DRINCK VND EST, GOTS NIT FERGES – Lebensmittel im mittelalterlichen

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DRINCK VND EST, GOTS NIT FERGES – Lebensmittel im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Neuss. Zubereitung, Produktion und Handel

Neuss 2009



Inhaltsverzeichnis

Herbert Napp, food city neuss – Früher und heute

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Thomas Ludewig und Carl Pause, Vielfalt statt Einfalt – Speisen im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit

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Carl Pause, Bongardt und Artland – Landwirtschaft in Neuss am Ende des Mittelalters

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Jutta Meurers-Balke, Carl Pause und Silke Schamuhn, Ertzen und Reyß – Speisepflanzen in Neuss

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Hans-Peter Krull, Von gebratenem Storch und anderen Köstlichkeiten

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Georg Waldmann, Vyschereyen in dem Ryne boyven Nusse – Fisch und Fischerei im spätmittelalterlichen Neuss

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Carl Pause, Erden, Duppen vnd Schußelen – Ess- und Kochgeschirr nach den schriftlichen Quellen

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Karin Striewe, Keramikgefäße im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Neuss nach archäologischen Quellen 101 Carl Pause, Spaenverckelgen, Basteten und Gourtte in de Wurst – Was in Neuss vor 500 Jahren auf den Tisch kam

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Carl Pause, Von Röggelchen und Knappkuchen

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Sandra Schillings, Das Bier im Mittelalter – Vom Grutbier zum Hopfenbier

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Britta Spies, So sullen op sent Sebastianus Dach alle Broedere bij eynanderen essen – Essen und Trinken im Neusser Schützenwesen der Frühen Neuzeit

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Sabine Sauer, Die mittelalterliche Wasserversorgung in Neuss im Spiegel archäologischer Zeugnisse

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Carl Pause, Neusser Maßeinheiten

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Literatur

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Autoren

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Abbildungsnachweis

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Impressum

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food city neuss – Früher und heute Die Stadt Neuss ist Standort marktführender Produzenten der Ernährungsindustrie. Um auch die internationalen Verflechtungen dieses für Neuss wichtigen Gewerbezweiges zu verdeutlichen, haben wir den Slogan food city geprägt. Die Produktpalette in Neuss umfasst die Herstellung von Öl, Mehl, Zucker- und Backwaren, Sauerkraut, Fleischwaren, Geschmacksstoffen und Bier. In diesem Zusammenhang ist außerdem der Bereich der Futtermittelproduktion zu nennen. Der prozentuale Anteil der in der Lebensmittelbranche Beschäftigten liegt landesweit und im Vergleich zu Großstädten wie Düsseldorf, Köln oder Essen deutlich höher. In Neuss ist die Gegenwart stärker mit der Vergangenheit verknüpft als in den meisten anderen Städten in Deutschland. Dies bezieht sich aber nicht nur auf die römische Geschichte, die im Jahr 16 v. Chr. mit dem Bau eines römischen Heerlagers in NeussGnadental begann, sondern vor allem auch auf das Mittelalter. Die Stadt an der Mündung der Erft in den Rhein entwickelte sich nämlich vom 9. Jahrhundert an zu einem Handelsort, in dem schon Lebensmittel umgeschlagen wurden. Wichtiger Standortfaktor war – und ist, damals wie heute, – der Rheinhafen, über den ein großer Teil der Güter verhandelt wurde. Das Clemens-Sels-Museum hat sich nun zusammen mit einem Team von Wissenschaftlern auf die Suche nach den spätmittelalterlichen Wurzeln der heutigen food city neuss begeben. Auf den folgenden Seiten können Sie den Weg vom Anbau der Feldfrüchte und von der Tierzucht über die Verteilung und die Verarbeitung der Lebensmittel bis zu ihrem Konsum nachvollziehen. Es ist ungemein spannend zu entdecken, wie fast alle heutigen Sparten der Neusser Ernährungsindustrie bereits vor über 500 Jahren in der Quirinusstadt vertreten waren und oft schon damals eine überregionale Bedeutung besaßen. An erster Stelle sind hier der Getreidehandel und die vielen Mühlen zu nennen, in denen vor allem Getreide – und dies nicht nur für das Neusser Bäckergewerbe – gemahlen wurde. Mit den „Neusser Kuchen“, für die auch die Bezeichnung Knappkuchen gebräuchlich war, besaß Neuss schon damals ein Alleinstellungsmerkmal in der Region. Ähnliches gilt für die Ölmühlen, die hier seit dem 15. Jahrhundert nachweisbar sind und Produkte des Neusser Umlandes weiterverarbeiteten. Auch die Sauerkrautproduktion kann am Produktionsstandort Neuss auf eine mehrere Jahrhunderte zurückreichende Geschichte blicken. Eine historisch bedeutende Rolle spielte ebenso das Brauereigewerbe, waren es doch vor allem die Neusser Brauer, die unser heutiges Altbier, eine der regionaltypischen Spezialitäten des Niederrheins, maßgeblich mitentwickelten. An den einzelnen Beiträgen dieser Publikation wird deutlich, was den Lebensmittelstandort Neuss gegenüber seinen Konkurrenten auszeichnet: Die Kombination von Innovation und lang zurückreichender Tradition. Ich hoffe, dass diese Publikation ihren Teil dazu beitragen wird, das Wissen um die historische Bedeutung der Stadt Neuss als Standort der Ernährungsindustrie in breiteren Kreisen der Bevölkerung zu verankern und hieraus Kraft für die Aufgaben der Zukunft zu schöpfen. Allen Wissenschaftlern, die zu dieser Veröffentlichung ihren Beitrag geleistet haben, möchte ich meine Anerkennung und meinen Dank aussprechen. Allen Lesern wünsche ich eine anregende Lektüre.

Herbert Napp Bürgermeister der Stadt Neuss 5



Thomas Ludewig und Carl Pause

Vielfalt statt Einfalt – Speisen im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit DRINCK VND EST, GOTS NIT FERGES, verkündet das Spruchband auf einem Frechener Bartmannskrug des 16. Jahrhunderts, der im Clemens-Sels-Museum aufbewahrt wird (Abb. 1).1 Die heute ungewohnte Verbindung zwischen Essen und Religion, die für die Menschen vor 500 Jahren selbstverständlich war, erinnert uns daran, dass nicht nur die Speisen, sondern auch die kulturellen Rahmenbedingungen, in die das Essen und Trinken eingebunden waren, vor 500 Jahren andere waren als heute. Was und wie der Mensch isst, hängt ab von der Zeit, in der er lebt, denn nicht nur die zur Verfügung stehenden Lebensmittel und die Möglichkeiten der Lebensmittelproduktion und -zubereitung verändern sich beständig, sondern vor allem auch die Essgewohnheiten und die Sicht der Menschen auf sein Essen. Gleichwohl reichen die Wurzeln vieler unserer heutigen Ernährungsgewohnheiten bis in die mittelalterliche Vergangenheit zurück. Weit verbreitete Vorstellungen über die Ernährung im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit sind geprägt von der Ansicht, dass „Speis und Trank“ eher einfältig und knapp bemessen waren. Betrachtet man jedoch die Entwicklung im 1 Frechener Bartmannskrug mit der Umschrift DRINCK Laufe des Mittelalters aufgrund der in der vorliegenden PubliVND EST, GOTS NIT FERGES. Steinzeug, 16. Jahrhundert. kation dargestellten Quellen, dann ergibt sich ein anderes Bild. Clemens-Sels-Museum Neuss D047 Das Nahrungsangebot war in der Regel vielfältig und abwechslungsreich. Davon künden auch die mittelalterlichen Kochbücher bzw. die Sammlungen von Kochrezepten wie z. B. das buch von guter spise, das aus der Zeit um 1350 stammt. Selbstverständlich spiegeln diese Werke die feine Küche der oberen Schichten wider, denen eine enorme Bandbreite an Fleisch-, Fisch- und Gemüsesorten sowie exotischen Gewürzen zur Verfügung stand. Sogar Reis aus Italien war auf den Tafeln der damaligen Eliten eine nicht selten zu findende Speise. Der Eindruck von einer kargen Kost im Mittelalter wurde auch durch eine Fehlinterpretation von mittelalterlichen Kunstwerken, die Speiseszenen darstellen, beeinflusst. Die Gemälde und Grafiken zeigen stets eine spärlich gedeckte Tafel mit wenigen Speisen, was selbst für die wiedergegebenen Szenen der Mahlzeiten und Festmähler in den begüterten Kreisen zutrifft. Was allerdings als karg erscheint, erklärt sich aus einer anderen Esskultur. Statt wie in der Gegenwart alle Speisen zugleich aufzutischen, trug man sie im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit nacheinander auf. So gab es stets verschiedene aufeinander folgende Fleisch- und Gemüsegänge. Nur Brot und Getränke standen während der gesamten Mahlzeit zur Verfügung.2 Aber selbst breitere Schichten, zu denen die Handwerker gehörten, hatten zwischen dem 13. und 17. Jahrhundert Lebensmittel in ausreichenden Mengen zur Verfügung. Zeitweise waren im Mittelalter die Lebensmittel sogar im reichen Überfluss vorhanden. Zudem war auch ihr Speiseplan sehr abwechslungsreich. Belege dafür sind z.B. die Speise- und Luxus-

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Inv. D047 Siehe Kühnel 1996, 231; Boockmann 1987, 71

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ordnungen. Letztere beschränkten Festessen der Bürger und der Bauern bezüglich der Anzahl der Gäste und der Gänge. Erstere grenzten dagegen die Herrenspeise vom Essen der gemeinen Leute ab, um die Exklusivität mancher Speisen zu wahren.3 Die Vielfalt und Reichhaltigkeit rührt auch daher, dass im Mittelalter eine weit größere Anzahl heimischer Pflanzen als Nahrung genutzt wurden, und dass man sie auf ganz unterschiedliche Weise zubereitete. Das gilt ebenfalls für das Nahrungsmittel Fleisch. Neben Rind, Schwein, Schaf und Ziege verspeiste man ferner Spatzen, Stare, Störche, Singvögel, Eichhörnchen oder Siebenschläfer. Aber auch die Zubereitung aller verwertbaren Fleischteile und Innereien – vor allem wurden in der oberschichtlichen Küche weniger gutes Fleisch und Innereien z. B. für raffinierte Pastetenspeisen verwendet – trug zur Speisenvielfalt bei. Darüber hinaus wurden die Speisen durch Gewürze oder durch Färben mittels pflanzlicher Farbstoffe immer wieder verändert, um zu überraschen und den Speiseplan möglichst abwechslungsreich zu gestalten.4 Der Erfindungsreichtum bezüglich der Speisezubereitungen wurde im Mittelalter offensichtlich auch durch die zahlreichen kirchlichen Fasttage beflügelt. Denn es gab über 100 Fasttage im Jahr – darunter die Tage des Advents, an denen man sich früher fastend auf die Ankunft des Erlösers vorbereitete. Da in den Fastenzeiten jedoch zahlreiche Speisen verboten waren, versuchte man die erlaubten Speisen möglichst vielfältig zuzubereiten, um trotzdem einen abwechslungsreichen Speiseplan zu gestalten. Abgesehen von Hungerperioden, hervorgerufen durch Missernten oder andere Ereignisse, war die Ernährungssituation im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit insgesamt betrachtet also eine sehr gute. Sie war vor allem eine wesentlich bessere als in der Epoche des 18. und 19. Jahrhunderts. Auch war der Fleischkonsum – selbst in den ärmeren Schichten – wesentlich höher als heute und vor allem höher als im 18. und 19. Jahrhundert. Zuweilen wurden im Mittelalter pro Kopf bis zu 100 kg Fleisch im Jahr verzehrt, um 1800 waren es in Deutschland dagegen nur etwa 25 kg.5 Heute liegt der Verbrauch in Deutschland bei etwa 60 kg Fleisch pro Kopf. Allerdings gab es im Mittelalter, wie dies auch jetzt noch der Fall ist, regionale und soziale Unterschiede. Gerade zu Beginn des Mittelalters war der Fleischkonsum sehr hoch. Wegen der geringen Bevölkerungsdichte standen große Flächen als Weiden zur Verfügung. Auch war die Jagd noch nicht nur dem Adel vorbehalten, so dass man im frühen Mittelalter eine ausgesprochene Fleischkost zu sich nahm, was für alle Bevölkerungsschichten zutraf. 6 Demgegenüber war das Angebot an pflanzlichen Lebensmitteln bis ins 11. und 12. Jahrhundert eher eintönig. In der Regel kam nur die dünne Oberschicht, zu der der mittlere und hohe Adel sowie die Patrizier und z. T. auch die Nonnen und Mönche wohlhabender Klöster gehörten, in den Genuss eines reichhaltigen Speiseplans, der oft noch von der römischen Küche beeinflusst war. Die Masse des Volkes musste sich hingegen – und dies trifft auch weitestgehend auf die Stadtbewohner zu – durch Ackerbau und Viehhaltung mit Nahrungsmitteln selbst versorgen. Im Wesentlichen gab es daher eine Kost, die, wie erwähnt, aus viel Fleisch sowie aus Milch und Getreidebreien bestand, die man mit Wildkräutern würzte oder mit Honig süßte. Im Hochmittelalter veränderte sich dann das Nahrungsangebot. Durch eine Klimaverbesserung und in Folge des Bevölkerungswachstums begann sich auch die mittelalterliche

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Vgl. Kühnel 1996, 214f Vgl. Kühnel 1996, 201-204 Siehe Hennig 1985, 50 Vgl. Dülmen 1995, 68 -74


2 Ansicht der Stadt Neuss von Osten (Ausschnitt), 1575. Kolorierter Kupferstich nach Braun und Hogenberg 1575 -1617. Clemens-Sels-Museum Neuss, Slg. Rabe

Küche zu verändern. So konnten im Laufe des 11. und 13. Jahrhunderts zunehmend mehr und unterschiedliche Getreide- und Gemüsesorten angebaut werden. Hinzukam, dass die Weideflächen nicht mehr ausgereicht hätten, um die wachsende Bevölkerung auf dem früheren Niveau mit Fleisch zu ernähren. Daher sank der Fleischkonsum, während der Anteil pflanzlicher Nahrung deutlich stieg. Die Ernährung wurde nun zu einer Getreidekost, und man ging dazu über, vier Mahlzeiten am Tag einzunehmen. Aus dem gemahlenen Getreide kochte man nun Breie, die in manchen Regionen zur Hauptnahrung wurden. Häufig röstete man diese Breie zu Fladenbroten, die jedoch schnell sehr hart wurden. Um die Fladen essen zu können, musste man sie zuvor mit Wasser aufweichen. Erst durch die Zugabe von Backtriebmitteln wie Hefe oder Sauerteig konnte Brot im heutigen Sinne gebacken werden. Daher war es zuerst eine exklusive Herrenspeise. Ergänzt wurde die Nahrung durch Obst, Gemüse und Wildpflanzen. Zur Steigerung der Produktion von pflanzlichen Lebensmitteln trugen die hochmittelalterlichen Innovationen bei wie der Eisen- und Räderpflug, die Sense, die Windmühle, die Dreifelderwirtschaft sowie die Bearbeitung der Felder mit Pferden, die eine schnellere Bearbeitung der Äcker ermöglichten. Das Nahrungsangebot wurde nun üppiger und vielfältiger. Nicht zuletzt konnte dadurch die Bevölkerung wiederum stetig wachsen, und die Gesellschaft begann sich zu spezifizieren. Die Arbeit wurde nun weniger auf die Selbstversorgung hin ausgerichtet, sondern konnte sich auf bestimmte Tätigkeiten konzentrieren. So entstanden vor allem in den Städten die Handwerksberufe – unter ihnen nun auch Spezialisten für die Nahrungsmittelproduktion wie Bäcker, Fleischer und Bierbrauer.7 Im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit verschlechterte sich in Folge einer Klimaabkühlung vom 14. bis ins 17. Jahrhundert zeitweise die Ernährungssituation. Jedoch trugen Epidemien wie die Pest und Kriege, die die Bevölkerung dezimierten, dazu bei, dass sich die Versorgung mit Lebensmitteln für die Überlebenden wiederum verbesserte. Insbesondere stieg der Fleischkonsum wieder an, da viele Felder nicht mehr bearbeitet werden konnten und deshalb in Weiden umgewandelt wurden. Der jährliche Fleischverbrauch stieg so – wie bereits erwähnt – auf etwa 100 kg pro Kopf. Ferner verloren im Spätmittelalter die Getreidebreie an Bedeutung, während das Brot, das noch im Hochmittelalter eine Herrenspeise war, zu einem der wichtigsten Lebensmittel aller Schichten wurde, da immer mehr Menschen sich dieses Nahrungsmittel leisten konnten. Obwohl das Brot nun für alle Schichten erschwinglich war, wurde es auch an den Adelshöfen in großen Mengen

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Vgl. Borst 1983, 330; Dülmen 1995, 68-74

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gegessen: Hier war es selbstverständlich das feine Weißbrot aus Weizen, während die Masse der Bevölkerung Roggenbrot und ärmere Schichten sogar Brot aus Gerste oder Hafer aßen. Brot reichte man praktisch zu allen Mahlzeiten und Speisen.8 Weiterhin nahm der bereits im Hochmittelalter intensivierte Handel mit Lebensmitteln auch aus fernen Ländern im ausgehenden Mittelalter enorm zu. Dies steht im Zusammenhang mit der Ausweitung des Handels durch die Hanse, die Genuesen und Venezianer. Auch der Aufstieg der neuen Handelsnationen, der Königreiche Portugal und Spanien und später der Grafschaft Holland, förderte eine frühe Globalisierung, die nicht nur die Narhungsgewohnheiten der oberen Schichten veränderte.

Würzige Speisen – Eine Besonderheit des Mittelalters In der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Esskultur spielten Gewürze eine hervorgehobene Rolle. Zunächst waren es die heimischen Kräuter, mit denen die Speisen aromatisiert wurden. Bereits im frühen Mittelalter standen aber den oberen Schichten, die seit der Antike auch im nordwestlichen europäischen Raum bekannten exotischen Gewürze wie Pfeffer, Ingwer, Zimt usw. zur Verfügung. Dabei versuchte die mittelalterliche Küche mit den Gewürzen nicht den Eigengeschmack der jeweiligen Lebensmittel zu unterstützen, sondern diesen bewusst zu verändern. Auch war man bemüht, gegensätzliche Geschmacksrichtungen zu erzeugen. So waren die Speisen vielfach süß und sauer oder würzig und süß. Zudem dominierten die Gewürze die Speisen, da man wesentlich größere Gewürzmengen zu den Speisen gab als z. B. heute. Dies galt sowohl für die Küche der oberen als auch für die der mittleren Schichten. Selbstverständlich war allerdings der Gewürzkonsum bei den Wohlhabenden wesentlich höher. So verbrauchte z. B. Hermann van Goch, einer der reichsten Kölner Bürger, laut Rechnungsbuch zwischen 1391 und 1394 jährlich 15 Pfund Ingwer, 12 Pfund Pfeffer, ein Viertel Pfund Muskatblüte, zwei Pfund Safran und etwa sechs Pfund Zimt. Der durchschnittlich Pro-Kopf-Verbrauch der Kölner Einwohnerschaft lag dagegen 1491 bei 100 g Pfeffer, 45 g Ingwer, 3,3 g Gewürznelken, 2,6 g Macis, 1,8 g Muskatnuss, 2 g Zimt und 0,8 g Safran. Und selbst fronenden Bauern oder den in den Hospitälern lebenden Armen standen nicht selten Pfeffer, Ingwer und andere Spezereien zur Verfügung. Vergleicht man diese Mengen mit dem heutigen Gewürzkonsum, dann wird deutlich, wie anders der Geschmack im Mittelalter war: Derzeit liegt der Pro-Kopf-Verbrauch bei 64 g Pfeffer und 44 g für sonstige Gewürze und damit deutlich unter dem des Mittelalters.9 Der enorme Gewürzkonsum, der auch für die mittleren und teilweise auch für die unteren Schichten festgestellt werden kann, stand im Zusammenhang mit der Globalisierung der Welt seit dem 15. Jahrhundert. Denn mit der Ausweitung des Handels und mit den Entdeckungen der Seewege wurden auch die begehrten Gewürze für viele erschwinglich. Während z. B. der Pfeffer in der Antike sehr wertvoll war, wurde er im späten Mittelalter zu einem preiswerten Gewürz, das sich breite Bevölkerungsschichten leisten konnten. Da Pfeffer seine Exklusivität verloren hatte, versuchten sich die oberen Schichten dadurch abzugrenzen, indem sie kaum noch auf den preiswerten Pfeffer zurückgriffen, sondern stattdessen teurere Gewürze für ihre Speisen verwendeten. 10

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Vgl. Krug-Richter 1997, 71- 90; Laurioux 1999, 16; Rösener 1985, 259f Vgl. Kühnel 1996, 214f; Kühnel 1994, 16 u. 22 Vgl. Kühnel 1997, 29 f; Laurioux 1999, 35 -38


Neben der Globalisierung gab es noch weitere Gründe für die Vorliebe, in der Küche reichlich Gewürze zu verwenden. Zum einen war es die Möglichkeit, die Speisen mit den Spezereien konservieren zu können. So verhindern die in den Gewürzen enthaltenen Phenole und Bitterstoffe die Ausbreitung von Schädlingen, das Ranzigwerden von Fett und das schnelle Verderben von Fleisch. Die landläufige Vorstellung, dass man im Mittelalter mit den großen Gewürzmengen viele Speisen wie das Fleisch erst genießbar machte, da sie häufig verdorben waren, ist aber schlichtweg falsch. Im Mittelalter waren die Lebensmittel vielmehr frisch. Dies trifft auch für das Fleisch zu, da man es nach dem Schlachten recht schnell aß und die nicht sofort verbrauchten Teile mit Salz konservierte. Auch ist die Annahme, dass die muslimische Küche, mit der die Kreuzfahrer in Kontakt kamen, die Küche des Abendlandes beeinflusste, nicht richtig, da die Gewürze hier ganz anders verwendet wurden und die Westeuropäer die Gewürze bereits seit der Antike kannten und nie aufgehört hatten, sie zu verwenden. Die Vorliebe, im Mittelalter die Speisen mit zahlreichen Gewürzen zu aromatisieren, stand dagegen im unmittelbaren Zusammenhang mit medizinischen, philosophischen und religiösen Vorstellungen, die die Nahrungsgewohnheiten beeinflussten. Die Zubereitung und Auswahl der Speisen, das starke Würzen, sowie die Abfolge der einzelnen Gänge war zum größten Teil bestimmt von der aus der Antike stammenden medizinisch-philosophischen Lehre von den vier Elementen. Diese – Feuer, Wasser, Erde, Luft – waren körperlichen Zuständen wie Wärme, Feuchtigkeit, Trockenheit und Kälte zugeordnet. Damit nach dieser Vorstellung das Leben gedeihen und die Gesundheit erhalten bleiben konnte, musste ein Ausgleich der Elemente und somit der Körperzustände erreicht werden. Dies konnte u. a. durch das richtige Speisen geschehen. Mit dieser Komplexionslehre wurde also ein direkter Zusammenhang zwischen Heilkunst und Kochkunst hergestellt, was sich maßgeblich auf die Esskultur auswirkte. In diesem Sinne wurden die Speisen im Mittelalter viel mehr als heute unter dem Aspekt der gesundheitlichen Vorbeugung gesehen. Besonders in Zeiten von Seuchen waren die Speiseempfehlungen auch Teil der medizinischen Prophylaxe und Therapie.11 Schon im Frühmittelalter gibt es daher von der Antike beeinflusste Empfehlungen, wie die Speisen richtig zuzubereiten sind, damit sie nicht nur gut verdaut werden können. So sollten sie gut gekocht und häufig mit Essig und reichlich Gewürzen versehen sein. Solche Empfehlungen setzen sich im Laufe des Mittelalters verstärkt fort. Insbesondere betonten die Ärzte des Mittelalters die medizinischen Eigenschaften der Gewürze, die entsprechend der Lehre von den körperlichen Grundsäften als heiß und trocken und damit als verdauungsfördernd und als gesund angesehen wurden. Diese Ansicht führte dann dazu, dass jedes Gericht reichlich und mit unterschiedlichen Spezereien aromatisiert wurde. Und tatsächlich hat eine typische Sauce des Mittelalters, die beispielsweise aus Knoblauch, Pfeffer und Ingwer bestand, eine erhebliche antibiotische Wirkung. Zudem fanden die Gewürze als Heilmittel bei Krankheiten Anwendung. So ist z. B. Pfeffer antiseptisch, weswegen er bei entzündlichen Krankheiten und Erkältungen eingesetzt wurde. Zimt half dagegen bei Krämpfen, Kopfschmerzen und Neuralgien, während Gewürznelken bei Zahnschmerzen und Koliken Anwendung fanden.12 Der Zusammenhang von Gesundheit und Essen wird auch dadurch gestützt, dass die Gewürzhändler im Mittelalter in der Regel gleichzeitig Apotheker waren. Sie verkauften neben heimischen Würzkräutern, die ebenfalls häufig als Heilpflanzen dienten, auch exotische Gewürze.

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Siehe Kühnel 1996, 229 ff Bitsch 1997, 129 ff; Borst 1983, 335; Küster 1997; Ludewig 1999

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Förderlich für das Verlangen nach Gewürzen war aber auch die Vorstellung, dass die aus fernen, geheimnisvollen Ländern stammenden Spezereien in der Nähe des verlorenen irdischen Paradieses wuchsen. Dies kann man gelegentlich auf alten Karten sehen, auf denen die Herkunftsländer der Gewürze an das jeweils eingezeichnete Paradies angrenzen. Und nicht von ungefähr wurden auch die pfefferähnlichen Früchte aus Afrika, deren Herkunft lange Zeit völlig unbekannt war, als Paradieskörner bezeichnet. Mit der Verwendung von Gewürzen konnte man also nicht nur der Gesundheit dienen – durch die stark gewürzten Speisen konnte man sich auch ein Stück des verlorenen irdischen Paradieses einverleiben.13

Gewürzhandel und -verarbeitung in Neuss14 Auch im mittelalterlichen Neuss spielten der Gewürzhandel und die Gewürzverarbeitung eine bedeutende Rolle. So belegt ein Eintrag im Totenbuch von St. Quirin, dass es in der Stadt eine Gewürzhändlerin (venditrix specierum) mit dem Namen Gertrud gab. Der Eintrag am 31. Januar hält fest, dass die 1421 verstorbene und ganz offensichtlich wohlhabende Gertrud dem Münster zwei Häuser stiftete. Außerdem muss es in Neuss vor 1421 bereits eine Apotheke gegeben haben, die einem gewissen Lambert gehörte, wie ebenfalls aus dem Totenbuch hervorgeht. Entsprechend des mittelalterlichen Wortgebrauches handelte es sich bei den Apotheken eher um Krämerläden, in denen neben einheimischen Heilkräutern auch exotische Pflanzen verkauft wurden, die als Arznei und Gewürz Verwendung fanden. Eine weitere Nachricht, dass in Neuss mit Gewürzen wohl in einem größeren Umfang gehandelt wurde, erhalten wir wiederum aus dem 15. Jahrhundert. Der Herzog von Berg ließ nämlich 1440 in der Quirinusstadt Gewürze für seinen Hof kaufen. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang ferner der Krämeramtsbrief von 1509, der festlegte, mit welchen Dingen die Kaufleute in Neuss handeln durften. Interessanterweise werden an erster Stelle Pfeffer, Ingwer und allerlei gekruide genannt. Auch kann man der Quelle entnehmen, dass es in dieser Zeit Händler gab, die ausschließlich Gewürze feilboten. Ihre Läden werden im Krämeramtsbrief als krauthuiseren bezeichnet. Aufschlussreich sind darüber hinaus die Rechnungen des Gasthauses zum Heiligen Geist, in dem man um 1580 etwa 16 Arme verköstigte. Die Dokumente enthalten Angaben, welche Gewürze für die Zubereitung der Speisen zur Verfügung standen. An erster Stelle werden Pfeffer und Ingwer genannt. Darauf folgen Kapern, Safran, Kümmel, Nelken und Kaneel. Ebenso kamen in die vom Hospital fabrizierte Wurst zwei Lot Pfeffer. Dies zeigt, wie vielfältig das Angebot exotischer Gewürze bereits damals in Neuss war, und dass nicht nur die oberen Schichten die Spezereien genießen konnten. Selbstverständlich waren die Mengen der Gewürze im Hospital nicht mit denen in der Küche der wohlhabenden Bürger zu vergleichen. Die Vorliebe für Gewürze belegen in Neuss noch andere Quellen. So mussten die Pachthöfe des Stiftes St. Quirin und der weiteren Klöster einen Teil der Abgaben bis ins 18. Jahrhundert in Gewürzen leisten. Neben Muskat und Ingwer wurde wiederum vor allem Pfeffer verlangt. Ein Pfund Pfeffer war zum Ende des 16. Jahrhunderts etwa so viel wert wie 16 Pfund Rindfleisch.

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Laurioux 1999, 39 f Siehe zu diesem Abschnitt Ludewig 2001, 186 -195; Ludewig/Pause 2009, 12 -18


Rückschlüsse auf die Bedeutung des Handels und die Verarbeitung von Gewürzen sind für Neuss auch auf Grund folgender Tatsache möglich. Seit dem 15. Jahrhundert lässt sich hier eine bedeutende Produktion von Leb- bzw. Honigkuchen nachweisen. Die Kuchenbäckerei wurde in der Regel von den Gewürzhändlern oder Apothekern betrieben. Leider sind die einzelnen Gewürze, die man in Neuss dem Teig beimengte nicht bekannt. Im allgemeinen verwendete man im Mittelalter jedoch für die Herstellung der Kuchen Zimt, Gewürznelken, Muskat, Kardamom und Pfeffer. Die Herstellung dieses Gebäcks war in Neuss im ausgehenden Mittelalter und in der Frühen Neuzeit beträchtlich. So versteuerten die Kuchenbäcker – von denen es 1509 15 Meister gab, darunter auch Frauen wie Stine und Cecilie Pauwels oder Kathringen zum Roß – z. B. 1501 250 Malter Roggen, die sie für das Backen benötigten. Dies entspricht mehr als 26 Tonnen Mehl. Wie groß die hinzugefügte Gewürzmenge war, lässt sich nicht beantworten. Rezepte aus dem 19. Jahrhundert belegen, dass auf 1 kg Mehl etwa 180 g Gewürze kamen. Wegen der Tendenz im Mittelalter, die Speisen kräftiger zu würzen, dürfte die Menge der Spezereien höher gewesen sein. Auf die Produktion von 1501 bezogen dürfte der Gewürzverbrauch bei mindestens 4,7 t gelegen haben, wenn man –vorsichtig geschätzt –, die Gewürzmengen des 19. Jahrhunderts zugrunde legt. 1582/83 wurden sogar 52 t Mehl zu Leb- oder Honigkuchen verarbeitet, denen demnach mindestens 9,4 t Gewürze beigemengt worden sein dürften. Die Produktion dieser Neusser Spezialität steht in Zusammenhang mit der Quirinuswallfahrt. Lebkuchen waren ein begehrtes und wohlschmeckendes Dauergebäck, das die Pilger als Reiseproviant erwarben. Vielfach wurde der Neusser Kuchen aber auch als Spezialität im Umland und sogar in Köln verkauft. Selbst der Herzog von Berg bestellte mehrfach das Gebäck für seinen Hof, das man auch gern den Ehrengästen der Stadt Neuss als Geschenk überreichte. Zuweilen mussten Neusser Höfe einen Teil ihrer Pacht in Form von Pfefferkuchen entrichten. So ließ sich das Kloster Kamp den Neusser Kuchen als Abgabe liefern. Was aßen die Menschen in Neuss vor 500 Jahren? Die Frage, was und wie die Menschen in Neuss vor 500 Jahren aßen, ist ohne umfangreiche Recherchen nicht zu beantworten, denn Kochbücher oder Speisepläne des späten Mittelalters oder der Frühen Neuzeit sind aus der Quirinusstadt nicht überliefert. Die schriftlichen Aufzeichnungen dieser Zeit – überwiegend Urkunden – beschäftigen sich nämlich mit dem, was aus Sicht der damaligen Menschen wichtig war, d. h. vor allem mit Rechtsgeschäften wie Verkäufen, Verpachtungen oder Schenkungen. Die Zubereitungsweise eines Erbseneintopfs oder der Ablauf eines gewöhnlichen Abendessens gehörten nicht dazu. Hinweise auf Speisen finden sich in den Dokumenten eher beiläufig. Informationen über die vor 500 Jahren in Neuss gegessenen Speisen liefern aber nicht nur die Schriftquellen, sondern vor allem auch die in den letzten Jahrzehnten in Neuss durchgeführten archäologischen Ausgrabungen, bei denen nicht nur Keramikfragmente, sondern auch Tier- und Pflanzenreste sowie Kochstellen zu Tage traten.

Die Quellen Hinweise auf Lebensmittel finden sich in den schriftlichen Überlieferungen des 15. und 16. Jahrhunderts aus Neuss zumeist nur indirekt. Für die Zeit davor ist die Quellensituation deutlich schlechter, da ein großer Teil der Dokumente aus der Zeit vor dem 15. Jahrhundert während der vielen kriegerischen Wirren, die die Quirinusstadt im Lauf ihrer Geschichte durchleiden musste, verloren ging. Eine der wichtigsten Quellen für die Ernährung der Menschen in Neuss sind die Rechnungsbücher des Gasthauses zum Heiligen Geist, bei dem es sich nicht um eine Gaststätte, 13


3 Gewürzrechnung von 1572 aus dem adligen Damenstift St. Quirin. Pfarrarchiv St. Quirin

sondern um das Hospital der Stadt handelt. Das Gasthaus, aus dem im 19. Jahrhundert das heutige Lukaskrankenhaus hervorging, besaß einen weit gefassten Aufgabenbereich: In der karitativen Einrichtung wurden nicht nur Kranke, sondern auch Arme und Alte, die sich nicht mehr von ihrer Hände Arbeit ernähren konnten und keine Angehörigen besaßen, die sie pflegen konnten, medizinisch betreut und versorgt. Das Hospital wurde von einem Gasthausmeister verwaltet, der über die Einnahmen und Ausgaben der Einrichtung Rechenschaft ablegen musste. Die zu diesem Zweck geführten Rechnungsbücher sind im Neusser Stadtarchiv zwar erst vom Jahrgang 1581 an erhalten, liefern aber eine Fülle von Informationen, die sich insbesondere auf die für die Versorgung der Bedürftigen gekauften Lebensmittel und die Bewirtschaftung der Ländereien des Hospitals beziehen. Einige der Dokumente im Pfarrarchiv St. Quirin in Neuss enthalten ebenfalls Angaben zu Lebensmitteln und Speisen: Im Herbst 1572 reiste ein Gesandter des Quirinusstiftes nach Boppard, um die dortigen Weinberge des Stiftes zu inspizieren. Die während dieser Reise getätigten Ausgaben wurden in einem umfangreichen Spesenbuch festgehalten und geben Einblicke in die Speisen der Reisenden und ihrer Gäste, die der sozialen Oberschicht ihrer Zeit zuzurechnen sind. Aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts stammen drei Rechnungen, in denen die Speisen aufgelistet sind, die im Stift St. Quirin bei den Feierlichkeiten zur Wahl einer neuen Äbtissin auf den Tisch kamen (Abb. 3). Da bei den Festivitäten nicht nur die adligen Stifts14


damen, sondern auch honorige Gäste anwesend waren, geben die Rechnungseinträge in erster Linie Auskunft über die Festtagsspeisen der städtischen Oberschicht. Hinweise auf Lebensmittel und ihren Konsum liefern auch die Neusser Stadtrechnungen und Akziseordnungen, denn viele ihrer Einträge beziehen sich auf die Einfuhr von bzw. den Handel mit Getreide, Fleisch oder Hülsenfrüchten. Ebenso enhalten sie Rechnungen für die Bewirtung bei feierlichen Anlässen der Stadt. Konkrete Speisen nennen die Amtsbriefe, d. h. die Zunftordnungen der Neusser Handwerker, die – wohl um Exzessen vorzubeugen – jeweils die Speisenfolge bei der Einführung eines neuen Zunftmeisters vorschreiben. Trotz ihrer verhältnismäßig großen Anzahl liefern die Schriftquellen aber nur ausschnitthaft Informationen über die Ernährung der damaligen Menschen und bedürfen der Ergänzung durch weitere Quellen, unter denen die Hinweise aus archäologischen Ausgrabungen eine zentrale Rolle spielen: In vielen der zahlreichen, mit Abfall verfüllten Brunnen- oder Kloakenschächten, die in den letzten 40 Jahren in Neuss untersucht wurden, haben sich unter Luftabschluss 4 Freigelegte spätmittelalterliche Fasskloake aus dem Klarissenkloster Reste von Speisepflanzen – vor allem Samen – erhalin Neuss ten, die die Angaben in den Schriftquellen ergänzen und oft auch korrigieren und so ein deutlicheres Bild von den mittelalterlichen Lebensmitteln in Neuss ermöglichen (Abb. 4). Es ist vor allem das Verdienst des Neusser Biologen Karl-Heinz Knörzer, diese Informationen verfügbar gemacht zu haben. Als einer der Pioniere auf dem Gebiet der Archäobotanik untersuchte er in den 1960er bis 1990er Jahre eine große Menge pflanzlicher Reste aus Neuss. Die Untersuchungen werden heute vom Labor für Archäobotanik der Universität zu Köln fortgeführt. Bei den Ausgrabungen, die insbesondere von der Neusser Bodendenkmalpflege seit der Mitte der 1980er Jahren durchgeführt wurden, kamen nicht nur Pflanzenreste, sondern auch Tierknochen in großen Mengen ans Tageslicht. Hans-Peter Krull hat diese Knochen in langjähriger Arbeit untersucht und stellt hier erstmals zusammenfassend seine Ergebnisse vor, die überwiegend die Aussagen aus den Schriftquellen bestätigen, teilweise aber auch völlig neue Zusammenhänge aufzeigen. Eine besondere Bedeutung in der Ernährung der Menschen vor 500 Jahren nahmen aufgrund der kirchlichen Fastengebote die Fische ein. Da Fischreste in archäologischen Ausgrabungen meist unterrepräsentiert sind, ist eine Rekonstruktion der in Neuss verspeisten Fischarten derzeit nur über die Auswertung von Schriftquellen möglich.

Die Rekonstruktion von Speis und Trank Die Zubereitung der Speisen wurde durch die vorhandenen technischen Möglichkeiten zu kochen, zu braten und zu backen sowie durch das vorhandene Instrumentarium an Koch-, Vorrats- und Essgeschirr begrenzt. Die schriftlichen und die archäologischen Quel15


len liefern unterschiedliche Informationen darüber, welches Geschirr benutzt wurde, und erlauben letztlich nur durch ihre Gegenüberstellung ein schärferes Bild von der Ausstattung der Neusser Küchen im 16. bis 17. Jahrhundert. Lässt sich anhand der archäologischen und schriftlichen Quellen noch recht gut rekonstruieren, welche Lebensmittel in Neuss verzehrt und mit welchen Gerätschaften sie zubereitet wurden, so sind einzelne Gerichte und Speisenabfolgen deutlich schwieriger zu eruieren und letztlich nur über die Hinweise aus den Schriftquellen zu erschließen. Diese zeichnen aber ein erstaunlich vielfältiges Bild von der Neusser Ernährung im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit; insbesondere geben sie Einblicke in die Festtagskultur der damaligen Zeit. In der Neusser Lebensmittelwirtschaft spielten die Brot- und Kuchenbäckerei sowie die Bierbrauerei eine besondere Rolle. Brot war eines der Grundnahrungsmittel der damaligen Menschen. Eine herausragende Bedeutung auch in ökonomischer Hinsicht nahm die Kuchenbäckerei ein, da ihre Produkte auch außerhalb von Neuss verkauft wurden. Seit dem Hochmittelalter wird in Neuss Bier gebraut, wobei die Quirinusstadt in der Entwicklung des niederrheinischen Bieres eine führende Rolle einnahm und als eine der Vaterstädte des heutigen Altbieres gelten kann. Bei der Behandlung der Ernährung des 15. bis 17. Jahrhunderts darf ein Lebensmittel nicht außer Acht gelassen werden, das bis heute eine überaus wichtige Rolle für den Menschen spielt – das Wasser! Zum Thema Wasserversorgung hat die Bodendenkmalpflege eine Fülle an Quellen erschlossen, die die schriftlich überlieferten Informationen ergänzen und so eine gute Erschließung dieses Themas ermöglichen. Und was wäre letztlich eine Behandlung des Themas Essen und Trinken in Neuss ohne Berücksichtigung des Neusser Schützenfestes, das noch heute das gesellschaftliche Leben in der Quirinusstadt bestimmt und bei dem traditionell in festlichem Rahmen gegessen und getrunken wird?

