Landwende im Anthropozän: Von der Konkurrenz zur Integration

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3  Mehrgewinnstrategien für einen nachhaltigen Umgang mit Land Kasten 3.5-2

Kreislaufwirtschaft und zirkuläre Bioökonomie

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Der weltweit wachsende Ressourcenverbrauch (Circle Economy, 2020), die mit Abbau und Entsorgung von Ressourcen verbundenen ökologischen Schäden sowie neue digitale Unterstützungsmöglichkeiten (WBGU, 2019b) machen die Kreislaufwirtschaft zum zentralen Ansatz der effizienteren Nutzung mineralischer wie biogener Ressourcen. So ist in der EU – neben vielen Aktivitäten der Mitgliedstaaten (­Ecopreneur.eu, 2019) oder z.  B. der Circular Economy Initiative in Deutschland – der neue Aktionsplan für Kreislaufwirtschaft (EU-Kommission, 2020e) ein Kernelement zur Umsetzung des Europäischen Green Deal (EU-Kommission, 2019c) und soll unter anderem Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch entkoppeln. Speziell für biobasierte Rohstoffe soll die EU-Bioökonomiestrategie „Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft in den Mittelpunkt stellen“ (EU-Kommission, 2018a: 1). International verfolgen z.  B. auch die USA, Japan, Südkorea (Ghisellini et al., 2016, Herrador et al., 2020) und vor allem China (Mathews und Tan, 2016; Zhu et al., 2019; Pesce et al., 2020) ambitionierte Kreislaufwirtschaftsstrategien. Das Kreislaufwirtschaftskonzept kam als Gegenentwurf zur „linearen“ Wirtschaft (take-make-consume-dispose) verstärkt ab den 1970er Jahren auf, mit „3R“-Ansätzen (reduce, reuse, recycle) zunächst vor allem für Abfälle. Industrie-ökologisch inspirierte (Ayres, 1989), präventive Konzepte betonten technische Innovationen, kleinräumige Materialkreisläufe und wirtschaftliche Chancen. Heute werden meist weiter gespannte Lieferketten und weitere Stakeholder (Konsument*innen, NRO, Regierungen) systemisch einbezogen und auch angepasste Geschäftsmodelle und soziale Innovationen mit betrachtet (Reike et al., 2018; Prieto-Sandoval et al., 2018). Definiert wird die Kreislaufwirtschaft über das Ziel, „den Wert von Produkten, Stoffen und Ressourcen innerhalb der Wirtschaft so lange wie möglich zu erhalten und möglichst wenig Abfall zu erzeugen“ (EU-Kommission, 2015c). Operationalisierungen der Kreislaufwirtschaft (Kirchherr ­ et al., 2017; Reike et al., 2018) unterscheiden sich u.  a. in der Betonung verschiedener „Value-Retention“-Optionen (­Ziffern R0–R9 in Abb. 3.5-4; Potting et al., 2017). In der Praxis wurden bisher vor allem Ansätze des traditionellen Abfallmanagements wie Materialrecycling (R8) oder Energierückgewinnung (R9) mit harten Zielen versehen (Reike et al., 2018) und auf Basis neuer Technologien umgesetzt (Abb. 3.5-4 rechts), in der Bioökonomie z.  B. für kompostierbare Kunststoffe (Potting et al., 2017). Trotzdem steigt der Ressourcenverbrauch weiter, weil auf Produkt-, Geschäftsmodell- und soziale Innovationen gestützte Optionen bislang zu wenig genutzt werden (Potting et al., 2017; Reike et al., 2018). Insbesondere konsument*innennahe Handlungsoptionen, die auf einen sparsamen Umgang mit Produkten (R0-R2), Lebensdauerverlängerungen (R3, R4) und so auf eine Reduktion der Menge benötigter Produkte abzielen (Reike et al., 2018), bedrohen bestehende Geschäftsmodelle und schaffen Konfliktpotenzial. Aus WBGU-Sicht sind aber gerade solche Strategien erforderlich, um den Gesamtressourcenbedarf zu senken und so auch den Biomassebedarf zu begrenzen (Kap. 3.5.2, Punkte 1 und 6). Spezifisch für eine nachhaltige Nutzung biogener Ressourcen sind nicht nur allgemeine Ansätze der Kreislaufwirtschaft anzuwenden (im Sinne einer „biobasierten Kreislaufwirtschaft“), sondern Erweiterungen bzw. Schwerpunkte in Richtung einer nachhaltig zirkulären Bioökonomie zu setzen

