WBGU Hauptgutachten: Der Umzug der Menschheit: Die transformative Kraft der Städte

Page 85

2  Urbanisierung im globalen Kontext

ökonomische und soziale Implikationen für die urbane Gesellschaft.

Räumliche Prozesse Die physische Expansion von Städten über ihre vormaligen Bebauungsgrenzen erfolgt oft entlang zentraler Infrastrukturlinien oder auch in Form von ­Satellitenstädten, die sich nach und nach durch die Anlagerung neuer urbaner Flächennutzungen verbreitern. Dieses Entwicklungsmuster führt zu einem steigenden Flächenverbrauch und erfordert lange Infrastrukturlinien. Mit der Entstehung von „extended metropolitan regions“ (McGee, 1991) oder „mega-urban regions“ (McGee und Robinson, 1995) verzahnen sich städtische und ländliche Elemente und Strukturen im „Urban Fringe“, d.  h. dem unmittelbaren Stadtumland (Abb. 2.1-10). Es etablieren sich zudem unterschiedliche Gemengelagen aus oft un- oder teilgeplanten, inkohärenten oder inkompatiblen Nutzungsinseln privater oder öffentlicher Trägerschaft, oft ohne ökonomischen, sozialen oder funktionalen Zusammenhang (Coy und Kraas, 2003).

52

Abbildung 2.1-10 Stadtlandschaft Phoenix, Arizona (2007). Quelle: Frauke Kraas/WBGU

Ökologische Prozesse Die mit Städten verbundenen Umweltprobleme manifestieren sich in der Stadt selbst, in der umliegenden Region sowie im Erdsystem und sind durch komplexe Interaktionen miteinander verknüpft (Kap. 2.3). Städte sind als Zentren wirtschaftlicher Aktivität wesentliche Treiber lokaler wie globaler Umweltveränderungen. Hier werden die Konsumentscheidungen der Bevölkerung, insbesondere der aufstrebenden Mittelschichten, getroffen, die starken Einfluss auf den globalen ­Ressourcenverbrauch, die Produktion von Abfall sowie die Treibhausgasemissionen haben und als Treiber für globale Umweltprobleme (z.  B. Landnutzungsänderungen, Konversion von Ökosystemen, Verlust biologischer Vielfalt und Klimawandel) wirken (Kap. 2.3.3). Insbesondere beim Klimawandel sind Städte nicht nur Verursacher, sondern auch Betroffene (Kap. 2.3.4.4). Zu den Klimarisiken zählen z.  B. die Bedrohungen von Städten durch Meeresspiegelanstieg, Wasserknappheit (als Folge von Gletscherschmelze oder veränderten Niederschlagsmustern), lokaler Temperaturanstieg oder Katastrophengefährdung als Folge vermehrter Wetterextreme (Starkregen­ereignisse, starke Stürme).

durch Informationsaustausch in Echtzeit – unter dem Begriff „Smart City“ geführt. Darüber, was genau eine Smart City ausmacht, besteht zurzeit noch keine Übereinkunft (Bieber und Bihr, 2015). Zahlreiche Definitionen konkurrieren miteinander, und konkrete Projekte auf Stadtebene, die dem Begriff der Smart City zugeordnet werden, sind eklektisch (Rohde und Loew, 2011). Dennoch wird die Smart City in der Stadtplanung bereits als stadtentwicklungspolitisches Leitbild verwendet (BBSR, 2014b) und hat Eingang in politische Planungsvorhaben gefunden. Der indische Premierminister Narendra Modi kündigte beispielsweise an, in Indien in den nächsten Jahren 100 Smart Cities mit Hilfe ausländischer Investoren zu bauen, um der rasanten Urbanisierungswelle gerecht zu werden (Ministry of Urban Development – Government of India, 2015). Da der derzeitige Diskurs stark von den Technologieproduzenten geprägt wird, überwiegt in der Praxis die technologiegetriebene Stadtgestaltung (BBSR, 2014b). Mit der Smart City erhofft man sich z.  B. die Verringerung des Ressourcenverbrauchs durch Effizienzsteigerungen (Kasten 2.1-4), eine demokratischere Gestaltung von Regierungsweisen und eine Optimierung von Verwaltungsabläufen (Kasten 8.2-3, 8.3-1). Gleichzeitig werden mit der Smart City aber auch Risiken verbunden, insbesondere hinsichtlich der operationellen Sicherheit von Städten, des Datenschutzes und der Sicherung von Persönlichkeitsrechten (Kasten 2.1-5).

Technologische Transformationsprozesse Die Verbreitung digitaler Medien sowie neuer Informations- und Kommunikationstechnologien beeinflusst auch das Zusammenleben in Städten. Im Stadtkontext wird die Digitalisierungsdebatte und die zunehmende Vernetzung physischer und digitaler Infrastruktur – wie z. B. Smart Grids, intelligente Verkehrssteuerung

Ökonomische Transformationsprozesse Die weltweite Restrukturierung von Produktionsprozessen innerhalb urbaner Wirtschaftszentren im Zuge der internationalen Arbeitsteilung und des technologischen Wandels führt zu Globalisierungsgewinnern, und -verlierern sowie zu einer weltweiten Zunahme der Ungleichheit innerhalb vieler Nationalstaaten und


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.