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Carl Pause

Bongardt und Artland – Landwirtschaft in Neuss am Ende des Mittelalters Die Beschaffung der tagtäglich benötigten Lebensmittel nahm im Leben der Menschen des 15. und 16. Jahrhunderts einen größeren Raum ein als heute, denn weit über die Hälfte ihres Einkommens mussten Handwerker oder Händler für die Ernährung ausgeben. In einer Zeit, in der der Güteraustausch mit Pferd, Wagen, Boot oder Segelschiff vonstattenging, waren der überregionalen Versorgung größerer Bevölkerungsteile mit Lebensmitteln enge Grenzen gesetzt. Missernten, Teuerungen oder auch Kriege und Naturkatastrophen störten häufig den Lebensmittelhandel empfindlich oder brachten ihn gar zum Erliegen. Die Selbstversorgung mit Lebensmitteln nahm daher auch in den Häusern der städtischen Handwerker, Händler und Kaufleute eine wichtige Rolle ein. Neuss war im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit – wie übrigens fast alle Städte in Deutschland – eine stark landwirtschaftlich geprägte Ackerbürgerstadt. Bereits ein Blick auf die 1586 von Braun und Hogenberg veröffentlichte Ansicht der Stadt Neuss (Abb. 5) lässt erkennen, dass große Teile der Grundstücke innerhalb der Stadtmauern als Gartenland genutzt wurden. Ein im Jahr 1580 niedergeschriebener Pachtvertrag für ein erb vnd hauß gleghen bynnen Neuß, vf der Nederstraissen, zum kaiser gnandt an der heutigen Niederstraße 43 gibt detaillierte Einblicke in die Nutzung einer solchen Parzelle. Das Grundstück des Hauses zum Kaiser reichte von der Niederstraße bis an den heutigen Hamtorwall: Direkt an der Niederstraße stand das Hauptgebäude, das vur hauß.1 Dahinter befanden sich ein middel gehauß mit einem klein kellerghen, eine scheurenn (Scheune), ein koestall und ein pfertzstall. Auf dem Grundstück gab es ferner einen grashoue, d. h. eine kleine Wiesenfläche,2 einen steinwech (einen gepflasterten Weg), einen hindersten bongardt 3 (und daher wohl auch einen vorderen Bongard bzw. Obstgarten), einen hoppenn garthen (Hopfengarten), einen wingartt (Weingarten) und diverse fruchtenn so jetzt vf dem Lande geseet, also einen Gemüsegarten. Die Vedute von Braun und Hogenberg zeigt, dass auch die Feldmark, das von der Erft bei Grimlinghausen bis zum Kaarster Broich und vom Rhein bis zur Bauerbahn bei Büttgen reichende Land vor den Toren der Stadt, landwirtschaftlich genutzt wurde (Abb. 6). Zu erkennen sind eine Vielzahl an Feldern, Gärten und Weideflächen. Die Feldmark wurde nicht nur von den vor den Toren der Stadt liegenden Höfen bewirtschaftet. Auch viele Neusser Bürger, zu denen die städtische Oberschicht ebenso wie die ein-

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5 Hausgärten an der Niederstraße in Neuss, Ausschnitt aus der Stadtansicht von Braun und Hogenberg. Kolorierter Kupferstich 1588. Clemens-Sels-Museum Neuss, Slg. Rabe

6 Wiesen und Äcker im Neusser Burgbann, Ausschnitt aus der Stadtansicht von Braun und Hogenberg. Kolorierter Kupferstich 1588. Clemens-Sels-Museum Neuss, Slg. Rabe

StA Neuss AB.02/01 / 1580 Oktober 2; vgl. Pause/Sauer 2007, 19 ff grashof, m., älter auch grasehof (s. u.). 1) ein im hof oder in seiner nähe gelegener, meist mit obstbäumen bestandener grasplatz, der als viehweide oder lustgarten verwendet wird, Deutsches Wörterbuch 1854 -1960, Bd. 8, 1974 Bongert, Bongard oder Bomgart: Baumgarten, Obstgarten

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7 Pachtvertrag für den Lövelinger Hof in Neuss-Holzheim von 1482, Eintrag im Schöffenbuch der Stadt Neuss. Stadtarchiv Neuss

fachen Handwerker gehörten, bestellten hier schon mindestens seit dem 14. Jahrhundert Gärten und Felder.4 Im späten Mittelalter und in der Frühen Neuzeit war die Landwirtschaft im Neusser Raum schon sehr spezialisiert und keineswegs nur auf die Eigenversorgung ausgerichtet. Einen guten Einblick in die Bewirtschaftung eines größeren bäuerlichen Anwesens in der Region gibt ein im Stadtarchiv Neuss aufbewahrter Pachtvertrag für den Lövelinger Hof aus dem Jahr 1492 (Abb. 7).5 Der Vorgänger des heutigen Steinshofs in Neuss-Holzheim wurde in jenem Jahr für zwölf Jahre einem Halbpächter oder Halfen und seiner Frau überlassen, die die Hälfte der landwirtschaftlichen Erträge als Pacht an den Grundherren abführen mussten. Das zum Hof gehörende Artlandt (Ackerland) sollte laut Vertragsvereinbarung mit Getreide, und zwar mit halff rogge jnd halff hauer bestellt werden. Auch die Größe der mit Roggen und Hafer bestellten Ländereien wurde festgelegt: man sall alle jairs des korns tzwelff morgen snyden. Auf zusätzliche sieben Morgen sollte Hafer gesäht und unter die Saat Wicken als Pferdefutter gemengt werden: Jtem dye halffen sullen des jairs seyen jn dye even sait 6 Sieuen morgen wicken vur pertz foider. Hafer wurde gesturtzt, d. h. in den flach gepflügten Acker gesäht (Abb. 8). Er wurde u. a. als foeder haver verwendet, wobei das Feld wohl auch direkt als weyde für das Vieh diente. Nach dem Einsähen (stoyssen) war das Ackerland gegebenenfalls noch von den Pächtern vp zu egen (zu eggen). Dry morgen artlantz (3 Morgen Ackerland) sollten jedes Jahr mit Mergel gedüngt werden, und zwar sollte auf jede Rute Land eyn gude karren gegeben

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Wisplinghoff 1975, 234 ff StA Neuss B.02.01 / V 1, 251:1492 Februar 23 Evensaat: Erklärung: Hafersaat., Deutsches Rechtswörterbuch (Weimar 1914 -1992), Bd. 3, 335


werden. Der Mergel stammte aus einer kuyle (Grube), die der Grundherr verwaltete und die vermutlich von mehreren Höfen der Herrschaft genutzt wurde. Auf dem Lövelinger Hof hielt man auch Milchkühe: Jtem de vietzoucht van den koyen sullen dye halffender vurß alleyn haven myt der molcken. Schafe und Ferkel wurden zusammen gehalten.7 Jedes Jahr hatten die Halfen für den Grundherren sechs Kapaune (kastrierte Hähne) zu mästen, die dieser auf den Hof schickte: Ouch dye halffender sullen der heirschaff halden jnd vodern Seess Capuyn all jairn dye dat heirschaff up den hoff schickende voirt. Die Haltung des Viehs wurde ebenfalls vertraglich geregelt. Der Rynck zoyn vmb den hoff, die hölzerne Einhegung des Gehöfts, sollte ebenso wie alle anderen Zäune in Stand gehalten werden, damit dat vee nyet vyss der mysten en louff up yren kost, also das Vieh nicht aus der Aufstallung zum Fressen auf die Felder lief. Entgegen andernorts geübter Gepflogenheiten sollten die Pächter ihr Vieh ym velde nyet fodern, d. h. es nicht auf den brachen Feldern weiden lassen, wohl um eine etwaige Verwüstung benachbarter, noch bestellter Ackerflächen zu verhindern. Als Entschädigung hierfür stellte der Grundherr dem Pächter zwei Malter Hafer als Viehfutter bereit. Das Abstoppeln der bereits abgeernteten Felder wurde lediglich für die Dauer von zwei bis drei Tagen zugestanden: Jtem tzwey off dry dage zo stoppen dat sullen dye halffenden bekostigen jnd dat heirschafft belonen.

8 Ein Bauer pflügt mit einem Ochsengespann. Ausschnitt aus „Das Gleichnis vom großen Festmahl“. Kupferstich nach Maarten van Heemskerck (1498 - 1574). Clemens-Sels-Museum Neuss, 1981Gr1270

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Item Schaiff ind vercken sullen sy zosamen mengen, StA Neuss B.02.01 / V 1, 251: 1492 Februar 23

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An Arbeitskräften auf dem Hof nennt der Pachtvertrag Mäher, Drescher, verckenhirden und koynsen (Kuhhirten). Die heirschaff war zudem verpflichtet, ganzjährig einen Knecht zu stellen. Auf dem Hof wurde auch Brot gebacken und Bier gebraut. Das hierfür notwendige Feuer musste mit Stroh entfacht bzw. unterhalten werden, weswegen nur zu diesen Gelegenheiten das Verbrennen von Stroh auf dem Hof erlaubt war: jnd darvmb en sullen dye halffen geyn stroe up den hoff bornen jd sy myt Backen off myt brouwen. Die Geräteausstattung eines Hofes der Frühen Neuzeit veranschaulicht eine 1628 verfasste Urkunde, die sich auf den ehemals im Besitz des Neussers Johann Goddert befindlichen Bochholtzerhof bei Gerresheim-Urdenbach bezieht.8 Der nahe der Rheinauen gelegene Hof war offensichtlich auf Viehzucht ausgerichtet, denn der Viehbestand umfasste drei pfert, acht Kuhe, 11 Rinder, 79 Schaef, siebenzehen Vercken, sechs Genß, zehen hanner. Gleichwohl wurde auch Ackerbau betrieben, denn der Hof verfügte über zwae pflug und drei Eechen (Eggen). Zum Fuhrpark gehörten zwen wagen und drei karen. Während in den vierrädrigen Wagen auch Personen befördert wurden, dienten die einachsigen Karren zum Transport von Feldfrüchten, Heu, Stroh und Mist.

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StA Neuss B.02.01 / V3, 6: 1628 Februar 1


Jutta Meurers-Balke, Carl Pause und Silke Schamuhn

Ertzen und Reyß – Speisepflanzen in Neuss Der überwiegende Teil der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Speisen war pflanzlicher Herkunft. Je nach Region wurden unterschiedliche Getreidearten, Hülsen- und Ölfrüchte, aber auch Obst- und Gemüsesorten zubereitet. Über die in Neuss verwendeten Speisepflanzen geben vor allem die aus dem Gasthaus zum Heiligen Geist, d. h. dem Neusser Hospital, und dem Stift St. Quirin erhaltenen Rechnungen Aufschluss. Bildquellen, in erster Linie zeitgenössische Kupferstiche, informieren uns über das Aussehen der Kulturpflanzen, die oft den Wildformen noch ähnlicher sehen als die heutigen Zuchtformen. Neben schriftlichen und bildlichen Aufzeichnungen geben vor allem die archäologischen Funde und Befunde Einblicke in die Nahrungsmittel, Zubereitungsweisen, Tischsitten usw. Zu den Funden gehören außer Koch- und Essgeschirr und Tierknochen auch Pflanzenreste, die sich unter günstigen Bedingungen in den archäologischen Straten erhalten haben. Für ihre wissenschaftliche Untersuchung sind neben archäologischen Kenntnissen auch botanische Erfahrungen vonnöten. Das Arbeitsgebiet Archäobotanik widmet sich den Pflanzenresten von Ausgrabungen. Pflanzenreste – erhalten sind vor allem die widerstandsfähigen Pflanzenteile wie Früchte und Samen, Pollen und Sporen sowie Holz – gehören zu den auf Ausgrabungen häufig „übersehenen” Funden. Fallen große Mengen verkohlter Getreidekörner oder größere Holzkohlenstücke den Ausgrabenden noch direkt „ins Auge”, so werden die kleinen, eher unscheinbaren Reste kaum bemerkt und gelangen mit dem Abraum auf die Halde. Um die botanischen Funde ausreichend zu erfassen, ist es daher notwendig, Bodenproben zu bergen. Auf der Ausgrabung wird Bodenmaterial aus den archäologischen Befunden abgefüllt und danach der archäobotanischen Analyse zugeführt. Zunächst müssen die Pflanzenreste von dem umgebenden Sediment separiert werden. Dies geschieht durch das Schlämmen der Bodenproben. Sie werden in Wasser eingeweicht, wodurch die leichten Pflanzenkohlen an der Oberfläche schwimmen und abgeschöpft werden können. Unverkohlte Pflanzenreste werden mit Sieben aus dem Bodenmaterial ausgewaschen, wobei eine Maschenweite von 0,3 mm gewährleistet, dass auch kleinste Samen erfasst werden. Die Bestimmung erfolgt dann mit Hilfe spezieller Fachliteratur und durch den Vergleich mit rezenten Früchten und Samen (Abb. 9). Die auf diese Weise erstellten Pflanzenlisten können viel über den Alltag der Menschen in früheren Zeiten aussagen. Sie geben einen Einblick in die Nahrungspflanzen und die in Haushalt und Handwerk genutzten Pflanzen. Aus ihnen kann man aber auch etwas über die Unkräuter erfahren, die zusammen mit dem Getreide auf den Äckern wuchsen und mit dem Erntegut in die Siedlung 9 Koriander (Coriandrum sativum), Teilfrucht, gelangten, und nicht zuletzt können sie uns vermitteln, welche Vegeta- unverkohlt. Xanten/CUT, römisch tion in den Städten und Dörfern und in ihrer Umgebung damals vorherrschte. Für das Mittelalter und die Frühe Neuzeit liegen eine ganze Reihe von archäobotanischen Untersuchungen aus Neuss vor. Zu verdanken sind sie vor allem einem Neusser Bürger, Dr. Dr. h. c. Karl-Heinz Knörzer, der sich seit den 1960er Jahren der Archäobotanik und besonders auch den Funden aus Neuss verschrieben hat. Begonnen hat er seine Forschungen im Römerlager Novaesium,1 aber schon bald kamen durch die Zusammenarbeit mit dem Archäologen Gustav Müller auch mittelalterliche und neuzeitliche Fund-

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Knörzer 1970

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komplexe auf seinen Arbeitstisch.2 Sie stammten vor allem aus Brunnen, Fäkaliengruben und tiefen Abfallgruben, in denen aufgrund der dort herrschenden Sauerstoffarmut der mikrobielle Abbau der organischen Substanz stark eingeschränkt war, so dass sich hier Pflanzenreste formbeständig und damit heute noch bestimmbar erhalten haben. K.-H. Knörzer hat auch die Bauarbeiten in der Neusser Innenstadt in den 1970er und 1980er Jahren archäobotanisch begleitet. Eine erste zusammenfassende Übersicht über acht mittelalterliche und neuzeitliche Fundstellen legte er 1975 vor. 3 Darüber hinaus hat er noch weitere Befunde von Ausgrabungen aus den 1980er und 1990er Jahren untersucht, die Ergebnisse aber größtenteils noch nicht veröffentlicht. Das Probenmaterial dazu wurde ihm von den Neusser Stadtarchäologen, vor allem Frau Sabine Sauer, sowie seinen damaligen, ehrenamtlich tätigen Schülern (K.-H. Knörzer war als Lehrer am Quirinus-Gymnasium tätig) geliefert. Die Unterlagen seiner archäobotanischen Forschungen hat er dankenswerterweise dem Kölner Labor für Archäobotanik zur Verfügung gestellt, so dass wir in dieser Publikation auch auf die bisher unveröffentlichten Ergebnisse zurückgreifen können. Weitere botanische Bestimmungen hat Frau Dr. Lisa Gelius-Dietrich zu mittelalterlichen und neuzeitlichen Ausgrabungen in der Neusser Innenstadt durchgeführt. Einen ersten Bericht über die „Gewürzpflanzen aus Neusser Grabungen vom 12. bis zum späten 18. Jahrhundert” legte sie 1996 vor. 4 Die Speisepflanzen, die im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit in Neuss verspeist wurden, sollen im nun Folgenden nacheinander vorgestellt werden, wobei die Erkenntnisse aus den Schriftquellen den Ergebnissen der archäobotanischen Untersuchungen gegenübergestellt werden.

Getreide Im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit kam der Stadt Neuss im Getreidehandel eine überregionale Bedeutung zu.5 Bereits 1307 ist erstmals ein Neusser Getreidehändler schriftlich belegt. Die Kaufleute der Stadt kauften Getreide aus dem Hinterland der Stadt auf und verschifften es über den Rhein. Bezeichnend für die Neusser Rolle im Getreidehandel am Niederrhein ist, dass man sich 1322 in Kleve und 1414 in Köln des Neusser Malters (ca. 150 l) als Maßeinheit bediente. Das nach Neuss eingeführte Getreide musste von den Händlern vor das Zolltor gefahren und hier von den Müddern, städtischen Bediensteten, gemessen und besteuert werden. 1577 betrugen die Einkünfte aus der Getreideakzise 696 ½ Mark; 1576 wurde Getreide im Wert von über 170.000 Mark exportiert. Eines der Hauptabsatzgebiete für das Neusser Getreide waren das Herzogtum Berg und die Niederlande. Das in Neuss verbrauchte Getreide wurde in den städtischen Kornmühlen am Ober- und Niedertor gemahlen: In den Jahren 1554 -1583 wurden hier im Durchschnitt 55 Malter Weizen, 626 Malter Roggen, 3.344 Malter Malz bzw. Gerste und 1.200 Malter „Schweinefutter” verarbeitet.6

Roggen: Das Brotgetreide Der Roggen war das Hauptgetreide der Neusser Bevölkerung (Abb. 10). Aus ihm wurde hauptsächlich brot, ein dem heutigen Schwarzbrot oder Pumpernickel ähnliches Backwerk,

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Knörzer/Müller 1968 Knörzer 1975 Gelius-Dietrich 1996 Wisplinghoff 1975, 328 ff; Huck 1984, 121 ff Wisplinghoff 1975, 333 f


zubereitet. Im Rechnungsjahr 1581/82 wurden im Gasthaus 105 Malter und ein Sümber (Scheffel) Roggen zu Brot gebacken.7 Außerdem diente Roggenmehl auch zum Backen von weck und knapkuchen. Darüber hinaus erscheint Roggen 1584/85 in den Rechnungen des Hospitals als Zutat – wohl in Form von Mehl – thom peffer, ein kräftig gewürztes Gericht.8 Auch als Futter für die Schweinemast wurde Roggen verwendet: 1581/82 verfütterte man sieben Malter und ein Sümber an die Borstentiere.9 Naturalabgaben an Roggen bildeten einen wichtigen Teil der Einkünfte des Gasthauses. Im Rechnungsjahr 1583/84 beliefen sie sich auf über 237 Malter, die bei einem Preis von ca. 5 Gulden je Malter einen Wert von fast 1.200 Gulden besaßen, der den Bargeldeinkünften des Hospitals in Höhe von 701 Gulden gegenüberstand.10 Roggen wurde auch auf den eigenen Ländereien des Gasthauses an der Krur angebaut.11 Ende Juni bis Anfang Juli wurde geerntet, wie entsprechende Einträge in den Rechnungsbüchern des Hospitals zeigen: Jtem iij meheren belonet j tagh so korn gemehet: j gulden xij albus Jtem j frauwen so das korn gebunden: viij albus 12

10 „AESTAS – Der Sommer“ – allegorische Darstellung. Im Hintergrund Darstellung der Roggenernte. Kupferstich nach Hendrik Goltzius, um 1590. Clemens-Sels-Museum Neuss, 1981Gr0957

Etwa eine Woche nach der Mahd wurden die getrockneten Garben in die Scheune gebracht: Vor j wagen Roggen inzufahren: j gulden xij albus 13 Im 20. Jahrhundert belief sich die Tagesleistung eines Mähers auf etwa zwei Morgen (0,5 ha).14 Die Tagesleistung eines möglicherweise mit qualitativ schlechteren Geräten ausgestatteten Mähers im 17. Jahrhundert dürfte darunter gelegen haben. Vermutlich betrug die mit Roggen bebaute Ackerfläche des Gasthauses daher weniger als 1,5 ha. Gelagert wurde das Getreide auf dem koersuller, einem speziellen Kornboden, der sich vermutlich in einer Scheune des Hospitals befand.15

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StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: 10r StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche Reminiscere = 11. 3. 1582 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: 10r Vgl. Wisplinghoff 1975, 701 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 2: Woche Achat. = 22. 6. 1583 StA Neuss B.02.01 / VII 215: Woche Kilianij = 8. 7. 1624 Woche Alexij Confessoris = 17. 7. 1624 Vgl. Backhaus 2001, 22 Jtem auff dem koersuller fur schillyng negel verdaen: vj albus, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 2: Woche Egidij = 1. 9. 1582

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Im Juli 1642 baute das Gasthaus Roggen auch auf Daners Buert und dem Pachtland an der Caulen (an der Kuhle) an: Jtem drei Magdt 4 tagh auff daners buert vnd Theißgen auff der Caulen pfacht Lenderei in behueff des Gasthauß korn geschnitten vnd gebunden: 6 gulden 16 albus 16 Der Roggen war im Rheinland – das bestätigen die archäobotanischen Befunde – das wichtigste Brotgetreide im Mittelalter. In Neuss fanden sich bei Ausgrabungen verkohlte Roggenkörner bereits in einer Grube in Selikum aus der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts sowie in einem Grubenhaus am Glockhammer aus dem 12. Jahrhundert. Obgleich sich der zu Mehl vermahlene und mit dem Brot verzehrte Roggen in Latrinen in der Regel nicht nachweisen lässt, konnte K.-H. Knörzer dennoch in etwa der Hälfte der analysierten Neusser Latrinen Körner oder Spelzreste des Roggens entdecken. Der Roggen ist ein typisches Wintergetreide, dessen Saatgut im September in den Boden kommt, wo es keimt und eine Rosette ausbildet. Im Frühjahr, wenn die Temperaturen wieder steigen, ist das Wintergetreide dann dem erst ab März ausgebrachten Sommergetreide gegenüber im Vorteil und bringt meist auch höhere Ernteerträge als dieses. Diesem Rhythmus angepasst sind einige Wildpflanzen, deren Samen mitgeerntet, zubereitet, verzehrt, zerkaut – und letztlich wieder ausgeschieden werden. Die regelhaft vorkommenden Splitter und Bruchstücke von Kornrade (Agrostemma githago) und Kornblume (Centaurea cyanus) in den Kloaken belegen, dass Wintergetreide, vor allem wohl Roggen und Weizen (s. u.), ein alltägliches Nahrungsmittel der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Neusser Bevölkerung war.

Weizen: Osterwecken und feine Backwaren Weizen (weiß) wurde von den Menschen am Ende des Mittelalters und in der Frühen Neuzeit höher geschätzt als Roggen. Man verwendete ihn fast ausschließlich zum Backen von Feingebäck. In den 1580er Jahren fand er im Neusser Hospital (wohl als Mehl) auch jn de kuch und thom peffer Verwendung. In der Woche vor Ostern wurden 1582 drei Sümber Weizen thot paißweggen, d. h. zu Osterwecken gebacken.17 11 Getreideernte. Ausschnitt aus „Das Gleichnis vom großen Festmahl“. Kupferstich nach Maarten van Heemskerck (1498 -1574), Clemens-Sels-Museum Neuss, 1981Gr1271

1581/82 betrugen die Gesamteinnahmen des Gasthauses an Weizen 5 Malter und 1 Sümber, von denen etwas über 3 Malter verbacken vnd jn de kuch verdaen wurden.18 In einem weißkorff wurde das Getreide wohl transportiert und abgemessen.19 Wie der Roggen gehörte auch der Weizen zu den Zinseinnahmen des Hospitals. Daneben wurde er auf den eigenen Ländereien angebaut, wie ein Eintrag in den Rechnungen aus dem Jahr 1624 belegt: Jtem 2 Meher gehabt j tagh so weitz gemehet 20

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StA Neuss B.02.01 / VII 215: Woche S.o Jacobj = 25. 7. 1642 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche palmen = 8. 4. 1582. Der Neusser Bürgermeister erhielt nach der PolizeiOrdnung von 1590 2 Sümber Weizen für den Osterwecken, Lau 1911, 24 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: 11v StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche Judica = 1. 4. 1582 StA Neuss B.02.01 / VII 215: Woche Alexij Confessoris = 17. 7. 1624


In Analogie zu den Tagesleistungen eines Mähers im 20. Jahrhundert (s. o.) dürfte die hier gemähte Fläche eine Größe zwischen einem halben und einem Hektar besessen haben. Geerntet wurde der Weizen übrigens ebenso wie der Roggen und die Gerste Mitte Juli (Abb. 11), gesäht wurde er im Oktober.21 Im 16. und 17. Jahrhundert schwankten nicht nur die Getreidepreise erheblich, sondern auch die Preisrelation zwischen Roggen und Weizen.22 Zumeist kostete aber ein Malter Weizen mindestens einen Gulden mehr als ein Malter Roggen. 1595 bezahlte man nach Aussage der für dieses Jahr erstellten Neusser Backordnung für ein Malter Weizen 14 Gulden, für die gleiche Menge Roggen jedoch nur 11 Gulden wenniger 6 Albus.23 Der kostbarere Weizen stand vermutlich nicht allen Bevölkerungsschichten als Nahrungsmittel zur Verfügung. In den Hospitalrechnungen des Jahres 1641/42 fehlen bezeichnenderweise sämtliche Hinweise auf Weizen: Am Ende des 30-jährigen Krieges war Weizen bereits vor der Schlacht bei St. Tönis und der darauffolgenden hessischen Besatzung für die Armenversorgung in der Stadt unerschwinglich geworden. Möglicherweise hatte man auch aufgrund der anwährenden Kriegswirren in Neuss die Felder nicht mehr im früheren Umfang bestellen können. Allerdings wurde Weizen bei den Festlichkeiten zur Wahl einer neuen Äbtissin im Stift St. Quirin nach Auskunft der wohl im Februar 1641 erstellten Rechnung konsumiert.24 Unter Weizen wird im Allgemeinen der Saatweizen, Triticum aestivum, verstanden, von dem verkohlte Körner aus früh- und hochmittelalterlichen Befunden aus Neuss (9. Jahrhundert, 12. Jahrhundert) bekannt sind. Zu der Gattung Triticum gehören indes noch weitere Weizenarten, von denen einige wenige Körner und Spelzreste in Kloaken des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit gefunden wurden. Ob Emmer (Triticum dicoccon) und Dinkel (Triticum spelta) planmäßig angebaut wurden, oder ob diese Weizenarten unbeabsichtigt, also eher „unkrauthaft”, in den Neusser Getreidefeldern wuchsen, lässt sich anhand der wenigen archäobotanischen Belege nicht erschließen. Wie der Saatweizen sind auch Emmer und Dinkel jedenfalls gut geeignet, feine Backwaren zu erzeugen.

Hafer: Haferbrei und Hühnerfutter Im Gegensatz zu Roggen und Weizen eignet sich Hafer aufgrund seines geringen Kleberanteils nicht als Brotgetreide. Im Gasthaus zum Heiligen Geist wurde daher der hauer oder haber in der Regel zu gourtte verarbeitet. Mit diesem Begriff, der in Westfalen als Görte und in Niedersachsen als Götte bekannt ist, wurde der gekochte Getreidebrei, die Hafergrütze, bezeichnet. Ähnlich wie heute galt mit Milch zubereiteter Haferbrei auch als Schonkost für Kranke, wie ein Rechnungseintrag aus dem Jahr 1584 erläutert:

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12 Bockwindmühle. Ausschnitt aus „Die vier Windmühlen”. Radierung von Wenzel Hollar, 1650, Clemens-Sels-Museum Neuss, 1981Gr0927

Montagh vfs landt an der Krauren seen laßen j sumber weitz vnd 1 Sumber gersten darab belonett: x albus, StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Dominica Francisci = 3. 10. 1623 Wisplinghoff 1975, 729 ff Varienbuch Backordnung, StA Neuss B.02.01 / III D 3 Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 50: Specificatio was ahn vnkost. bey letzt vorgangener wahll auffgangen

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Jtem fur milch thot gourtten fur de krancken: iij albus 25 1581 verwendete man die Hafergrütze auch als Zugaben tho den wursten, zur Wurst.26 Etwa alle sechs Wochen wurde das Getreide in der Mühle geschrotet (Abb. 12): Jtem lassen j firdel hauern tho gourtte machen: ij albus 27 Im Rechnungsjahr 1581/82 verarbeitete man im Gasthaus 1 Malter 3 Sümber Hafer tho gourtten.28 1623 taucht die Grütze in den Rechnungen des Gasthauses nur noch einmal auf; der Görtemüller erhält nun schon 12 Albus für seine Arbeit: Jtem zu göertten laßen machen j malder haber, belonet: xij albus 29 Der Hafer diente nun weniger als Nahrungsmittel, sondern vielmehr als Viehfutter: 1623 verfütterte man Woche für Woche zwei Viertelmalter Hafer an das viehe im Hospital. Ein Eintrag aus dem Oktober des Jahres verrät, dass es sich bei dem viehe um Hühner handelte: Vor die hoener ij firdell Haber 30 Für das Jahr 1642 fehlen dann die Einträge ganz. Der im Hospital verbrauchte Hafer stammte offensichtlich aus eigener Produktion, denn Hinweise auf Zukauf von Hafer finden sich nicht in den Rechnungen.

13 Hafer (Avena sativa), Frucht, verkohlt. Niederungsburg bei Haus Meer, Mittelalter

In den archäobotanischen Proben ist hinsichtlich der Fundmenge der Hafer das häufigste Getreide (Abb. 13). Während die Proben aus den Neusser Kloaken nur gelegentlich einzelne Haferkörner (wie auch die Körner anderer Getreide) aufwiesen, ist der Hafer an den Fundstellen mit verkohlten Pflanzenresten (Selikum, Glockhammer und Baustelle Horten) die häufigste Mehlfrucht. Die Haferkörner allein lassen sich nicht den beiden Arten Saathafer und Flughafer zuordnen. Um die Kulturpflanze Saathafer (Avena sativa) von dem in Getreideäckern häufigen Unkraut Flughafer (Avena fatua) zu unterscheiden, benötigt man Spelzreste mit erhaltener Ährchenbasis, deren Abbruchstelle beim Saathafer kurz und schräg abgeflacht ist. Waren diese vorhanden – so an der Fundstelle Glockhammer unter 296 Körnern 20 Ährchenbasen und an der Fundstelle Baustelle Horten unter 228 Körnern 8 Ährchenbasen – konnte K.-H. Knörzer immer eindeutig Saathafer bestimmen. Nur bei wenigen Ährchen war die Deckspelze so weit erhalten, dass der Ansatz oder das Fehlen der Granne erkannt werden konnten. Danach wurde sowohl der grannenlose Saathafer, der noch heute am Niederrhein angebaut wird, genutzt als auch eine begrannte Sorte.

Buchweizen: Grütze Nicht zu den Getreiden im biologischen Sinne, sondern zu den Knöterichgewächsen gehört der Buchweizen. Wie der Hafer ist er wegen des Mangels an Gluten für das Brotbacken ungeeignet. Buchweizen wurde in Neuss offensichtlich sehr geschätzt. Für ihn wurde 1583/84 die gleiche Akzise erhoben wie für Weizen, nämlich 6 Heller je Malter, während für Roggen nur 4 Heller und für Hafer lediglich 3 Heller verlangt wurden.31

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StA Neuss B.02.01 / VII 210,3: Woche palmen = 25. 3. 1584; Jtem den krancken fur ij quart milch thot gourtten de krancken tho dryncken: iiij albus; StA Neuss B.02.01 / VII 210,3: Woche quasi modo = 8. 4. 1584 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche Simon et Jude = 28. 10. 1581 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche dionisius = 9. 10. 1581 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: 12r StA Neuss B.02.01 / VII 214, Woche Gereonis = 10. 10. 1623 StA Neuss B.02.01 / VII 214, Woche Dominica Francisci = 3. 10. 1623 Lau 1911, 443


Für die Ernährung der Bedürftigen im Hospital spielte Buchweizen dagegen kaum eine Rolle. Er wird in den Rechnungsbüchern lediglich einmal in der Weihnachtszeit des Jahres 1581 erwähnt, als man einen Sümber boeckweiß in de kuch benötigte.32 Vermutlich fand er als Zutat bei einem speziellen Weihnachtsgericht Verwendung. Der Buchweizen stammte übrigens nicht aus eigenem Anbau, sondern war eine Zehntabgabe van Jan Reusgens tho grymmelichhuesen.33 Buchweizen (Fagopyrum esculemtum) ist eine Mehlfrucht, die erst seit dem Mittelalter in Europa angebaut wird. Den frühesten Nachweis am Niederrhein fand K.-H. Knörzer im Graben einer Niederungsburg bei Worringen, und zwar schon in den ältesten Ablagerungen, die bis in den Beginn des 13. Jahrhunderts reichen; 34 im Spätmittelalter wurde Buchweizen eine allgemein verbreitete Anbaufrucht, die es ermöglichte, auch die ärmsten Böden ackerbaulich zu nutzen. In Neuss hat K.-H. Knörzer Reste der dreikantigen Früchte an vier spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Fundstellen bestimmen können.

Gerste: Bier und Schweinefutter Um ein Getreide mit spezieller Verwendung handelt es sich bei der Gerste. Anders als der Weizen oder der Hafer wurde sie überwiegend gemälzt und zum Bierbrauen verwendet. Im Rechnungsjahr 1581/82 wurden im Gasthaus 54 Malter und drei Sümber Braumalz verkonsumiert.35 Die Quellen unterscheiden offensichtlich zwischen der als gerst bezeichneten Braugerste und der Sommergerste, die als Viehfutter in der Schweinemast verwendet wurde. Im Rechnungsjahr 1581/82 verfütterte man wöchentlich drei Sümber an die Mastferkel: Jtem fur de mastfercken iij sumber Somergersten 36 Die Sommergerste stammte offensichtlich ebenso wie die Braugerste überwiegend aus eigener Produktion, doch musste sie auch gelegentlich zugekauft werden.37 Im Oktober 1623 wurde ein Sümber Gerste – neben einem Sümber Weizen – auf das Ackerland an der Krur gesäht: Montagh vfs landt an der Krauren seen laßen j sumber weitz vnd 1 Sumber gersten 38 In der zweiten Julihälfte des darauf folgenden Jahres wurde die Gerste geerntet und zu Garben gebunden:

14 Bäuerinnen aus Köln und Kleve, kolorierter Kupferstich, 1. Hälfte 17. Jahrhundert, Clemens-Sels-Museum Neuss, 1986.008

Jtem j frauwen 2 tagh belonett, so gerst abgeschnitten ieder tagh 9 albus facit: xviij albus 39

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StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche Thom. = 21. 12. 1581 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: 13v Knörzer 2007, 117 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche henckfrau = 21. 10. 1581 Item fur die mastfercken ahn somer gerst: iij heller, StA Neuss B.02.01 / VII 210,1: Woche Remigij = 1. 10. 1581 StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Dominica Francisci = 3. 10. 1623 StA Neuss B.02.01 / VII 215: Woche Alexij Confessoris = 17. 7. 1624

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Item j frauwen so iij tagh gerst geschnitten vnd gebonden ieder 8 albus taghs facit: j gulden 40 Die Ernte der mit Gerste bebauten Fläche umfasste also knapp drei Tagewerke einer Mäherin – die aber offensichtlich nebenbei auch die Garben binden musste (Abb. 14). Vermutlich war die bestellte Fläche daher weniger als einen Hektar groß. Am 10. August wurde die Ernte dann eingefahren: Item von j wagen gersten inzufahren belonet: j gulden xij albus 41 Wie die anderen Getreide wurden auch Gerstenkörner in den Neusser Kloaken nur vereinzelt und lediglich in verkohlter Form gefunden. Durch die Bereitung des Malzes aus Braugerste haben Gerstenkörner eigentlich gute Chancen zu verkohlen, denn nach dem Ankeimen der Gerste, durch das Enzyme entstehen und sich die Stärke in Zucker verwandelt, werden die gekeimten Körner getrocknet. Beim „Darren” werden sie bei 80 bis 85 ºC geröstet. Dies ist ein Vorgang, bei dem bisweilen Unglücke geschehen, und statt des gezielten Röstens verkohlt das Malz. Offenbar gingen die Neusser Mälzer eher vorsichtig zu Werk, denn die von K.-H. Knörzer untersuchten archäobotanischen Befunde enthielten keine solchen Unglücksfälle, also gekeimte, verkohlte Gerstenkörner. Dennoch scheinen mehrere Gerstensorten zu vermutlich unterschiedlichen Zwecken angebaut worden zu sein. K.-H. Knörzer vermerkt: „Die meisten Körner sind bei der Verkohlung aufgetrieben, zerplatzt oder zerbrochen. Ihre Form ist sehr unterschiedlich, und es kann sein, daß es sich um mehrere Typen handelt. Der größte Teil der Körner hat noch Spelzreste oder Eindrücke von Spelzen auf der Oberfläche, gehört also zu den Spelzgersten. 13 unsymmetrische bespelzte Ährchen (Krummschnäbel) zeigen das Vorhandensein von Vierzeilgerste (Hordeum tetrastichum) an. Manche Körner sind verhältnismäßig kurz und breit und gleichen denen zwei- und sechszeiliger Gerste (Hordeum distichum und hexastichum), doch ist bei diesem Erhaltungszustand eine sichere Zuordnung nicht möglich.” 42 Heute wird die zweizeilige Braugerste meist als Sommerfrucht angebaut, dagegen dient die als Winterfrucht gebaute vierzeilige Gerste eher als Futtergerste sowie zur Herstellung von Graupen, Grütze, Malzkaffee und in Nordeuropa auch von Brot.43

Reis: exklusive Süßspeise Ein exotisches Importgetreide stellt der mehrfach in den Schriftquellen erwähnte Reis dar. Vermutlich stammte der in Neuss konsumierte Reis nicht aus Asien, sondern aus Italien, wo in der Poebene der Reisanbau seit dem 15. Jahrhundert belegt ist. Im Gasthaus wurde in den 1580er Jahren mehrfach, nämlich jeweils zu Fastnacht sowie zur kyrmis im Juni und im Oktober sowie bei anderen Festivitäten (wie der Rechnungslegung) im Gasthaus konsumiert.44

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StA Neuss B.02.01 / VII 215: Woche Jacobj Apostolj = 25. 7. 1624 StA Neuss B.02.01 / VII 215: Woche Laurentij Martyris = 10. 8. 1624 Knörzer 1968, 143 Körber-Grohne 1987, 46 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche matthias = 24. 2. 1582; Woche achatius = 22. 6. 1582; StA Neuss B.02.01 / VII 210,2 : Woche dionisij nach Remigij = 1. 10. 1582; Woche Achat. = 22. 6. 1583; Woche bonifacius = 5. 6. 1583; StA Neuss B.02.01 / VII 210,3: Woche dionisius, vnser kirmes gehalden = 1. 10. 1583; StA Neuss B.02.01 / VII 210, 3: Woche misericordia = 15. 4. 1584; Woche achatius = 22. 6. 1584; StA Neuss B.02.01 / VII 210,4: Woche dionisius = 9. 10. 1584