(Hetemäki et al., 2017; Antikainen et al., 2017; EEA, 2018; Carus und Dammer, 2018; D’Amato et al., 2017; D’Amato et al., 2020; Stegmann et al., 2020), z.  B. zur Kohlenstoffspeicherung und Berücksichtigung von Nährstoffkreisläufen. Die „Reichweite“ effizienter Biomassenutzung lässt sich maßgeblich durch Kaskadennutzung erhöhen, bei der „ein biogener Rohstoff zu einem biobasierten Endprodukt verarbeitet und dieses Endprodukt mindestens ein weiteres Mal stofflich oder energetisch genutzt wird“ (UBA, 2017a:  27). Durch die Ausrichtung technischer Innovationen und Produktdesigns auf die Kreislaufwirtschaft können haltbarere und schadstoffärmere biogene Materialien und Produkte länger in Kreisläufen geführt bzw. in Kaskaden genutzt werden. Zum Ende ihrer Nutzung können sie separiert und gegebenenfalls wiederverwendet oder selbst als Abfall noch als Düngemittel und Chemikalien genutzt werden (Hetemäki et al., 2017:  14; Antikainen et al., 2017:  109; Carus und Dammer, 2018; Stegmann et al., 2020). In diesem Kontext sollte z.  B. auch der Einsatz biologisch abbaubarer Kunststoffe, mit besonderen Herausforderungen für Sammlung, Sortierung und Recycling, abgewogen werden (EEA, 2018:  36). Integrierte Bioraffinerien können verschiedene biologische Roh- und Abfallstoffe relativ vollständig und effizient zu Futtermitteln, Werkstoffen, Chemikalien und Kraftstoffen verarbeiten und so neue Nutzungskreisläufe erschließen. Heute werden sie allerdings vor allem zur Produktion von Biokraftstoffen eingesetzt (Temmes und Peck, 2020). Um sicherzustellen, dass diese Technologien nicht nur die Nutzung biogener Ressourcen effizienter machen (und gegebenenfalls Rebound-Effekte fördern; Zink und Geyer, 2017), sondern auch den Ressourcenverbrauch reduzieren, empfiehlt der WBGU folgende Schwerpunkte zu setzen. Zunächst sollte der Bioökonomie insgesamt ein Rahmen gesetzt werden, der die Zirkularität fördert: 1. Politisches Momentum für mehr Kreislaufwirtschaft nutzen, um explizite, ambitionierte Reduktionsziele für absoluten Gesamtressourcen- und insbesondere Biomasseverbrauch zu setzen: Die neue EU-Kreislaufwirtschaftsstrategie (EU-Kommission, 2020e) gibt das Ziel vor, den Anteil kreislauforientiert verwendeter Materialien – im Jahr 2017 lag er bei 8,6  % (Circle Economy, 2020) – bis 2030 zu verdoppeln und den „Fußabdruck [der EU] im Hinblick auf den Verbrauch zu senken“. Die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie (Bundesregierung, 2018) enthält nur das Ziel einer um 1,6  % jährlich steigenden Ressourcenproduktivität. In der akuten ökologischen Krise (Kap. 2) sind beide Zielsetzungen nicht ehrgeizig genug. Ein konkreter Zielwert der EU und Deutschlands für die Reduktion des absoluten Ressourcenverbrauchs mit einem Teilziel für Biomasse würde gesellschaftliche und wirtschaftliche Prozesse für einen rechtzeitigen Umbau über Detailziele und Fördermaßnahmen für die Kreislaufwirtschaft hinaus in Gang setzen. 2. Vorgaben zur nachhaltigen Produktion der genutzten Biomasse: Durch Anreize und Auflagen für die Nachhaltigkeit der gesamten gehandelten Biomasse (Kap. 4.2, 4.3) werden biogene Ressourcen knapper. Dies setzt Anreize für Effizienzsteigerungen durch Kreislaufnutzung (inkl. Product-as-a-Service-Geschäftsmodelle, Wiederaufbereitung, Sharing Economy) und eine Priorisierung längerer stofflicher vor energetischer Verwertung, wodurch auch mehr Kohlenstoff gebunden wird. Damit Investitionen und das Design langlebiger Produkte zeitig angepasst werden, sollten Nachhaltigkeitsvorgaben einem langfristig verlässlichen, klaren Pfad zunehmender Ambition folgen (Kap. 4.2).


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