Rheinische Keramik

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Aufsatz: Rheinische Keramik Belinda Petri

Frechen, August 2006

RHEINISCHES STEINZEUG Zwischen den verschiedenen Arten der Keramik nimmt das Rheinische Steinzeug des 16. und 17. Jahrhunderts eine Sonderrolle ein. Die Töpferzentren lagen räumlich dicht beisammen: Die führenden Töpferorte waren Aachen, Raeren, Langerwehe, Frechen und Siegburg. Nach dem Dreißigjährigen Krieg wanderten zahlreiche Töpfer in den Westerwald aus und produzierten dort in ihrer traditionellen Technik weiter. Auch die hergestellte Ware umschloss eine relativ homogene Gruppe: Es waren vor allem Vorratsgefäße und Trinkkrüge. Neben einfachen Krügen, Kannen und Bechern, meist mit Rillen oder Ritzornamenten geschmückt, gab es mittels Reliefauflagen verzierte Gefäße, deren Dekoration während des 16. und 17. Jahrhunderts ihren künstlerischen Höhepunkt erreichte. FRECHENER BARTMANNKRÜGE Dabei stellten die Bartmannkrüge aus Frechen die wohl populärste Gattung dar. Es handelte sich überwiegend um Trink- oder Schenkkrüge, die am Hals mit der plastischen Auflage eines bärtigen Gesichtes verziert waren. In Frechen wurden in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts nach dem Kölner Vorbild Kugel- oder Birnbauchkrüge mit rechteckigen Bartmasken und aufgelegtem Eichenlaub hergestellt. Da auch Krüge dieser Art mit plastisch aufgelegten Armen bekannt sind, scheint eine Deutung der Bartmasken als eine Art Karikatur nahe liegend. Mit dem Gesicht oberhalb der meist kugelförmigen Gefäßkörper ähneln die Krüge dicken, bärtigen Männern.

Bartmannkrug mit Eichenlaubauflagen, Frechen, ca. 1530, Inv. Nr. A 00044


Die Deutung der Gesichtsauflagen als Porträts der Hersteller oder Besitzer bleibt aufgrund der massenhaften Verbreitung unwahrscheinlich. Auch ein Zusammenhang zu den „Wilden Leuten“ des Mittelalters scheint möglich. Dabei handelt es sich um halbmenschliche Waldbewohner, die als behaarte Wildleute (lat. silvani) dargestellt wurden. Allerdings widersprechen die sorgfältig frisierten Bärte der frühen Auflagen dieser These. Auch Karl der Große (742-814) wird in Bezug zu den Bartmannkrügen gestellt. So verweist Christel von Hees auf die 1349 in Aachen gefertigte Reliquienbüste. Die Gestaltung des bärtigen Gesichtes Karls des Großen habe Ähnlichkeit mit den frühen Krugauflagen mit ernstem Gesichtsausdruck und ordentlich frisiertem Bart. Eine Deutung als Bildnis des Herzogs von Alba (1507- 1582) ist ebenso verbreitet wie die Erklärungsherleitung nach der englischen Bezeichnung der Krüge als „bellarmine jugs“. In der Literatur des 17. Jahrhunderts findet sich der Begriff „bellarmine“, der als Verspottung des Kardinals Roberto Bellarmino (1542- 1621, Professor zu Löwen) gesehen wird. Die Kombination mit religiös-moralischen Sinnsprüchen lässt auch eine Deutung als Christusdarstellung vermuten. Diese These steht in Zusammenhang mit den dreigesichtigen Auflagen, die als Darstellung der Dreifaltigkeit (Vater, Sohn, Heiliger Geist) gedeutet werden. Als Fazit aller Deutungsversuche kann der Wunsch nach einer wohlgefälligen Dekoration der Gefäße gesehen werden: Durch die Gesichtsauflage erhielt der Krug eine menschenähnliche Gestalt. Gisela Reineking von Bock beschäftigte sich wie Anthony Thwaite und M. R. Holmes mit einer chronologischen und stilistischen Einordnung der Bartmasken. Bei den Frechener Bartmannkrügen sind grundsätzlich drei Typen nachweisbar: In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts waren die Bärte nach Kölner Vorbild rechteckig, die Gesichter hatten einen ernsten Ausdruck. Mitte des 16. Jahrhunderts handelte es sich um rund auslaufende Bärte, die Gesichter schauten freundlich und lächelten. Im 17. Jahrhundert bekamen die Auflagen fratzenhafte Züge: Der Mund war meist in Form einer liegenden Acht bzw. eines waagerechten Stundenglases geformt („hourglass“), sodass ein abschreckender Eindruck vermittelt wurde.