Aus dem Kontext der Rechnungen, in denen an diesen Tagen auch Einkäufe von erlesenen Speisen wie Kapaunen und Enten erscheinen, geht hervor, dass man zu diesen Anlässen offensichtlich ein Festessen ausrichtete, bei dem jeweils ein bis zwei Pfund Reis zu Milchreis gekocht wurden, wobei auf ein Pfund Reis etwa vier bis fünf Quart frische Milch, also etwa 7- 8 l kamen, wie u. a. aus der Einkaufsliste anlässlich der Kirmes im Juni 1584 zu erfahren ist: Jtem fur eyn pont Reyß: v albus Jtem fur iiij quart forsser milch: viij albus 45 1623 verspeiste man im Gasthaus zu Fastnacht bei einem Festessen sogar drei Pfund Reis.46 Dass Reis kein Arme-Leute-Essen war, zeigen die Rechnungen für die Feierlichkeiten zu den Äbtissinnenwahlen im Stift St. Quirin. In den Krisenjahren 1641/42 und 1650 wird Reis nämlich nur noch in den Rechnungen des Quirinusstiftes genannt. Am 10. Februar 1641 werden im Auftrag des Rentmeisters bei der Händlerin Margrett Hermes für 15 Albus zwei Pfund Reis gekauft.47 Einen Tag später, am 16. Februar 1641, kauft man in Köln zusammen mit weiteren Süßspeisen zwei Pfund reiß mehl für 1 Gulden und 8 Albus.48 Auch 1650 fehlte das reißmell im Wert von 1 Gulden und 3 Albus nicht in der Einkaufsliste.49 Aus Neuss stammt ein bei Archäologen berühmter Fund von 196 verkohlten Reiskörnern – allerdings wurde er von K.-H. Knörzer in einem Römerlager aus der Zeit um Christi Geburt entdeckt. Offenbar war das kostbare Importgut in der mittelalterlichen Stadt eher selten, denn die vielen von Knörzer untersuchten Befunde enthielten keine einzige Reisspelze. Auch in anderen Städten wurde Reis nur vereinzelt aus dem Mittelalter gefunden; häufiger werden Reisnachweise erst in der Frühen Neuzeit, aber auch dann sind sie meist mit Latrinen und Abfallgruben von Haushalten gehobenen Wohlstandes verbunden.50

Erbsen: ertzen tzoppen und Weinerbsen Eine wichtige Rolle in der Ernährung der Neusser Bevölkerung spielte nach Auskunft der schriftlichen Überlieferung die Erbse. In seiner 1477, also ein Jahr nach dem Ende der burgundischen Belagerung von Neuss, erschienenen Chronik listet der Neusser Stadtschreiber Christian Wierstraet die Erbse unter den für eine Belagerung wichtigen Lebensmitteln auf – nicht aber die Bohne oder die Linse.51 In Neuss waren während der Belagerung große Mengen an Erbsen gelagert; 52 Erbsensuppe stand daher häufig auf dem Speiseplan der Belagerten: ertzen tzoppen Dayr myt moysten voran stoppen Dye gud gesellen yren maegh 53

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StA Neuss B.02.01 / VII 210, 3: Woche achatius = 22. 6. 1584; vgl. Jtem fur j pont Reyß: v albus / Jtem fur v quart milch zom Reyß: ix albus, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 3: Woche misericordia = 15. 4. 1584 StA Neuss B.02.01 / VII 215: Woche Septuagesima = 4. 2. 1624 Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 50, Nr. 3: Rechnung vom 10. 2. 1641 über bei M. Hermes gekaufte Gewürze Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 50, Nr. 2: Rechnung über 1641 in Köln gekaufte Confecturen Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 50: Abrechnung der Ausgaben für die Äbtissinnenwahl 1650 Wiethold 1995, 138 f Botter ind keessz ouch ertzen machent groyssz gereck, Wierstraet 1974, Vers 3143 Wierstraet 1974, Verse 1670 ff Wierstraet 1974, Vers 1296 -1298

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1582/84 erhob die Stadt Neuss für das Malter Erbsen die gleiche Akzise wie für Weizen und Buchweizen, nämlich 6 Heller je Malter. In den Rechnungsbüchern des Neusser Hospitals tauchen an Hülsenfrüchten nur die Erbse und die Bohne auf. Die eiweißreichen Erbsen gehörten sicherlich zur Grundernährung der einfacheren Bevölkerungsschichten, wurden aber offensichtlich auch bei Feierlichkeiten kredenzt. Aus den Rechnungen des Hospitals lässt sich ersehen, dass man zu den beiden Kirmessen in der Woche des Heiligen Achatius (22. Juni) und des Heiligen Dionysius (9. Oktober), zu Fastnacht, aber auch zu anderen Gelegenheiten bei Festessen regelmäßig ein mit Wein zubereitetes Erbsengericht reichte: 54 Gelegentlich wird spezifiziert, dass es sich um weyse ertzen handelt.55 Auf einen Viertelmalter Erbsen kam ein Quart Wein: Jtem fur j fierdel weiser Ertzen: j gulden Jtem fur j quart wyns jn de Ertzen: iij albus 56 Daneben kochte man wohl auch eine Art Erbseneintopf mit Fleisch, der u. a. nach dem 1579 aufgezeichneten Amtsbrief der Bäcker beim amtsessen eines neu aufgenommenen Meisters serviert werden sollte.57 Anfang des 17. Jahrhunderts scheinen Erbsengerichte zumindest bei Festlichkeiten aus der Mode gekommen zu sein, denn Erbsen werden in den Einkaufslisten des Stiftes St. Quirin nicht mehr erwähnt. Im Hospital wurden Erbsen wohl nur in Ausnahmefällen gekauft, denn 1581/82 gehörte ein Sümber grau Erzten zu den Zehnteinnahmen.58 Der größte Teil der konsumierten Erbsen stammte vermutlich aus eigenem Anbau. Ende März des Jahres 1624 sähte man einen Morgen (ca. 0,3 ha) des vor den Toren befindlichen Ackerlands des Hospitals mit Erbsen ein: Vor j morgen lantz zu bauwen geben: ij gulden iiij albus hab ertzen darin seen laßen dem Seeman geben: iij albus 59 Anfang Juli wurden sie dann geerntet – und zwar gemäht! Jtem iij Meheren belonet ieder j tagh, so ertzen gemehet: xviij albus 60 Die Ernte, j wagen Ertzen wurde um den 25. Juli, also etwa zwei Wochen später, eingefahren.61 Erbsen wurden auch in Neuss umgeschlagen. Die Accis-Ordnung von 1634 sah für jeden Malter weißer Erbsen eine Abgabe von 3 Albus, für graue Erbsen, Wicken, Bohnen und Linsen dagegen nur 2 Albus vor. 62

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StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche dionisius = 9. 10. 1581; Woche matthias = 24. 2. 1582; Woche achatius = 22. 6. 1582; StA Neuss B.02.01 / VII 210, 2: Woche dionisij nach Remigij = 1. 10. 1582; Woche bonifacius = 5. 6. 1583; Woche Achat. = 22. 6. 1583; StA Neuss B.02.01 / VII 210, 3: Woche dionisius, vnser kirmes gehalden = 1. 10. 1583; Woche faesnacht = 14. 2.1584; Woche misericordia = 15. 4.1584; Woche achatius = 22. 6. 1584; StA Neuss B.02.01 / VII 210, 4: Woche dionisius = 9. 10. 1584 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 3: Woche faesnacht = 14.2.1584 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 3: Woche achatius = 22. 6. 1584; ebenso: Jtem fur j fierdel weiser Ertzen: j gulden / Jtem fur j quart weyns jn de Ertzen: iij albus; StA Neuss B.02.01 / VII 210,3: Woche dionisius = 9. 10. 1584 Lau 1911, Nr. 186, 259 Jtem ahn Neuser Theenden bekomen ahn grau Ertzen: j sumber, StA Neuss B.02.01 – VII 210, 1: 13v StA Neuss B.02.01 / VII 215: Woche Palmarum = 31. 3. 1624 StA Neuss B.02.01 / VII 215: Woche Kilianij = 8. 7. 1624 StA Neuss B.02.01 / VII 215: Woche Jacobj Apostolj = 25. 7. 1624 Lau 1911, Nr. 209, 298


Erbsen (Pisum sativum) wurden in Neuss nur in zwei Befunden aus dem 9. und aus dem 12. Jahrhundert (Selikum, Glockhammer) gefunden, wo sie ausnahmslos in verkohlter Form vorlagen. Die wenigen Nachweise entsprechen sicherlich nicht der Bedeutung dieser Hülsenfrucht für die Neusser Bevölkerung im Mittelalter und der Frühen Neuzeit, denn die eiweißreichen Samen erhalten sich schlecht in „Feuchtmilieu” und sind – als Brei oder Mus zerkocht und verzehrt – auch in Latrinen nicht mehr identifizierbar. Die an der Fundstelle Glockhammer entdeckten 26 verkohlten Erbsen waren meist ohne Samenschale und annähernd rund, d. h. ausgereift. Dies zeigt, dass sie als Trockengemüse verwendet und nicht – wie heute eher üblich – unreif und grün verzehrt wurden. Bei den als weyse ertzen bezeichneten Sorten dürfte es sich um die Speiseerbse mit reif gelblich weißen Samen handeln, während die grau Ertzen wohl eher den auch als Viehfutter angebauten Futtererbsen (ssp. arvense) entsprechen. Den gefundenen Samen kann man nicht ansehen, zu welcher Subspezies sie gehören. Von der Größe her entsprechen die mittelalterlichen Erbsen mit Durchmessern von 5,2 bis 7,1 mm durchaus den heute handelsüblichen Trockenerbsen mit Durchmessern von 4,8 bis 7,3 mm.

Bohnen: eiweißreiche Kost Im Gegensatz zu den Erbsen werden Bohnen in den Stifts- und Hospitalrechnungen nur zweimal erwähnt. Im Juni 1583 kaufte man für den geringen Betrag von 3 Albus im Hospital boenen.63 Im Juli des Krisenjahres 1642, d. h. zur Zeit der hessischen Besatzung in Neuss, erstand man für 14 Albus Mohren vnd bohnen.64 Warum die Bohnen in den Rechnungen fehlen, bleibt unklar, doch dürfte es damit zusammenhängen, dass sie von Stift und Hospital selbst angebaut wurden, ohne dass beim Säen oder Ernten der Bohnen Kosten, etwa für den Samen, anfielen. Wie bei den Erbsen erwähnt, haben die Samen der Hülsenfrüchte nur wenige Chancen, sich in Kloaken und Latrinen zu erhalten. So sollten aus dem Fehlen von Ackerbohnen (Vicia faba) und dem einzelnen Nachweis der Linse (Lens culinaris) in den von K.-H. Knörzer untersuchten Proben keine Schlüsse auf die Beliebtheit oder das Verschmähen dieser nahrhaften Lebensmittel gezogen werden.

Rüben: ein Herbstgemüse Nach Auskunft der Gasthausrechnungen nahmen Rüben in der Ernährung der Bedürftigen des Hospitals vor allem Ende des 16. Jahrhunderts eine wichtige Rolle ein.65 Die rouben bzw. roeben wurden auf den Feldern des Gasthauses vor den Toren der Stadt angebaut,66 Ende des 16. Jahrhunderts jedoch auch in Säcken von den Erzeugern wie dem Kamberger Hof oder von Gastwirten gekauft, wie zwei Rechnungseinträge aus dem Jahr 1582 zeigen:

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Saterdach fur boenen: iij albus, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 2: Woche Johannen deß tauffers = 24. 6. 1583 Jtem ahn Mohren vnd bohnen:14 albus, StA Neuss B.02.01 / VII 215: S.o Jacobj = 25. 7. 1642 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche nach Remigij = 1. 10. 1581; Woche vrsula henckfrau = 21. 10. 1581; Woche Simon et Jude = 28. 10. 1581; Woche allerheilgen = 1. 11. 1581; Woche martin. = 11. 11. 1581; Woche Lucia = 13. 12. 1581; Woche bartholomej = 24. 8. 1582; Woche Egidij = 1. 9. 1582; Woche maryen gebuert = 8. 9. 1582; Woche sancti crucis = September 1582; Woche Mattheiy = 21. 9. 1582; Woche michaelis = 29. 9. 1582; Woche Gallus = 16. 10. 1582; Woche Nycolay = 6. 12. 1582; Woche Theodovirus = 9. 11. 1583; Woche Cunibertj Episcopi = 12. 11. 1623; Woche Kilianij = 8. 7. 1624 Jtem von 5 firdel Roeblantz zu bauwen: ij gulden xvij albus, StA Neuss B.02.01 / VII 21: Woche Kilianij = 8. 7. 1624

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Jtem gegolden van kaemberch v seck rouben jder sack xviij albus facit: iij gulden xviij albus 67 Jtem jm rosenbaum v seck rouben fur jder sack xvij albus facit: iij gulden xviij albus 68 Gekauft wurden die Rüben im Herbst und in der ersten Winterhälfte. Offensichtlich begann ihre Ernte Ende August, denn in der Woche um den Tag des Heiligen Bartholomäus, den 24. August, erscheinen sie erstmals in den Rechnungen.69 Bis Anfang November hinein ließ man sie wohl auf den Feldern stehen bzw. lagerte sie dort. Erst mit Beginn des Frostes wurde die Ernte eingefahren 70 und dann wohl bis Ende Dezember verzehrt, denn nach dieser Zeit fehlen entsprechende Rechnungseinträge. Eine Lagerung der Rüben über diese Zeit hinaus, z. B. in Mieten oder Kellern, scheint nicht üblich gewesen zu sein. Im 17. Jahrhundert werden Rüben seltener genannt: In den Gasthausrechnungen der Jahrgänge 1623/24 und 1641/42 tauchen sie nur jeweils einmal auf.71 Entweder wurden sie nicht mehr im früheren Umfang angebaut, oder der Eigenanbau deckte nun vollständig den Bedarf, so dass man auf den Ankauf verzichten konnte. Auch in den im 17. Jahrhundert erstellten Lebensmittelrechnungen des Stiftes St. Quirin fehlen jegliche Hinweise auf Rüben. Da von Rüben (Beta vulgaris) nur die sterilen Teile wie Blätter oder verdickte Wurzeln verzehrt werden, ist es nicht möglich, diese Gemüse in den Kotresten der Latrinenverfüllungen zu erfassen. Die bestimmbaren Fruchtknäuel gelangten eher zufällig – am ehesten mit Gartenabfällen oder mit Saatgut – in archäologische Befunde (Abb. 15). So fanden sich in einem Brunnen in der Zoll15 Rübe (Beta vulgaris), Fruchtknäuel, verkohlt. Neuss, römisches Militärlager straße in Verfüllschichten des 18. Jahrhunderts zwei viersamige Fruchtknäuel sowie zwölf Einzelfächer, die vermutlich aus einem hinter den Häusern gelegenen Krautgärtchen stammen.72 Dass im Mittelalter Rüben häufig angebaut und verzehrt wurden, belegen Fruchtknäuel aus 19 Fundstellen des Niederrheingebietes (beispielsweise aus Duisburg, Düsseldorf, Köln). Den Fruchtknäueln kann man nicht ansehen, ob sie als Rübe oder als Blattgemüse (Mangold) genutzt wurden. Bei den in den Schriftquellen erwähnten rouben dürfte es sich um Rüben i. e. S. handeln, denn sie wurden in Säcken verhandelt. Fleischige, essbare Rüben bilden auch Gemüsesorten aus der Kohlfamilie. Vom Rübsen Brassica rapa ssp. rapa sind heute bekannt: Stoppelrübe, Herbstrübe, Weißrübe, Wasserrübe, Mairübe, Teltower und märkische Rübe. Samen von Brassica rapa fanden sich zahlreich in den Neusser Befunden aus dem Mittelalter und der frühen Neuzeit. Sie zeigen, dass man Rübsen angebaut und verzehrt hat; die aufgefundenen Samen belegen allerdings eher den Verzehr der ölhaltigen Samen (s. u.) und nicht die Nutzung der Rüben und Blätter.

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StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche Lucia = 13. 12. 1581; Jtem jm rosenbaum v seck rouben fur jder sack xvij albus facit: iij gulden xviij albus, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 2: Woche Nycolay = 6. 12. 1582 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 2: Woche Nycolay = 6. 12. 1582 Jtem fur Rouben: iij albus, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche bartholomej = 24. 8. 1582 Jtem van ij karren Rouben heim tho faren gegeuen: x albus, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 3: Woche Theodovirus = 9. 11. 1583; Von ij Kahrren Roeben inzufahren: j gulden iiij albus, StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Cunibertj Episcopi = 12. 11. 1623 Von ij Kahrren Roeben inzufahren: j gulden iiij albus, Woche Cunibertj Episcopi = 12. 11. 1623; Jtem von 5 firdel Roeblantz zu bauwen: ij gulden xvij albus; Woche Kilianij = 8. 7. 1624 Knörzer 1975a, 163


Möhren: gebunden und in Säcken Auch Möhren spielten – der Häufigkeit ihrer Erwähnungen in den Rechnungen des Hospitals zufolge – eine wichtige Rolle in der Ernährung. Die moeren, mohren oder morren wurden allerdings wohl nur bei Versorgungsengpässen in Säcken oder im Bund zugekauft, wie Rechnungseinträge der Jahre 1623 und 1642 verraten: Jtem vor iij Seck morren ieder 14 marck zaltt Gordt kellers: x gulden xij albus Noch von Wittib Peter Weinbergs ij Seck morren ieder wie oben facit: vij gulden 73 Vor 8 gebondt Moeren Jeder 2 ½ albus facit: 20 albus 74 In der Hauptsache wurde das Gemüse jedoch im Hospitalgarten angebaut, wobei der more saem nicht immer selbst gezogen, sondern auch gekauft wurde.75 Gesäht wurden die Möhren in den Monaten März/April und dann im Oktober geerntet. Die Möhrenbeete scheinen recht umfangreich gewesen zu sein, denn zwei Lohnarbeiter waren mit ihrem Umgraben mehrere Tage beschäftigt. Jtem den garden lassen grauen, ij greuer gehadt iij dach jder den dach v albus facit: j gulden j albus Jtem fur more saem, olich saem, vnd sonst alder handt saem zo samen fur: xviij albus 76 Jtem 6 Reyoller gehabt 2 tagh iedere tags 12 albus facit: vj gulden Vor j pondt moeren Sams: ij gulden 77 Mit dem Ernten und Waschen der Möhren waren zwei Frauen im Oktober 1623 zwei, 1641 sogar vier Tage lang beschäftigt: Donnerdagh 2 frauwen so morren helffen außmachen belonet 2 tagh: xx albus 78 Jtem 2 frawen Vier tagh gewaschen vnd Mohren außgemacht selbigen zahlt jeder tagh per 6 albus: 2 gulden 79 Ob die Möhren eingekellert wurden, lässt sich aus den Rechnungen nicht erschließen, da entsprechende Hinweise, etwa der Kauf von Möhren in den Wintermonaten, fehlen. Mit moeren, mohren oder morren wurden sowohl Möhren (Daucus carota) als auch Pastinaken (Pastinaca sativa) bezeichnet. J. Becker-Dillingen schreibt dazu: „Die Möhre (Daucus carota L.) und unser Pastinak sind in früheren Zeiten mit einer Nachhaltigkeit verwechselt worden, daß es heute schwer fällt, sich hier durchzufinden.” 80 Diese Verwirrung betrifft nicht nur die antiken Schriften von beispielsweise Plinius oder Apicius, sondern auch die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Koch- und Kräuterbücher, in denen Möhren, Karotten, Pastinaken, ja sogar Rüben (Beta) unterschiedlich bezeichnet und abgebildet wurden.

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StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Seuerini Episcopi = 23. 10. 1623 StA Neuss B.02.01 / VII 215: Woche Alexij = 17. 7. 1642 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 2: Woche palmen = 3. 4. 1583; StA Neuss B.02.01 / VII 210, 3: Woche Oculi = 4. 3. 1584; StA Neuss B.02.01 / VII 210, 4: Woche jnuocavith = 10. 3. 1585 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 3: Woche Oculi = 4. 3. 1584; Jtem den garden grauen lassen fur more saem: xij albus, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 4: Woche jnuocavith = 10. 3. 1585 StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Paschae = 7. 4. 1624 StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Gereonis = 10. 10. 1623 StA Neuss B.02.01 / VII 215: Woche Gereonis = 10. 10. 1641 Becker-Dillingen 1928, 198

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K.-H. Knörzer konnte bei Neusser Ausgrabungen hin und wieder Teilfrüchtchen von Daucus carota und – nur einmal in der Fundstelle „Baustelle Horten” – auch eine Teilfrucht der Pastica sativa finden. Allerdings sind die Gartenmöhre und die in Wiesen verbreitete Wilde Möhre an den Früchten nicht eindeutig unterscheidbar; auch ist den Früchtchen des Pastinak morphologisch nicht anzusehen, ob sie von der Gartenform oder der in Wiesen und Unkrautfluren verbreiteten Wildform stammen. Möhre und Pastinak sind zweijährige Pflanzen. Im ersten Jahr erzeugen sie Rosetten aus fiederteiligen Blättern und speichern die Assimilate in der fleischigen Rübe. Diese werden geerntet und verzehrt. Werden die Rüben nicht geerntet, wächst der Spross im zweiten Jahr zu einer mehrfach verzweigten beblätterten Pflanze empor, wobei die Nährstoffe der Rübe verbraucht werden. Die sich nun entwickelnden Teilfrüchte werden als Saatgut verwendet. Mit dem Auffinden der Teilfrüchte von Daucus carota und Pastinaca sativa ist archäobotanisch also nicht der Verzehr der Rüben zu fassen, sondern allenfalls das Saatgut, das zusammen mit Garten- oder anderen Haushaltsabfällen in die archäologischen Befunde gelangte.

Kohl: Kappis und Frischgemüse Ein wichtiger Vitaminversorger im Winter war Kohl (Abb. 16). In den Monaten November und Dezember kaufte das Hospital Kohlköpfe in großen Mengen und verarbeitete sie zu Sauerkraut, wie z. B. im November 1581: Dynxsdach fur j hondert sulß kappis: iij gulden vj albus Jtem fur wacheldkorner: j albus Jtem fur iij loith koem: ij albus iij heller Jtem ij quart Essichs vp de kappis: vii albus Jtem fur j loeth peffer: ij albus 81 Auf 100 Köpfe kamen Wacholderbeeren, drei Lot Kümmel (ca. 90 g) und ein Lot Pfeffer (ca. 30 g). Außerdem wurden zwei Quart (ca. 3 l) Essig über den Kohl geschüttet. Der Essig stoppte zwar den Prozess der Milchsäuregärung, hatte aber offensichtlich die Funktion, den Säuregrad des Sauerkrautes zu erhöhen und es so haltbarer zu machen. Diese aus heutiger Sicht ungewöhnliche Ver16 „Kühe mit Hirte und Kohlköpfen“. Kupferstich von Abraham Bloemaert (1566 -1651), fahrensweise hing möglicherweise Clemens-Sels-Museum Neuss, 1981Gr1376,02 damit zusammen, dass man mit dem teuren, in Neuss hoch besteuerten Salz, das dem Kohl zugesetzt werden musste, sparsam umging und stattdessen den kostengünstigeren Essig einsetzte. Bei den Mengenangaben ist zu berücksichtigen, dass die Kohlköpfe bei weitem nicht die heutigen Größen erreichten, sondern wohl noch nahe an der Wildform waren und sicherlich weit unter 1 kg wogen.

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StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche Leopoldus = 15. 11. 1581


Einkäufe zur Herstellung von Sauerkraut mit ähnlichen Mengenangaben wie 1581 finden sich in den Hospitalrechnungen auch für die folgenden Jahre.82 Am 19. November 1582 kauft man 100 sulß kappis sowie zwei Quart Essichs vp den kappis.83 Die Herstellung des Sauerkrauts dauerte mehrere Wochen, denn um den 13. Dezember desselben Jahres heißt es in den Rechnungen: Jtem noch tho den vurstgenannten. kappis j quart Essichs: v albus Jtem auch dar tho gebruecht thom kappis ij pond wynstein: vj albus Jtem noch dartho komen ahn wachelder korner: ij albus 84 Bemerkenswert ist die Nennung von Weinstein, mit dem offensichtlich ebenfalls der Säuregehalt des Sauerkrautes reguliert werden sollte. In der Zeit von September bis Anfang Januar wurde Kappis im Hospital aber auch in kleineren Stückzahlen gekauft und wohl frisch zubereitet.85 Man kredenzte ihn dabei nicht nur an normalen Wochentagen, sondern auch bei den Festessen zur Kirmes in der Woche des Heiligen Dionysius Anfang Oktober, wie die Rechnungseinträge des Gasthauses aus den 1580er Jahren zeigen. In ihnen finden sich regelmäßig Ausgaben für kappis in Höhe von 4 - 8 Albus.86 Auch in der Spesenrechnung der Reise der Bediensteten des Stifts St. Quirin nach Boppard taucht Kohl auf, der ebenfalls wohl als Frischgemüse gegessen wurde.87 12 Kappus wurden bei der Feier zur Einführung der Äbtissin von Eyll im Jahr 1641 serviert.88 1650, nur neun Jahre später, scheint Kohl auf den Tischen der adligen Gesellschaft richtig in Mode gekommen zu sein, denn trotz der desolaten wirtschaftlichen Lage in Neuss am Ende der hessischen Besatzung wird bei den Feierlichkeiten für die Äbtissinnenwahl blomenkuell, Saffrische koull anderen vnd radiß 89 serviert, also neu gezüchtete Kohlsorten wie Blumenkohl und gelber saffrischer Kohl, die nun auch ihren Weg nach Neuss gefunden haben. Archäobotanisch lässt sich die Bedeutung, welche der Kohl für die mittelalterliche und frühneuzeitliche Bevölkerung in Neuss hatte, nicht fassen. Das Kohlgemüse wird im ersten Jahr, also vor der Samenbildung, geerntet. Bei den Kopfkohlen (Brassica oleraceae var. capita) sind die Pflanzen frostempfindlich. Zur Saatgutgewinnung werden die Kohlpflanzen im Herbst aus der Erde gezogen und im Keller überwintert. Erst im nächsten Frühjahr werden sie wieder in geschützter Lage im Garten gepflanzt. An der Basis des Kopfes treiben mehrere Seitensprosse, später auch ein Gipfeltrieb, an dem sich 1,80 bis 2,50 m hohe Blütenschäfte entwickeln. Aus den gelben, reichlich von Bienen beflogenen Blüten ent-

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Jtem fur eyn hondert suls kappis: iiiij gulden vj albus / Jtem fur wachelder korner: ij albus / Jtem fur ij quart Essichs vp de kappis: x albus, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 4: Woche andreas = 28. 11. 1584; Jtem vor 100 Sultz Kappes: viij gulden, StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Praesentationis B. Mariae Virginis = 21. 11. 1623; Vor 2 quar eßigh auff die Sultz: 1 gulden / Vor 100 Kappes: 10 gulden, StA Neuss B.02.01 / VII 215: Woche Omnium Sanctorum = 1. 11. 1641; Vor j quart Eßigs vff den Sultz kappes: xv albus [...] Noch vor 25 Sultz Kappes – j gulden xxj albus, StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Nicolaj = 6. 12. 1623; Vor 25 Kappes: 2 gulden 2 albus, StA Neuss B.02.01 / VII 215: Woche Gereonis =10. 10. 1641; Vor ¼ Kappiß: 2 gulden 6 albus, StA Neuss B.02.01 / VII 215: Woche Conceptio B. M. V. = 8. 12. 1641 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 2: Woche Elysabeth = 19. 11. 1582 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 2: Woche Lucia = 13. 12. 1582 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 4: Woche Matth. = 21. 9. 1585; StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Natiuitatis B. Mariae Virginis = 8. 9. 1624; StA Neuss B.02.01 / VII 215: Woche Trium Regum = 6. 1. 1642 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche dionisius = 9. 10. 1581; StA Neuss B.02.01 / VII 210, 2: Woche dionisij nach Remigij = 1. 10. 1582; StA Neuss B.02.01 / VII 210, 3: Woche dionisius, vnser kirmes gehalden = 1. 10. 1583; StA Neuss B.02.01 / VII 210, 4: Woche dionisius = 9. 10. 1584 Jtem vur kappis vnd vlligh: ij albus, Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 16: Reise nach Boppard 1572, 2v 12 kappus: 20 albus, Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 50, Nr. 1: Überblick über die Ausgaben für die Äbtissinnenwahl 1641 Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 50: Abrechnung der Ausgaben für die Äbtissinnenwahl 1650, 1r

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wickeln sich lange, braune, schmale Schoten, die jeweils über 50 Samen enthalten.90 Angesichts dieser aufwändigen Saatgutbereitung verwundert es nicht, wenn Samen von Brassica oleracea nur sehr vereinzelt im archäologischen Befund überliefert sind. Aus Neuss, ja aus dem gesamten Niederrheingebiet, konnte K.-H. Knörzer keinen einzigen Samen sicher der Art Brassica oleracea zuordnen. In Norddeutschland, den Niederlanden und Dänemark fanden sich gelegentlich vereinzelte Samen aus dem Mittelalter und der Frühen Neuzeit. 1650 wird in den Neusser Schriftquellen blomenkuell erwähnt. Erste bildliche Darstellungen des Blumenkohls (Brassica oleracea var. botrytis) finden sich bei R. Dodonaeus um 1554 sowie bei Joachim Camerarius (1586, gedruckt 1626).91

Zwiebeln: 3 Reyen vlligs In der Spesenrechnung des Stiftes St. Quirin für die Reise nach Boppard, die von Ende September bis Ende Oktober 1572, also etwa einen Monat dauerte, werden für den 27. September wie für den 3. und den 6. Oktober Käufe von Zwiebeln notiert. Zweimal erscheinen dabei kappis vnd vlligh zusammen, was die Vermutung nahelegt, dass Zwiebeln und Kohl zusammen in einem Gericht gegessen wurden.92 In den in etwa zeitgleichen Rechnungen des Hospitals fehlen hingegen Hinweise auf den Anbau der Zwiebel, doch ist dies vermutlich mit dem Eigenanbau im Hospital zu erklären, der keinerlei Spuren in den Rechnungsbüchern hinterließ. Die Rechnungen des Jahrganges 1623/24 enthalten dann mehrere Einträge in der Zeit von Anfang September bis Mitte April.93 Sie zeigen, dass Zwiebeln auch den Winter über bevorratet wurden und praktisch das ganze Jahr in der Küche zur Verfügung standen. Im 17. Jahrhundert baute das Hospital die Zwiebeln allerdings nicht mehr ausschließlich selbst an, sondern kaufte sie in Reyen, d. h. wohl zu einem Zopf zusammengeflochten.94 Es bleibt noch zu erwähnen, dass auch bei den 1641 und 1650 zur Äbtissinnenwahl abgehaltenen Banketten Zwiebeln konsumiert wurden, die auch in diesem Fall als reien, d.h. als geflochtene Zöpfe gekauft wurden.95 Die Bedeutung der Zwiebel, die durch die schriftlichen Zeugnisse dokumentiert ist, kann nicht durch archäobotanische Funde untermauert werden, da sich die vegetativen Teile, also die Zwiebeln, nur unter besonderen Umständen erhalten haben. Zwiebeln werden sowohl generativ, durch Samen, als auch vegetativ, durch Tochterzwiebeln, vermehrt. Vor der Ernte werden bei den aus kleinen Steckzwiebeln gezogenen Zwiebelpflanzen häufig die Blütenschäfte durch Umtreten gestört, damit die in der Zwiebel gespeicherten Nährstoffe nicht für die Samenbildung verbraucht werden. Diese Speicherstoffe werden von der Pflanze aufgezehrt, wenn die Pflanze im nächsten Frühjahr austreibt, Blüten ansetzt und Samen ausbildet. Dieser Anbaumodus mag die wenigen Funde von Zwiebelsamen erklären. Aus Neuss sind Belege von Allium cepa lediglich von L. Gelius-Dietrich aus einer Zisterne aus dem Ende des 18. Jahrhunderts vermerkt, die von den einrückenden Franzosen als Fäkalienschacht genutzt wurde.96

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Körber-Grohne 1987, 176 ff Körber-Grohne 1987, 181 f Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 16: Reise nach Boppard 1572, 2v, 4v u. 5r Vor 4 reyen vlligs – xviij albus, StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Quasimodo = 14. 4. 1624; Vor 3 Reyen vlligs – xv albus, StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Aegidij = 1. 9. 1624 Vor 3 Reyen vlligs – xiij albus vj heller, StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Reminiscere = 3. 3. 1624 Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 50, Nr. 4: Abrechnung der Ausgaben für die Äbtissinnenwahl 1641; Abrechnung der Ausgaben für die Äbtissinnenwahl 1650 Gelius-Dietrich 1996, 141


Weiteres Gemüse Aus der sicherlich großen Zahl der im Stift und im Hospital angebauten Gemüsesorten haben nur wenige Eingang in die Rechnungsbücher gefunden. Zu ihnen gehörte der Rettich oder das Radieschen, das nur einmal als radiß in der Stiftsrechnung von 1650 auftaucht.97 Von Rettich und Radieschen werden üblicherweise die nicht erhaltungsfähigen Rüben verzehrt, sodass es – mit Ausnahme zur Saatguterzeugung – nicht zur Samenbildung kam. Samen von Raphanus sativus fanden sich nur gelegentlich in archäobotanischen Befunden; die von K.-H. Knörzer untersuchten Proben aus dem Niederrheingebiet enthielten bislang keine eindeutigen Belege. Der Rettich wird schon von antiken Schriftstellern wie Herodot und Plinius beschrieben; schriftliche Nachrichten vom Radieschen gibt es erstmals aus dem 16. Jahrhundert.98 In der Hospitalrechnung des Jahrgangs 1641/42 wird mehrfach ein Groen Moeß oder Groen Moes in der Zeit zwischen Anfang April bis Anfang August genannt.99 Vermutlich ist es identisch mit dem in der ersten Augustwoche 1642 gekauften gemoeß.100 Worum es sich bei dem Gemüse handelt, ist unklar, offensichtlich war es aber ein frisch geerntetes Blattgemüse, das zu Mus bzw. Brei zerkocht wurde. Für die Bereitung von Groen Moeß oder Groen Moes eignen sich mehrere Blattgemüse. So kann man von mehreren der oben schon genannten Gemüse die Blätter verzehren, beispielsweise von Rüben, Rettich oder Kohl in Form von Mangold. Auch Spinat war in dieser Zeit bekannt; Albertus Magnus (1200 -1280) erwähnt bereits spinachia, und Pollenkörner vom Spinacia-Pollentyp fanden sich in einer hochmittelalterlichen Hofstelle bei Hamm. Aber auch ein anderes, noch heute im Rheinland geschätztes Frühgemüse könnte als groen muos bereitet worden sein: Rübstiel/Stielmus. So ist bereits im Capitulare de villis Karls des Großen von napos insuber die Rede, also etwas Essbarem bei Rüben, was obendrauf wächst, wobei mit napos sicherlich der Rübsen (Brassica rapa) gemeint ist.101 Die Neusser Ausgrabungen erbrachten einige Belege von heute eher seltenen Gemüsepflanzen. Dazu zählt der Portulak (Portulaca oleracea), dessen Samen an mehreren Fundstellen gefunden wurde. Eine Latrine des 18. Jahrhunderts der Fundstelle Münsterschule enthielt allein 811 Samen des Portulak. Auch der Amaranth (Amaranthus blitum) war im Mittelalter ein beliebtes Gemüse, das im 16. Jahrhundert mehr und mehr durch den beliebteren Spinat (Spinacia oleracea) verdrängt wurde.102 Samen vom Amaranth kommen im mittelalterlichen Neuss an mehreren Fundstellen vom 13. bis zum 15. Jahrhundert vor.

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Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 50: Abrechnung der Ausgaben für die Äbtissinnenwahl 1650, 1r Körber-Grohne 1987, 199 StA Neuss B.02.01 / VII 215: Woche Judica = 6. 4. 1642; Woche Jubilitate = 11. 5. 1642; Woche Osteren = 20. 4. 1642; Woche Quasimodo = 27. 4. 1642; Woche Misericordia = 4. 5. 1642; Woche Jubilitate = 11. 5. 1642; Woche Cantate = 18. 5. 1642; Woche Crutzwoch = 25. 5. 1642; Woche Kilianj = 8. 7. 1642; Woche Vincula Petrj = 1. 8. 1642; Woche Dominicj = 5. 8. 1642 StA Neuss B.02.01 / VII 215: Woche Vincula Petrj = 1. 8. 1642 Meurers-Balke u. a. 2008, 41 Körber-Grohne 1987, 441

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Ölpflanzen Die gewerbsmäßige Herstellung von Öl hat in Neuss eine lange Tradition, denn bereits 1323 ist in der Stadt ein Gerhardus Olieschleger belegt.103 Eine Ölmühle wird aber erst 1493 in den Schriftquellen erwähnt. Es handelt sich um die Grayvenmoele am Obertor, die seinerzeit einzige Ölmühle in Neuss (Abb. 17).104 Anfang des 16. Jahrhunderts erlebte die Neusser Ölindustrie einen bedeutenden Aufschwung. 1554 bestanden bereits vier Ölmühlen, 1574 sogar fünf, von denen drei am Ober- und zwei am Rheintor lagen und mit Wasserkraft betrieben wurden.

17 Wasserbetriebene Ölmühle (Grayvenmoele) vor dem Obertor, Ausschnitt aus der Stadtansicht von Braun und Hogenberg. Kolorierter Kupferstich 1588. Clemens-Sels-Museum Neuss, Slg. Rabe

Auch die Bürger ließen 1562 ihre Ölfrüchte in der Ölmühle mahlen. Das fertige Öl wurde dann von Sackträgern nach Haus getragen.105 Die Stadtrechnungen von 1583/84 unterscheiden zwischen der Akzise für das Öl von Bürgern und von Fremden.106 1578 wurden von Neusser Bürgern 520 ½ Ohm und von Ortsfremden 84 ½ Ohm Öl umgeschlagen, d. h. in die Stadt ein- und gleich danach wieder ausgeführt.107

Durch den Kölner Krieg und den großen Stadtbrand von 1586 erlitt der Ölhandel einen empfindlichen Einbruch.108 Allerdings wurden die Ölmühlen schon bald wieder aufgebaut, so dass 1592/93 bereits wieder 150 Ohm Öl (ca. 22.500 l) versteuert wurden. Die Akzise-Ordnung von 1596 differenziert zwischen dem Öl, das alhier ahn einen fremden oder burger verkauft oder ausgefuret wird.109 1620 waren bereits wieder sieben Ölmühlen in Betrieb.110 Nach der AccisOrdnung von 1634 mussten für jeden Malter Rübsamen 3 Albus, für Wicken aber nur 2 Albus gezahlt werden.111 Von 100 Olichkoichen, so ausfahren oder aus den Schiffen verkauft wurden, waren 3 Albus zu entrichten, für einen Ohm Olichs sogar 15 Albus.

