Landwende im Anthropozän: Von der Konkurrenz zur Integration

Page 166

3  Mehrgewinnstrategien für einen nachhaltigen Umgang mit Land

den Niederlanden alle Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen durch sogenannte Landschaftspflegevereinigungen, in denen auch Landwirt*innen Mitglieder sind, implementiert und kontrolliert. Dieser kooperative landschaftsbezogene Ansatz unterstützt Multifunktionalität, reduziert die Bürokratie und bietet den Landwirt*innen Anreize für den Naturschutz (Terwan et al., 2016). In der Schweiz hingegen wird ein Modell verwendet, das nicht die Kooperation unter den Landwirt*innen in den Vordergrund stellt, sondern die räumliche Vernetzung der einzelnen Agrarumwelt- und Klimaschutzmaßnahmen (Batary et al., 2011; Tscharntke et al., 2012). In Deutschland gibt es Landschaftspflegeverbände, in denen sich Naturschutzverbände, Landwirt*innen und Kommunalpolitiker*innen zusammenschließen, um gemeinsam in der jeweiligen Region naturnahe Landschaftsräume zu erhalten oder neu zu schaffen. Dabei steht die Umsetzung des Vertragsnaturschutzes im Fokus der Arbeit der Landschaftspflegeverbände (Metzner et al., 2013; Boller et al., 2013). Bayern hat z.  B. zusätzlich zu den Landschaftspflegeverbänden die Stelle eines Wildlebensraumberaters geschaffen (Janko et al., 2016), der einzelne Betriebe berät, bei der Umsetzung von freiwilligen, wildlebensraumverbessernden Maßnahmen unterstützt und Modellgebiete zu etablieren sucht (Müller, 2019). Humuszertifikate für Produktionssysteme, die nachweislich eine Kohlenstoffsequestrierung mit Humusaufbau erreichen, sind umstritten (Wiesmeier et al., 2020). Da das Potenzial für den Humusaufbau umso größer ist, je geringer der Humusanteil aufgrund der bisherigen Bewirtschaftungspraktiken ist, gelten Humuszertifikate als unfair; nur jene profitieren, die bisher nicht in den Humusaufbau investiert haben. Die intrinsisch motivierten Landwirt*innen, die bereits investiert hatten, werden hingegen nicht gefördert. Als Gegenargument wird auf Messprobleme und Verschiebungseffekte sowie die vollständige Reversibilität des Humusaufbaus verwiesen. Insgesamt ist zu betonen, dass die Debatte um CO2-Zertifikate einen positiven Anstoß geben kann, indem sich Landwirt*innen verstärkt mit einer nachhaltigen Bewirtschaftung und Humusversorgung ihrer Böden auseinandersetzen (Wiesmeier et al., 2020).

142

3.3.2.3 Landwirtschaftliche Produktivität in SubsaharaAfrika nachhaltig steigern, Klimaanpassung und Ernährungssicherung erreichen Wegen der spezifischen Bedingungen für die Subsistenzlandwirtschaft in Subsahara-Afrika (Kap. 3.3.1.2) sind dort andere Strategieansätze gefragt als in der industriell geprägten EU-Landwirtschaft. Die von saisonalem Hunger betroffenen kleinbäuerlichen Betriebe

und Familien der Viehhirt*innen in semiariden Regionen benötigen eine deutliche Produktivitätssteigerung, damit allen Menschen das gesamte Jahr über Nahrungsmittel zur Verfügung stehen. Dafür sollten die degradierten Böden und Weiden durch ein nachhaltiges und integriertes Land- und Nährstoffmanagement wieder in Wert gesetzt werden. Die Landwirtschaftssysteme könnten zudem mit Hilfe verschiedener Komponenten so diversifiziert und intensiviert werden, dass Mehrgewinne entstehen, die das Trilemma der Landnutzung entschärfen. Eine Verdopplung der derzeit noch sehr geringen landwirtschaftlichen Erträge wird trotz Klimawandels von zahlreichen Expert*innen für Subsahara-Afrika als realistisch und auch als nachhaltig möglich angesehen, unabhängig davon, ob sie mit ökologischen, konventionellen oder integrierten Strategien erzielt wird (Tittonell et al., 2016; AfDB, 2016; Tadele, 2017; van Ittersum et al., 2016). Obwohl eine solche Prognose positiv klingt, reicht jedoch diese Verdopplung nicht aus, um die steigende Nachfrage aufgrund des bereits bestehenden großen Defizits und des zu erwartenden weiteren mittelfristigen Bevölkerungswachstums (Kap. 3.3.1.2) zu decken. Dies gilt vor allem dann, wenn der bestehende Selbstversorgungsgrad von derzeit ungefähr 80  % auch in Zukunft nicht stark sinken soll und gleichzeitig keine weitere Flächenumwandlungen erfolgen sollen (van Ittersum et al., 2016). Zwar konterkarieren (Grund-)Nahrungsmittelimporte nicht grundsätzlich das Ziel einer souveränen Ernährungssicherung, aber besonders die ressourcenarmen Sahelländer können die wachsenden Nahrungsmittelimporte schon heute kaum mehr bezahlen (van Ittersum et al., 2016; AfDB, 2016; Kap. 3.3.1.3). Flächenumwandlungen sollten aber auch möglichst vermieden werden, um eine weitere Landdegradation zu verhindern, um Biodiversitätsverlusten vorzubeugen sowie THG-Emissionen zu minimieren. Es ist daher notwendig, den Ansatz der Produktivitätssteigerung mit anderen Strategien entlang der Wertschöpfungsketten und außerhalb der Landwirtschaft zu ergänzen. Denn nur dann kann Ernährungssouveränität erreicht werden. Einige der möglichen ergänzenden Strategien werden am Ende dieses Kapitels angerissen.

Produktivitätssteigerungen und Klimaanpassung auf Grundlage einer Kombination agrarökologischer und konventioneller Maßnahmen Inzwischen besteht ein breiter Konsens in der Wissenschaft darüber, dass eine Produktivitätssteigerung in Subsahara-Afrika ein nachhaltiges Land- und Bodenmanagement (Sustainable Land Management, SLM) voraussetzt (Janzen, 2016; Njoroge et al., 2019; ­Nkonya et al., 2016c). Dies kann nur erreicht werden, wenn die bereits degradierten und mineralisierten Boden wieder


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.