Teilweise wurden diese Initiativen von einzelnen Pionier*innen geschaffen, wie z.  B. die Unternehmerin Claudia Langner, die 2010 die Informationsplattform Utopia gründete, um interessierte Konsument*innen mit Wissen über Alternativprodukte (z.  B. über FSC-Zertifizierung) zu versorgen; oder es handelt sich um Initiativen zivilgesellschaftlicher Organisationen, wie etwa die regelmäßige Information des WWF über Konsumbereiche, die gravierende Auswirkungen auf Klima, Landnutzung und soziale Nachhaltigkeit haben. Solche Initiativen verbreiten wissenschaftlich

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