Rübsen: Rohstoff für Lampenöl? Die wichtigste Ölpflanze in Neuss war der Rübsen. Er war die einzige Ölpflanze, für die eine eigene Akzise erhoben wurde. 1581/84 betrugen die städtischen Einkünfte an Rübsamen 60 Mark, 4 Albus und 3 Denare je Malter und lagen damit über den Einnahmen aus der Wollakzise.112 Für jeden verkauften Malter wurden 21 Heller als Akzise, mehr als dreimal so viel wie für Weizen, erhoben. Rübsen wurden vom Hospital zum Heiligen Geist 1582 auf dem Ackerland an der Krur angebaut:

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Brandts 1962, 13, Nr. 59 Huck 1984, 125 f van iederm ahm oleis usser der mollen ins burgers huis zu dragen, Lau 1911, Nr. 177, 240 Lau 1911, 442 f Wisplinghoff 1975, 335 Wisplinghoff 1975, 358 Lau 1911, Nr. 192, 275 Huck 1984, 125 Lau 1911, Nr. 209, 298 Lau 1911, 442 f


Jtem den Roubsaem Lassen Meen dar van vor loent ahn der kruren: vj albus 113 1582 wurde der Rübsen Ende Mai, 1624 Anfang Juni geerntet, wobei er mit der Sense von einem Lohnarbeiter gemäht wurde: Jtem j man so Roebsam gemehet geben: xij albus 114 Knapp zwei Wochen später wurde die Ernte eingefahren. Offensichtlich ließ man die ausgereiften Rübsamen auf dem Feld trocknen: Jtem j frauwen so den Roebsaem inhelffen dragen geben: vj albus 115 1582 erntete man an der Krur drei Sümber Rübsamen.116 Hinzu kamen weitere drei Sümber aus den Zehnteinnahmen. Aus den Samen des Rübsen wurde Öl gepresst, wobei ein Malter Rübsamen (ca. 156 l) nach Aussage des Rechnungsbuches des Jahres 1582/83 24 Quart Öl (ca. 36 l) ergab: Jtem dath malder roubsaem slaen lassen dar van tho slaen gegeuen: j gulden Jtem de kecke fur de fercken behalden jntgespuel Jtem van den vurstgenannten saem ahn olich bekomen: xxix quart 117 Die Pressrückstände wurden an die Schweine verfüttert. 1623 kaufte man zu diesem Zweck 200 Roebkochen, ein Jahr später 50: Item vor ij c. Roeb koechen zaltt: xij gulden 118 Vor 50 Roebkochen: iij gulden 119 Der Bedarf an Rübsamen im Gasthaus konnte offensichtlich nicht durch Eigenanbau gedeckt werden. 1582 kaufte man bereits im September, also knapp drei Monate nach der Ernte der eigenen Früchte auf den Feldern an der Krur, zusätzlich 1 ¼ Malter Rübsen dazu.120 Den Rübsamen bezog man 1641/42 nicht über den Handel, sondern direkt von einem Grefrather Bauern, wie das Rechnungsbuch verrät: Jtem von fincken Gierlingh von Greifferaedt gekaufft ½ Malder Roebsaem per 3 Reichsthaler Jtem von selbigem ein Schwein so Jungen gedragen gecaufft ad 2 ½ Reichsthaler 121 Nicht in jedem Jahr reichte das selbstgepresste Öl aus, den Bedarf im Gasthaus zu decken. Im November 1581 kaufte man an zwei Terminen insgesamt 23 Quart Öl (ca. 35 l) zusätzlich,122 während im darauffolgenden Jahr offensichtlich der Vorrat an Öl aus eigener

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StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche Exaudi = 27. 5. 1582 StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Trinitatis = 2. 6. 1624 StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Viti et Modestj = 15. 6. 1624 Jtem vntfangen van dem lande ahn der kruren ahn Reubsaem: iij sumber, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: 13v StA Neuss B.02.01 / VII 210, 2: Woche Oculi = 13. 3. 1583; vgl. Jtem de v sumber roubsaem slaen lassen, daervan bekomen xxxv quart olich, tho slaen gegeuen: j gulden vj albus, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 3: Woche pet. vinck. = 1. 8. 1584 StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Dominica Francisci = 3. 10. 1623 StA Neuss B.02.01 / VII 215: Woche Sexagesima = 11. 2. 1624 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche maryen gebuert = 8. 9. 1582 StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Visitatio B. M. V. = 2. 7. 1642 Jtem gegolden ix quart olich de quart xij albus, facit: iiiij gulden, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche allerheilgen = 1. 11. 1581; Jtem fur j ahm olichs: xxiiij gulden, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche andreas = 28. 11. 1581

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Herstellung ausreichte. Im Rechnungsjahr 1623/24 hatte sich der Ölverbrauch allerdings bereits mehr als verdreifacht: Insgesamt wurden über 74 Quart Öl (ca. 100 l) jeweils in kleinen Mengen von zumeist 4 - 6 Quart gekauft.123 Ein Rechnungseintrag zeigt, dass man das Öl, sehr wahrscheinlich Rüböl, direkt in den Ölmühlen erstand: Jtem bei Henrich ollighschleger gegolden v quart olligs: v gulden 124 Der zuvor in Grefrath von Fincken Gierlingh gekaufte Rübsamen dürfte weitere 12 Quart (ca. 18 l) Öl ergeben haben. Insgesamt wurden im Hospital im Rechnungsjahr 1623/24 monatlich etwa 10 l Öl verbraucht. Während der hessischen Besatzung in Neuss am Ende des Dreißigjährigen Krieges scheint die Ölproduktion sehr stark zurückgegangen zu sein. Der jährliche Verbrauch an Öl sank auf etwa 26 Quart. Das Öl wurde nun in Fässern zu 22 Quart (etwa 33 l) verkauft.125 Wozu das Rüböl im Gasthaus verwendet wurde, geht aus den Unterlagen nicht hervor, doch war es, bis im 20. Jahrhundert die Züchtung neuer Sorten gelang, wegen seines hohen Gehaltes an Eurucasäure und Bitterstoffen für den menschlichen Verzehr nicht genießbar. Daher dürfte das im Hospital erzeugte Öl wohl für technische Zwecke, d. h. wahrscheinlich als Brennstoff für Öllampen, gedient haben. Obwohl der Rübsen ohne Zweifel die bedeutendste Ölpflanze im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Neuss war, fand K.-H. Knörzer in den archäologischen Ausgrabungen bisher keine Reste von der Rübölpressung, beispielsweise von Ölkuchen. Allerdings sind Samen von Brassica rapa durchaus häufig in den Neusser Kloaken. Konzentrationen mit bis zu 1.424 Samen wie an der Fundstelle Peinturm lassen vermuten, dass man die ölreichen Samen den Speisen beifügte und mit verzehrte. Denn bezeichnenderweise liegen die meisten Samenkörner in Bruchstücken oder sogar Splittern vor – sie waren also entweder geschrotet oder durch Kauen zermahlen in die Latrinen gelangt. Viele der kleinen Splitter ließen sich nicht eindeutig bestimmen, so dass K.-H. Knörzer sie nur als Brassica sp. vermerkt hat. Heute ist der Anbau des Rübsens durch den Raps verdrängt worden; Brassica napus ist eine Kreuzung zwischen Kohl (Brassica oleracea) und Rübsen (B. rapa), die nach U. KörberGrohne126 in die Frühe Neuzeit zu setzen sein wird. Neben Rübsen besitzen einige weitere Kreuzblütler ölreiche Samen, die zur Ölgewinnung genutzt werden können. Die in eisen- und römerzeitlichen Ausgrabungen häufigen Samen des Leindotters (Camelina sativa) haben im Niederrheingebiet im Mittelalter an Bedeutung verloren, auch in Neuss fand K.-H. Knörzer davon keine Reste. Ebenso enthalten die Samen des im Gebiet auf Äckern und an Schuttplätzen verbreiteten Ackerrettichs oder Hederichs, Raphanus raphanistrum, ein zu Speise- oder technischen Zwecken verwertbares Öl.

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StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Dominica Francisci = 3. 10. 1623; Woche Omnium Sanctorum = 1. 11. 1623; Woche Andreae Apostolj = 30. 11. 1623; Woche Lucia Virginis = 13. 12. 1623; Woche Conuersionis S. Paulj = 25. 1. 1624; Woche Blasij Episcopi = 3. 2. 1624; Woche Sexagesima = 11. 2. 1624; Woche Quadragesima = 18. 2. 1624; Woche Inuocauit = 25. 2. 1624; Woche Reminiscere = 3. 3. 1624; Woche Oculj = 10. 3. 1624; Woche Laetare = 17. 3. 1624; Woche Cantate = 5. 5. 1624; Woche Penthecostes = 26. 5. 1624; Woche Visitationis B. Mariae Virginis = 2. 7. 1624; Woche Vincula Petrj = 1. 8. 1624; Woche Aegidij = 1. 9. 1624; Woche Matthaej apostolj = 21. 9. 1624 StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Penthecostes = 26. 5. 1624 StA Neuss B.02.01 / VII 215: Woche S.o Jacobj = 25. 7. 1642; ebenso: Donnerstagh vor 4 ¼ quart olligh: 5 gulden 10 albus, StA Neuss B.02.01 / VII 215: Woche Alexij = 17. 7. 1642 Körber-Grohne 1987, 170


Lein- und Baumöl Wesentlich geringer als der Verbrauch an Rüböl war der Verbrauch an Speiseölen. Christian Wierstraet berichtet in seiner Chronik, dass während der burgundischen Belagerung in Neuss neben Honig und Erbsen noch große Mengen an Öl vorhanden waren, die in der Zeit von Weihnachten bis Fastnacht der Ernährung der Belagerten dienten. Vort wart gelievert dorch dye vast Hoenich oly ertzen sonder last 127 Ob es sich bei dem oly um Speiseöl oder aus der Not heraus um „zweckentfremdetes” Lampenöl handelt, kann nicht gesagt werden. Zu den Speiseölen gehörte aber eindeutig das „Baumöl”. Mit diesem Begriff wurde bereits Ende des 16. Jahrhunderts das Olivenöl bezeichnet.128 Auf ihrer Reise zu den Weinbergen in Boppard konsumierten die Bediensteten des Stifts St. Quirin 1572 siebenmal Bomolich.129 Im Hospital wurde dagegen Ende des 16. Jahrhundert Baumöl nur gelegentlich gekauft. Im Rechnungsjahr 1581/82 beschränkte sich der Verbrauch auf eine Pinte (etwa einen halben Liter), die zudem als Medizin für einen kranken Hospitalinsassen verwendet wurde: Jtem noch fur den furstgenannten Thonis speickernagel geholt j pint boumolichs fur: vijj albus 130 Das Öl scheint u. a. bei der äußeren Versorgung von Wunden Anwendung gefunden zu haben, wie das Beispiel eines verletzten Schiffers aus dem Dezember 1582 zeigt, dessen Erfrierungen an Händen und Füßen mit Öl aus der Apotheke behandelt wurden: Jtem werner van konyngs hauen jn dat gasthuiß komen dragen vyß einen schyff dem handt vnd fuß van kelden verlaemt waren viß der apteecken ahn olich holen lassen dar myth er gesineert worden fur: iij albus 131 Auch in den folgenden Jahren blieb der Verbrauch an Baumöl auf etwa eine Pinte jährlich beschränkt.132 Nur 1624 wurden zwei Pinten Baumolligs gekauft.133 Dass es sich beim Baumöl in dieser Zeit noch um ein seltenes Importgut handelt, das in erster Linie für medizinische Zwecke verwendet wurde, bestätigt ein Rechnungseintrag aus dem Jahr 1585, in dem das Baumöl zusammen mit Zucker, damals ebenfalls als Heilmittel eingesetzt, genannt wird: Jtem fur sallaet, baumolich j pont socker: xxvij albus 134 Bei dem Salat handelt es sich offensichtlich um in Salz bzw. Essig eingelegtes Gemüse bzw. Heilpflanzen.135 Deutlich höher liegt paradoxerweise der Baumölkonsum im Rech-

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Wierstraet 1974, Verse 1670 -1671 boom olie: olie van olijuen. Oliuum, Kiliaan 1599 Bom Oligh, bomoligh, boemoligh, baum ollich, Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 16: Reise nach Boppard 1572, 5v-r, 6v-r u. eingelegter Zettel StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche dionisius = 9. 10. 1581; StA Neuss B.02.01 / VII 210, 3: Woche misericordia = 15. 4. 1584; StA Neuss B.02.01 / VII 210, 4: Woche misericordij = 5. 5. 1585 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 2: Woche Lucia = 13. 12. 1582 Jtem fur j pint baumolichs: iiij albus, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 2: De wech bonifacius = 5. 6. 1583; StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Vrsulae = 21. 10. 1623 StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Reminiscere = 3. 3. 1624; Woche Crucis = Anfang Mai 1624 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 4: Woche misericordij = 5. 5. 1585 Salaet: Acetaria, orum. vulgò salata, salita siue salsa. ger. salat: gal. salade: ang. salette: ital. salato: & hisp. salade. i. salsus., Killiaan 1599

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nungsjahr 1641/42, in dem Neuss von hessischen Truppen besetzt und ausgeplündert ist. Fast 20 l Baumöl werden nun vom Hospital gekauft.136 Möglicherweise hängt dies mit der nun deutlich höheren Anzahl an Verwundeten in der karitativen Einrichtung zusammen. Da in Neuss wegen des Krieges kein überregionaler Markt abgehalten wurde, musste das Baumöl von dußeldorff abgeholt werden.137 Zu den in Neuss angebauten Ölpflanzen gehörte der Lein (Abb. 18). Der Verbrauch an Leinöl im Hospital scheint sehr gering gewesen zu sein, denn lediglich im Juli 1585 werden in den Rechnungen drei Sümber lyngsaem genannt,138 aus denen Ende August des Jahres 12 Quart (ca. 18 l) Öl geschlagen werden: Jtem de dry sumber lyngsaem slain lassen erloent: xxiij albus Jtem dar van ahn olich bekomen: xij quart 139 Öl selbst entzieht sich dem archäobotanischen Nachweis, sodass die Nutzung von importiertem Olivenöl allenfalls durch die Transportbehälter, nicht aber durch die Anwesenheit des Öles belegt werden kann.

18 Lein mit ausgereiften Fruchtkapseln

Vom Lein (Linum usitatissimum) fanden sich gelegentlich einzelne Samen und sogar Kapselfragmente. Sie sind jedoch so selten, dass sie nicht als Rückstände der Ölpressung gelten können. Es dürfte sich bei den Leinsamen eher um eine Zutat bei der Speisen- oder Brotbereitung handeln – vielleicht sogar zur Verdauungsförderung, da die Samenschalen Schleime enthalten, die durch Wasseraufnahme quellen. Nicht zu vergessen ist die Nutzung der Leinfasern zur Tuchherstellung, man bezeichnet die Pflanze in diesem Zusammenhang eher als Flachs.

Ähnlich wie der Lein, so bringt auch der Hanf (Cannabis sativa) den Menschen mehrfach Nutzen. In erster Linie Faserlieferant, erntet man auch die Früchte, die zur Ölgewinnung gemahlen und gepresst werden. K.-H. Knörzer fand immer wieder Cannabis-Früchte in mittelalterlichen Ablagerungen im Niederrheingebiet; in Neuss entdeckte er lediglich drei Früchte in einer auf dem Gelände des Gasthauses zum Heiligen Geist befindlichen Latrine (Fundstelle Rathauserweiterung).

Weitere Ölpflanzen 1584 und 1585 wird zweimal olich saem erwähnt, der im Gegensatz zu dem Rübsen nicht auf dem Feld, sondern im Hospitalgarten angebaut wurde: Jtem den garden lassen grauen, ij greuer gehadt iij dach jder den dach v albus facit: j gulden j albus

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StA Neuss B.02.01 / VII 215: Woche Remigij ahngehendt = 1. 10. 1641; Woche Gereonis = 10. 10. 1641; Woche Andreae = 30. 11. 1641; Woche Hilarij = 13. 1. 1642; Woche Matthiae Apostolj = 24. 2. 1642; Woche Jubilitate = 11. 5. 1642; Crutzwoch = 25. 5. 1642; Woche Exaudj = 1. 6. 1642 StA Neuss B.02.01 / VII 215: Woche Exaudj = 1. 6. 1642 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 3: Woche Alexius = 17. 7. 1584 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 3: Woche Johann. Enthaufftung = 29. 8.1584


Jtemfur more saem, olich saem, vnd sonst alder handt saem zo samen fur: xviij albus 140 Jtem den garden grauen lassen fur more saem: xij albus Jtem fur viij loith oylich saem: v albus 141 Welche Pflanze sich hinter dem olich saem verbirgt, bleibt unklar – möglicherweise handelt es sich um Lein. Um eine Ölpflanze dürfte es sich auch bei dem kloetsaem handeln, der in den 1580er Jahren an der Krur auf den Feldern des Hospitals angebaut wurde: Jtem dat land ahn der kruren bauen lassen verlont: ij gulden Jtem fur j quart kloetsaem tho seyen: ij albus 142 1583 wurden die Felder offensichtlich vor dem Einsähen mit Mist gedüngt, was die Wertschätzung für den kloithsaem verrät: Jtem fur vij karren mistes vyß tho faren gegeuen: j gulden iiij albus Jtem dat landt tho bauren vnd geseet verlont: ij gulden Jtem fur iij pintten kloithsaems gegeuen: vj albus 143 1624 ließ man von einem Lohnarbeiter Kloetsaem auf zwei Morgen Land sähen: Vor ij morgen lantz zu bauwen belonet: iij gulden vj albus dem Seeman belonet: iiij albus vj heller Vor j quart Kloetsaems: xviij albus 144 Um welche Pflanze es sich bei dem Klotsamen handelte, bleibt unklar. Der Name deutet auf eine kugelige Form der Samen bzw. der Samenkapsel hin. Möglicherweise handelt es sich daher um Schlafmohn, der im Niederländischen heute bolpapaver (Kugelmohn) genannt wird. In Neuss ist auch mit ungewöhnlichen Ölsorten zu rechnen. Dies zeigt ein Eintrag in der Ausgabenrechnung für die Äbtissinnenwahl 1641. Für 20 Albus erstand man 2 quart Carveoligh mit dem kentgen – etwa 3 l Kümmelöl, das wohl in einer kleinen Kanne transportiert wurde.145 Vom Schlafmohn (Papaver somniferum) fanden sich wiederholt Samen in den Neusser Kloaken, allerdings auch hier in so geringen Stückzahlen, dass sie nicht als Rückstände der Ölpressung angesehen werden können. Es dürfte sich hierbei eher um eine würzende Zutat der linolsäurereichen Samen handeln. Möglicherweise hat man Mohnpflanzen auch im Heilkräutergarten gezogen, denn die Schlaf bringende, Schmerz und Husten stillende Wirkung des Milchsaftes hat man sicher seit alters her gekannt.

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StA Neuss B.02.01 / VII 210, 3: Woche Oculi = 4. 3. 1584 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 4: Woche jnuocavith = 10. 3. 1585 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 3: Woche laurentij = 10. 8. 1584 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 2: Woche kylian = 8. 7. 1583 StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Alexij Confessoris = 17. 7. 1624 Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 50, Nr. 4: Abrechnung der Ausgaben für die Äbtissinnenwahl 1641, 3r

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Obstgärten in Neuss Jedes Neusser Wohnhaus verfügte am Ende des Mittelalters über einen Obstgarten. Christian Wierstraet berichtet in seiner 1477 erschienenen Chronik, dass während der burgundischen Belagerung von Neuss innerhalb des Stadtgebietes viele Obstbäume sowohl in den Gärten der Bürger als auch in denen der Klöster der Minderbrüder und der Klarissen gefällt werden mussten. Zor noyt moyst man sych ouch zauwen Bynnen manchen boum affthauwen Dye nutze ind fruchtbar waren Zo mynrebroederen ind claron Ouch in der burger boumgarden Geyns weygerens mocht man warden 146 Übersetzung: Zur Not musste man sich auch entschließen innerhalb der Stadt manchen Baum abzuhauen der nützlich und fruchtbar war bei den Minderbrüdern und den Klarissen auch in den Obstgärten der Bürger keine Weigerung mochte man wahrnehmen In einem Pachtvertrag von 1580 für das Haus zum Kaiser an der heutigen Niederstraße 43 ist die Rede von einem hindersten Bongardt, was impliziert, dass es auf dem Gelände auch einen vorderen Obstgarten gab.147 Das Obst wurde zumindest teilweise zu Gelee verarbeitet: Im Vertrag ist davon die Rede, dass die Pächter in der hindersten kuchen parschen vnd semen sullen. Aus den Früchten wurde Saft gepresst („geparscht”), der dann durch Einkochen sämig gemacht wurde.

Äpfel und Birnen Der größte Teil der im Hospital konsumierten Äpfel dürfte aus dem eigenen Obstgarten gestammt und keinen Niederschlag in den Rechnungsbüchern gefunden haben. Gekauft wurden Äpfel wohl nur zu besonderen Anlässen wie etwa der Herbstkirmes.148 Vermutlich handelte es sich in diesen Fällen um besondere Sorten, die nicht im eigenen Obstgarten wuchsen, wie wohl auch im November 1581, als man j sack Emmer appel kaufte.149 Hierauf deutet auch der stets hohe Preis der Früchte hin.150 Die Äpfel wurden in einem Zeitraum von Ende September bis Mitte April gekauft.151 Es dürfte sich demnach um Winteräpfel

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Wierstraet 1974, Vers 1329 -1333 StA Neuss AB.02.01 / 1580 Oktober 2 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche Die nach Remigij an. d. 81 ahngefangen = 1. 10. 1581; Woche dionisius = 9. 10. 1581; Woche martin. = 11. 11. 1581; Woche katharina = 25. 11. 1581; Woche Lucia = 13. 12. 1581; Woche Mattheiy = 21. 9. 1582; StA Neuss B.02.01 / VII 210, 2: Woche dionisij nach Remigij = 1. 10. 1582; StA Neuss B.02.01 / VII 210, 3: Woche dionisius, vnser kirmes gehalden = 1. 10. 1583; Woche misericordia = 15. 4. 1584; StA Neuss B.02.01 / VII 210, 4: Woche dionisius = 9. 10. 1584; StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Omnium Sanctorum = 1. 11. 1623; Woche Nicolaj = 6. 12. 1623; Woche Septuagesima = 4. 2. 1624; StA Neuss B.02.01 / VII 215: Woche S. Vrsula = 21. 10. 1641 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche katharina = 25. 11. 1581 Jtem fur j sack Eppel: ij gulden, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche martin. = 11. 11. 1581; Jtem noch fur j sack appel: j gulden vj albus, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche Lucia = 13. 12. 1581 Saterdach fur appel: iij albus, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche Mattheiy = 21. 9. 1582; Jtem fur appelen: v albus, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 3: Woche misericordia = 15. 4. 1584


gehandelt haben, die offensichtlich in Säcke verpackt über den Winter eingekellert wurden. Das Obst wurde vermutlich bei Festlichkeiten als Dessert serviert: Nach dem 1579 aufgezeichneten Amtsbrief der Neusser Bäcker sollte jeder neue Meister bei seinem amtsessen auch epfel auftischen.152 Birnen werden in den Gasthausrechnungen erst 1623 genannt. In der Zeit zwischen dem 1. August und dem 21. Oktober der Jahre 1623 und 1624 sind sie dann allerdings mit 17 Rechnungseinträgen sehr häufig vertreten.153 Hierbei handelt es sich ausschließlich um Kochbirnen. Die gehäufte Nennung der Früchte in dieser Zeit – in manchen Wochen erscheinen sie dreimal in den Rechnungen – verrät, dass es sich bei ihnen um saisonales Frischobst handelte. Aus dem Kontext der Rechnungseinträge ist zu ersehen, dass die Kochbierren zusammen mit Stockfisch bzw. Klippfisch (laberdaen) zubereitet wurden.154 In der Rechnung des Jahrgangs 1641/42 werden Birnen nur einmal erwähnt. In der Woche S. Vrsula kauft man neben zwei Säcken Äpfeln auch zwei Quart bieren kraut, d. h. Birnengelee, was verrät, dass wohl die meisten der Kochbirnen gepresst und zu Birnenkraut eingekocht wurden.155 Dass Birnen aber auch eingekellert wurden, lässt die Nennung von bieren im Wert von 6 Albus und 3 Hellern in der Ende November 1650 erstellten Rechnung für die Feierlichkeiten zur Wahl der Äbtissin von St. Quirin vermuten.156 Auch nach den archäobotanischen Befunden waren Äpfel und Birnen beliebte Obstarten, denn Kerne und Kerngehäusereste (Endokarp) vom Apfel (Malus domestica) sowie Kerne und Steinzellen von Birnen (Pyrus communis) fand K.-H. Knörzer in fast allen Latrinen im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Neuss. Um welche Sorten es sich im Einzelnen handelte, lässt sich aus den Apfel- und Birnenresten nicht erschließen. Außer Äpfeln und Birnen spielte noch weiteres Kernobst eine Rolle in der Ernährung der Neusser Bevölkerung. So fanden sich an mehreren Fundstellen Steinkerne der Mispel (Mespilus germanicus). Ihre verhältnismäßig großen Kerne wurden sicherlich nicht wie diejenigen von Äpfeln und Birnen beim Verzehr mit verschluckt, sondern sie gerieten eher als Abfall in die Gruben. K.-H. Knörzer bemerkt dazu: Ihr häufiges Vorkommen „beweist die damals allgemein übliche Nutzung dieser heute kaum noch bekannten Obstart”. 157 Die Mispelfrüchte sind im September ausgereift, dann aber steinhart und ungenießbar. Nach den ersten Frösten werden die Früchte – im Zustand der Braunfäule – teigig und können dann roh gegessen oder zu Marmeladen oder Gelee verarbeitet werden. Wegen des hohen Gerbsäureanteils wurden sie zur Verbesserung der Haltbarkeit auch Wein oder Most zugefügt.

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Lau 1911, Nr. 186, 259 StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Dominica Francisci = 3. 10. 1623; Woche Gereonis = 10. 10. 1623; Woche Vrsulae = 21. 10. 1623; Woche Vincula Petrj = 1. 8. 1624; Woche Laurentij Martyris = 10. 8. 1624; Woche Assumptionis Beatae Mariae Virginis = 15. 8. 1624; Woche Bartholomaej Apostolj = 24. 8. 1624; Woche Decollationis S. Ioannis = 29. 8. 1624; Woche Aegidij = 1. 9. 1624; Woche Natiuitatis B. Mariae Virginis = 8. 9. 1624 Saderdagh vor Stockfisch vnd kochbieren: j gulden j albus, StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Aegidij = 1. 9. 1624; Woche Laurentij Martyris = 10. 8. 1624: donnertagh vor koch bierren: viij albus […] Vor Stockfisch: xvij albus / Vor Kochbierren: viij albus; Woche Assumptionis Beatae Mariae Virginis = 15. 8. 1624: Vor Koch bierren: xj albus […] vor kochbirren: x albus / Saderdagh vor laberdorn: xviij albus; Woche Decollationis S. Ioannis = 29. 8. 1624: Item vor kochbierren: xij albus […] Vor koch bierren vnd Laberdorn: j gulden ij albus; Woche Natiuitatis B. Mariae Virginis = 8. 9. 1624: Vor kochbierren: ix albus […] Vor koch bierren: viij albus […] Saderdagh vor laberdorn: xvj albus / Vor kochbierren: vj albus vor ij sack Appelen: 4 gulden / vor 2 quart bieren kraut: 1 gulden 8 albus, StA Neuss B.02.01 / VII 215: Woche S. Vrsula = 21. 10. 1641 Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 50: Abrechnung der Ausgaben für die Äbtissinnenwahl 1650, 2v Knörzer 1975b, 167

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Zur Verlängerung der Haltbarkeit und zum Klären fügte man früher dem Most auch den gerbstoffreichen Saft unreifer Früchte des Speierlings bei (Abb. 19). Essbar sind die Früchte – wie diejenigen der Mispel – erst in überreifem Zustand. In einem solchen wurden sie wohl auch in Neuss verzehrt; so konnte K.-H. Knörzer an der Fundstelle Mühlenstraße 68 Reste (5 ganze, 13 halbe, 24 Viertel und 26 Achtel von mindestens 21 Samen) entdecken, die wahrscheinlich vom Speierling (cf. Sorbus domestica) stammen.

Kirschen und Beeren

19 Fruchstände des Speierlings im Mai

In den Rechnungen des Gasthauses tauchen sowohl Sauer- als auch Süßkirschen auf. In der Woche des 17. Julis 1582, der Woche des Heiligen Alexius, wurden marellen kerssen thot kruith gekauft.158 Die zu den Sauerkirschen gehörenden Marillen- oder Morellenkirschen sollten offensichtlich im Gasthaus zu Gelee gekocht werden (Abb. 20).

Keerssen erscheinen in den Gasthausrechnungen der Jahre 1582 - 1584 dreimal in der Woche des 22. Junis, dem Tag des Heiligen Achatius.159 Da in dieser Woche die Sommerkirmes gefeiert wurde, liegt nahe, dass man die Kirschen auf der Kirchweih kaufte. Der Kauf-

20 Quitten, Johannisbeeren, Pfirsiche und Sauerkirschen.„Früchtestillleben mit Libelle und Schmetterling”. Joannes Baers, Öl auf Holz, 1628. Clemens-Sels-Museum Neuss, D1384

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Jtem fur marellen kerssen thot kruith: iiiij albus, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche Alictius = 17. 7. 1582 Jtem fur keerssen vnd wolberen: vj albus, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche achatius = 22. 6. 1582; Jtem fur kersschen vnd wolberen: iiij albus, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 2: Woche Achat. = 22. 6. 1583; Jtem fur keerssen vnd wollbeeren: vj albus, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 3: Woche achatius = 22. 6. 1584


zeitpunkt verrät, dass es sich hierbei um Süßkirschen handelte. In allen drei Fällen wurden die Kirschen zusammen mit wolberen gekauft. Gewöhnlich wurde mit diesem Wort die Wald- oder Heidelbeere bezeichnet,160 doch kann es sich nicht um diese Frucht gehandelt haben, da Heidelbeeren erst im Herbst reifen. Vermutlich verbergen sich daher hinter den wolbeeren Himbeeren oder Walderdbeeren, die bereits im Juni ihre Reife erlangt haben. Welche Früchte mit den in den Hospitalrechnungen zwischen Mitte Juli und Mitte Oktober genannten beeren gemeint sind, ist ebenfalls unklar.161 Aufgrund dieses langen Zeitraums ist unwahrscheinlich, dass sich hinter der Bezeichnung ein und dieselbe Frucht verbirgt, zumal die bis zu viermalige Nennung von beeren innerhalb einer Woche162 dafür spricht, dass es sich um saisonales Frischobst handelte. Betrachtet man die zeitliche Verteilung der Nennungen, so zeigt sich, dass beeren besonders häufig um den 22. August und dann noch einmal um den 1. Oktober herum in den Rechnungen erscheinen. Die Ende August gekauften Früchte wurden offensichtlich auch als koechbeeren bezeichnet, wie ein Rechnungseintrag aus der Woche des 20. August 1642 verrät.163 Die Anfang Oktober erstandenen Beeren kaufte man hingegen auf der Neusser Herbstkirmes zusammen mit Äpfeln und Nüssen.164 In der Rechnung des Jahres 1623/24 fehlen Beeren dann völlig, auch 1641/42 werden sie lediglich zweimal genannt.165 Beerenobst lässt sich archäobotanisch gut in Fäkaliengruben erfassen, da die kleinen harten Kernchen in der Regel mit verschluckt und wieder ausgeschieden wurden. Auch Kirschkerne wurden wohl häufig beim Verzehr mit verschluckt, zumal sie noch deutlich kleiner als diejenigen heutiger Kulturformen waren. K.-H. Knörzer 166 unterscheidet aufgrund der Größenverteilung vier verschiedene Kirschtypen in den Neusser Befunden: Sauerkirsche (Prunus cerasus) (Abb. 21), Wildkirsche, primitive Süßkirsche und kultivierte Süßkirsche (Prunus avium) (Abb. 22), wobei die weitaus meisten Steinkerne in ihren Ausmaßen denen

21 Sauerkirsche (Prunus cerasus), Steinkern, unverkohlt. Köln, Quatermarkt, Neuzeit

160 161

162

163 164

165 166

22 Süßkirsche (Prunus avium), Steinkern, unverkohlt. Neuss, römisches Militärlager

WOLLBEERE, f., vaccinium myrtillus L., entstellt aus waldbeere, Deutsches Wörterbuch 1854 -1960, Bd. 30, 1315 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche nach Remigij an. d. 81 ahngefangen = 1. 10. 1581; Woche dionisius = 9. 10. 1581; Woche vrsula henckfrau = 21.10. 1581; Woche Alictius = 17. 7. 1582; Woche pet. kett. = 1. 8. 1582; Woche Laurent. = 10. 8. 1582; Woche maryen heymsuchung = 22. 8. 1582; Woche bartholomej = 24. 8. 1582; Woche Egidij = 1. 9. 1582; Woche sancti crucis = 14. 9. 1582; Woche Mattheiy = 21. 9. 1582; Woche michaelis = 29. 9. 1582; StA Neuss B.02.01 / VII 210, 2: Woche Remigij = 1. 10. 1582; Woche dionisij nach Remigij = 9. 10. 1582; StA Neuss B.02.01 / VII 210, 3: Woche dionisius, vnser kirmes gehalden = 9. 10. 1583; StA Neuss B.02.01 / VII 210, 4: Woche dionisius = 9. 10. 1584; Woche marien hemelfarth = 15. 8. 1585; Woche Rupertus = 24. 9. 1585 Dinxsdach vnser leuen frau aeuent fur beeren: iij albus […] Jtem fur beeren: iij albus iiij heller […] Jtem fur beeren: iij albus […] Jtem fur Eyer vnd beeren: vj albus, StA Neuss B.02.01 / VII 215: Woche maryen heymsuchung = 22. 8. 1582 StA Neuss B.02.01 / VII 215: Woche S. Bernardj = 20. 8. 1642 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche dionisius = 9. 10. 1581; vgl. Jtem fur appel beeren vnd Nuß: vj albus, Woche dionisij nach Remigij = 9. 10. 1582; Jtem fur appel, beeren vnd Nuß: vj albus, Woche dionisius, vnser kirmes gehalden = 9. 10. 1583; Jtem fur appel, Beeren, vnd Nuß: vij albus, Woche dionisius = 9. 10. 1584 StA Neuss B.02.01 / VII 215: Woche Assumptionis B. M. V. = 15. 8. 1642; Woche S. Bernardj = 20. 8. 1642 Knörzer 1975b, 150

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unserer Wildkirschen entsprechen (Abb. 23). Der älteste Sauerkirschfund stammt aus dem 15. Jahrhundert von der Fundstelle Rathauserweiterung. Im Niederrheingebiet wurde die Sauerkirsche schon seit dem frühen Hochmittelalter genutzt, wie die Funde von Sauerkirschsteinen in einem Brunnen in Siegburg aus dem 10./11. Jahrhundert zeigen.167 Zum in Neuss verzehrten Steinobst gehört auch die Schlehe (Prunus spinosa), deren Steinkerne sich wiederholt zusammen mit anderen Obstresten in den Neusser Latrinen fanden. An der Fundstelle Mühlen23 Kirschen auf einem Teller. Ausschnitt aus „Allegorie der Sinneslust“, Kupferstich von Jacob Matham (1571-1631). Clemensstraße waren sie deutlich größer als die an der FundSels-Museum Neuss, 1981GR1255 stelle Horten ausgelesenen und auch größer als Wildschlehensteine, so dass es sich bei ihnen – wie K.-H. Knörzer vermutet – um angepflanzte Süßschlehen handeln könnte. Möglicherweise wurde in den Neusser Gärten auch die Kornelkirsche (Cornus mas) gepflegt, deren Steinkerne an zwei Fundstellen zutage kamen. Heute wird sie vor allem als Zierstrauch gepflanzt; die im August/September reifen, etwa kirschgroßen Früchte sind indes säuerlich und wohlschmeckend sowie Vitamin-C-reich. In der Stadt selbst und in deren Umfeld ließen sich eine ganze Reihe verschiedener Beeren sammeln. Kernchen von Brombeeren (Rubus fruticosus), Himbeeren (Rubus idaeus) und Kratzbeeren (Rubus caesius) fanden sich in so großen Mengen in den Neusser Latrinen, dass von einem regelmäßigen Verzehr auszugehen ist (Abb. 24). Dies gilt auch für die Walderdbeere (Fragaria vesca), deren Früchtchen regelmäßig und in größeren Mengen in den Neusser Kloaken gefunden wurden. Die Kulturrassen der Erdbeere entstanden erst im 17. Jahrhundert durch die Einfuhr von Erdbeerpflanzen aus Südamerika; Kernchen wurden in Moers und Köln in Schichten des 17. und 18. Jahrhunderts gefunden – bislang indes noch nicht in Neuss. Aus dem weiteren Umland kamen sicherlich die Heidelbeeren (Vaccinium myrtillus) auf die Neusser Märkte, denn die Wald- oder Heidelbeere hat ihre nächsten Vorkommen heute auf nährstoffarmen Böden des Bergischen Landes sowie auf der Mittel- und Hauptterrasse westlich der Stadt.168 Gelegentlich wurden auch Kernchen des Holunders (Sambucus nigra) bei den Ausgrabungen entdeckt, allerdings in so geringen Stückzahlen, dass sich ein häufiger Verzehr der sicherlich auch in der Stadt reifenden Holunderbeeren nicht eindeutig belegen lässt.

24 Blüten der Kratzbeere

In seiner Publikation aus dem Jahr 1975 bildet K.-H. Knörzer Steinkerne ab, die er als „cf. Ribes, Johannisbeere (?)” bezeichnet. Später hat er die Reste nachbestimmt, so dass in seinen Aufzeichnungen und im Katalog seiner Pflanzenfunde169 von der Fundstelle

167 168 169

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Knörzer 1994 Knörzer 1975b, 168 Knörzer 2007, 197 f


Münsterschule aus dem 18. Jahrhundert 913 Steinkerne und 52 Blütenböden der roten Johannisbeere (Ribes rubrum) sowie 19 Steinkerne der schwarzen Johannisbeere (Ribes nigrum) aufgelistet werden. Erst ab dem 15. Jahrhundert werden Johannisbeeren in den städtischen Gärten gepflanzt; die rote Johannisbeere nachweislich schon im 16. Jahrhundert, während die schwarze erst in Befunden des 17./18. Jahrhunderts archäobotanisch erfasst werden konnte. Essbare Beeren liefert auch ein weiteres Gehölz, dessen Steinkerne sich häufig in mittelalterlichen Ausgrabungen fanden. Der Maulbeerbaum (Morus nigra) liefert schmackhafte Früchte, die etwas den Brombeeren ähneln. Da er nicht zur heimischen Flora gehört, wurde er offensichtlich in den Neusser Gärten gepflanzt, denn die Steinkerne dieser Beerenfrucht fanden sich in den Kloaken seit dem Spätmittelalter. Heute nur noch als Zierpflanze bekannt ist die Judenkirsche (Physalis alkekengi), deren leuchtend rote Kelche als Schmuck dienen. In den blasenartig aufgetriebenen Kelchen befinden sich – wie bei der neuerdings importierten, ursprünglich aus Südamerika stammenden Kapstachelbeere (Physalis peruviana) – essbare, säuerlich-bittere Früchte. Samen der Judenkirsche fanden sich in mehreren Neusser Kloaken, so dass mit einem Verzehr der Beerenfrüchte gerechnet werden muss.

