Landwende im Anthropozän: Von der Konkurrenz zur Integration

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Landwirtschaftssysteme diversifizieren  3.3

duellen Hofanlagen stehen (Neubert et al., 2011). Hinzu kommt, dass Maishybridsorten, die in den meisten Regionen Subsahara-Afrikas den überwältigenden Teil des gelagerten Getreides ausmachen, aufgrund ihrer Kornbeschaffenheit nicht so lagerfähig sind wie etwa traditionelle Sorten (Neubert et al., 2011). Bereits einfache Maßnahmen, wie stabil gebaute, gut durchlüftete Speicher und die Aufbewahrung in geeigneten Säcken, könnten jedoch diese Verluste fast vollständig vermeiden (Kumar und Kalita, 2017). In der Praxis ist zu empfehlen, die Lagerung auf kommunaler oder genossenschaftlicher statt auf individueller Ebene durchzuführen. Mit E-Vouchern können somit Einlagen verbrieft werden und eine Bewachung kann Diebstähle verhindern (Neubert et al., 2011). 2. Urbanisierung und Migration für ländliche Entwicklung nutzen: Die Migration in die Städte ist traditionell und auch heute in Afrika häufig eine Form der Arbeitsmigration (Migration Data Portal, 2020), die aber oft auch als Landflucht aufgrund extremer Armut, als Anpassungsmaßnahme an den Klimawandel (z.  B. Flucht vor Dürre), aber auch als Kompensation für die unzureichenden sozialen Sicherungssysteme verstanden werden kann (Steinbrink und Niedenführ, 2017). Mit dieser Form der Migration können Einzelne temporär oder auf Dauer in Städten Einkommen erwirtschaften, die sie in aller Regel durch Rücküberweisungen (Remissen) mit den verbleibenden Familienmitgliedern auf dem Lande teilen. Eine Entwicklungsmaßnahme stellt eine solche Migration dann dar, wenn die Verbleibenden mit den zusätzlichen Geldern ihre Existenz besser sichern können oder sogar in die Lage versetzt werden, sie für die Weiterentwicklung ihres landwirtschaftlichen Betriebs produktiv in Wert zu setzen, z.  B. indem sie hiermit Anpassungsmaßnahmen durchführen (Steinbrink, 2017; Berck et al., 2018). An Grenzen stößt eine solche Strategie allerdings, wenn die Absorptionskapazität der Zielorte überfordert wird oder wenn die Abwanderung zu einem Arbeitskräftemangel in den ländlichen Haushalten führt und damit die ländlichen Lebenshaltungssysteme (livelihoods) aushöhlt. Eine erfolgreiche Arbeitsmigration setzt außerdem voraus, dass es genügend Arbeitsplätze an den Zielorten gibt, zum Beispiel durch Industrialisierung, wie es etwa im 19. Jahrhundert innerhalb Europas der Fall war. In Subsahara-Afrika sollten die diesbezüglichen Erwartungen jedoch u.  a. aufgrund der Digitalisierung industrieller Fertigungsprozesse nicht zu hoch angesetzt werden (Lohnert, 2017). Zudem leben in den afrikanischen Städten bereits viele junge ­Menschen und Nachwuchskräfte, die in der Regel besser aus-

gebildet sind als die ländliche Jugend (Lohnert, 2017). Daher kann Migration nach Europa ebenfalls eine sinnvolle Anpassungsstrategie darstellen, wenn nämlich die migrierenden Familienmitglieder Beschäftigung finden und die entsprechenden Remissen produktiv oder als Anpassungsmaßnahme eingesetzt werden (Musah-Surugu Issah et al., 2018; Ng’ang’n et al., 2016; World Bank, 2020b; Bendandi und Pauw, 2016). Dass es sich bei Remissen um relevante Beträge handelt, zeigt die Tatsache, dass 2018 weltweit das offizielle Volumen 689 Mrd. US-$ betrug (World Bank, 2019). Dies ist das Vierfache der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit (World Bank, 2020c). 3. Ökonomisches Empowerment der Frauen vermindert mittelfristig Flächenumwandlungen: Bildungsmaßnahmen und ein ökonomisches ­Empowerment der Frauen führen zu einem Rückgang der Geburtenraten (Schwikowski, 2019; Marten, 2019). Afrika und Indien sind weltweit noch die einzigen Großräume, wo diese Mechanismen bisher noch nicht gegriffen haben. Bildung und Empowerment der Frauen sind daher in diesen Weltregionen dringend angezeigt, denn dadurch würde das Bevölkerungswachstum gebremst und somit mittelfristig der Druck für Flächenumwandlungen verringert. Bildungsprogramme, auch direkt im Bereich Familienplanung für Frauen und Männer, höhere Chancen auf eine weiterführende Schulbildung sowie mehr Beschäftigungsmöglichkeiten, z.   B. entlang der landwirtschaftlichen Wertschöpfungsketten, könnten Frauen vermehrt ein eigenes Einkommen ermöglichen. Würde ein solcher Ansatz mit dem Aufbau sozialer Sicherungssysteme verknüpft, wäre eine hohe Kinderzahl für die Alterssicherung ihrer Eltern nicht mehr so attraktiv (Sippel et al., 2011). Dies würde die Geburtenrate senken und damit das ­Trilemma der Landnutzung entschärfen helfen.

3.3.2.4 Ausrichtung des Agrarhandels auf Resilienz und Nachhaltigkeit Auch bei der stärkeren Ausrichtung des internationalen Agrarhandels in Richtung Nachhaltigkeit (Kap. 3.3.1.3) und Resilienz spielt die Diversifizierung der Landwirtschaftssysteme eine Schlüsselrolle. Potenziale einer Neuausrichtung des Agrarhandels in Richtung Nachhaltigkeit Die Diversifizierung der Landwirtschaftssysteme hat das Potenzial, die Ernährungssicherung in den Staaten Subsahara-Afrikas zu verbessern. In der EU würde z.  B. die Wiederverkopplung von Tier- und Pflanzenproduktion die Abhängigkeit von Futtermittelimporten redu-

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