Bartmanntypen des 16. bis 17. Jahrhunderts 16

Neben der Dekoration mit aufgelegtem Eichenlaub nach grafischen Vorlagen des Wormser Stechers Anton Woensam (um 1500 - 1541) setzten sich runde oder ovale Wappenauflagen, Spruchbänder und Rundauflagen mit Profilköpfen und Akanthusblätter durch. Die auf dem Bauch aufgelegten Spruchbänder erinnerten mit Inschriften wie DRINCKT UND EST GOT NICHT VERGEST den Trinker daran, Maß zu halten. Häufig waren einzelne Buchstaben oder ganze Zeilen der Inschriften seitenverkehrt aufgebracht. Da viele Töpfer nicht lesen und schreiben konnten, wurden die negativ geschnittenen Matrizen falsch zusammengesetzt, falls sie brachen oder als Positiv nachgefertigt. Dadurch waren die Auflagen dann seitenverkehrt. Dies scheint aber weder die Handwerker noch die Kunden wirklich


gestört zu haben, da diese Schreibfehler nicht nur bei Fehlbränden, sondern auch bei Gebrauchskrügen belegt sind. ENTWICKLUNG IM 17. UND 18. JAHRHUNDERT Die Steigerung der Produktion einfacher Gebrauchsgefäße seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts brachte die Reduzierung der Ornamentauflagen mit sich. In Frechen entwickelten sich zu dieser Zeit zwei besondere Typen: Zum einen gab es kleine Krüge mit stark eingezogener Standfläche und birnförmigen Körper, die meist mit flüchtig ausgeführter Fratzenmaske versehen waren. Zum anderen wurden schlichte Vorratskrüge mit birnförmigem Bauch über einer abgeflachten Standfläche hergestellt. Sie waren gelegentlich mit Bartmasken, Stempeldekoren und Nummern versehen. Die Nummerierung der Krüge von 1 bis 4 stellt eine frühe Normierung dar, bei der das Fassungsvermögen in Quart (etwa drei Liter) gerechnet wurde.

Frechener Krug des 18. Jh. ARCHÄOLOGIE IN FRECHEN Bisher konnten in Frechen Reste von rund 150 Keramiköfen vom 14. bis zum 19. Jahrhundert beobachtet werden, in denen sowohl salzglasiertes Steinzeug als auch bleiglasierte Irdenware gebrannt wurden. Der 1987 geborgene Ofenkomplex in der Broichgasse blieb in situ erhalten. Konserviert, aber nicht sichtbar, ist der so genannte Frechener „Prachtofen“, der 1997 in einem Töpfereikomplex mit sechs Öfen in der Franzstraße untersucht wurde. Auch hier wurden Scherben vom 16. bis zum 19. Jahrhundert gefunden. Durch die Dichte von Werkstätten und Fabriken in Frechen und ihre über Jahrhunderte kontinuierliche Produktion von Steinzeug und Irdenware sind weitere archäologische Befunde zu erwarten. Belinda Petri, August 2006 LITERATUR ZUM THEMA: Sarna, Marion und Ulbert, Cornelius: 1 ½, 2, 3, 4 - geeichte Steinzeugflaschen aus Frechen, in: Archäologie im Rheinland 2004, Stuttgart 2005, S. 181-183


Van Hees, Christel: Baardmannen en puntneuzen, Rotterdam/Zwolle 2002 Koch, Wilfried Maria: Der Frechener Prachtofen, in: Archäologie im Rheinland 1997, Köln/Bonn 1998, S. 153-155 Gaimster, David: German Stoneware 1200-1900, London 1997 Jürgens, Antonius u.a.: Ausgegraben. Keramik aus Frechen vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert, Düren 1995 Jürgens, Antonius und Tzschoppe, Jürgen: Ein Schutzbau für historische Töpferöfen, in: Archäologie im Rheinland 1988, Köln/Bonn 1989, S. 159-162 Jürgens, Antonius: Töpferöfen in Frechen, in: Archäologie im Rheinland 1987, Köln/Bonn 1988, S. 161-163 Thwaite, Anthony: The Chronology of the Bellarmine Jug, in: The Connoisseur, 182, 1973, S. 252-262 Göbels, Karl: Rheinisches Töpferhandwerk – gezeigt am Beispiel der Frechener Kannen-, Düppen- und Pfeifenbäcker, Frechen 1971 Reineking von Bock, Gisela: Die Entwicklung der Bartmannmaske an rheinischem Steinzeug, in: KERAMOS, 34/1966, S. 30-43 Holmes, M. R.: The So-Called Bellarmine Mask on Imported Rhenish Stoneware, in: Antiquaries Journal, XXXI, 1951, S. 173-179


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