Pflaumen, Feigen und Zitronen Pflaumen nennen die Hospitalrechnungen lediglich einmal im Februar 1642: Zusammen mit zwei Quart baumollich und einem Viertelpfund Ingwer kaufte man zwei Pfund praumen auf dem Markt in Düsseldorf.170 Vermutlich wurde der Bedarf an diesem Steinobst vollständig durch die Ernte aus dem eigenen Obstgarten gedeckt. Bei den in Düsseldorf gekauften Pflaumen kann es sich aufgrund der Jahreszeit nur um Back- bzw. Trockenpflaumen gehandelt haben. Das Gleiche gilt für die vier Pfund pruimmen, die man im Februar des Jahres 1650 für die Feier beym wahl tractament fraw Abdißinn von Eyl besorgte.171 Bei den zwei Pfund praumen von Thamast, die das Stift St. Quirin am 16. Februar 1572 zusammen mit drei Pfund sopfen fygen bei einem Gewürzhändler erstand,172 handelte es sich hingegen vermutlich um getrocknete Zwetschgen.173 Feigen (Abb. 25) fehlen erstaunlicherweise in den Rechnungsbüchern des Hospitals, obwohl sie in Neuss offensichtlich in großen Mengen gehandelt wurden, wie aus einer 1536 in der Stadtwaage aufgehängten Preistafel hervorgeht: Ein zinder (ein Gebinde) van den vigen ind rosinen sollte demnach 104 Pfund wiegen.174 In den Stiftsrechnungen werden Feigen ansons-

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171

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174

25 Fruchtstände des Feigenbaums im Mai

freitagh 2 lb. praumen 2 quart baumollich 1 quart eßigh ¼ lb. gengber vor die verwundten, StA Neuss B.02.01 / VII 215: Matthiae Apostolj = 24. 2. 1642 Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 50, Nr. 4: Abrechnung der Ausgaben für die Äbtissinnenwahl 1641, 3r Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 17: Gewürzrechnung Februar 1572 ZWETSCHE, f., prunus domestica L., die verbreitetste unserer pflaumenarten […] aus roman. *davascena, neben der normalform damascena, ‘pflaume aus Damascus’, Deutsches Wörterbuch 1854 -1960, Bd. 32, 1103 Lau 1911, Nr. 153, 214

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ten nur noch einmal erwähnt: 1641 besorgte man in Köln anlässlich der Äbtissinnenwahl im Stift St. Quirin vier Pfund figen, zusammen mit 6 gehalfte Lamon und weiteren Confecturen.175 Offensichtlich waren die Limonen, für die man 1 Gulden und 12 Albus bezahlte, so kostbar, dass man sie halbiert verkaufte. Auch 1650 servierte man beim Festessen zu Ehren der neuen Äbtissin Zitrusfrüchte (Abb. 26), nämlich 20 Citronen im Wert von 5 Gulden und 5 Albus.176 26 Bäumchen mit Zitrusfrüchten. Ausschnitt aus „Figurenkartusche mit Bibeltext (Hiob 19)“. Radierung von Cornelis Floris, 1557. Clemens-Sels-Museum Neuss, 1981Gr0912

Fruchtsteine von Pflaumen (Prunus insititia) fand K.-H. Knörzer in fast allen Neusser Latrinen. Aufgrund der Größenverhältnisse unterschied er vier Typen, deren Zugehörigkeit zu den aus mittelalterlichen Befunden belegten Pflaumenvarietäten er diskutiert.177 So entsprechen die Maße der kleinsten Steine der Typen 1 und 2 den kleinfrüchtigen Haferpflaumen (Prunus insititia var. juliana), diejenigen des Typs 3 entsprechen der Damaszener Pflaume (Prunus insititia var. pomariorum). Auch Zwetschgen (Prunus domestica) wurden von der Neusser Bevölkerung verzehrt, denn ihre Fruchtsteine kamen in den Ausgrabungen immer wieder vor. Die Fruchtsteine der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Zwetschgen sind kleiner als die heutigen, vermutlich waren auch die Früchte kleiner als unsere heutigen Zwetschgen. Feigenkerne „sind geradezu charakteristisch für menschlichen Kot, denn weil sie bei keiner Verarbeitung der Feigen vom Fruchtfleisch getrennt werden, müssen alle Kerne durch den Darm gegangen sein. Jede Sammelfrucht enthält allerdings sehr viele Nüßchen, deshalb kann ihre große Anzahl täuschen”, so schreibt K.-H. Knörzer in seiner 1975 erschienenen Publikation über die Neusser Pflanzenfunde, und weiter: „Feigen können in günstigen Sommern auch in unserm Lande zur Reife gelangen, wegen der Frostempfindlichkeit der Sträucher ist aber ein ständiger Anbau dieser Südfrucht auch für jene Zeit unwahrscheinlich. Vermutlich sind Feigen zur Hauptsache aus dem Mittelmeergebiet importiert worden.” Feigen waren im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit ein bedeutendes Lebensmittel, waren sie doch vor der Verarbeitung der Zuckerrübe im 18. Jahrhundert – neben Honig – das wichtigste Süßungsmittel.

Hasel- und Walnüsse Die Hospitalrechnungen verwenden zwei unterschiedliche Bezeichnungen für Nüsse: die nuß und die lamerssche nuss. Dass es sich in der Tat um unterschiedliche Früchte handelt, zeigen Rechnungseinträge, die beide nebeneinander aufführen.178 Die Nuß wurden häufig zur Herbstkirmes in der ersten Oktoberwoche, aber auch zu Fastnacht gekauft. Mit 100 Nüssen wurde die Schola entlohnt, die zu Palmsonntag im Hospital während des Gottesdienstes sang:

175 176 177 178

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Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 50, Nr. 2: Rechnung über 1641 in Köln gekaufte Confecturen Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 50: Abrechnung der Ausgaben für die Äbtissinnenwahl 1650 Knörzer 1968, 147 Sondach vnser kyrmis gehalden den diener: iiij albus [...] Jtem fur j quart lamerssche Nuß: viij albus / Jtem fur appel, Beeren, vnd Nuß: vij albus, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 4: Woche dionisius = 9. 10. 1584


De woch palmen […] Jtem den schouler so daß frauloff gesongen: iij albus Jtem noch fur de schouler j hondert Nuß: j albus 179 Die Nuß lässt sich als Walnuss identifizieren. Ein Rechnungseintrag aus dem Januar des Jahres 1582 berichtet von einem Walnussbaum, der am Steinweg auf dem Hospitalgelände wuchs: Jtem van meincken leppers frau gegolden einen kleyn noßboumgen toth esten holtz fur: iiij gulden Jtem daß nothbeumgen auff de stein wech mith aff lassen hauen, vnd einen arbeider iij dach thot den ij nothbeumgen gehadt, verlont: xiij albus 180 Bei der lammersschen nuß handelt es sich hingegen um die Lamberts- oder Lombardische Nuss, eine aus Südosteuropa stammende Haselnuss, die vermutlich nicht in Neuss angebaut, sondern aus dem Süden importiert wurde.181 Die kleinen Nüsse wurden nicht nach ihrem Gewicht, sondern nach ihrem Volumen verkauft: In der Woche der Herbstkirmes 1584 erstand man ein Quart (ca. 1,5 l) Haselnüsse.182 In den Rechnungen der Jahre 1623/24 werden die Lambertsnüsse lediglich einmal erwähnt; 183 1641/42 fehlen Hinweise auf Hasel- und Walnüsse gänzlich. Offensichtlich verzichtete man auf den Kauf der importierten Nüsse und deckte den Bedarf aus der eigenen Produktion. Die Rechnungen des Stiftes St. Quirin nennen Walnüsse nur einmal: Im Februar 1641 kaufte man zwei Pfund Castanien vnd nutte für das Gastmahl zu Ehren der neuen Äbtissin.184 Ganze zehn Pfund Castanen erstand man dagegen 1650 in Düsseldorf.185 Im Hospital zum Heiligen Geist wurden kasteyen in den Jahren 1581- 83 um das Martinsfest gekauft. Offensichtlich waren sie Bestandteil eines Festmahls, das man am sant martens aeuent vor Beginn der Fastenzeit abhielt.186 Da von Nüssen die – archäobotanisch nicht nachweisbaren – Nusskerne verzehrt werden, ist es nicht verwunderlich, dass sich in den Kloaken nur verhältnismäßig wenige Reste von Wal- und Haselnüssen fanden. Allerdings sind die Nussschalen auch an kleineren Splittern zu identifizieren, so dass ihre Nutzung auch in diesen Befunden dokumentiert ist. Haselnüsse (Corylus avellana) könnten von wild wachsenden Sträuchern in Neuss und dem Stadtumfeld gesammelt worden sein. Möglicherweise hat man Haselnusssträucher aber auch in den Gärten gepflanzt. Zwar sind die wenigen Reste von Neuss für eine größenstatistische Auswertung nicht geeignet, doch konnte K.-H. Knörzer bei der Auswertung der Nussschalenreste einer nördlich von Neuss gelegenen mittelalterlichen Niederungsburg bei Büderich mehrere Typen unterscheiden: Die kurzen und dicken gehören zur Forma sylvestris

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StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche palmen = 8. 4. 1582 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche Julianis = 9. 1. 1582 LAMBERTSNUSZ, f. nux lombardica, eine haselnuszart, Deutsches Wörterbuch 1854 -1960, Bd. 32, 1103 Jtem fur j quart lamerssche Nuß: viij albus, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 4: De wech dionisius = 9. 10. 1584; vgl. Jtem fur j quart lamersse Nuß: iiij albus, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 4: Woche marien hemelfarth = 15. 8. 1585 Vor Appellen, Nueß vnd britzelen – j gulden xij albus, StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Septuagesima = 4. 2. 1624 Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 50, Nr. 2: Rechnung über 1641 in Köln gekaufte Confecturen Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 50: Abrechnung der Ausgaben für die Äbtissinnenwahl 1650, 1v; vgl. 2v: Jtem die Jndianische hanen, confecturen gewurtz castanen, zeugen, pp von dusselldorff abzuholen: 2 gulden 2 albus StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche martin. = 11. 11. 1581; StA Neuss B.02.01 / VII 210, 2: Woche Theodorus = 9. 11. 1582; StA Neuss B.02.01 / VII 210, 3: Woche Martin. = 11. 11. 1583

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hortensis, die langen und schlanken zur Forma oblonga. „Die Meßwerte lassen nicht eindeutig erkennen, ob großfrüchtige Haselnußsträucher vorhanden, bevorzugt oder gar angepflanzt worden sind. Derartige Früchte wären unter den breiten (forma sylvestris hortensis) und großen Nüssen zu suchen”. 187 Auch heute werden zwei Sorten unterschieden: Die rundlichen Zellernüsse und die länglichen Lambertsnüsse, die vor allem in den südlichen Anbauländern wachsen. Wiederholt fanden sich in den Neusser Befunden auch Schalensplitter der Walnuss (Juglans regia). Von den Römern ins Niederrheingebiet eingeführt, ist – nach den pollenanalytischen Befunden – vor allem seit dem Frühmittelalter mit Pflanzungen dieses wichtigen Nutzgehölzes zu rechnen. Von der Edelkastanie (Castanea sativa) fand K.-H. Knörzer bisher keine Reste in Neuss; aus frühmittelalterlichen Schichten der Niederungsburg bei Haus Meer sind solche indes bekannt. Edelkastanien gehörten im Mittelalter zum rheinischen Nutzgehölzinventar, wie dies wiederum Pollennachweise belegen können. Schon die Römer haben sie hier gepflanzt, allerdings nicht wegen der essbaren Maronen, sondern vor allem als Stützholz im Rahmen des Weinanbaus. So besagt ein Spruch aus der Pfalz treffend: „Wo’s Keschde gibt, gibt’s Woi”. In wärmeren Gegenden waren Kastanien ein regelrechtes Volksnahrungsmittel; am Niederrhein dürften sie – wie dies die Neusser Quellen und auch die archäobotanischen Befunde nahelegen – eher eine besondere Speise gewesen sein.

Mandeln Ebenfalls aus dem Süden importiert wurden die in Neuss konsumierten Mandeln. Nach einer 1452 abgefassten Urkunde sollte den Damen im Stift St. Quirin anlässlich des Jahrgedächtnisses einer Stifterin zu Mittag ein frischer, in Öl oder Butter gebratener Fisch mit Mandeln serviert werden. Mandeln werden nur in den Rechnungen des Stiftes, nicht aber des Gasthauses genannt. Im Februar 1572 kaufte das Stift St. Quirin bei einem Gewürzhändler ein Pfund mandeln für 10 Albus,188 1641 in Köln zwei Pfund vnbeschlagen mandeln für 1 Gulden und 8 Albus.189 Mandeln (Prunus dulcis) standen auch nach den archäobotanischen Funden wohl eher selten auf dem Speiseplan. Aus dem Mittelalter hat K.-H. Knörzer lediglich einen einzigen Mandelrest in Köln finden können.

Rosinen und Korinthen Im Spätmittelalter wuchsen in Neuss Weinreben (Abb. 27). Bereits 1349 wird ein 2 ½ Morgen großer Weingarten am Rhein zwischen dem Garten des Petrus Baussen und dem Land des Johannes des Schilweiden vor der Rheinpfortze erwähnt.190 Ein wingartt befand sich auch auf dem Grundstück des Hauses zum Kaiser an der heutigen Niederstraße 43.191 Im Weingarten des Hospitals wurden die Reben Ende des 16. Jahrhunderts von Mitte März bis

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Knörzer 1999, 119 Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 17: Gewürzrechnung Februar 1572 Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 50, Nr. 2: Rechnung über 1641 in Köln gekaufte Confecturen Brandts 1962, Nr. 176, 38 StA Neuss AB.02/01


27 Umzäunter Weingarten.„Das Gleichnis von den Weingärtnern (den bösen Winzern)”. Kupferstich von Claes Jansz. Visscher (um 1550 - um 1612). Clemens-Sels-Museum Neuss, 1981Gr1269

Anfang April beschnitten192 und mit Weidenruten an ein aus Latten und eisernen Nägeln gezimmertes Haltegitter gebunden: Jtem den wyngardt sniden lassen verloent: xviij albus Jtem ahn byndt weiden iij vnd ahn ij latt.envij albus facit: ix j albus Jtem fur j hondert kleyn suller negel: iiij albus’193 Diese Arbeiten wurden offensichtlich von einem Spezialisten durchgeführt, der sich mit den notwendigen Arbeiten auskannte (Abb. 28).194 Wofür die im Weingarten geernteten Trauben verwendet wurden, geht aus den Rechnungseinträgen nicht hervor. Sicher ist jedoch, dass sie nicht gekeltert wurden. Daher wurden sie wohl entweder zu Mus gekocht oder zu Essig verarbeitet.

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Jtem den wyngart Lassen snyden vnd fur twe Latten gegeuen: vij albus, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche oculi = 18. 3. 1582; Jtem van dem wyngardt tho sniden gegeuen: j gulden, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 2: Woche palmen = 3. 4. 1583 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 4: Woche Reminiscere = 17. 3. 1585 Jtem den wyngardt snyden lassen fur ij latten: viij albus / Jtem fur Negel vnd byndt weiden: v albus [...] / Jtem den man van den wyngardt tho sniden gegeuen: xiiij albus, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 3: Woche Letare = 11. 3. 1584

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28 Winterliche Arbeiten im Weinberg.„MARTIVS – Der Monat März”. Kupferstich von Egidius Sadeler, um 1600. Clemens-Sels-Museum Neuss, 1981Gr1181

Rosinen bzw. krenten (Korinthen) kaufte man 1642 für ein Festessen, das man am Martinsabend für die Provener (Pfründner) des Hospitals veranstaltete.195 Im Februar 1585 erstand man für 9 Albus ein Huhn und investierte weitere 26 Heller fur krauth vnd rosynen vp dat hoen.196 Den Rosinen wurde offensichtlich auch eine therapeutische Wirkung beigemessen, denn im Juni 1584 kaufte man für einen kranken Knecht ein Pfund rosynen.197 Im Stift St. Quirin wurden ebenfalls Rosinen und Korinthen verzehrt, so drei Pfund Rosinen zu je 4 Albus im Februar 1572.198 Auf der Reise der Bediensteten des Stifts nach Boppard im Herbst desselben Jahres verzehrte man korintenn für 6 penningh.199 Ganze vier Pfund blade Rosinen im Wert von zwei Gulden verwendete man 1641 für das Festessen zur Wahl der neuen Äbtissin.200

29 Weintraube (Vitis vinifera), Steinkern, unverkohlt. Xanten/CUT, römisch

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Kerne von Weintrauben (Vitis vinifera) fanden sich regelmäßig und in z. T. großen Mengen in den Neusser Kloaken, was den häufigen Verzehr der Beeren eindrücklich belegt. Sicherlich hat man zu Lagerungszwecken die Beeren auch getrocknet, so dass sie im Winter, Frühjahr und Sommer als Rosinen zur Verfügung standen; den gefundenen Steinkernen ist nicht anzusehen, ob sie von frischen oder getrockneten Trauben stammen (Abb. 29). Die Erwähnung von Rosinen und Korinthen spricht dafür, dass man getrocknete Weinbeeren verschiedenartiger Herkunft kannte. Bei dem zinder van den vigen ind rosinen könnte es sich um solches Importgut gehandelt haben.

StA Neuss B.02.01 / VII 215: Woche Martinj = 11. 11. 1641 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 4: Woche agatha = 5. 2. 1585 Jtem fur den vurst. knecht 1 fierdel pons rosynen: ij albus, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 3: Woche peter vnd pauLj = 29. 6. 1584 Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 17: Gewürzrechnung Februar 1572 Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 16: Reise nach Boppard 1572, 5v Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 50, Nr. 2: Rechnung über 1641 in Köln gekaufte Confecturen


Hopfen 1406 ist in Neuss erstmals ein hoppenbruwer (Hopfenbrauer) belegt.201 1493 und 1509 erhob die Stadt Neuss eine eigene Hopfenakzise.202 Der in Neuss zum Bierbrauen verwendete Hopfen wurde z. T. in der Stadt angebaut. In einem Pachtvertrag aus dem Jahr 1580 wird ein hoppenn garthen hinder der scheurenn auf dem Gartengelände des Hauses zum Kaiser an der Niederstraße 43 erwähnt, in dem die Pflanzen an hoppen stakenn emporrankten.203 Anfang des 17. Jahrhunderts sind Hopfengärten auf den Wällen sowie vor dem Hamtor belegt.204 Der im Gasthaus zum Bierbrauen verwendete Hopfen wurde hingegen gekauft. Nach dem Kauf wurde er auf der Stadtwaage gemessen, um die für ihn zu entrichtenden Abgaben berechnen zu können: Jtem gegolden seeß seck hoppen fur jder sack gegeuen xiiij merck facit: xxj gulden Jtem van jder sack tho messen vj facit: iij albus 205 Im Rechnungsjahr 1623/24 erstand man im Hospital 199 Pfund Hopfen,206 im Krisenjahr 1650 immerhin noch 107 Pfund.207 Ein im Rechnungsbuch des Jahres 1581/82 erwähnter hoppekorff diente vermutlich zum Transportieren und Abmessen des Hopfens beim Bierbrauen.208 Früchte des Hopfens (Humulus lupulus) gelangten seit dem Spätmittelalter (14./15. Jahrhundert) regelmäßig in die Neusser Kloaken. Aus ihren geringen Stückzahlen lassen sich keine Rückschlüsse auf die Beliebtheit des mit Hopfen versetzten Bieres ziehen, da eindeutige Rückstände des Bierbrauens (z. B. gemälztes Getreide) bisher nicht aufgefunden wurden. Die geringe Menge der Hopfenfrüchte lässt sich indes auch damit in Verbindung bringen, dass als Bierwürze nur die weiblichen Blütenstände genutzt werden. Da „Fruchtzapfen” mit Samen im Brauprozess stören sowie Geschmack und Schaumstabilität mindern, achtet man streng darauf, dass die weiblichen Blüten nicht befruchtet werden, also in der weiteren Umgebung der Hopfengärten keine männlichen Pflanzen des Wildhopfens zum Blühen gelangen. Als weitere Bierwürze konnte L. Gelius-Dietrich zahlreiche Nüsse und Ährenachsen des Gagels (Myrica gale) in den Verfüllungen einer Grube und eines Brunnens des 14. und 14./15. Jahrhunderts am Hamtorwall nachweisen.209

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Lau 1911, 82*, Anm. 1 Lau 1911, 138* StA Neuss AB.02/01 / 1580 Oktober 2 Lau 1911, 82*, Anm. 1 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 2: Woche Theodorus = 9. 11. 1582 StA Neuss B.02.01 / VII 214: Item vor xxx lb. hoppen ieder 6 albus facit: vij gulden xij albus; Woche Dominica Francisci = 3. 10. 1623; Vor xxxviij lb. hoppen ied. 6 albus: ix gulden xij albus, Woche Praesentationis B. Mariae Virginis = 21. 11. 1623; Vor 29 lb. Hoppen ied. 6 albus facit: vij gulden vj albus, Woche Palmarum = 31. 3. 1624; Vor 37 lb. Hoppen ied. 6 albus: ix gulden vj albus, Woche Penthecostes = 26. 5. 1624; Item vor 27 lb. hoppen ied. 6 albus, facit: vj gulden xviij albus, Woche Vincula Petrj = 1. 8. 1624; Jtem vor 38 lb. hoppen ied. 6 albus, facit: ix gulden xij albus, Woche Matthaej apostolj = 21. 9. 1624 Jtem von Thoniß Brewer einen sack hoppen gekaufft so gewogen 107 lb. jeder 7 albus: 31 gulden 5 albus, StA Neuss B.02.01 / VII 215: Woche Conceptio B. M. V. = 8. 12. 1641 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche Judica = 1. 4. 1582 Gelius-Dietrich 1996, 141 ff

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30 Rechnung der Gewürzhändlerin Margareta Hermes (Hermkes) für Spezereien, die bei den Feierlichkeiten zur Äbtissinnenwahl im Stift St. Quirin im Jahr 1641 verwendet wurden. Pfarrarchiv St. Quirin

Gewürze Obwohl eine Vielzahl an Gewürzen in den Rechnungen des Hospitals und des Stifts St. Quirin genannt wird, dürfte der größte Teil der tagtäglich in der Küche verwendeten Gewürze und Kräuter im eigenen Garten angepflanzt oder wohl auch vor den Toren der Stadt gesammelt worden sein und daher keinen Niederschlag in den Rechnungen gefunden haben. Die in den Rechnungen aufgeführten Gewürze (Abb. 30) lassen sich in heimische und Fernimporte unterteilen. 56


Wacholder, Kümmel, Dill und Senf Unter den einheimischen Gewürzen werden in den Gasthausrechnungen der 1580er Jahre Wacholderkörner am häufigsten genannt.210 Offensichtlich verfügte das Hospital nicht über Wacholderbüsche in ausreichender Anzahl, um den Bedarf an Beeren decken zu können. Die Körner wurden in den Monaten Oktober bis Dezember gekauft und dienten ausschließlich als Gewürz für die in diesen Monaten angesetzte sulß, das Sauerkraut: Jtem fur wachelder korner thysschen de sulß: j albus 211 Auch Kümmel wurde dem Sauerkraut zugegeben – offensichtlich sollte er die blähende Wirkung des Kohls lindern.212 Vermutlich wurde er auch zur Therapierung der Kranken im Hospital eingesetzt, wie ein Rechnungseintrag aus dem März des Jahres 1582 vermuten lässt: Jtem fur de krancken j quart wins: iiij albus Jtem fur ij loith koim: xvj heller 213 Die seltene Erwähnung von Kümmel in den Rechnungen lässt vermuten, dass er im Regelfall im Hospitalgarten angepflanzt und nur bei Engpässen zugekauft wurde. Dass Kümmel in großen Mengen zum Würzen verwendet wurde, legt der Kauf von zwei Pfund glatten karwe 214 sowie einer unbekannten Menge groß karwe für das im Frühjahr 1641 im Stift St. Quirin abgehaltene Festessen nahe, bei dem vermutlich die Fischgerichte mit Kümmel gewürzt waren.215 Auch Dill wurde vermutlich im Hospitalgarten angebaut, denn er wird in den Jahren 1581-84 nur einmal erwähnt. Im Juni 1584 kaufte man neben einer größeren Menge Barben (beruen), Döbel (moenen), Hechte (snoecksgen), Nasen (mackereelen) und Schleien (slyen) auch sechs Pfund Dill, was vermuten lässt, dass man mit ihm den Fisch würzte: Jtem fur schollen vnd stockfyß: xv albus Jtem xiij pont beruen vnd moenen dat p. fur iiij albus facit: ij gulden ij albus Jtem fur vj pont mackereelen: xv albus Jtem fur snoecksgen vnd slyen ix p. dat p. iiij albus facit: j gulden viij albus Jtem vj pont ahn dill dat p. v albus facit: j gulden vj albus 216 Als viertes einheimisches Gewürz erscheint in den Schriftquellen der Senf. Er wurde ebenfalls im Hospitalgarten angebaut, wie der Kauf eines ganzen Quarts (ca. 1,5 l) mostertsaem im September 1582 zeigt.217 Senf bzw. Senfmehl scheint in der Küche des 16. und 17. Jahrhunderts häufig verwendet worden zu sein, denn im Oktober 1623 und im November 1641 kaufte man jeweils zwei

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StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1 : Woche Simon et Jude = 28. 10. 1581; StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche Leopoldus = 15. 11. 1581; StA Neuss B.02.01 / VII 210, 2: Woche Lucia = 13. 12. 1582; StA Neuss B.02.01 / VII 210, 4: Woche Crispinus = 25. 10. 1584; StA Neuss B.02.01 / VII 210, 4: Woche andreas = 28. 11. 1584 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 2 : Woche Gallus = 16. 10. 1582 Dynxsdach fur j hondert sulß kappis: iij gulden vj albus / Jtem fur wacheldkorner: j albus / Jtem fur iij loith koem: ij albus iij heller, StA Neuss B.02.01 / VII 210,1: Woche Leopoldus = 15. 11. 1581 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche oculi = 18. 3. 1582 KARBE, f. carum carvi, der gemeine kümmel, feldkümmel, Deutsches Wörterbuch 1854 -1960, Bd. 11, 207 2 lb. glatten karwe: 2 fl. 16 albus, Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 50, Nr. 2: Rechnung über 1641 in Köln gekaufte Confecturen StA Neuss B.02.01 / VII 210, 3: Woche achatius = 22. 6. 1584 Jtem fur j quart mostertsaem: vj albus, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: De wech Mattheiy = 21. 9. 1582

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Pfund mostertzmell.218 Ein Pfund Senfmehl wurde auch für das Festessen zur Einführung der neuen Äbtissin des Stifts St. Quirin besorgt. Da die Feier in der Fastenzeit stattfand, servierte man beim Festessen hauptsächlich Fischgerichte, die vermutlich mit dem Mostermeell gewürzt waren.219 L. Gelius-Dietrich fand Reste des Wacholders (Juniperus communis) an Fundstellen des 16., 17. und 18. Jahrhunderts.220 Wacholderbeeren hat man sicherlich von wildwachsenden Sträuchern gepflückt. Der Wacholder kommt in sonnigen Magerweiden und in Heiden auf milden bis sauren, mageren Böden vor; im Niederrheingebiet ist er vor allem in den im Westen gelegenen Sandgebieten verbreitet. Hier (z. B. in Wesel und Duisburg) hat K.-H. Knörzer aus der Frühen Neuzeit gelegentlich Nadeln des Strauches in den archäologischen Befunden nachweisen können. Der Familie der Doldengewächse (Apiaceae) gehören zahlreiche Nutzpflanzen an, vor allem auch aromatische Gewürzpflanzen. Besonders die Früchte, aber auch andere Pflanzenteile, enthalten ätherische Öle, welche Speisen bekömmlicher machen. Wurden die Früchte zum Würzen verwendet, so bestehen gute Chancen, sie bei den Ausgrabungen von Latrinen wiederzufinden. Aus Neusser Befunden hat K.-H. Knörzer archäobotanisch erfasst: Dill (Anethum graveolens), Sellerie (Apium graveolens), Kümmel (Carum carvi), Koriander (Coriandrum sativum), Fenchel (Foeniculum vulgare), Petersilie (Petroselinum crispum); von L. Delius-Dietrich kommen dazu Kerbel (Anthriscus sylvestris) und Liebstöckel (Levisticum officinale). Vom Kümmel werden zwei Sorten in den Rechnungen erwähnt: glatte karwe und groß karwe. Es könnte sich dabei um den Echten Kümmel (Carum carvi) mit relativ kleinen Teilfrüchten einerseits und um den Kreuzkümmel mit deutlich größeren Früchten andererseits handeln. Kreuzkümmel ist ein vor allem im Mittelmeergebiet beliebtes Gewürz; Pollenkörner von Cumunim cyminum am mittelalterlichen Heumarkt von Köln zeigen jedoch auch die hiesige Nutzung des Kreuzkümmels. Auch aus der Familie der Lippenblütler (Lamiaceae) kennen wir eine Reihe von Würzpflanzen. In den Neusser Befunden wurden wiederholt Teilfrüchte des Bohnenkrauts (Satureja hortensis) und vereinzelt auch wilder Majoran (Origanum vulgare) sowie ein Thymianblatt (Thymus vulgare) gefunden. Eher scharf schmecken die Samen von Kreuzblütlern. Heute wird Senfmehl zur Bereitung von Senf vor allem aus dem Weißen (Sinapis alba) und Braunen oder Indischen Senf (Brassica juncea) gemahlen. Der weiße Senf ist eine im Mittelmeerraum beheimatete Kulturpflanze, von der bisher im Niederrheingebiet noch keine Reste in archäologischen Ausgrabungen gefunden wurden, ebenso wie vom Indischen Senf. Ähnlich scharf im Geschmack sind indes auch die Samen anderer Kreuzblütler, die wie der Ackersenf (Sinapis arvensis) in z. T. größeren Mengen vorkamen. Möglicherweise wurden auch die Samen einer Kohlart als scharfe Würze verwendet, denn in den aus Neuss untersuchten Proben fanden sich vor allem zahlreiche Splitter, die den Verzehr und das Zerkauen der Samen dokumentieren. K.-H. Knörzer hat diese Splitter als Brassica cf. rapa publiziert und zu den Ölpflanzen gerechnet. Latrinen und Kloaken aus Norddeutschland enthielten Samen vom Schwarzen Senf (Brassica nigra) so häufig und in großen Mengen, dass es sich „hier wohl nicht um zufällige Beimischungen der Wildpflanze, sondern um ein kultiviertes Gewürz - und einen

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Montagh vor ij lb. mostertzmell: xij albus, StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Seuerini Episcopi = 23. 10. 1623; Vor 2 lb. Mostertz Mell: 1 gulden, StA Neuss B.02.01 / VII 215: Woche Omnium Sanctorum = 1. 11. 1641 Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 50, Nr. 4: Abrechnung der Ausgaben für die Äbtissinnenwahl 1641, 3r Gelius-Dietrich 1996, 141


beliebten, scharfen Speisezusatz – gehandelt hat”. 221 L. Delius-Dietrich listet Brassica nigra in allen Neusser Befunden seit dem 14. Jahrhundert auf.

Pfeffer Unter den Importgewürzen nimmt Pfeffer eine wichtige Rolle ein. Im 16. und 17. Jahrhundert wurde Pfeffer nicht nur in Indien, sondern auch in Malaysia und Indonesien angebaut. Daher ist zu vermuten, dass der in Neuss konsumierte Pfeffer über den Handel mit den Niederlanden bezogen wurde, die auch schon vor der Gründung der Vereenigde Oostindische Compagnie (V.O.C.) im Jahr 1602 Handelskontakte mit Südasien unterhielten. Das Gewürz Pfeffer ist jedoch nicht mit dem gleichnamigen Gericht zu verwechseln, das im Gasthaus in der Fastenzeit vor Ostern zubereitet wurde.222 Im Hospital wurden im Rechnungsjahr 1581/82 etwa 27 Lot (ca. 800 g) Pfeffer verbraucht.223 In einigen Fällen lässt sich erkennen, welche Speisen mit dem peffer gewürzt wurden. Die Zugabe von Pfeffer zum Sauerkraut wurde bereits erwähnt. Drei bis vier Lot Pfeffer gab man auch zusammen mit Hafergrütze in die Wurst, die man im Hospital im Oktober zubereitete,224 wobei auf einen Viertelsümber Grütze etwa zwei Lot Pfeffer kamen: Jtem fur j fierdel gourtten yn de wurst: ij gulden iiij albus Jtem fur ij loith peffer yn de wurst: vj albus 225 Mit Pfeffer wurden auch Fleisch- und Fischgerichte gewürzt, wie aus dem Kontext einiger Rechnungseinträge hervorgeht. 1581 wurden in der Woche um den Tag des Heiligen Thomas, den 21. Dezember, für den korßdach (das Weihnachtsfest) größere Mengen an Fleisch und auch ein Lot Pfeffer gekauft: Jtem Thegen korßdach j kalff haet gewogen xxj pont j fierdel jeder pont xxij heller facit: xxxviij albus vi heller Jtem vj pont hamelfleisch jeder pont iiij albus facit xix albus iij heller Jtem for eyn haen: viij albus Jtem fur j loith peffer vnd j loith ginguer: xxxiij heller 226 Der Kauf mag erstaunen, da die Adventszeit im 16. Jahrhundert noch als Fastenzeit galt und vom Martinstag am 11. November bis zum Erscheinungsfest (Epiphanias bzw. Dreikönig) am 6. Januar dauerte. Da aber der Heilige Abend 1581 auf einen fastenfreien Sonntag fiel, dürfte das Fleisch für ein Weihnachtsessen an diesem Tage bestimmt gewesen sein. In der darauffolgenden österlichen Fastenzeit des Jahres 1582 kaufte man in der Woche Judica Bücklinge, Flundern, Nasen und Essig sowie ein Lot Pfeffer, das wohl als Fischgewürz dienen sollte:

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Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, s. v. Senf (J. Wiethold) StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche Reminiscere = 11. 3. 1582; Woche oculi = 18. 3. 1582; StA Neuss B.02.01 / VII 210, 2: Woche Oculi = 13. 3. 1583; StA Neuss B.02.01 / VII 210, 3: Woche Oculi = 4. 3. 1584; StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Reminiscere = 3. 3. 1624 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche nach Remigij an. d. 81 ahngefangen = 1. 10. 1581; Woche dionisius = 9. 10. 1581; Woche Simon et Jude = 28. 10. 1581; Woche martin. = 11. 11. 1581; Woche Leopoldus = 15. 11. 1581; Woche Thom. = 21. 12. 1581; Woche Judica = 1. 4. 1582; Woche palmen = 8. 4. 1582; Woche Exaudi = 27. 5. 1582; Woche maryen heymsuchung (irrtümlich für Mariae Himmelfahrt) = 22. 8. 1582; Woche michaelis = 29. 9. 1582 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche nach Remigij an. d. 81 ahngefangen = 1. 10. 1581; Woche Simon et Jude = 28. 10. 1581; StA Neuss B.02.01 / VII 210, 2: Woche Gallus = 16. 10. 1582; StA Neuss B.02.01 / VII 210, 3: Woche Seuerinus = 23. 10. 1583; StA Neuss B.02.01 / VII 210, 4: Woche Crispinus = 25. 10. 1584 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 4: Woche Crispinus = 25. 10. 1584; vgl. Jtem fur j sumber gourtten tho den wursten: j gulden [...] Jtem fur iij Loith peffer: iiiij albus, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche Simon et Jude = 28. 10. 1581 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche Thom. = 21. 12. 1581

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Dynxsdach fur boucken vnd gruen schollen: viij albus Godesdach vor milch: iij albus iiij heller Jtem fur iiij pont mackerelen: vij albus Jtem fur j quart Essich: iij albus Jtem fur j loith peffer: ij albus 227 Pfeffer war relativ teuer: Ein Lot kostete Ende der 1580er Jahre zwei Albus. Auffällig ist, dass sich in den Hospitalrechnungen der Jahrgänge 1623/24 und 1641/42 keinerlei Nachrichten über den Kauf von Pfeffer finden lassen. Ähnlich verhält es sich mit den Stiftsrechnungen: Während in einer Gewürzrechnung vom 16. Februar 1572 noch j pfund peffers groff im Gegenwert von zwei Gulden und vier Albus erscheinen,228 kaufte man 1641 nur noch ein Viertelpfund peffs für das Festessen.229 In der 1650 erstellten Rechnung fehlt hingegen der Pfeffer völlig. Vermutlich hängt der abnehmende Gebrauch des Pfeffers nicht mit den schwindenden finanziellen Möglichkeiten der Neusser zusammen, sondern vielmehr mit einer Änderung der Speisegewohnheiten. Pfefferkörner fanden sich hin und wieder in mittelalterlichen und neuzeitlichen Latrinen – allerdings eher nur mit wenigen Resten, denn gemahlener oder fein zerstoßener Pfeffer lässt sich kaum erfassen, und mit den kostbaren und teuren Pfefferkörnern ging man sicherlich sehr sorgsam um. L. Gelius-Dietrich fand „geringe Spuren dieser kulinarischen Kostbarkeit nirgends sonst als nur im Michaeliskloster und im Abfallschacht der napoleonischen Soldaten am Münsterplatz”. 230 Neben dem aus Indien oder Südostasien importierten Pfeffer (Piper nigrum) wurde im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit auch ein afrikanischer „Pfeffer” genutzt. Dieser gehört allerdings nicht zu den Pfeffergewächsen, sondern zu den Ingwerpflanzen. Der MeleguetaPfeffer (Aframomum melegueta), auch Paradieskorn genannt, wurde nach den schriftlichen Quellen erstmals im frühen 13. Jahrhundert aus Westafrika nach Europa eingeführt; die archäobotanischen Nachweise häufen sich eher in der Frühen Neuzeit .231 Auch die Neusser Ausgrabungen erbrachten Körner dieses kostbaren Gewürzes.232

Ingwer Ingwer ist neben Pfeffer das am häufigsten in den Hospitalrechnungen genannte Gewürz. Im Rechnungsjahr 1581/1582 verbrauchte man etwa 41 Lot (ca. 1 1/4 kg) von ihm.233 Der gyngeuer wurde zum Teil mehrmals in der Woche in Portionen von einem Lot (ca. 30 g) gekauft, was nahelegt, dass es sich um getrockneten Ingwer bzw. Ingwerpulver handelte. Für ein Festessen in der österlichen Fastenzeit verwendete man sogar drei Lot des

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StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche Judica = 1. 4. 1582 Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 17: Gewürzrechnung Februar 1572 Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 50, Nr. 3: Rechnung vom 10. 2. 1641 über bei M. Hermes gekaufte Gewürze Gelius-Dietrich 1996, 143 Wiethold 2007, 59 Gelius-Dietrich 1996; Knörzer unpubl. StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche nach Remigij an. d. 81 ahngefangen = 1. 10. 1581; Woche allerheilgen = 1. 11. 1581; Woche martin. = 11. 11. 1581; Woche Nicoleij = 6. 12. 1581; Woche Julianis = 9. 1. 1582; Woche Sebastia. = 20. 1. 1582; Woche peulj bekerung = 25. 1. 1582; Woche purificationis marie = 2. 2. 1582; Woche matthias = 24. 2. 1582; Woche fasnacht = 28. 2. 1582; Woche Invocauit = 4. 3. 1582; Woche Reminiscere = 11. 3. 1582; Woche oculi = 18. 3. 1582; Woche Lethare = 25. 3. 1582; Woche palmen = 8. 4. 1582; Woche pasen = 15. 4. 1582; Woche quasimodo = 22. 4. 1582; Woche philippi et Jacobi = 1. 5. 1582; Woche Jubeleti = 6. 5. 1582; Woche Cantate = 13. 5. 1582; Woche Exaudi = 27. 5. 1582; Woche pinxsten = 3. 6. 1582; Woche Peter vnd paul = 29. 6. 1582; Woche marien heimsuchung = 2. 7. 1582; Woche pet. kett. = 1. 8. 1582; Woche maryen heymsuchung (irrtümlich für Mariae Himmelfahrt) = 22. 8. 1582; Woche bartholomej = 24. 8. 1582; Woche Egidij = 1. 9. 1582; Woche maryen gebuert = 8. 9. 1582


Gewürzes.234 Der Ingwer wurde von derselben Bezugsquelle, wohl einem Gewürzhändler, erstanden wie der Pfeffer.235 Offensichtlich war er vor allem als Fischgewürz beliebt, wie sich aus der häufigen zeitlichen Nähe von Fisch- und Ingwerkäufen in den Rechnungen erschließen lässt: Jtem fur stockfysch: v albus Jtem fur gruenfysch: viij albus Jtem j loith gyngeuer: viij albus 236 Dabei wurde auch die therapeutische Wirkung des Ingwers genutzt, wie ein Rechnungseintrag aus dem März 1582 zeigt, dem zufolge einem Kranken offensichtlich mit Ingwer gewürzter Fisch nebst eines Quarts (ca. 1,5 l) Wein als Schonkost verabreicht wurde: Jtem fur j quart wins fur de furstgenannten kranken: ij albus Jtem fur schollen: iiij albus Jtem fur ij loith soubkruth: ij albus Jtem fur de furstgenannten Krancken fur fysch: iij albus Jtem fur j loith gyngeuer: viij albus [...] Jtem noch fur gruenfysch fur de krancken: iij albus […] Jtem noch thegen den sondach fur gruenfyß vnd myth fur de krancken: viij albus Jtem fur j loith gyngeuer: viij heller 237 Das häufige Würzen von Fischgerichten mit Ingwer dürfte mit der im Mittelalter populären Säftelehre (Humoralpathologie) zusammenhängen, nach der die Natur sich aus den vier Elementen Luft, Feuer, Erde und Wasser zusammensetzt, denen wiederum die Temperamente Sanguinik, Cholerik, Melancholie und Phlegma zuzuordnen sind. Der Mensch vereint die vier Temperamente in Form der Körpersäfte Blut, gelbe Galle, schwarze Galle und Schleim in seinem Körper. Geraten die Körpersäfte aus dem Gleichgewicht, erkrankt der Mensch. Durch eine gezielte Ernährung kann der Mensch jedoch die Mischung seiner Körpersäfte kontrollieren. Fisch als Teil des Elementes Wasser galt als nass und kalt und eignete sich daher als Diät für fiebernde Patienten. Seine fördernde Wirkung auf den Körpersaft Schleim konnte dabei durch Zugabe „heißer” Gewürze wie Ingwer gebremst bzw. kompensiert werden. Wie groß jedoch der Einfluss der Säftelehre auf den Alltag in den spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Küchen in der Praxis war, ist schwer einzuschätzen. Im Hospital wurde Ingwer augenscheinlich auch als Gewürz für Fleischgerichte verwendet, wie u. a. die Vorbereitungen für das Osterfest 1582 zeigen: Jtem fur Ein kalff haet gewegen xliij pont jeder pont ij albus, facit: iij gulden xiiij albus Jtem viij pont pont lamfleiß jeder Pont iiij albus iiij heller, facit: j gulden Viij albus vj heller Jtem fur j loeth peffer j loith gyngeuer: xxxiiij heller 238 Im 17. Jahrhundert sank der Ingwerverbrauch im Hospital. Für 1623 fehlen in den Rechnungen jegliche Hinweise auf die Verwendung der Gewürzwurzel. Im Krisenjahr 1641/42 wurden immerhin noch 2,5 Pfund Ingwer konsumiert, die sich allerdings auf drei Einkäufe von jeweils einem Viertelpfund bzw. zwei Pfund beschränkten.239 Der Ingwer

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Jtem fur iiij loith gyngeuer: v albus, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche oculi = 18. 3. 1582 Jtem j loith peffer j loith gyngeuer: iij albus iiij heller, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche Exaudi = 27. 5. 1582 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche Invocauit = 4. 3. 1582 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche Reminiscere = 11. 3. 1582 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: palmen = 8. 4. 1582 StA Neuss B.02.01 / VII 215: Woche Omnium Sanctorum = 1. 11. 1641; Woche Praesentation B. M. V. = 21. 11. 1641; Woche Matthiae Apostolj = 24. Februar 1642

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scheint jetzt gezielt zur medizinischen Versorgung eingesetzt worden zu sein, wie ein Eintrag aus dem Februar 1642 zeigt, laut dem ¼ lb. gengber vor die verwundten gekauft wurde. Im Stift St. Quirin bleibt der Verbrauch an Ingwer zumindest bei den Feierlichkeiten unverändert. In der Gewürzrechnung von 1572 erscheint 1 pfund Gengbers im Gegenwert von 28 Albus.240 1641 wird die gleiche Menge, nämlich einmal ¼ lb. Genber für 9 Albus und weitere ¾ lb. gengber bei zwei verschiedenen Händlern gekauft.241 Zusätzlich servierte man 2 lb. Jngemacht bitren vnnd genberen, wohl als Konfekt.242 Der Ingwer (Zingiber officinale) stammt ursprünglich aus Südostasien und wurde schon von den Römern – vermutlich aus den Tropen Ostafrikas – importiert. Mitteleuropa soll dieses Gewürz zur Zeit der Kreuzzüge kennengelernt haben. Früh schon gelangte die Ingwerpflanze auch in die Tropen der Neuen Welt; schon 1547, gut ein halbes Jahrhundert nach der Entdeckung Amerikas, wurden aus Jamaika schon 22.000 Zentner Ingwerwurzeln nach Europa importiert.243 Da vom Ingwer die geriebenen Knollen oder gar das Pulver verwendet wurden, konnte dieses Gewürz archäobotanisch noch nicht nachgewiesen werden.

Muskat, Nelken, Zimt, Koriander, Safran und Rosenwasser In den Hospitalrechnungen werden an importierten Gewürzen noch Nelken (negel), Muskat (Roump) und Zimt (kneel) genannt. Sie alle wurden zusammen mit Pfeffer und Ingwer im März 1582 offensichtlich für ein österliches Festessen der Provisoren des Hospitals gekauft: Jtem fur j loith negel: v albus Jtem fur iij loith Roump: viij albus Jtem fur j loith kneels: iiij albus 244 In der Neujahrswoche desselben Jahres kaufte man für 6 Heller eine offensichtlich geringe Menge safferaen.245 In der Gewürzrechnung des Stiftes St. Quirin aus dem Jahr 1572 tauchen ebenfalls Nelken, Muskat, Zimt und Safran auf, allerdings in deutlich größeren Mengen: Jtem iiij loet kanell, das loet iiij albus Jtem 8 loet negel, das loet iiij albus Jtem 8 loet rump, das loth ij albus Jtem 8 loet blomen, dat loth vj albus Jtem 2 loet engels safferaen, dat loet 10 albus 246 Zweierlei Sorten Muskat, die wohl über die Niederlande importiert wurden, werden genannt: Die rump trägt vermutlich ihren Namen von der Insel Run, einer der heute zu Indonesien gehörenden Banda-Inseln,247 während unter blomen die qualitativ hochwertigere Muskatblüte zu verstehen ist.

240 241

242 243 244 245 246 247

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Pfarrarchiv St. Quirin Bestand Hansen A Nr. 17: Gewürzrechnung Februar 1572 Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 50, Nr. 3: Rechnung vom 10. 2. 1641 über bei M. Hermes gekaufte Gewürze; Nr. 4: Abrechnung der Ausgaben für die Äbtissinnenwahl 1641, 3r Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 50, Nr. 2: Rechnung über 1641 in Köln gekaufte Confecturen Küster 1987, 92 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche oculi = 18. 3. 1582 Jtem fur safferaen: vj helller, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche Nyen Jaers Dach = 1. 1. 1582 Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 17: Gewürzrechnung Februar 1572 RUMPE, f. schlechtere sorte muscatnusz, niederd., Deutsches Wörterbuch 1854 -1960, Bd. 14, 1486


Für das 1641 abgehaltene Festessen wurden zwei Pfund kanel Romain (eine offensichtlich hochwertige Zimtsorte), zwei Pfund glatten Coriandern und roßen wasser für 12 Albus gekauft.248 Bei der Gewürzhändlerin Margret Hermes erstand man zusätzlich ein Lot Negll für 7 Albus, ein Lot kleine bloume für 10 Albus und zwei Lot cameill für 12 Albus – also Nelken, Muskatblüte und wahrscheinlich römische Kamille.249 In einem dritten Rechnungseintrag erscheinen weitere Gewürze: 4 loth rump 3 loth Caneell 3 loth muscaten blomen 3 loth negell ¼ loth Safferan 250 Zusammengerechnet verkonsumierte man 1641 also: fünf Lot Zimt (ca. 150 g), vier Lot Nelken (ca. 120 g), vier Lot Muskatblüte (ca. 120 g), vier Lot Rump-Muskat (ca. 120 g), ¼ Lot Safran (ca. 8 g), zwei Lot Koriander (ca. 60 g) und zwei Lot cameil (ca. 60 g edle Kamille). Im Krisenjahr 1650 scheint die Palette an Gewürzen weniger umfangreich. Für 12 Albus kaufte man 20 rosenwaßer Aneiß und für 6 Albus rosenmarin.251 Allerdings beschaffte man für 31 Gulden und 5 Albus eine unbekannte Menge gewurtz und confecturen in franckreich sowie für 86 Gulden und 9 Albus weitere confecturen bei einem zuckerbecker in Düsseldorf.252 Während sich Zimt, Safran, Muskat und natürlich auch Rosenwasser noch nicht archäobotanisch in Neuss fassen ließen, sind die Samen des Korianders (Coriandrum sativum) wiederholt in den Ausgrabungen gefunden worden. K.-H. Knörzer vermerkt: „Fast alle Fruchtreste sind stark zerrissen oder deformiert und waren vermutlich durch den Darm gegangen”. 253 Der Koriander ist mit den Römern ins Rheinland gekommen und war in der römischen Küche ein sehr beliebtes Gewürz, das offenbar – wie Pollenfunde aus zahlreichen römischen Ablagerungen zeigen – hier in den Krautgärten gezogen wurde. Im Mittelalter nimmt die Beliebtheit – den nun selteneren archäobotanischen Nachweisen nach – deutlich ab.

Zucker Im Mittelalter gab es neben Obstgelee nur Feigen, Zucker und Honig als Süßstoff. Bis zur industriellen Herstellung aus Zuckerrüben wurde der Zucker aus Zuckerrohr gewonnen, das seit dem Hochmittelalter auch in Griechenland, Sizilien und Spanien angebaut wurde. Zucker war zwar im 16. Jahrhundert auch in Neuss bekannt, aber nicht für alle Bevölkerungskreise erschwinglich. Im Gasthaus zum Heiligen Geist wurde er überwiegend als Medizin verwendet, wie die vielen Rechnungseinträge zeigen, in denen der Kauf von einem oder zwei Lot Zucker für einen Kranken festgehalten ist.254 Häufig wird dabei spezifiziert, dass es sich um borstsucker, also Brustzucker, handelte, der wohl gegen Erkältungskrankheiten helfen sollte. Vermutlich ebenfalls für einen Kranken waren die ij loith sockerkandeyß

248 249

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252 253 254

Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 50, Nr. 2: Rechnung über 1641 in Köln gekaufte Confecturen Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 50, Nr. 3: Rechnung vom 10. 2. 1641 über bei M. Hermes gekaufte Gewürze Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 50, Nr. 4: Abrechnung der Ausgaben für die Äbtissinnenwahl 1641 Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 50: Abrechnung der Ausgaben für die Äbtissinnenwahl 1650, 1r u. 2v Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 50: Abrechnung der Ausgaben für die Äbtissinnenwahl 1650, 1r Knörzer 1975, 138 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche De wech Sebastia. = 20. 1. 1582; Woche fasnacht = 28. 2. 1582; Woche Peter vnd paul = 29. 6. 1582; Woche achatius = 22. 6. 1582; Woche Peter vnd paul = 29. 6. 1582; StA Neuss B.02.01 / VII 210, 2: Woche Judica = 27. 3. 1583; StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Dominica Francisci = 3. 10. 1623; Woche Visitationis B. Mariae Virginis = 2. 7. 1624; Woche Kilianij = 8. 7. 1624; Woche Natiuitatis B. Mariae Virginis = 8. 9. 1624; StA Neuss B.02.01 / VII 215: Woche S. Bartholomaej = 24. 8. 1642

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(Kandiszucker) bestimmt, die man im August 1584 kaufte.255 Zucker war sehr teuer: Ein Lot (ca. 30 g) kostete einen Albus. Offensichtlich wurde die kostbare Medizin hauptsächlich für Schwerkranke beschafft, denn häufig verstarben die Patienten bereits einige Wochen nach dem Beginn der „Zuckertherapie”. Im Gasthaus zum Heiligen Geist wurde Zucker auch gelegentlich bei Festessen verwendet, wie im Februar 1582, als man zu Fastnacht ein Festmahl mit Kapaunen, Hasen, Reis und j pont souckers zubereitete.256 Aus einem Eintrag des Jahres 1585 geht hervor, dass man den Zucker wohl von derselben Bezugsquelle wie das baumolich (Olivenöl) kaufte.257 Im Stift St. Quirin wurde Zucker dagegen für die Zubereitung von Süßspeisen verwendet. Die Gewürzrechnung vom Februar 1572 nennt iiij pfund Canarien Zucker zu 14 Albus das Pfund, bei dem es sich offensichtlich um Zucker von den Kanarischen Inseln handelte.258 1641 kaufte man für die Festlichkeiten zur Wahl der neuen Äbtissin verschiedene Sorten Zucker, u. a.: 1 ½ lb. zuecker negeller: 5 fl. 10 alb. 2 lb. groß mußqu. zucker: 8 fl. […] ¾ lb. feinen weißen zucker bitteren: 2 fl. 2 lb. groß kandeiß zucker: 8 fl. […] 5 lb. hudt zucker: 6 fl. 6 alb.259 Während die zwei Pfund Kandiszucker sowie der fünf Pfund schwere Zuckerhut sich in ihrer Bedeutung leicht erschließen, bleibt unklar, was genau sich hinter den Zuckernelken und den zucker bitteren verbirgt.

Kapern und Oliven Kapern und Oliven im Wert von einem Gulden wurden 1582 in der Woche vor Fastnacht im Gasthaus gekauft.260 Aus dem Kontext der Rechnungseinträge ist ersichtlich, dass sie für ein zu Karneval für die Provisoren des Hospitals gegebenes Festessen benötigt wurden. Als man im April 1584 in der Woche Misericordia die Besorgungen für ein geplantes Festmahl machte, kaufte man ebenfalls capperen für 6 Albus.261 Dass Kapern und Oliven der festlichen Tafel vorbehalten waren, zeigen die Rechnungen für die Festmahle zu Ehren der neugewählten Äbtissinnen von St. Quirin. 1641 kaufte man in Köln zwei Pfund Capperen,262 1650 sogar drei Pfund und zusätzlich ein Quart (ca. 1,5 l) Oliven. 2 lb. Capren ad: 2 gulden 2 albus Noch j lb. Caper ad: 1 gulden 4 albus j quart oliuen ad: 1 gulden 16 albus 2 duppen vor Capren vnd oliuen: 3 albus 4 heller 263 Oliven und Kapern wurden offensichtlich eingelegt in einem Topf verkauft. Ob es sich um importierte Kapern und Oliven oder um lokal hergestellte Surrogate handelt, lässt sich 255 256

257 258 259 260 261 262 263

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StA Neuss B.02.01 / VII 210, 3: Woche laurentij = 10. 8. 1584 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche matthias = 24. 2. 1582; vgl. auch StA Neuss B.02.01 / VII 210, 2: Woche bonifacius = 5. 6. 1583 Jtem fur sallaet, baumolich j pont socker: xxvij albus, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 4: Woche misericordij = 5. 5. 1585 Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 17: Gewürzrechnung Februar 1572 Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 50, Nr. 2: Rechnung über 1641 in Köln gekaufte Confecturen Jtem fur kapperen vnd oliuen: j gulden, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche matthias = 24. 2. 1582 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 3: Woche misericordia = 15. 4. 1584 Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 50, Nr. 2: Rechnung über in Köln 1641 gekaufte Confecturen Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 50: Abrechnung der Ausgaben für die Äbtissinnenwahl 1650, 1v


nicht sagen. Die Früchte wachsen im Mittelmeerraum und sind in Ländern wie Frankreich und Italien beheimatet. Speiseoliven wurden in römischer Zeit gelegentlich ins Niederrheingebiet importiert, so auch in das Militärlager Novaesium. Außer einem von K.-H. Knörzer mit Vorbehalt zu Olea europaea gestellten Steinkern liegen aus mittelalterlichen und neuzeitlichen Befunden bisher keine Steinkerne von Oliven vor.

Kruith, soupekruith und specerey Die Gasthausrechnungen des späten 16. Jahrhunderts nennen häufig kruith und soupekruith. Den Einträgen ist zu entnehmen, dass das kruith bzw. krauth in der Küche 264 für Pfeffergerichte, aber auch für Fisch- und Geflügelgerichte verwendet wurde: Jtem fur kruith thom peffer: xxv albus 265 Jtem fur Joesten ahn fyß vnd krauth: iiij albus [...] Jtem fur Joesten gegolden eyn hoen fur: ix albus Jtem fur krauth vnd rosynen vp dat hoen: xxvij heller 266 Jtem fur vj Eyer vnd eyn weinich gruenfyß: vj albus Jtem fur eyn weinich krauth vp den fyß: j albus 267 Die für das kruith in der Küche ausgegebenen Beträge lagen in fast allen Fällen bei etwa 2 Gulden und 10 Albus. Dem Kontext der Rechnungen ist zu entnehmen, dass die Zutaten wohl in erster Linie für Festessen, etwa zur Fastnacht und zur Kirmes, bestimmt waren.268 Worum es sich bei dem kruith handelte, verraten die Gasthausrechnungen der Jahre 1623/24 und 1641/42, die nun statt kruith die Bezeichnung Specerey verwenden, das in die kuch,269 in den peffer 270 wie auch in die wurst 271 kam. Offensichtlich handelt es sich bei dem Kraut nicht um exotische Importgewürze, sondern um Kräuter aus heimischer Produktion, was auch die summarische Bezeichnung nahelegt. Das soupekruith hingegen scheint ausschließlich für die Therapierung von Kranken verwendet worden zu sein. Daher kann es sich nicht um Suppenkraut im Sinne des heutigen Sprachgebrauchs gehandelt haben, sondern um Heilkräuter, was auch die geringen verwendeten Mengen von einem ¼ Pfund oder zwei bzw. vier Lot zeigen: Jtem noch geholt j fierdel pont soupekruith fur de krancken: viij albus 272 Im Rechnungsjahr 1581/82 wurde insgesamt etwas über ein Pfund soupekruith gekauft.273

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Jtem fur kruith jn de kuch: ij gulden xj albus, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 2: Woche dionisij nach Remigij = 1. 10. 1582 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 2: Woche Oculi = 13. 3. 1583 266 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 4: Woche agatha = 5. 2. 1585 267 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 4: Woche marien heim souchung = 2. 7. 1585 268 Jtem fur kruith jn de kuch: ij gulden x albus, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche matthias = 24. 2. 1582; Jtem fur kruith jn de kuch: j gulden xviij albus, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 2: Woche Achat. = 22. 6. 1583; Jtem fur kruith jn de kuch: iij gulden iij albus, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 3: Woche misericordia = 15. 3. 1584 269 StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Inuocauit = 25. 2. 1624 270 StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Reminiscere = 3. 3. 1624 271 StA Neuss B.02.01 / VII 215: Woche Omnium Sanctorum = 1. 11. 1641 272 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche dionisius = 9. 10. 1581; Jtem fur geradt furstg. ij loeth soupekruith: ij albus, Woche Leopoldus = 15. 11. 1581 273 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche dionisius = 9. 10. 1581; Woche Leopoldus = 15. 11. 1581; Woche Cristmissen = 25. 12. 1581; Woche Invocauit = 4. 3. 1582; Woche Reminiscere = 11. 3. 1582; Woche Peter vnd paul = 29. 6. 1582 265

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Wildpflanzen Offensichtlich wurden in Neuss auch Wildpflanzen von ärmeren Bevölkerungsschichten, vor allem in Notzeiten, gesammelt und gegessen. Dies ist einer Bemerkung in der Chronik des Neusser Stadtschreibers Wierstraet zu entnehmen. Er berichtet, wie während der Belagerung der Stadt durch Karl den Kühnen 1474/75 verschiedene, aus seiner Sicht „sonderbare” Kräuter gesammelt wurden, die dann zu Brei bzw. Gemüse gekocht wurden: Then ys nyet all zo tesynnen Wat wunderlychs kruytz wart gesucht Zo gemoessz dayr mant vynden mucht 274 Übersetzung: Denn es ist nicht alles zu ersinnen, was an wunderlichen Kräutern gesucht wurde, für Gemüse, wie man sie finden konnte. Um welche Pflanzen es sich hierbei handelte, verraten die Schriftquellen leider nicht. Zahlreiche Wildgemüse standen der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Bevölkerung zur Verfügung, die in Neuss und in der unmittelbaren Umgebung gesammelt werden konnten. Allein 30 verschiedene, nachweislich genutzte Arten, deren Früchte oder Samen in archäologischen Ausgrabungen in Mitteleuropa gefunden wurden, listet U. Willerding als Wildgemüse auf. 275 Einzelnen Früchten und Samen ist leider nicht anzusehen, ob sie bewusst gesammelt wurden oder ob sie mehr oder weniger zufällig in die Ablagerungen kamen. Erschwert wird der Nachweis von Wildgemüsen vor allem, wenn nur die Sprosse und Blätter verwendet, sogar noch zu gemoessz zerkocht wurden. Hatten die Pflanzen allerdings bereits Samen angesetzt oder wurden gar auch die stärke-, eiweiß- oder fettreichen Samen selbst mitgegessen, so kann dies ein Hinweis auf die intentionelle Nutzung der Wildpflanzen sein. Bei der Behandlung des Getreides wurden bereits die in Splittern vorkommenden Samen von Getreideunkräutern erwähnt, die – beabsichtigt oder nicht – zusammen mit dem Korn verzehrt wurden. Derartige Bruchstücke fand K.-H. Knörzer von der Kornrade (Agrostemma githago), der Acker- und der Stinkenden Hundskamille (Anthemis arvensis, A. cotula), der Kornblume (Centaurea cyanus), dem Feldsalat (Valerianella dentata) und dem Ackerstiefmütterchen (Viola arvensis-Gruppe). Auch die Teilfrüchte des Echten Feldsalats (Valerianella locustra) können von dem Ackerunkraut stammen, dessen Blattrosetten als Ackersalat gesammelt wurden. Erst 1701 findet sich eine Angabe, dass man den Ackersalat im August aus dem Acker ausheben und in die Gärten pflanzen könne.276 Zerbrochene, möglicherweise zerkaute Samen fanden sich darüber hinaus vom Gänsefuß (Chenopodium album), der Wiesenknautie (Knautia arvensis), vom Vogel- und Wiesenknöterich (Polygonum aviculare, P. convolvulus), von mehreren Hahnenfuß-Arten (Ranunculus arvensis, R. repens, R. sceleratus), vom Sauerampfer (Rumex acetosella-Gruppe) und von der Vogelmiere (Stellaria media-Gruppe).

274 275 276

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Wierstraet 1974, Vers 1682 -1684 Benecke u. a. 2003, 311, Tab. 5 Körber-Grohne 1987, 294


Essig Essig wurde in den Neusser Küchen des 16. und 17. Jahrhunderts sehr häufig verwendet. Er wurde nicht nur importiert, sondern auch in Neuss hergestellt, wie die 1562 aufgezeichnete Ordnung der Sackträger verrät, in der u. a. der Transportpreis für einen volliger Essig (70 Quart bzw. ca. 105 l) dem burger heimzudragen und in den keller zu legen festgelegt ist.277 Auch im Hospital war der Verbrauch an Essig relativ hoch. In den Rechnungsjahren 1581/82 sowie 1623/24 wurden je 25 Quart (ca. 38 l) Essig gekauft, d. h. im Durchschnitt verbrauchte man etwa zwei Quart (ca. 3 l) monatlich; 1641/42 waren es immerhin noch 20 Quart (ca. 30 l).278 Hierin enthalten ist jedoch auch der Essig, der für die Herstellung von Sauerkraut benötigt wurde (s. o.). Der Essig wurde jeweils in Mengen von ein bis zwei Quart gekauft. Ob Essig auch im Hospital selbst hergestellt wurde, geht aus der Rechnung nicht hervor. Man verwendete ihn das ganze Jahr hindurch in der Küche, ohne dass saisonale Schwerpunkte erkennbar wären. Auch bei den Festessen im Stift St. Quirin wurde essigh verwendet.279 Er wurde nicht nur aus Wein,280 sondern auch aus saurem Bier hergestellt.281 Ob mehr biereßigh als Weinessig verwendet wurde, lässt sich jedoch nicht sagen.

Nahrungspflanzen in Neuss Die vielfältigen Hinweise aus den Schriftquellen und den archäobotanischen Untersuchungen zeigen, dass eine Vielzahl an Speise- und Gewürzpflanzen im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Neuss verwendet wurde (Tab. 1). Neben Gewächsen von heimischen Gartenbeeten oder Feldern wurden auch in nennenswerter Anzahl importierte Pflanzen, vor allem orientalische Gewürze, zum Kochen und Backen benutzt. Bei der Verwendung der Speisepflanzen zeigen sich dabei allerdings große soziale Unterschiede: Zutaten wie Kapern, Oliven und Mandeln waren in erster Linie der Tafel der reichen Bürger und der Adligen vorbehalten, während in ärmeren Haushalten vorwiegend lokale Erzeugnisse verspeist wurden. Ferner ist zu berücksichtigen, dass die archäobotanischen und historischen Quellen sicherlich nur einen Teil der Speisepflanzen erfassen und dass insbesondere die in der Neusser Umgebung gesammelten Wildpflanzen, die vermutlich bei ärmeren Bevölkerungsschichten eine größere Bedeutung in der Ernährung besaßen, in der Zusammenstellung unterrepräsentiert sind.

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280 281

van iederem volliger essichs aus deme Nuisser aufzudragen an eines burgers huis, Lau 1911, Nr. 177, 240 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche dionisius = 9. 10. 1581; Woche vrsula henckfrau = 21. 10. 1581; Woche Simon et Jude = 28. 10. 1581; Woche allerheilgen = 1. 11. 1581; Woche Leopoldus = 15. 11. 1581; Woche Nicoleij = 6. 12. 1581; Woche Nyen Jaers Dach = 1. 1. 1582; Woche Agatha = 5. 2. 1582; Woche matthias = 24. 2. 1582; Woche fasnacht = 28. 2. 1582; Woche Invocauit = 4. 3. 1582; Woche Reminiscere = 11. 3. 1582; Woche oculi = 18. 3. 1582; Woche Lethare = 25. 3. 1582; Woche Judica = 1. 4. 1582; Woche palmen = 8. 4. 1582; Woche quasimodo = 22. 4. 1582; Woche Cantate = 13. 5. 1582; Woche Exaudi = 27. 5. 1582; Woche viten = 15. 6. 1582; Woche achatius = 22. 6. 1582; Woche Peter vnd paul = 29. 6. 1582; Woche Laurent. = 10. 8. 1582; Woche bartholomej = 24. 8. 1582; Woche Mattheiy = 21. 9. 1582; StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Vrsulae = 21. 10. 1623; Woche Seuerini Episcopi = 23. 10. 1623; Woche Nicolaj = 6. 12. 1623; Woche Natiuitatis Christi = 25. 12. 1623; Woche Conuersionis S. Paulj = 25. 1. 1624; Woche Septuagesima = 4. 2. 1624; Woche Sexagesima = 11. 2. 1624; Woche Inuocauit = 25. 2. 1624; Woche Reminiscere = 3. 3. 1624; Woche Laetare = 17. 3. 1624; Woche Judica = 24. 3. 1624; Woche Palmarum = 31. 3. 1624; Woche Quasimodo = 14. 4. 1624; Woche Cantate = 5. 5. 1624; Woche Crucis = Anfang Mai 1624; Woche Exaudj = 19. 5. 1624; Woche Trinitatis = 2. 6. 1624; Woche Viti et Modestj = 15. 6. 1624; Woche Agathij Martyris = 22. 6. 1624; Woche Visitationis B. Mariae Virginis = 2. 7. 1624; Woche Kilianij = 8. 7. 1624; Woche Vincula Petrj = 1. 8. 1624; Woche Natiuitatis B. Mariae Virginis = 8. 9. 1624; Woche Cosmae et Damianj = 27. 9. 1624; StA Neuss B.02.01 / VII 215: Woche Remigij ahngehendt = 1. 10. 1641; Woche Omnium Sanctorum = 1. 11. 1641; Woche Natiuitatis = 25. 12. 1641; Woche Circumcisionis Dominj = 1. 1. 1642; Woche Hilarij = 13. 1. 1642; Woche Valentinj = 14. 2. 1642; Woche Matthiae Apostolj = 24. 2. 1642; Woche Reminiscere = 16. 3. 1642; Woche Oculi = 23. 3. 1642; Woche Judica = 6. 4. 1642; Woche Osteren = 20. 4. 1642; Woche Vincula Petrj = 1. 8. 1642; Woche Assumptionis B. M. V. = 15. 8. 1642; Woche S. Bartholomaej = 24. 8. 1642 Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 16: Reise nach Boppard 1572, 2r, 5v-r; Bestand Hansen A Nr. 50, Nr. 4: Abrechnung der Ausgaben für die Äbtissinnenwahl 1641, 3v Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 50, Nr. 4: Abrechnung der Ausgaben für die Äbtissinnenwahl 1641, 3v Sambstagh vor 2 quart biereßigh Jeder 8 ½ albus: 17 albus, StA Neuss B.02.01 / VII 215: Woche S. Bartholomaej = 24. 8. 1642

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Selikum (9. - 12. Jh.)

Oberstraße (10./11. Jh.)

Oberstraße (13. Jh.)

Oberstraße (13. Jh.)

Klarissenstraße (13. Jh.)

Marienberg (13./14. Jh.)

Mühlenstraße / Peinturm (14.-15. Jh.)

Rathauserweiterung (Ende 15. Jh.)

Münsterplatz (wohl 15. Jh.)

Quirinusstraße / Glockhammer (wohl 14.15. Jh.)

Baustelle Horten (15. Jh.)

Oberstraße (15. Jh.)

Baustelle Kaufhof (15./16. Jh.)

Oberstraße (15./16. Jh.)

Spulgasse (wohl 15./16. Jh.)

Michaelstraße (16. Jh.)

Markt 32 (17.-18. Jh.)

Münsterschule (wohl 18. Jh.)

Zollstraße (wohl 18. Jh.)

Mehlfrüchte Avena sativa + spec. Avena sativa + spec. Fagopyrum esculentum Hordeum vulgare Hordeum vulgare Panicum miliaceum Secale cereale Secale cereale Hordeum vel Secale Triticum aestivum Triticum dicoccon Triticum dicoccon Triticum spelta Triticum spelta

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· 296 · · · · · · · 1 10 · · 4 · · · · · 34 · · · · · · · · 8 · · 2 · · · · 1 · · · 10 9

4 · · · · · 2 · · 1 · · · ·

· · · · · · 2 10 · · · · · ·

· · · · · · · 9 · · · · · ·

· 3 5 · · · · 5 · · · · · ·

1 · 22 · · · · 2 · 1 · 1 · ·

· · · · · · · · · · · · · ·

· · · · · · · · · · · · 1 ·

228 · · 62 · 76 5 · · 1 · · · ·

· · · · · · · · · · · · · ·

· · 3 · · · · · · · · · · ·

· · 12 2 1 · 4 8 · · · · · ·

8 · 4 · 1 · 5 2 · · · · · 8

· · 9 · · · · · · · · · · ·

· · 82 · · · 1 19 · · · · · ·

· · · · · · · · · · · · · ·

1 · · · · · 2 · · · · · · ·

Hafer Hafer, Spelzreste Buchweizen Gerste Gerste, Spelzreste Rispenhirse Roggen Roggen, Spelzreste Gerste oder Roggen Saatweizen Emmer Emmer, Spelzreste Dinkel Dinkel, Spelzreste

Hülsenfrüchte Lens culinaris Pisum sativum

· 2

· ·

1 26

· ·

· ·

· ·

· ·

· ·

· ·

· ·

· ·

· ·

· ·

· ·

· ·

· ·

· ·

· 1

· ·

· ·

Linse Erbse

Öl- und Faserpflanzen Cannabis sativa Linum usitatissimum Papaver somniferum

2 ·

· ·

· 3 ·

· · ·

· 3 ·

· · 1 30 39 ·

· · 68

3 1 19

· · ·

· · ·

· 3 167

· · ·

· · ·

· 1 2

· · ·

· 1 ·

· 3 34

· · ·

· · ·

Hanf Lein Schlafmohn

Gemüsepflanzen Amaranthus blitum Beta vulgaris Brassica rapa Brassica spec. Daucus carota Pastinaca sativa Portulaca oleracea Valerianella locusta Valerianella rimosa

· · · · · · · · ·

· · · · · · · · ·

· · · · · · · · 3

· · · · · · · · ·

· · · · · · · · ·

2 · · 6 1 · · · ·

1 · · · · · · · ·

1 · 1471 · · · · 3 1

· 2 320 · 4 · · · 9

· · · · · · · · ·

· · · · · · · · ·

17 1 290 · 3 1 1 9 18

1 · · 50 · · · 1 ·

· · 20 · · · · · ·

· · · 361 1 · · 10 ·

· · 51 · · · · 3 2

· · · 90 · · · · ·

· · 14 38 1 · · · 1

· · 174 · · · 811 8 ·

· 14 · · 1 · · · ·

Gewürzpflanzen Anethum graveolens Apium graveolens Carum carvi Coriandrum sativum Foeniculum vulgare Humulus lupulus Myrica gale Origanum vulgare Petroselinum crispum Satureja hortensis Sinapis arvensis Thymus vulgaris

· · · · · · · · · · · ·

· · · · · · · · · · · ·

· · · · · · · · · · · ·

· · · · · · · · · · · ·

· · · · · 1 · · · · 2 ·

2 · 2 · · 2 2 · 21 · 4 ·

1 · · · · · · · · · · ·

17 · · 9 184 9 · · 17 5 19 ·

2 2 1 1 3 2 1 · · · 83 ·

· · · · · · · · · · · ·

· · · · · · · · · · · ·

1 6 9 · 6 11 · · 46 13 25 ·

· · 1 · · · · · · · 3 ·

· · · · · 2 · · 3 · · 1

· · 9 · · 1 · · 8 · 10 ·

· · 1 · 3 · · · · · · ·

15 2 · 3 · · · · 53 · 3 ·

3 2 · · 20 1 · · · 1 13 ·

· · · 19 · · · 9 · · · ·

· · · · · · · · · · · ·

Dill Sellerie Kümmel Koriander Fenchel Hopfen Gagel Origanum Petersilie Bohnenkraut Ackersenf Thymian, Blatt

Nüsse Corylus avellana Juglans regia

· ·

1 ·

· 1

· ·

· ·

1 ·

3 2

· ·

8 4

1 ·

· ·

3 1

· ·

· ·

1 ·

· ·

· ·

· ·

· ·

· ·

Haselnuss Walnuss

68

Glockhammer (12. Jh.)

Fundplätze

Amarant Runkelrübe / Mangold Rübsen Kohl / Schwarzer Senf Möhre Pastinake Protulak Echter Feldsalat Gefurchter Feldsalat


Münsterplatz (wohl 15. Jh.)

Quirinusstraße / Glockhammer (wohl 14.15. Jh.)

· 997 44 673 · 71 39 · · 220 4 1 11 · 33 3644 · · · 225

· 1 · · · · · · · · · · · · · · · · · ·

· 22 1 · · · · · · · · · · · · · · · · 14

1 · · 2637 378 154 273 12 8 · 34 26 · 4 · 23 1 · 26 · · · · · 16 · · 1012 6 1 · · 10 17 · 4 42 8 1 · · · 15 29 10 · 75 9 · · · · · · · · · 1446 36 131

Wildobst Fragaria vesca Prunus spinosa Rosa spec. Rubus caesius Rubus fructicosus Rubus idaeus Sambucus ebulus Sambucus nigra Vaccinium myrtillus

· · · · · · · · ·

· · · · · · · 2 ·

· · · · · · · · ·

· · · · 1 · 1 2 ·

2 · · · 5 · 3 27 ·

15 2 · 3 11 1 1 1 16

7 · · · 1 · · 1 ·

1199 8 7 5 161 6 · 2 1197

243 11 4 5 514 15 · 2 582

· · · · 19 · 3 7 ·

· · · 1 33 2 · · ·

4389 48 9 75 1347 123 20 10 407

68 · · 1 42 · · · 29

18 1 · · 20 · · · 148

· 257 15 173 · 3 · · 1379 90 2 · 3 11 10 > 600 · · · 267

· 140 3 · · 8 · · · 17 · 1 2 · 21 · · · · 73

1 44 16 173 · 1 1 · 1 5 3 · 2 · 7 38 · 1 · 84

· 812 51 233 38 1 · 1 · 51 5 2 10 · 70 176 · · 3 82

· 199 · · · · · · 3 3 · · 4 · 1 · 19 955 · 44

· · · · · · 1

140 7 2 10 278 170 1 2 218

45 · · 2 375 35 · · 62

107 4 3 · 11 3 · · 29

308 1 · 9 114 9 1 1 52

116 1 · · 12 5 · · ·

1 · · · 18 · 16 118 ·

Zollstraße (wohl 18. Jh.)

Rathauserweiterung (Ende 15. Jh.)

6 2584 60 · · 17 26 · 18 150 · 10 18 · 88 · · · 8 992

Münsterschule (wohl 18. Jh.)

Mühlenstraße / Peinturm (14.-15. Jh.)

· 4 · 1 · · · · · 2 · · · · · 1 · · · ·

Markt 32 (17.-18. Jh.)

Marienberg (13./14. Jh.)

· 315 9 139 · 3 1 · · 8 2 18 1 · 3 57 · · · 16

Michaelstraße (16. Jh.)

Klarissenstraße (13. Jh.)

· 2 · · · · · · · · · · 1 · · · · · · ·

Spulgasse (wohl 15./16. Jh.)

Oberstraße (13. Jh.)

· · · · · · · · · · · · 2 · · · · · · ·

Oberstraße (15./16. Jh.)

Oberstraße (13. Jh.)

· · · · · · · · · · · · · · · · · · · ·

Baustelle Kaufhof (15./16. Jh.)

Glockhammer (12. Jh.)

· · · · · · · · · 1 · · 1 · · · · · · ·

Oberstraße (15. Jh.)

Oberstraße (10./11. Jh.)

· · · · · · · · · · · · · · · · · · · ·

Baustelle Horten (15. Jh.)

Selikum (9. - 12. Jh.)

Kulturobst Cornus mas Ficus carica Malus domestica Malus domestica (Endokarp) Malus / Pyrus Mespilus germanica Morus nigra cf. Olea europaea Physalis alkekengi Prunus avium Prunus cerasus Prunus domestica Prunus insititia Prunus spec. Pyrus communis Pyrus communis Ribes nigrum Ribes rubrum cf. Sorbus domestica Vitis vinifera

Fundplätze

· · · · · · · · · · · ·

Kornelkirsche Feige Apfel Apfel, Kerngehäusereste Apfel oder Birne Mispel Maulbeere wohl Olive Judenkirsche Süßkirsche Sauerkirsche Zwetschge Pflaume Birne Birne, Steinzellen Schwarze Johannisbeere Rote Johannisbeere Speierling Wein

Walderdbeere Schlehe Rose / Hagebutte Kratzbeere Brombeere Himbeere Attich Holunder Heidelbeere

Tabelle 1: Archäobotanisch nachgewiesene Nutzpflanzen aus Neusser Ausgrabungen (Analysen K.-H. Knörzer) Selikum, 9.-12. Jahrhundert, Grube 282 – Oberstraße, 10./11. Jahrhundert, Brandschicht (unpubl.) – Glockhammer. 12. Jahrhundert, Grubenhaus 283 – Oberstraße, 13. Jahrhundert, Lohegrube (unpubl.) – Oberstraße, 13. Jahrhundert, Abfallgrube (unpubl.) – Klarissenstraße, 13. Jahrhundert, Fäkalien 284 – Marienberg, 13./14. Jahrhundert, torfige Schichten 285 – Mühlenstraße / Peinturm, 14.-15. Jahrhundert, Latrinen 286 – Rathauserweiterung, Ende 15. Jahrhundert, Brunnen, Fäkalien 287 – Münsterplatz, wohl 15. Jahrhundert, Fäkalien 288 – Quirinusstraße / Glockhammer, wohl 14.-15. Jahrhundert, Grube, Fäkalien 289 – Baustelle Horten, 15. Jahrhundert, Fäkaliengrube 290 – Oberstraße, 15. Jahrhundert, Fassgrube 291 – Baustelle Kaufhof, 15./16. Jahrhundert, Brunnen, Fäkalien 292 – Oberstraße,

282 283 284 285 286 287 288 289 290 291 292

unpubl. Knörzer 1975 unpubl. unpubl. Knörzer 1975 Knörzer 1988 Knörzer 1980 unpubl. Knörzer 1968, Knörzer 1975 unpubl. unpubl.

69


15./16. Jahrhundert, Brunnen 293 – Spulgasse, wohl 15./16. Jahrhundert, Abfallgrube 294 – Michaelstraße, 16. Jahrhundert, Latrine 295 – Markt 32, 17.-18. Jahrhundert, Brunnen 296 – Münsterschule, wohl 18. Jahrhundert, Latrine 297 – Zollstraße, wohl 18. Jahrhundert, Brunnen 298

293 294 295 296 297 298

70

unpubl. Knörzer 1975 unpubl. unpubl. Knörzer 1975 Knörzer 1975


Hans-Peter Krull

Von gebratenem Storch und anderen Köstlichkeiten Was hat man im Verlauf der Jahrhunderte im Neusser Raum gegessen? Welche Tiere wurden genutzt? Wie groß waren sie? In welchem Alter hat man sie geschlachtet? Wie sahen diese Tiere aus? So wie heute? Waren sie größer oder kleiner als die heutigen Artgenossen? Um Fragen wie diese beantworten zu können, muss man Quellen finden, die Antworten geben. Man findet sie einerseits in alten Aufzeichnungen wie Naturgeschichtsbüchern, Rechnungsbüchern und Kochbüchern. Eine direkte Antwort liefern andererseits die Überreste der Knochen der Tiere aus den verschiedenen Epochen, die bei archäologischen Grabungen zu Tage kommen. Der Verfasser hat in den letzten etwa 20 Jahren Tierknochenreste aus verschiedenen Grabungen in Neuss ausgewertet und konnte über 30.000 davon einer bestimmten Gattung bzw. Art zuordnen und z. T. vermessen.

Die einzelnen Fundkomplexe Das ausgewertete Knochenmaterial stammt aus Grabungen, die im Laufe der Jahre an verschiedenen Stellen im Stadtgebiet durchgeführt wurden, weil Bauvorhaben den Zugang in die Vergangenheit möglich und eine archäologische Bergung nötig machten. Das Material stammt unter anderem aus Baugruben, verfüllten Kloaken und Brunnen. Tab. 2 zeigt die Zuordnung der Knochen zu einzelnen Fundstellen.

Grabungsstelle Klarissenstr. Stadtmauer

Datierung 12. Jahrh.

Säugerknochen

Vogelknochen

Summe

66

1

67

12. Jahrh.

438

61

499

Busbahnhof Grubenhaus

11.-12. Jahrh.

758

8

766

Pfarrgarten

13.-15. Jahrh.

994

40

1034

Stadtmauer

14. Jahrh.

61

20

81

Gasthaus

15. Jahrh.

59

8

67

Pfarrgarten

13.-16. Jahr.

158

16

174

Klarissenstr. Münsterplatz

15.-16. Jahrh.

26

5

31

Hamtorwall

15.-16. Jahrh.

341

8

349

16. Jahrh.

139

47

186

Promenadenstr.13

16.-17. Jahrh.

952

13

965

Promenadenstr. Rind

16.-17. Jahrh.

225

Kaufhalle

17. Jahrh.

1082

314

1396

Hamtorwall

17. Jahrh.

1602

21

1623

6901

562

7463

Markt 32

Summe

225

Tabelle 2

Leider war der größte Fundkomplex der Grabung vom Busbahnhof zum Zeitpunkt der vorliegenden Auswertung noch in der Bearbeitung und ließ sich daher nur in Teilaspekten hier einbeziehen. Da sich die Knochen aus verschiedenen Grabungsstellen nicht immer sicher zeitlich zuordnen lassen, reduziert sich die Anzahl der Tierreste, die für eine klare Auswertung zur Verfügung stehen. Weil außerdem für die vorliegende Betrachtung 71


Knochen aus römischer Zeit und solche des 18. und 19. Jahrhunderts ausgeklammert wurden, verringerte sich die Anzahl weiter. Für die hier vorliegende Arbeit standen insgesamt 7.463 Skelettreste zur Verfügung, die in Tab. 3 nach Zeitstellung und Tiergruppen bzw. Tierarten differenziert aufgeschlüsselt sind. Wie Tab. 2 zeigt, sind Knochen aus verschiedenen Jahrhunderten unterschiedlich gut vertreten. Während Tierreste aus dem 11. bis 12. Jahrhundert gut repräsentiert sind, ist der eindeutig datierbare Fundbestand aus dem 14. bis 15. Jahrhundert und 15. bis 16. Jahrhundert relativ klein, so dass ein Vergleich der relativen Häufigkeiten zwischen den einzelnen Zeitabschnitten nicht sinnvoll ist, da bei kleinen Fundzahlen zufällige Schwankungen zu groß sind. Bei kleineren Fundserien ist es z. B. unwahrscheinlich, dass seltenere Tierarten im Fundgut mit erfasst werden. Knochenmaterial einer archäologischen Grabung stellt meistens eine Auswahl der Skelettelemente dar, die nicht repräsentativ für das gesamte Skelett ist. Diese Aussage stimmt nicht für den so genannten Schindacker, da hier vollständige Tiere vergraben wurden. Bemerkenswerterweise stimmt auch diese Aussage nicht ganz, denn an den vom Schindacker in Uedesheim geborgenen Rinderskeletten – nicht aber den Schweineskeletten – fehlten die kleinen Finger- und Zehenknochen. Dies ist ein Hinweis darauf, dass den Tieren vor dem Vergraben noch die Haut abgezogen wurde. An dieser verblieben in damaliger Zeit die Füße der Tiere. Das Abziehen der Haut führte der so genannte Schinder durch. Diese Berufsbezeichnung hat sich noch im Begriff Schindacker und funktional in der Bezeichnung Abdeckerei erhalten, denn die Decke ist in der Jägersprache das Fell. Wird ein Tier geschlachtet, dann transportiert man die fleischtragenden Knochen meist zum Verbrauch an andere Orte. Dadurch bleiben die nicht verkäuflichen fleischlosen Knochen wie zum Beispiel die Mittelfuß- und Mittelhandknochen der Huftiere am Schlachtplatz zurück. Finden sich dagegen hauptsächlich Reste von Oberarmknochen oder Oberschenkeln, dann handelt es sich um die Reste von Mahlzeiten, also um Küchenabfälle. Aber auch die Abfallknochen konnten noch an Knochenschnitzer verkauft werden, die aus dem Rohmaterial Messergriffe, Paternosterkugeln, Kämme und dergleichen herstellten. Die Knochenverarbeitung ist im Neusser Fundgut inzwischen gut belegt. Eine Fundstelle, die hauptsächlich Schlachtabfälle lieferte, ist der verfüllte Brunnen aus dem Hospital, dem Gasthaus zum Heiligen Geist. Diese Deutung der Knochenreste als Schlachtabfälle deckt sich sehr gut mit den schriftlichen Aufzeichnungen von 1580, die besagen, dass das Hospital lebende Tiere ankaufte und von bezahlten Metzgern schlachten ließ. Auch die Knochenreste vom Markt 32 bestehen weitgehend aus Schlachtabfällen. Dagegen deutet die Zusammensetzung des Materials vom Hamtorwall und von der Kaufhalle (Rheinwallgraben) darauf hin, dass es sich hier um Küchenabfälle handelt. Bei der Grabung am Hamtorwall wurde eine Serie von Ziegenhörnern gefunden, die zu einem hohen Anteil von Ziegenböcken stammen, deren Hörner größer als die von Geißen sind. Da die Skelettelemente aber nicht auf einen höheren Ziegenanteil hinweisen, lässt sich dieser Befund eigentlich nur dadurch erklären, dass vor Ort gezielt ausgewählte, große Hörner angeliefert wurden – ein klarer Hinweis auf einen horn- und knochenverarbeitenden Betrieb in der näheren Umgebung. Diese Folgerungen werden gestützt durch den Fund eines durchgesägten Pferdeknochens und einen aus einer Pferdespeiche hergestellten Schlittknochen vom gleichen Fundort.

72


Tierart (KNZ) Säugetiere Haustiere Pferd Esel Rind SoZ Schaf Ziege Schwein Hund Katze Frettchen Wildtiere Rothirsch Reh Wildschwein Hase Kaninchen Ratte Maus Haustiere gesamt Wildtiere gesamt Säuger gesamt Vögel Hausgeflügel Huhn Gans Ente Taube Wildvögel Kranich Reiher Storch Ringeltaube Rebhuhn Rabenkrähe Eichelhäher Geflügel gesamt Wildvögel gesamt Vögel gesamt Gesamt

11.-12. Jh. 13.-15. Jh. 14.-15. Jh. 13.-16. Jh. 15.-16. Jh. 16.-17. Jh.

36 5 677 204 1 336 2

1

3

1

6

13

320 38 3 1 95 5 8 13

2250 352 87 31 936 38 65

7 2 3 36 39 1 1

14 8 3 47 48 1 1

534 85 9 4 348 1 1

38 28

75 12 7

30 14 7

58 1 1

1

2

1 1

6 2

1

1 8

8

Summe

1

59 5 3894 719 107 36 1803 61 82 13

1261 1 1262

985 9 994

117 3 120

155 3 158

489 17 506

3772 89 3861

6779 122 6901

46 22 1

26 12 1

14 11 1

13 1

31 25 1 3

212 83 27 12

342 154 31 15

1 1

1 1

1 11 2 2 1 2 1 542 20 562 7463

10 2 2

1 1 69 1 70

39 1 40

26 2 28

14 2 16

60 60

334 14 348

1332

1034

148

174

566

4209

(KNZ = Knochenzahl) Tabelle 3

Relative Häufigkeiten einzelner Tiergruppen Insgesamt deutet sich an, dass über den gesamten betrachteten Zeitraum Vogelreste und die Knochen von Wildtieren sehr selten sind. Das Letztere ist nicht überraschend, da vom frühen Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert die Jagd dem Adel vorbehalten war. Die Unterteilung in Hoch- und Niederwild in der Jägersprache spiegelt dies bis heute wider. Die entsprechenden Tierarten waren dem Hochadel vorbehalten oder durften auch vom niederen Adel gejagt werden. Höhere Anteile von Wildtierknochen finden sich daher bei archäologischen Grabungen im Bereich von Burgen, aber nicht in Stadtsiedlungen. Die Seltenheit der Vogelknochen zeigt, dass Geflügel im betrachteten Zeitraum als Ernährungsgrundlage nur eine untergeordnete Rolle spielte, im Laufe der Zeit aber an Bedeutung zunahm. 73


Die Tierarten Im Folgenden werden die einzelnen nachgewiesenen Tierarten vorgestellt. Dabei werden zunächst die Säugetiere und dann die Vögel bearbeitet, anschließend folgen noch einige Hinweise auf Fischfunde und wirbellose Tiere. Innerhalb der einzelnen Gruppen werden getrennt die Haustiere und die Wildtiere angesprochen. Bei den Haussäugern finden auch Hund, Katze und Frettchen Erwähnung, obwohl sie allerhöchstens in Hungerzeiten einen geringen Beitrag zur Ernährung geliefert haben (Hund, Katze), aber für den Schutz der Nahrungsreserven vor Schädlingen wie Mäusen und Ratten bedeutsam waren.

Säugetiere/Haustiere Das Pferd Von den insgesamt 59 Pferdeknochen stammen 39 aus dem 12. Jahrhundert. Sie wurden an der Klarissenstraße geborgen. Sechs Pferdereste stammen aus dem 15. bis 16. Jahrhundert und 13 aus dem 16. bis 17. Jahrhundert (Promenadenstraße und Hamtorwall). Diese relative Seltenheit von Pferderesten als Speiseabfälle lässt sich damit erklären, dass das Pferd (Abb. 31) im rechtsrheinischen alten Germanien den Göttern geweiht und in Opferzeremonien rituell geschlachtet und gegessen wurde. Die frühen christlichen Missionare haben zwangsläufig und sachlogisch das Pferd mit einem Verzehrtabu belegt. Dies zeigt sich bis heute in den rechts- und linksrheinischen Verzehrgewohnheiten. 1974 wurden in der Bundesrepublik zwar 420.000 Pferde geschlachtet, aber nur 0,1 kg Pferdefleisch pro Bundesbürger verzehrt. Linksrheinisch bei den Nachfahren der Gallier – die das Pferd nicht verehrt hatten – lag dagegen der Pro-Kopf-Verbrauch bei etwa 4 kg.1 Ein Knochen von der Klarissenstraße ließ eine Berechnung der Widerristhöhe (WRH) von 143 cm zu. Zusammen mit vier weiteren Knochen vom Busbahnhof ergibt sich eine 31 Pferd, Holzschnitt aus der Historia Animalium des Conrad Gesner, 1551 durchschnittliche Widerristhöhe von 140 cm. Ein Knochen aus dem 17. Jahrhundert (Hamtorwall) stammte von einem 133 cm hohen Tier. Im Gegensatz dazu war ein Pferd vom Schindacker (17. Jahrhundert) 160 cm groß, und moderne Pferde vom Busbahnhof erreichten 165 und 167 cm. Drei Pferde vom Hamtorwall des 16. Jahrhunderts waren 128 cm, 127 cm und 135 cm, d. h. im Schnitt 130 cm groß. Damit deutet sich an, dass Pferde im 15. bis 16. Jahrhundert kleiner waren als im 12. bis 13. Jahrhundert, in der Zeit danach aber wieder größer wurden. Diese Entwicklung deckt sich mit der besser belegten Widerristhöhenveränderung der zeitgleichen Rinder. Die Schlachtung von Pferden wird nicht eindeutig durch Schlachtspuren belegt, die Verarbeitung von Pferdeknochen ist jedoch mehrfach nachgewiesen. Als Nahrungsgrundlage spielte das Pferd in Neuss – wenn überhaupt – nur eine sehr geringe Rolle.

1

74

Baumann 1984


32 Esel und Katze.„Auf Flohsuche – Frau untersucht Kind nach Flöhen” Radierung von Jan Miel (um 1599 - 1663). Clemens-Sels-Museum Neuss, 1981Gr1100

Der Esel Vom Esel (Abb. 32) stammen sechs Knochen, die wahrscheinlich alle dem 12. Jahrhundert zuzuordnen sind. Vier Knochen fanden sich an der Klarissenstraße (12. Jahrhundert) und könnten alle zu einem einzelnen Individuum gehört haben. Es handelt sich um einen Mittelhand- und einen Mittelfußknochen sowie ein linkes und ein rechtes Schienbein. Dass beide Schienbeine am proximalen Ende befressen wurden, spricht dafür, diese Knochen als Schlachtabfälle zu deuten. Die Maße aller Knochen stimmen gut mit Vergleichswerten von Eselsknochen aus anderen Grabungen überein.2 Der fünfte Knochen – ein erstes Fingerglied – fand sich bei der Grabung am Busbahnhof in einem Grubenhaus des 12. Jahrhunderts. Der sechste Knochen stammt aus der Grabung im Pfarrgarten. Die Keramikfunde dieser Fundstelle streuen von der Römerzeit bis zum 15. Jahrhundert. Auch wenn dadurch die Datierung nicht ganz sicher in den hier betrachteten Zeitraum fällt, wird der Knochen hier wegen seiner Bedeutung mit vorgestellt. Der Vergleich der Maße mit denen von Pferden aus Haithabu und rezenten Hauseseln zeigt, dass es sich bei beiden Neusser Knochen eindeutig um Eselsknochen handelt.3 Eselsnachweise aus stadtarchäologischen Grabungen mit mittelalterlichen Siedlungsplätzen sind selten. Nobis und Ninov schreiben: „der Nachweis eines Esels im frühen mittelalterlichen Fundmaterial Duisburgs ist etwas Besonderes, denn aus keiner anderen stadtarchäologischen Grabung mittelalterlicher Siedlungsplätze wurden bisher Hinweise auf diese Haustierart bekannt.” 4 Ein Hinweis auf Eselsnutzung findet sich in der Bezeichnung „Eselspfad”. Die Lasttiere haben auf den so bezeichneten Wegen früher Getreide in die Stadt gebracht.5 Der im Westen von Neuss liegende Eselspfad liefert zwanglos die gedankliche Verbindung zur Brauns-Mühle bei Büttgen.

2 3 4 5

Krull 1994 Nach Reichstein 1993 Nobis/Ninov 1992 Flade 1990

75


Das Rind Vom Rind (Abb. 33 und 34) liegen insgesamt 3.894 Knochenreste aus dem 11. bis 17. Jahrhundert vor. Zusätzlich fanden sich Reste von mehreren Rindern auf dem Schindacker aus dem 17. Jahrhundert in Uedesheim. Unabhängig von der absoluten Knochenzahl stellen an allen Fundstellen Rinder die höchste Anzahl der Knochenreste. Rinder waren somit über den gesamten Zeitraum die wichtigsten Fleischlieferanten. Aber nicht nur dies. Wie einige Knochendeformationen belegen, hat man sie auch vor den Pflug gespannt. Da sie außerdem noch Milch gaben, hatten sie recht gute Lebensaussichten, wie 53 aus den Ausgrabungen am Hamtorwall und am Rheinwallgraben geborgene Unterkiefer belegen. Nach dem Durchbruch und der Abnutzung der Backenzähne zu schließen, schlachtete man nur etwa 3% bis 4% der Individuen im Alter unter fünf Monaten. Rund 43% starben im Alter zwischen 1,5 und 2,5 Jahren. Annähernd 23% erreichten mindestens fünf bis sieben Jahren und über 16% wurden älter als 10 Jahre. Dieses hohe Lebens- und Schlachtalter einiger Tiere hängt mit ihrer schon erwähnten Funktion als Milchlieferant und Zugtier zusammen. 33 Stier, Holzschnitt aus der Historia Animalium des Conrad Gesner, 1551 Interessant ist die Körpergrößenentwicklung über die Jahrhunderte. Während im römischen Neuss Rinder noch eine durchschnittliche Widerristhöhe von 127 cm erreichten, fiel diese über 111 cm im 8. bis 13. Jahrhundert auf 101 cm im 15. bis 16. Jahrhundert, um dann im 16. bis 17. Jahrhundert wieder auf rund 113 cm anzusteigen. Ein Rinderknochen des 8. bis 13. Jahrhunderts stammt von einem Tier mit 152 cm Widerristhöhe. Dies lässt an einen Auerochsen denken. Auch ein Fußwurzelknochen von der Oberstraße übersteigt den normalen Größenbereich für Hausrinder und dürfte ebenfalls zu einem Auerochsen gehören. Auerochsen waren die 34 Kuh, Holzschnitt aus der Historia Animalium des Conrad Gesner 1551 wild lebenden Vorfahren der Hausrinder. Der letzte Auerochse starb im 17. Jahrhundert. Auerochsenreste fanden sich unter anderem auch in Kaarst, Gohr, Krefeld und Benrath. Die Vielfalt der Größen und Formen der Hornzapfen im Neusser Fundgut hat sicherlich auch noch eine weitere Ursache: Import. Ein Großteil der in Neuss vermarkteten Tiere wurde sicher importiert. Diese Rinderimporte darf man nicht unterschätzen:„In Buttstätt, einem kleinen Städtchen nördlich von Weimar, sollen an einem einzigen Markttag um die Mitte des 16. Jahrhunderts oft 16.000 auch 20.000 Stück aufgetrieben worden sein. [...] ungarische, polnische, russische Ochsen wurden im Jahr 1492 vom Rat der Stadt Köln am Rhein als gewöhnliches Handels- und Einkaufsgut Kölner Bürger genannt.” 6 Die Qualität von Ochsen unterschiedlicher Herkunft war verschieden. So wog ein russischer oder polnischer Ochse ausgeschlachtet rund 200 kg. Ochsen aus Hannover kamen dagegen nur auf 100 kg. Es ist also möglich, dass unter den mittelalterlichen Rindern in Neuss Tiere waren, die aus großer Entfernung dorthin transportiert worden waren.

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Abel 1961


Schaf oder Ziege Von Schaf und Ziege (Abb. 35 und 36) liegen insgesamt 470 Knochen vor. Nur einige Knochen von Schaf und Ziege lassen sich klar voneinander unterscheiden, so dass die Angaben „Schaf oder Ziege” dominiert. Von den 118 Knochen, die sich eindeutig einer der Arten zuordnen ließen, stammen 87 (73,7%) vom Schaf und 31 (26,3%) von der Ziege. Auf allen Fundstellen, bei denen sich Schafs- und Ziegenknochen unterscheiden ließen, sind die Schafsreste zwei- bis dreimal so häufig wie die Ziegenknochen. Die im Neusser Fundgut vertretenen Unterkiefer verraten über die Gebissentwicklung und die Abnutzung der Backenzähne das Schlachtalter der Tiere. Von den hier ausgewerteten 30 Unterkiefern stammen 46,3% von Tieren unter drei Jahren, aber immerhin 56,7% von Tieren, die über drei Jahre alt wurden. 26,6% erreichten sogar ein Alter zwischen acht und zehn Jahren, und über 23% aller Tiere wurden älter als zehn Jahre. Diese hohe Lebenserwartung findet ihren Grund – ähnlich wie beim Rind – in der Nutzung der Ziege als Milchlieferant und des Schafes als Milch- und Wollproduzent.

35 Ziegenbock, Holzschnitt aus der Historia Animalium des Conrad Gesner, 1551

Die durchschnittliche Körpergröße der Schafe schwankte über die Jahrhunderte zwischen etwa 58 cm und 62 cm. Ziegen wurden wahrscheinlich größer. In einem Fall ließ sich eine Widerristhöhe von rund 75 cm berechnen. Einige Funde belegen, dass zumindest ein Teil der weiblichen Schafe hornlos war. Bei Ziegen trugen beide Geschlechter nicht verdrehte, leicht säbelförmige, nach hinten gebogene Hörner. Sowohl Schafs- als auch Ziegenhörner hat man in hornverarbeitenden Betrieben genutzt.

Das Schwein Mit 1.803 Knochenresten ist das Schwein (Abb. 37) die zweithäufigste nachgewiesene Tierart im Neusser Fundgut. Damit war das Schwein nach dem Rind der wichtigste Fleischlieferant im mittelalterlichen Neuss. Für eine Widerristhöhenberechnung liegen nur wenige vollständig erhaltene Knochen vor. Vier Knochen vom Busbahnhof aus dem 8. bis 13. Jahrhundert lassen eine recht einheitliche Körpergröße von 77 cm bis 78,9 cm mit einem Durchschnittswert von 78,3 cm errechnen. Die Größenvariation für mittelalterliche Hausschweine liegt zwischen 64,4 und 80,5 cm, mit einem Mittelwert von 74,0 cm. 7 Sieben Knochen von der Fund-

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36 Ziege, Holzschnitt aus der Historia Animalium des Conrad Gesner, 1551

37 Hausschwein, Holzschnitt aus der Historia Animalium des Conrad Gesner, 1551

Teichert 1969

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stelle Rheinwallgraben (Kaufhalle) ergaben eine mittlere Widerristhöhe von 82,2 cm. Unter diesen Knochen sind aber einige so groß, dass sie womöglich schon zu Wildschweinen gehören könnten, sodass eine durchschnittliche Größenzunahme bei der geringen Knochenzahl nicht sicher ist. Wie alte Abbildungen zum Beispiel von Dürer zeigen, gehörten mittelalterliche Hausschweine noch zu recht langbeinigen und behaarten Rassen. Da Schweine ausschließlich für die Fleischproduktion gehalten wurden, hat man sie aus mehreren Gründen geschlachtet, sobald sie nur noch langsam Futter in Körpersubstanz umsetzten, wenn sie also fast erwachsen waren. Dies zeigt sich an den erhaltenen Unterkiefern, die anhand der Gebissentwicklung und des Zahnabriebs Aufschluss über das Schlachtalter des jeweiligen Individuums liefern. Nach den Neusser Fundstücken schlachtete man rund 73% der Tiere vor Erreichen des zweiten Lebensjahres, über 17 % im Alter zwischen zwei und dreieinhalb Jahren. Nur etwa 9% der Tiere wurden über vier Jahre alt. Im November führte man die Schweine zur Mast in den Wald. Eichen- und Buchenwälder waren dafür besonders gut geeignet. Im Dezember schlachtete man dann einen großen Teil der Tiere, um weniger „Fresser” über den Winter bringen zu müssen. Nach Dannenberg 8 soll der Fleischverbrauch im 15. und 16. Jahrhundert in Deutschland rund 100 kg pro Kopf und Jahr betragen haben. Im 17. und 18. Jahrhundert soll er sich drastisch auf bis zu 14 kg reduziert haben. Man vermutet, dass die Abnahme bei der Schweinefleischproduktion auf eine Abnahme der Waldweideflächen zurückzuführen war.

Der Hund Herrenlose Hunde stellten in mittelalterlichen Städten ein Problem dar. Streunende Hunde durchwühlten Unratshaufen auf der Suche nach Fressbarem. Tote Hunde am Straßenrand und nächtliches Heulen und Bellen störten die öffentliche Ruhe. Es wird berichtet, dass 1334 bezahlte Hundefänger den Bestand in der Stadt Gent zwei Wochen lang dezimiert hatten. In Brügge tötete man 1442 in zwei Wochen 3.767 streunende Hunde und 1444 noch einmal 3.700 Tiere. Die Hundefelle verkaufte man an die Handschuhmacher-Gilde. Die Schinder oder Abdecker zogen die toten Tiere ab und vergruben den Rest. Eine weitere Möglichkeit, die Kadaver zu 38 Zwei Hunde. Ausschnitt aus „Der reiche Mann und der arme nutzen, bestand in der Gewinnung von Hundefett.9 Lazarus”. Kupferstich von Claes Jansz Visscher (um 1550 - um 1612). Der Einsatz der Tiere als Jagd-, Schäfer- und KarrenClemens-Sels-Museum Neuss, 1981Gr1272 hunde war sicherlich über den gesamten Zeitraum in den Städten alltäglich, das Schoßhündchen war eher der Zeitvertreib für gehobene Schichten. Klar unterscheidbare Hunderassen mit deutlichen Zuchtkriterien wird es womöglich in den Schichten des gehobenen Bürgertums und sicher beim Adel gegeben haben. Der Adel besaß für die Jagd klar unterscheidbare Hunderassen, aber freilaufende verwilderte Stadthunde haben sicherlich ein sehr heterogenes Merkmalsgemisch besessen. Die Hunde (Abb. 38) spiegelten so die Standesunterschiede ihrer Besitzer wider.

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Dannenberg 1990 Kaiser 1996


Obwohl anzunehmen ist, dass auch im mittelalterlichen Neuss viele Hunde lebten, ist die Anzahl der Hundeknochen im Fundgut insgesamt sehr gering. Sie stellen nur 1,05% aller Haussäugerknochen. Nach Kaiser 10 haben, wie gesagt, spezialisierte Schinder oder Abdecker Hundekadaver aus der Stadt entfernt. Nach all diesen Überlegungen ist es sehr unwahrscheinlich, dass Hunde in wesentlichem Umfang als Nahrung genutzt wurden. Aus der Zeit zwischen dem 13. und dem 17. Jahrhundert ließen nur wenige Knochen eine Größenbestimmung zu, die in vier Fällen zwischen 32,4 und 34,7 cm lagen. Bei einem Knochen ergaben sie eine Widerristhöhe von 55 cm. Es scheint also so, als ob die Stadthunde eine mittlere Größe besaßen und einige Exemplare größer bzw. kleiner waren – ein Ergebnis, das man bei freier Vermischung der Gene in verwilderten Populationen erwarten kann. Die meisten aufgefundenen Hundeknochen stammen von ausgewachsenen Tieren. Ein Individuum aus der Ausgrabung am Busbahnhof ist besonders aufschlussreich: Es handelt sich um die Reste eines rund drei Monate alten Welpen, der aufgrund der beigefundenen Keramik wahrscheinlich in das 16. bis 17. Jahrhundert datiert. Reste seines Schädels ließen sich wieder zusammensetzen.

Die Katze Kein Haustier spielte in Glauben und Brauchtum unserer Vorfahren eine größere Rolle als die Katze (Abb. 39); sie ist gleichzeitig Schutztier und Hexenwesen. Zubereitetes Katzenfleisch nahm man gegen Kinderlosigkeit ein und um genug Milch zum Stillen zu haben. Andererseits glaubte man, dass man mit Katzenfleisch Schadenzauber durchführen und so zum Beispiel Liebende entzweien könne. Als reine Fleischquelle hat man Katzen im alten Neuss aber sicherlich nicht – oder nur in Hungerzeiten – genutzt. Die geborgenen Katzenknochen stellen nur 1,2% aller Haussäugerreste. Im Vergleich zu den Maßen moderner Katzenknochen stammen diejenigen vom Rheinwallgraben aus dem 17. Jahrhundert von eher kleinwüchsigen Tieren. Im Gegensatz zu den Hunden befinden sich unter den Katzenknochen viele Stücke von Jungtieren, die ihren ersten Geburtstag nicht erreichten.

Das Frettchen Vom Iltis bzw. Frettchen liegen aus dem Brunnen Markt 32 insgesamt 13 39 Katze, Holzschnitt aus der Historia Reste vor – darunter auch zwei Schädel – die von mindestens drei Tieren Animalium des Conrad Gesner 1551 stammen. Da sich die Einzelknochen gut über das Skelett verteilen, müssen die Tiere vollständig oder enthäutet in den Brunnen gelangt sein. Weil dieser zur Verfüllzeit schon in einem Keller lag, ist es sehr unwahrscheinlich, dass die Tiere von selbst in den Brunnen gefallen sind. Von Form und Größe her lassen sich Iltisreste nicht immer von denen des Frettchens unterscheiden. Dies ist auch im vorliegenden Fall nicht möglich. Der Iltis ist der wild lebende Vorfahre des schon vor Christi Geburt domestizierten Frettchens. Nach Benecke 11 liegen die ersten und bislang einzigen sicheren Nachweise von Frettchenknochen aus der mittelalterlichen Burg Laarne in Ostflandern vor. Die Haustiere setzte man seit Jahrhunderten zur Rattenbekämpfung in Städten ein.12 Die letzten „Frettchenführer” gab es 1928 in New York, wo man die Tiere zur Jagd auf Ratten in der Kanali-

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Kaiser 1996 Benecke 1994 Hendrickson 1983

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sation nutzte. Die Längen der beiden Schädel aus dem Brunnen liegen im mittleren und unteren Bereich der von Gaffrey 13 angegebenen Werte. Die gleichzeitig im Brunnen gefundenen Kaninchenknochen könnten als zusätzlicher Hinweis auf Frettchenjagd gedeutet werden. Frettchen oder Iltis leiten zur Betrachtung der Wildtiere über.

Wildsäugetiere Hirsch, Reh und Wildschwein Von diesen drei Tierarten liegen nur 25 Knochenreste vor, das sind 0,4% der Gesamtknochenanzahl aller Säugetiere. Wildfleisch spielte danach eine unbedeutende Rolle über alle Jahrhunderte. Während Rothirsche (Abb. 40) Laub- und Mischwälder bevorzugen, aber ebenso in Nadel- und Auwäldern zu finden sind, und auch die Wildschweine Wälder bewohnen, ist das Reh auf halboffene Landschaften mit Randbiotopen angewiesen. Die Seltenheit dieser Tierarten im Knochenbestand ist so unter Umständen ein indirekter Hinweis auf das Fehlen entsprechender Landschaftsanteile im Neusser Umland. 40 Hirsch, Holzschnitt aus der Historia Animalium des Conrad Gesner 1551

Hase und Kaninchen Hasen gehörten von der Jungsteinzeit bis zur Römerzeit zu den beliebten Jagdtieren. Nach Vogen 14 besaß der Hase danach bis zum 17. Jahrhundert nur eine geringe jagdliche Bedeutung. Die Neusser Funde bestätigen diese Tendenz der zunehmenden Bedeutung des Hasen im 17. Jahrhundert.

Dem Kaninchen (Abb. 41) ließen sich 48 Knochen zuordnen. Wie beim Hasen war auch hier ein Großteil der Tiere zum Zeitpunkt des Todes nicht ausgewachsen. Kaninchennachweise sind in der archäologischen Literatur über diesen Zeitraum selten. Unter den Knochen der Motte Haus Meer bei 41 Kaninchen, Holzschnitt aus der Historia Animalium des Büderich stammte nur einer vom Kaninchen.15 Trotz Conrad Gesner 1551 des umfangreichen Materials wurde diese Tierart in Duisburg nicht nachgewiesen. Diese Seltenheit hängt eng mit der Ausbreitungsgeschichte des Kaninchens zusammen. Zwischeneiszeitlich waren Kaninchen wahrscheinlich in ganz Europa verbreitet, blieben aber nach der letzten Eiszeit auf Spanien und Marokko beschränkt. Ihre spätere Ausbreitung ist nicht vollständig geklärt. Es erscheint jedoch sicher, dass Hauskaninchen früher außerhalb Spaniens nachweisbar sind als Wildkaninchen.

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Gaffrey 1953 Zitiert bei Boessneck 1958 Clason 1968


Ob man alle heute existierenden freilebenden Kaninchenpopulationen auf das Vordringen oder das Aussetzen von Wildkaninchen zurückführen kann oder ob verwilderte Hauskaninchen auch eine Rolle spielten, ist nicht sicher geklärt. Kaninchen wurden im Mittelalter in so genannten Lapinarien gehalten. Diese gekäfigten Tiere sind aber anhand der Knochen nicht von Wildtieren unterscheidbar. Die ersten urkundlich belegten domestizierten Tiere gelangten 1149 nach Deutschland. Zu Anfang des 14. Jahrhunderts waren Kaninchen in Deutschland so selten, dass sie so viel kosteten wie ein zahmes Ferkel. Die älteste bekannte Darstellung eines Wildkaninchens in Deutschland stammt aus dem Jahr 1423. Seit dem 16. Jahrhundert sind unterschiedliche Farbschläge dokumentiert. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts war es weder im Rheinland noch in Schlesien bekannt.16 Nach Zeuner 17 gibt es erste Hinweise auf große Kaninchenrassen von Aldrovandi (1522 bis 1605), die jedoch auch im späten 17. Jahrhundert noch selten gewesen sein dürften. Die am Rheinwallgraben und am Markt 32 nachgewiesenen Knochen stammen von nicht ausgewachsenen, sehr jungen Tieren. Beides kann man vorsichtig als Hinweis auf Kaninchenhaltung deuten. Rudolph und Kalinowski 18 schreiben, dass Kaninchenföten und Neugeborene als Fastenspeise anerkannt und entsprechend begehrt und teuer waren; derartige Jungtiere bekommt man am leichtesten von gekäfigten Zuchttieren. Gesner schreibt 1669: Von solchen Thieren sollen die Jungen 31 Tage gesäugt werden / und am fettesten und besten seyn / wann sie einen Monat alt geworden. Etliche essen sie gleich nach 14 Tagen.

Maus und Ratte Mäuse und Ratten sind im mittelalterlichen Neuss sicherlich häufig gewesen. Da ihre Knochen aber sehr klein und zerbrechlich sind, werden ihre Reste bei archäologischen Grabungen nur selten gefunden. Aus allen Neusser Grabungen fanden sich nur ein Mäuseknochen und ein Rattenrest aus der Grabung am Rheinwallgraben. Häufiger als die Tiere selbst finden sich ihre Spuren. Alle Nagetiere besitzen Schneidezähne, die sich beim Gebrauch so abnutzen, dass sie scharf bleiben. Um ihre Zähne zu schärfen und um an Mineralien zu kommen, benagen Ratten und Mäuse daher herumliegende Knochen. Die so entstandenen Nagespuren sind im Neusser Fundgut häufig vertreten. Bekämpft wurden diese Vorratsschädlinge durch die schon erwähnten Hunde, Katzen und Frettchen.

Vögel Hausgeflügel Das Huhn Hühnerknochen sind über den gesamten betrachteten Zeitraum nachweisbar. Die Häufigkeit nimmt aber erst im 16. bis 17. Jahrhundert zu. 212 (61,9%) Hühnerknochen stammen aus diesem Zeitraum, 46 (13,4%) der Reste aus dem 11. bis 12. Jahrhundert und 40 (11,7%) aus dem 13. bis 15. Jahrhundert. 44 (12,9%) sind aus dem 13. bis 16. Jahrhundert nachgewiesen. Gesner weist 1669 in seinem Vogelbuch schon auf die wesentlich größeren holländischen Hühnerrassen hin. Diese Größenunterschiede lassen sich auch im Neusser Fundmaterial nachweisen. So stammt vom Busbahnhof eine Reihe von Laufknochen von ganz unterschiedlich großen Hähnen und Hennen. Dabei sind die Hähne am ausgeprägten

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Niethammer 1963 Zeuner 1967 Rudolph/Kalinowski 1982

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42 Hahn. Ausschnitt aus „Fahrendes Volk, Kriegertroß”. Radierung von Franz Brun, 1559. Clemens-Sels-Museum Neuss, 1981Gr1398

Hahnensporn zu erkennen. Neben den Hähnen (Abb. 42) und den Hennen gab es noch kastrierte Tiere, die Kapaunen. Gesner beschreibt das Kastrieren sehr genau und erwähnt dabei: Etliche setzen ihm an statt deß abgeschnittenen Kamms einen Sporen vom Bein genommen /…/ welches / wann die Wunde zugeheilet / darinn wächst. Nach Schmidt 19 liegt in dieser Sitte des Versetzens der Sporen an den Kopf der Ursprung der Bezeichnung vom „gehörnten Ehemann”. Unter den in Neuss gefundenen Laufknochen befindet sich ein entsprechendes Stück, von dem anscheinend der Sporn abgetrennt wurde, da ein Teil des Sporns fehlt und im Reststumpf eine Schnittspur erkennbar ist. Hühnerfleisch gehörte im alten Neuss sicher nicht zu den täglichen Mahlzeiten.

Der Indianische Hahn Im Pfarrarchiv von St. Quirin erwähnen alte Abrechnungen, dass zur Äbtissinnenwahl 1650 unter anderem rindtfleiß, hannen, hasen, zwa vette genß und vier indianische hannen eingekauft wurden. Die Letztgenannten musste man aber aus dusseldorff abholen. In älteren Kochbüchern wird der Indianische Hahn zuweilen auch vereinfacht als Indiana bezeichnet. Heute ist er unter dem Namen Truthahn geläufiger. Im 16. Jahrhundert war das Verspeisen eines Truthahns wahrscheinlich noch ein ganz besonderes Festmahl, denn diese Tierart war vor 1500 in Europa noch gar nicht bekannt. Neu entdeckte, alte spanische Aufzeichnungen besagen, dass 1498 die ersten Truthähne aus Amerika nach Spanien gelangten. Andere Quellen sagen aus, dass dies erst 1511 geschah. Ein altes spanisches Dokument aus dieser Zeit enthält den Befehl an alle Schiffe aus Amerika, je zehn Truthähne mit nach Europa zu bringen. Nach Heresbach (1496 bis 1576) waren Truthähne nicht vor 1530 in Deutschland bekannt, wurden nach seinen Angaben aber schon um 1571 in größeren Herden am Niederrhein gehalten. Vom Truthahn liegen aus Neuss bisher zwei Knochenfunde vor, die beide leider durch die datierende Keramik nicht eindeutig genug in den betrachteten Zeitraum einzugliedern sind, aber nach diesen Beifunden zumindest in diesen Zeitraum passen könnten. Wie die besonderen Umstände der Äbtissinnenwahl und das Einkaufen im fernen Düsseldorf belegen, dürfte aber auch 1650 der Truthahn noch ein Festessen gewesen sein.

Gans und Ente Über den gesamten Zeitraum vom 11. bis zum 17. Jahrhundert ist unter den Knochen des Geflügels die Gans am zweithäufigsten vertreten. Der relative Anteil an den Geflügelknochen schwankt zwischen 24,8 und 42,3%. Dabei ist aber zu bedenken, dass einerseits die absoluten Fundzahlen relativ klein sind und daher auch zufällige Unterschiede auftreten können. Andererseits lassen sich Hausgans- und Wildgansknochen nicht immer klar voneinander trennen. Außerdem hat es den Anschein, dass sich im Fundgut auch Knochen von Wildgänsen befinden.20 Im Mittelalter gab es einen intensiven Handel mit Gänsen. Diese wurden von Gänsehändlern auf ländlichen Dorfmärkten angekauft und zum Verkauf in die größeren Städte getrieben. Seit der Zunahme der Landwirtschaft richteten die Gänseherden immer größe-

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Schmidt 1972 Krull 1994


ren Schaden in den Feldern an, so dass sie von Gänsehirten begleitet werden mussten. Der Zustand war um 1577 so schlimm, dass die Obrigkeit in einem kleinen holländischen Ort verfügte, dass derjenige, der auf seinem Land fremde Gänse fand, diese abschießen durfte. 21 Entenknochen fanden sich hauptsächlich aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Auch hier besteht das Problem darin, dass man die Knochen von Stock- bzw. Hausenten nicht voneinander unterscheiden kann.

Taube Von Tauben stammen insgesamt 12 Knochen bzw. Knochenfragmente, drei davon gehören zu juvenilen Tieren. Alle Maße und auch die morphologischen Merkmale weisen darauf hin, dass es sich um Haustauben handelt.22 Die Ursprungsart der Haustaube, die Felsentaube, lebt nicht im Untersuchungsgebiet. Die Haustaube erreichte Mitteleuropa zur Zeit der Römer, verschwand wieder und breitete sich erst im frühen Mittelalter erneut aus.23 Haustierhaltung der Taube – besonders für Nahrungszwecke – ist zu allen Zeiten recht selten gewesen.

Storch, Graureiher und Kranich Die Reste von Storch, Reiher und Kranich sind zwar ausgesprochen selten im Fundgut, aber sehr aufschlussreich, denn sie weisen eindeutig auf Speisereste hin.„Rupfe den Storch wie eine Gans, Kopf und Füße daranlassen, absengen und am Spieß braten, mit Salz würzen. Das gleiche gilt auch für Reiher und Kraniche”. 24 Diese Angabe stammt aus einem Rezeptbuch des 16. Jahrhunderts. Aus dem in der Zeit um 1500 verfüllten Brunnenschacht des Gasthauses zum Heiligen Geist stammen zwei Laufknochen des Storches, die zu einem Individuum gehört haben müssen. Störche bewohnen offenes Gelände mit niedrigem Bewuchs, also Riet- und Grasland oder extensiv bewirtschaftete bzw. brachliegende Flächen, die von Baumgruppen und kleinen Feldgehölzen durchsetzt sein können.25 Entscheidend ist ihr Vorkommen an periodisch überflutete Feuchtgebiete und Wasserflächen gebunden. Als Folge der Grundwasserabsenkungen und der Intensivierung der Landwirtschaft im Niederrhein-Gebiet kam die letzte erfolgreiche Brut 1947 in Kranenburg hoch. Wann die letzten Störche in Neuss lebten, wissen wir nicht, es gibt jedoch einen schönen Hinweis, dass Störche sich zumindest um 1830 noch in der Nähe des Quirinus-Münsters wohl fühlten (vgl. Abb. 43).

43 Störche an der Erft bei St. Quirin. Ausschnitt aus „Ansicht von St. Quirin”. Johann Heinrich Hintze, Öl auf Leinwand, um 1832.

Im Gegensatz zum Storch, der auf Feuchtgebiete angewiesen ist, benötigt der Reiher – besonders in der Brutzeit – möglichst fischreiche Gewässer. Daher ist er im Neusser Raum bis heute anzutreffen.

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Schildermans u. a. 2007 Nach Flick 1974 Benecke 1986 Bourin 1991 Creutz 1985

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Der Kranich ist nur mit einem einzigen Knochenrest aus der Grabung am Busbahnhof vertreten. Er gehörte sicherlich zu den seltenen Speisen jener Zeit. Kraniche sind – ähnlich wie die Störche – auf Feuchtgebiete angewiesen und bewohnen hauptsächlich unzugängliche Moorgebiete und Erlenbruchwälder. Sie brüten jedoch nicht in Kolonien, sondern sind als Einzelpaare territorial und meiden im Gegensatz zum Storch normalerweise als Kulturflüchter die Nähe des Menschen. Trotzdem dürften sie in feuchten Flussniederungen und an Altarmen des Rheins auch als Standvogel gelebt und genistet haben. Die Tatsache, dass Graureiher von den drei Arten in Neuss am häufigsten vertreten sind, deckt sich mit den damaligen Jagdaufzeichnungen. Reiher gehörten zum so genannten Beizwild: Kurfürst Clemens August jagte von seinem zwischen 1729 und 1733 gebauten Jagdschlösschen Falkenlust in Brühl bei Bonn noch mit Falken auf Reiher, die in den sumpfigen Altrheingebieten bei Wesseling reiche Nahrung fanden.

Restliche Vogelarten Ringeltaube, Rabenkrähe, Eichelhäher und Rebhuhn sind mit insgesamt sechs Knochen vertreten. Da die ersten drei Arten die Stadt als freilebende Vögel – wie auch heute noch – bewohnt haben dürften, ist nicht zu entscheiden, ob es sich bei diesen Knochen um Reste von Mahlzeiten oder von natürlich gestorbenen Individuen handelt. Der Rebhuhnrest muss in die Stadt transportiert worden sein, da diese Art die offene Feldflur bewohnt. Diese Vorstellung wird durch die oben erwähnten alten Rechnungen des 16. und 17. Jahrhunderts gestützt, in denen häufiger der Ankauf von felthonern genannt wird.

Von slyen, moenen, heryng und stockfysch In den Rechnungen des 16. Jahrhunderts aus dem Gasthaus zum Heiligen Geist in Neuss tauchen eine ganze Reihe von Fischen auf, so zum Beispiel: snoek (Hecht), salm (Lachs), kerpen (Karpfen), slyen (Schleie), moenen (Döbel), stockfysch (Kabeljau) und heryng (Hering). Überreste von Fischen wurden am Rathaus, am Markt 32 und am Rheinwallgraben geborgen. Vom Rathaus liegt ein einzelner Knochen vor, der wahrscheinlich zu einer Schleie gehörte. Vom Markt 32 stammen einige recht große Wirbel, die zu Kabeljauen gehören dürften. Am Rheinwallgraben fanden sich viele kleine Wirbel, Schlundknochen, aber auch Schuppen und einige größere Knochen, die sich nur in einigen Fällen einer Fischgruppe bzw. einer speziellen Art zuordnen ließen. Da es sich in diesem Fall um ausgeschlämmtes Material handelt, ist ein Vergleich der Häufigkeit der Fischreste mit anderen Grabungen nicht möglich. Nur beim Schlämmen von Fundmaterial werden auch die kleinen Fischreste heraussortiert. Dieses Verfahren wurde aber nicht bei allen Grabungen angewendet. Sicher zuordnen ließen sich drei Unterkieferfragmente von kleinen Hechten, die zu mindestens zwei Tieren gehörten. Einige Flossenstrahlen und typisch geformte Schuppen stammen von Barschen oder Zandern, ein sehr kleiner Schlundknochen sicher von einem karpfenartigen Fisch, wahrscheinlich von einem Döbel. Alle diese Fischarten sind typisch für stehende oder langsam fließende Gewässer und können aus dem Rhein bzw. der Erft stammen. Genau diese Arten werden auch in den Rechnungen des Hospitals als angekaufte Fische genannt. Der größere Teil der in den Abrechnungen genannten Fische stammt jedoch nicht aus dem Süßwasser, sondern aus dem Meer. Dabei handelt es sich hauptsächlich um Hering und Kabeljau, wobei der Kabeljau hauptsächlich als Stockfisch angekauft wurde. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang der Fund mehrerer Schlüsselbeine von sehr großen Kabeljauen am Rheinwallgraben (März 1987). Diese Art lebt in der Nord- und Ostsee, wobei die Tiere der Ostseepopulation kleiner sind. Vertreter aus der Nordsee können bis 160 cm lang und 40 kg schwer werden. Die Größe der am Rheinwallgraben aufgefundenen 84


Knochen lässt vermuten, dass die Tiere mit größerer Wahrscheinlichkeit aus der Nordsee stammen. Wie Delort 26 beschreibt, existierte schon seit dem 14. Jahrhundert ein ausgesprochen intensives Vermarktungssystem für Heringe und andere Fische, das von Holland aus weit ins Landesinnere reichte: „Untersuchungen […] vor allem über Rotterdam und Enkhuisen sprechen von mindestens 500 Schiffen mit Spezialdeck, jedes mit einer besoldeten Besatzung von 20 Mann, das wären 10.000 Fischereiseeleute. […] Zu Beginn des 17. Jahrhunderts zählte man 1500 Schiffe, die groß genug waren, um den Fisch noch auf See zu verarbeiten, salzen und eintonnen zu können. In den besten Fangzeiten, von Johanni bis Jacobi und von Kreuzerhöhung bis St. Katharina, zählte man mehr als 12.000 Fischer für 300.000 Fass Fisch, das sind 350 bis 400 Millionen Heringe.” (Abb. 44) Fisch wurde getrocknet (Stockfisch), gesalzen (Klippfisch) oder auch geräuchert verhandelt und war besonders als Fastenspeise begehrt. 27 Kabeljau zählte schon im Mittelalter zu den wichtigen Nutztieren: „zunächst waren westdeutsche Kaufleute führend im Handel mit Norwegen und kauften dort Stockfisch auf, im Laufe des 13. Jahrhunderts erlangte dann Lübeck und damit die Hanse die Vormachtstellung hierbei und die Stadt fungierte als Stapelplatz für die Ware auf dem Transportweg ins europäische Binnenland”. 28

44 Dorschfänger bei der Arbeit. Kolorierte Radierung aus der „Naturgeschichte” des Gottlieb Tobias Wilhelm, 1812

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Delort 1987 Heinrich 1989 Heinrich 1992

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Georg Waldmann

Vyschereyen in dem Ryne boyven Nusse Fisch und Fischerei im spätmittelalterlichen Neuss Zusammenfassung Süßwasser- und Seefische waren im Neuss des ausgehenden Mittelalters während des ganzen Jahres zu kaufen. Süßwasserfische waren immer recht teuer und stellten alles andere als ein Volksnahrungsmittel dar. Für die ärmere Bevölkerung war daher der Verzehr von Süßwasserfisch nur in Ausnahmefällen eine Option. Der „herrenlose” Seefisch dagegen war relativ preiswert. Die Brotfische des täglichen Küchenbetriebs setzten sich aus konservierten Seefischen der Arten Hering, Dorsch, Köhler, Scholle und Stint zusammen, die getrocknet als Stockfisch, gesalzen als Salzhering und Laberdan oder geräuchert als Bückling gehandelt wurden. Die Anfänge des handwerklich betriebenen Fischfangs liegen im frühen Mittelalter, als sich die Fischerei zu einem alleinigen Privileg des Adels entwickelte. Aus dem einstmals herrenlosen Fisch wurde ein Fisch der Herren, die ihre Rechte nur gegen Abgabenzahlungen an Dritte verliehen.1 Seit dem Hochmittelalter besaß der Kölner Erzbischof als Grundherr in Neuss und Umgebung das hohe und das niedere Gericht, das Marktrecht sowie alle Zölle und Akzisen – und ihm gehörten alle Gewässer und Fischereigerechtsamen.2 Die Fischerei im Unterlauf

45 Neusser Fischer beim Segenwurf (Zugnetzfischen) am Rhein, links zwei Fischkästen zum Aufbewahren des Fangs, rechts Fischerhütten. Ausschnitt aus einer Stadtansicht von Neuss. Kolorierte Federzeichnung von Michael Hupertz, 1616. Clemens-Sels-Museum Neuss, D6657

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Riedel 1974 Stenmanns u. a. 1970

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der Erft, von der Äbtissinnenmühle im Hamfeld bis zur Mündung im Rhein, vergab Erzbischof Adolf I. von Altena 1195 an das neugegründete Neusser Oberkloster; 3 nicht belegt ist die Verleihung einer Fischereigerechtsame an die Neusser Bürger, sie wurde von diesen aber später nicht nur in der Erft, sondern auch im Rhein ausgeübt (Abb. 45).4 So unterstand 1590 die Fischerei in der Erft von der Neusser Ark mit dem Strengsgen bis Gnadenthal dem adlichen Sitz Merhof zu Selikum.5 Als die Regalinhaber nicht nur Fische für ihre eigenen Küchen, sondern auch zum Weiterverkauf forderten, entstand der Fischhandel.6 Das Fischerhandwerk löste sich vermutlich im Spätmittelalter allmählich aus der grundherrschaftlichen und später ratsherrschaftlichen oder klerikalen Gebundenheit und gab sich ein zünftiges Reglement. Den fischereilichen Selbstverwaltungskörperschaften standen Zunftmeister vor. Diese hatten sich um die Einhaltung der Zunftregeln zu kümmern, die Ausübung des Fischfangs zu überwachen und sich der beruflichen Ausbildung des Nachwuchses anzunehmen.7 In Neuss hat sich kein Amtsbrief der Fischerzunft erhalten.8 Es wird vermutet, dass es um 1600 etwa 12 Fischergenossen in Neuss gab.9 Aus dem Kriegsjahr 1639 hat sich im Neusser Ratsprotokoll folgende Passage erhalten: „Es soll sich keiner gelüsten lassen in den Stadtgräben und an anderen unzulässigen Stellen zu fischen, Holz und Flachsruten in die Gräben zu legen, insbesondere da nicht, wo die Fischerei Schaden erleiden […] könne”. 10 Herr Lenardt Sleypstein, Gasthuismeister deß alten gasthuiß zom hylgen gheyst in Neuss, war als Verwalter des Hospitals bestellt. Das Geschäftsjahr begann jeweils am Tag Remigius, dem 1. Oktober, und endete am gleichen Tag des Folgejahres. Die von ihm geführten Rechnungsbücher des Hospitals aus den Jahren 1581-1584, die heute im Stadtarchiv Neuss aufbewahrt werden, bilden die Grundlage für die folgende Analyse. In ihnen sind die Einkäufe von Fischen verzeichnet, die im gasthuiß verzehrt wurden. Damit geben die Listen Hinweise auf die Fischarten, die in den Gewässern der Umgebung von Neuss regelmäßig auftraten und gefangen wurden. Einige dieser Fische fehlen heute oder sind im Bestand stark zurückgegangen. Die von Sleypstein eingekauften Fische können in zwei Gruppen geteilt werden: frischer, „grüner” Fisch lokaler Herkunft und importierte Seefischwaren. Um Fischhandel im küstenfernen Binnenland betreiben zu können, war die Konservierung von schnell verderblichem Meeresfisch eine zwingende Notwendigkeit. Im ausgehenden Mittelalter kannte man verschiedene, noch heute gebräuchliche Methoden, um Fisch haltbar zu machen: Um Stockfisch herzustellen, köpft man den Fisch und nimmt ihn aus, schneidet ihn entlang der Wirbelsäule längs ein, klappt beide Hälften auseinander, um sie an Gerüste aus Holzstangen („Stock”-Fisch) zu hängen. Dort trocknet der Fisch an der Seeluft über mehrere Wochen oder Monate und wird dabei bretthart. Stockfisch ist jahrelang haltbar und war damals schon jederzeit verfügbar. Getrocknet wurden hauptsächlich Kabeljau (Dorsch) und Köhler (Seelachs) (Abb. 46). Die zweite Konservierungsmethode ist das heute immer noch beliebte Räuchern von Fisch. Grüne, nicht ausgenommene Heringe werden nach dem Räuchern bis heute als „Bücklinge” gehandelt. Im 16. Jahrhundert kannte man sie in Neuss als boucken.

3 4 5 6 7 8 9 10

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Tücking 1896 Stenmanns u. a. 1970 Brandts 1962 Riedel 1974, 158 Riedel 1974 Wisplinghoff 1975 Lau 1911 Stenmanns u. a. 1970


46 Dorsch und Verarbeitung des Dorsches zu „Konserven”. Kolorierte Radierung aus der „Naturgeschichte” des Gottlieb Tobias Wilhelm, 1812

Eine dritte Methode ist das Einsalzen: Unausgenommene frische Fische werden in Fässer (Tonnen), die Vorläufer der modernen Konservendosen, mit Salz geschichtet und diese dann verschlossen. Man verwendete dazu Heringe und Stinte. Mit fangfrischem Kabeljau verfuhr man entsprechend, er wurde als Laberdan in den Handel gebracht. Im Gegensatz zum Salzhering und dem Stockfisch ist Laberdan heute weitgehend unbekannt und nicht mehr im Handel erhältlich. Die Bezeichnung „Laberdaan” ist niederländisch, vermutlich abgeleitet von Labourdain, einem ehemaligen Atlantikhafen bei Bayonne. Stockfisch und Laberdan wurden vor allem von baskischen, bretonischen und normannischen Fischern hergestellt, die unter hohem persönlichen Risiko mit ihren Booten bis nach Terre-Neuf, heute Neufundland, im Nordosten reisten, um dort in den Monaten Mai bis September „Bakkeljau” bzw. Kabeljau zu fangen und ihn in Europa zu vermarkten: „Wiewol nun dieser Fisch eine Gattung eines Manna ist / das nie aufhöret / so kann ich mich doch nicht genugsam verwundern / daß er umso geringes Geld verkaufet wird / wenn ich betrachte die Mühe / die man dazu anwendet / und die Gefahren / die in der Hin- und Herreise auszustehen hat”. 11 Laberdan wurde 1581- 84 nur zur Kyrmis gekauft, er war in diesen Jahren wohl eine Spezialität, die einen sehr weiten Transport hinter sich hatte. Dieses Produkt wurde gewogen. Im Vergleich zu den Jahren 1581-1584 nimmt den Ausgaben des Gasthuis zufolge 1623/24 die Bedeutung von Fisch als kyrmis-Speise ab . In Köln kann man auf Speisekarten heute noch Kochfisch als „Laberdan in Senfzaus” finden, wobei Laberdan auf Kölsch einfach nur Kabeljau meint. Laberdan muss vor dem Verzehr mindestens 24 Stunden durch Wässern entsalzen werden. Anschließend wird er in kaltem Wasser aufgesetzt, erhitzt und langsam gargezogen.12 Der Niederrhein unterhalb von Köln wird heute zur Brassenregion gezählt, d. h. seine Leitfischart ist der Brassen (Abramis brama). Typische Begleitarten sind Rotauge, Güster, Rotfeder, Barsch und Hecht. Die beiden letztgenannten besiedeln vor allem strukturreiche Uferbereiche. Im Freiwasser sind Rotaugen-, Güster- und Brassenschwärme anzutreffen, während sich die Jungfische häufig im Bereich der Verlandungszonen aufhalten.13

11 12 13

Denys 1627, zit. nach Zorgdrager/Moubach 1723 Wikipedia, Laberdan Klinger 2001

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Frischer grüner Fisch, der auf dem Neusser Fischmarkt angeboten wurde, stammte aus dem Rhein, der Erft, der Krur. Die Flüsse waren in dieser Zeit nicht eingedeicht, traten bei Hochwässern häufig über ihre Ufer und überschwemmten die Flussauen. In den Aurinnen und Altarmen blieb das Wasser oft noch längere Zeit stehen, erwärmte sich und bot den Jungfischen ideale Bedingungen, geschützt heranzuwachsen. Auf dem Rhein oberhalb von Neuss hatte 1373 noch der Kölner Kurfürst die Fischereigerechtsame beansprucht, sich aber wohl nicht gegen die Stadt Neuss durchsetzen können, die die Fischerei ausübte. Ein Teil des frischen Fischs stand 1501 und 1641 den jeweiligen Bürgermeistern zu.14 Die Neusser Fischer hatten 1493 ein Akzisegeld von 10 Gulden zu zahlen, 1554 nur 7 Gulden. Störe mussten gegen Belohnung an die Stadt abgeliefert werden. Die Stadt nutzte Süßwasserfische immer wieder für eigene Gelage oder verschenkte sie.15 Am 1. April 1679 wurde dem J. Th. Borges für 75 Reichsthaler und gegen die Verpflichtung, den Bürgermeistern und Rentmeistern jährlich zwei Salme (Salmo salar) von etwa 25 Pfund zu liefern, der Segenwurf, d. h. die Fischerei mit einem Zegennetz, im Rhein gegenüber den Steinen verschrieben.16 47 Karpfen. Radierung aus dem Werk „Vollständiges Natursystem” des Carl von Linné, 1774

An der Krur gab es mehrere Fischweiher im Besitz der Stadt, von denen einer 1681 dem Stadtvogt geschenkt, ein weiterer verkauft wurde.17 Vielleicht wurde in diesen Teichwirtschaften auch schon Fisch für den lokalen Markt produziert. Karpfen (Abb. 47), Schleien und Hechte lassen sich sehr gut hältern und daher lange Zeit lebend, d. h. frisch, aufbewahren.18 So konnte termingerecht die Nachfrage zur Kyrmis bedient werden. Reinfysch war das ganze Jahr über erhältlich. Schwierig dürfte die lokale Fischerei nur in den Monaten Januar und Februar gewesen sein, wenn der Rhein und seine Nebenflüsse zufroren. Sleypstein erwähnt Ende Januar 1582, dass der Rein voll Eyß ginck. Da das Hospital von Zuwendungen wohlhabender Bürger abhing, war das Budget des Herrn Sleypstein limitiert. So kaufte er vermutlich nur Fische zweiter Wahl, die entweder kleinmaßig oder grätenreich waren. Einzelne Fischarten lassen sich unter der Bezeichnung „Grüner Fisch” nicht identifizieren. Anzunehmen ist, dass es sich um Arten-Mischungen handelte. Teurere Fischarten wie Karpfen, Schleie, Brassen, Barbe, Döbel, Aal oder „Lachs” kaufte er nur einmal im Jahr in der wech Achatius nach dem 22. Juni. In dieser Woche fand die Kyrmis statt (Abb. 48). Offensichtlich kamen die Bedürftigen des Hospitals in diesen Tagen in den Genuss hochwertigerer Fisch-Zutaten. Fraglich ist, ob sich hinter der Bezeichnung „Lachs” tatsächlich die Art Salmo salar verbirgt, denn der Wanderfisch Lachs zieht erst im Spätherbst vom Meer in die Flüsse stromaufwärts, um in seinem Geburtsbach sein Laichgeschäft zu verrichten. Im Juni, also im Sommer, wird

14 15 16 17 18

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Huck 1984 Huck 1984 Tücking 1983 Tücking 1983 Steffens 1980

48 Spiegelkarpfen, Barbe und Schleie. Radierung aus der „Naturgeschichte” des Johann Andreas Christian Löhr, 1816


es keine Lachse im Rhein gegeben haben. Vermutlich waren die als „Lachse” gehandelten Fische Bachforellen oder Seeforellen, die dem Lachs zum Verwechseln ähnlich sehen, aber ganzjährig im Süßwasser leben. Vier Jahrhunderte später sind Lachs und Maifisch (Abb. 49) im Rhein nahezu ausgestorben. Mit Förderprogrammen wird gegenwärtig versucht, die noch bis vor 100 Jahren weitverbreiteten Wanderfischarten wie Maifisch, Lachs, Sterlet, Flunder, Nordseeschnäpel und Stör wieder im Rhein anzusiedeln.19 Flundern (Platichthys flesus) wanderten früher im Rhein bis Koblenz und Bingen flussaufwärts (Abb. 50).20 Zur Einsetzung in Süßwasserteiche ist die Flunder sehr geeignet und soll darin nach englischen Beobachtungen schmackhafter werden als in der See.21 Vereinzelt finden sich Hinweise auf die Preise verschiedener Fische in Sleypsteins Aufzeichnungen. Fischpreise wurden seit 1590, meistens in der Fastenzeit, jährlich durch die Stadt festgelegt.22 Die Gewichtseinheit war das pond, das etwa einem heutigen Pfund entsprochen haben dürfte.

49 Maifisch. Radierung aus dem „Handbuch der Fischzucht” (Van dem Borne 1886)

50 Flunder. Radierung aus dem „Handbuch der Fischzucht” (Van dem Borne 1886)

Preise von Süßwasserfischen 1581-1584 Fischart

lokale Bezeichnung

wissenschaftlicher Name

Lachs Hecht Barbe Nase Schleie Maifisch Brassen Karpfen Döbel Aal Flunder Stör

salm snoek, heggt berue mackereele, mackerole slye meyfisch braesen karpen moen, muene spyrael gruen scholle ?

Salmo salar Esox lucius Barbus barbus Chondrostoma nasus Tinca tinca Alosa alosa Abramis brama Cyprinus carpio Leuciscus cephalus Anguilla anguilla Platichthys flesus Acipenser sturio

Preis je pond 2 Albus 4 Albus 4 Albus 22 heller 4 Albus 2 Albus 4 Albus 4 Albus ? ? ? ?

Preise von Seefischen Fischart

lokale Bezeichnung

wissenschaftlicher Name

Stint Schellfisch Köhler Kabeljau Hering Bückling Scholle

speerlyng, spyrling schelfysch kolfysch, kolfisch Laberdan, stockfyß heryng boucken, bouckyng scholle

Osmerus eperlanus Gaadus aegletinus Gadus virens Gadus morrhua Clupea harengus Clupea haerengus Pleuronectes platessa

Preis je pond 3 Albus 1 Albus 2,7 Albus 2,7 Albus 2 Albus 1 Albus ?

Tabelle 4

Am Niederrhein wird der Süßwasserfisch „Nase” (Chondrostoma nasus) häufig fälschlich als mackereele bzw. Makrele bezeichnet,23 Makrelen sind jedoch Hochseefische, die nicht in Flüssen vorkommen (Abb. 51).

19 20 21 22 23

Ingendahl u. a. 2008; Beeck u. a. 2008 Klinger 2001 Van dem Borne 1886 Huck 1984 Bauch 1966, 96; Riedel 1974, 94

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Selbst wenn die vergleichsweise preiswerten „Lachse” und Maifische im Spätmittelalter nur ausnahmsweise angekauft wurden, wirft dies doch ein Licht auf die Abhängigkeit der ärmeren Bevölkerung von noch billigerem Importfisch. Der Neusser Herings- und Seefischhandel florierte bis weit in das 14. Jahrhundert hinein, bis andere Städte, z. B. Köln, Neuss im Fischhandel den Rang abliefen. Es hat den Anschein, als habe 51 Nase. Radierung aus dem „Handbuch der Fischzucht” man in Neuss in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts (Van dem Borne 1886) (Salz-)Heringe hauptsächlich aus Geldern und vor allem aus Venlo importiert.24 Große Mengen des in Neuss verkauften konservierten Seefischs wurden über Köln bezogen, wohin sie von der Maas mit dem Wagen auf dem Landweg gelangt waren.25 In Köln gab es bereits im 12. Jahrhundert einen Fischmarkt und vor 1426 ein Fischkaufhaus.26 Spätestens seit dem 14. Jahrhundert wurden dort importierte Fischgüter auf ihre Qualität geprüft und sortiert. Im Heringshandel wurden die Beschaffenheit und Größe der Tonnen, die Qualität des gepökelten Fischs und des Salzes, die Sortierung der Heringe nach der Fangzeit, der sich daraus ergebenden Haltbarkeit und ihre feste Packung im Fass überwacht. Entsprach die Ware den lebensmittelrechtlichen Bestimmungen, drückte man dem Fass ein Gütesiegel in Form eines Brandzeichens auf. Dieser „Kölner Brand” genügte den Kaufleuten in den Empfangsgebieten und machte eine weitere Warenprüfung unnötig. Nach einem Gebot des Rats der Stadt Köln vom 8. Februar 1473 unterlagen auch alle grünen Fische, die unterhalb von Neuss und oberhalb von Linz gefangen worden waren, der deilonge, d. h. der Pflicht zur Aufteilung in unterschiedliche Warenqualitäten.27 Auf dem Neusser Fischmarkt befanden sich Verkaufsbänke für gesalzene und grüne Fische. Die Stadt nahm durch den Fischverkauf im Jahr 1501/02 von den gesalzen vischbenken 3 Mark, und van den groenen vischbenken 10 Albus an Gebühren ein, was besagt, dass der Handel mit Importfisch erheblich wichtiger war.28 Den Einkauf der eingelegten Schollen, Salzheringe, Bücklinge und des Stockfischs verbuchte Sleypstein zwei- bis dreimal pro Woche, vorzugsweise am Godesdach (Mittwoch), Fridach (Freitag) und Saterdach (Samstag). Die einzelnen Posten schlugen in der Regel mit acht Albus oder Weißpfennigen zu Buche, leider vermerkte Sleypstein keine Gewichts- oder Mengenangaben. Ein Salzhering kostete 2 Albus. Die angebotenen Meeresfische treten auf See alle in Schwärmen auf. Die Fischer konnten damit rechnen, im Netz oder an der Leine Tiere gleicher Altersstufe und daher mit mehr oder weniger gleicher Größe und gleichem Gewicht vorzufinden. Weil diese Fischwaren ein verlässlich genormtes Gewicht aufwiesen, wurden sie wahrscheinlich nicht auf dem Markt gewogen, sondern per Stück gehandelt. Erst 1574 ist von einer Fischwaage auf dem Markt die Rede.29 Zudem dürfte es schwierig gewesen sein, Stockfisch auf Wunsch des Kunden zurechtzustückeln, denn er ist wegen seiner Härte und Zähigkeit kaum schneidbar. Bücklinge und Salzheringe werden auch im 21. Jahrhundert immer noch „im Ganzen” gehandelt. Der Neusser Fischhandel reichte nicht nur rheinaufwärts, sondern auch in das Neusser Hinterland. 1392/93 hatte der kurkölnische Kellner zu Hülchrath Heringe und gesalzene Fische aus Neuss bezogen.30 Am 31. Juli 1399 brachte ein Knecht Fische aus Dormagen und Neuss – also Süßwasserfische – für die Hofhaltung des Herzogs von Jülich nach Schloss Kaster.

24 25 26 27 28 29 30

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Huck 1984 Wisplinghoff 1975 Huck 1984 Huck 1984 Huck 1984 Huck 1984 Huck 1984


Carl Pause

Erden, Duppen vnd Schußelen – Ess- und Kochgeschirr nach den schriftlichen Quellen Das in Neuss im Spätmittealter und in der Frühen Neuzeit verwendete Kochgeschirr entsprach den zur Verfügung stehenden Kochmöglichkeiten. Anders als im Süden Deutschlands, wo die Speisen häufig in den Röhren von Kachelöfen garten, kochte man in den Neusser Küchen auf einer offenen Feuerstelle. Diese befand sich direkt auf dem Boden und war – wie entsprechende archäologische Funde zeigen – mit einem mitunter kunstvoll ausgeführten Kieselstein- oder Schieferplattenpflaster versehen (Abb. 52).

52 Mit Schieferplatten gepflasterte Herdstelle aus einem Haus in der Michaelstraße in Neuss, 15. Jahrhundert

Im 16. Jahrhundert kamen eiserne Öfen auf, die die offenen Feuerstellen zumindest in den Städten teilweise verdrängten. In erster Linie dienten sie wohl der Beheizung der Wohnräume, doch dürfte man auf ihnen auch – zumindest gelegentlich – gekocht haben. Im August des Jahres 1582 ließ das Gasthaus zum Heiligen Geist einen jseren ouen van luick, also aus dem belgischen Lüttich (niederl. Luik), mitbringen.1 Die Stadt war im 16. Jahrhundert ein Zentrum der Eisenverarbeitung und des Eisenhandels. Der eiserne Ofen besaß ein Gewicht von 431 Pfund und kostete 7 Gulden und 1 Schilling. Der Fuß, auf dem er ruhte, wog zusammen mit dem Ofensplint weitere 28 Pfund. SeinTransport nach Neuss war daher sehr aufwändig und kostete 4 Gulden und 15 Albus. Es handelte sich um einen alden ouen, der bereits einige Beschädigungen aufwies: Die untere Platte des Ofens war gebrochen und musste mit zwei Eisenklammern repariert werden. Ein Loch im Ofen ließ man myt eyn jseren plaet tho lassen maechen, d. h. mit einer eisernen Platte schließen. Mit zwei spleetnagel wurde der foeß des Ofens in Stand gesetzt, mit jseren ferff tho den ouen erhielt der Ofen einen neuen Schutzanstrich. Der Maurer Claeß Murer setzte den Ofen myth Eynen knecht vnd eyn laerkneht und schloss ihn an den Schornstein an. Die Essen wurde nun von einem Schornsteinfeger gereinigt und mit zwei dicke breyde holter in Stand gesetzt.

1

StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche Laurent. = 10. 8. 1582

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Koch- und Vorratsgefäße im Hospital Das im Neusser Hospital Ende des 16. bzw. Anfang des 17. Jahrhunderts verwendete Kochgeschirr lässt sich anhand der erhaltenen Rechnungsbücher in den Grundzügen rekonstruieren. Gekocht wurde in der Regel in einem großen kupfernen kessel, der vermutlich an einem in der Höhe verstellbaren Kesselbaum direkt über dem Feuer hing (Abb. 53).2 Der Kessel bestand aus einem wohl relativ dünnen Blech, das durch den Gebrauch häufig löchrig wurde, so dass man ihn häufiger lappen, also mit einem Blechflicken versehen musste. Bei den Kesseln gab es unterschiedliche Größen und Formen, wie die Erwähnung mehrerer schincken keßel 1624 3 sowie eines grosen schynckekessel im August 1584 4 erkennen lässt. Sie dienten offensichtlich vor allem dem Kochen von Fleisch. Nur in Ausnahmefällen, d. h. wohl zu Festen, wurde im Gasthaus auch Fleisch am Spieß gebraten, wie die Nennung einer fleischstangh nahelegt, die man 1641 für 7 Gulden und 7 Albus erwarb.5 Das als poth oder kessel poth bezeichnete Gefäß verfügte ebenfalls über einen hengel,6 besaß aber zusätzlich kleine Füßchen und konnte zum Kochen direkt in das Feuer gestellt 53 „Koch, einen Hasen ausnehmend“. Holzschnitt von Hans Baldung, gen. Grien, 1516. werden (Abb. 54).7 Clemens-Sels-Museum Neuss, RB01 Der Kochtopf, für den sich heute im archäologischen Sprachgebrauch die Bezeichnung „Grapen“ durchgesetzt hat, konnte aus Kupfer (oder Bronze) gefertigt sein wie ein 1624 für 15 Albus erstandener kufferen pott, der überdies mit einer Qualitätsmarke versehen war, 8 oder aus Eisen, wie ein Rechnungseintrag vom Oktober 1582 verrät: Jtem myth berbere Jan eyn jseren poth myth bryngen lassen van lueck vnd haet gewaegen xxiiij pont, jeder pont iij ort s., facit: xxxj albus vj heller Jtem den hengel ahn den jseren poth kost: vj albus 9

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54 Dreibeiniger Kochtopf (Grapen). Bronze, 16.-17. Jahrhundert. Clemens-Sels-Museum Neuss, D736

StA Neuss B.02.01 / VII 210, 2: Woche Elysabeth = 19. 11. 1582; Woche fasnacht = 23. 2. 1583; StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Gereonis = 10. 10. 1623 StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Paschae = 7. 4. 1624; Woche Decollationis S. Ioannis = 29. 8. 1624 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 3: Woche Marien hemelfarth = 15. 8. 1584 StA Neuss B.02.01 / VII 215: Woche Remigij ahngehendt = 1. 10. 1641 Jtem einen poth hengel gebessert vir loin: ij albus, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche Cristmissen = 25. 12. 1581; Jtem ahn eyn jseren poth den hengel tzo brochen dar van tho maecken gegeuen: iij albus, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 2: Woche Lucia = 13. 12. 1582 Jtem den kesselpoth ij mael lappen lassen ad: xv albus / Jtem einen Nuen foß ahn de kesselpoth kost: vj albus / Jtem van den Nyen foeß aen tho maecken gegeuen: ij albus, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 2: Woche Lucianus [wohl irrtümlich] = Anfang Februar 1583 Item von einem Stempell in einen kufferen pott zu machen belonet: xv albus, StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Decollationis S. Ioannis = 29. 8. 1624; vgl. auch: Jtem den alden kesselpoth lappen lassen, vnd eynen nuen stempel daren machen lassen verloent: ix albus, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 3: Woche gallus = 16. 10. 1583; Jtem den kesselpoth, vnd den grosen schynckekessel mit iiij kessel lappen lassen verloent: ij gulden vj albus, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 2: Woche Marien hemelfarth = 15. 8. 1584 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 2: Woche Gallus = 16. 10. 1582


Der von Jan Berbere mitgebrachte „Henkelpott“ wog 24 Pfund und wurde zu einem Preis von 31 Albus und 6 Hellern ebenso wie der bereits erwähnte Ofen in Lüttich gekauft. Neben dem teureren Kochgeschirr aus Metall wurden auch Keramikgefäße verwendet, die aufgrund ihres geringen Wertes in den Rechnungen meist nur summarisch aufgeführt werden. Die Quellen unterscheiden hierbei zwischen poth, diegel und duppen: Einen irden poth vnd eyn diegel kaufte man 1582 zusammen für 6 Albus.10 Das Aussehen der Gefäße lässt sich aus der Rechnung nicht erschließen, doch dürfte es sich bei dem poth analog zu den metallenen Gegenstücken um einen dreibeinigen Kochtopf, einen „Grapen“ also, gehandelt haben. Bei einem Preis von ca. 3 Albus kostete er nur etwa ein Zehntel dessen, was man für ein entsprechendes eisernes Gefäß hätte bezahlen müssen. Um Töpfe im heutigen Sinne handelte es sich bei den duppen: Im Oktober 1584 kaufte man im Hospital eine unbekannte Anzahl neu Erden duppen für die geringe Summe von 6 Albus,11 im Dezember 1623 erstand man erden duppen vnd schußelen im Werte von 12 Albus.12 Auch wenn sich der genaue Preis und die Größe der einzelnen Gefäße nicht ermitteln lassen, so wird auch hier deutlich, dass das Keramikgeschirr einen sehr geringen Wert besaß. Für das 17. Jahrhundert liegen genauere Angaben zum Tongeschirr vor. Im Oktober 1641 kaufte man 9 erden Poett für 18 Albus; ein Gefäß kostete also nur 2 Albus.13 Drei Monate später, im Januar 1642, schaffte man j duppen so die Armen im Gasthaus gebrauchen für 5 Albus an.14 Offensichtlich handelte es sich bei den duppen um mitunter recht große Vorratsgefäße. Hierfür sprechen auch drei Rechnungseinträge aus dem Dezember 1641: Montagh von buscher Adolff gekaufft ein Stangh botter gewogen ohn dem duppen 94 ½ lb. [...] Noch von einer frawen N. ein duppen botter gekaufft, so gewogen nach abziehungh des duppens 40 ¼ lb. [...] Von Wilhelm Klumpenhewer ein duppen botter ingegolden, gewogen ohn dem duppen 47 lb.15 Die Gefäße müssen eine beträchtliche Größe besessen haben, da sie bis zu 100 Pfund Butter fassen konnten. Da im Neusser Raum relativ wenig Milchviehwirtschaft betrieben wurde, dürften die Butter und damit auch die Keramikgefäße wohl nicht aus der näheren Umgebung gestammt haben. Dies zeigt auch ein Rechnungseintrag, dem zufolge man im Hospital 1581 ein Fass Butter tho wesel erstand.16 In der Küche des Gasthauses wurden aber nicht nur Gefäße aus Metall und Keramik, sondern auch aus Holz verwendet. Bier, Wein und vermutlich auch Lebensmittel wie Sauerkraut wurden in mit Weidenruten gebundenen Fässern aufbewahrt: Im Rechnungsjahr 1623/24 war ein Fassbinder über das Jahr verteilt achtmal mit dem vff vnd zuthoin der faßer, fortt mit binden beauftragt.17 Zudem war der faßbender in diesem Jahr mitt binden vnd allerhandt budden zu repariren, also mit der Herstellung und dem Ausbessern von Bottichen betraut.18 In kleineren Fässern wurde auch Butter aufbewahrt – ein solches Gefäß kaufte man 1583 mit 38 Pfund Butter als Inhalt.19

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StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche philippi et Jacobi = 1. 5. 1582 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 4: Woche Remigij aengefangen auff den Maendach sant Remeyß = 1. 10. 1584; ebenso: Jtem fur deuppen: vj albus, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche bartholomej = 24. 8. 1582 StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Lucia Virginis = 13. 12. 1623 StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Gereonis = 10. 10. 1641 StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Paulj bekerungh = 25. 1. 1642 StA Neuss B.02.01 / VII 215: Woche Thoma = 21. 12. 1641 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche vrsula henckfrau = 21. 10. 1581 StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Dominica Francisci = 3. 10.r 1623; Nicolaj = 6. 12. 1623; Palmarum = 31. 3. 1624; Woche Jubilitate = 28. 4. 1624; Woche Cantate = 5. 5. 1624; Woche Trinitatis = 2. 6. 1624; Woche Kilianij = 8. 7. 1624; Woche Vincula Petrj = 1. 8. 1624 StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Matthaej apostolj = 21. 9. 1624 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 2: Woche anthonius = 13. 1. 1583

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1582 erstand man – wohl für die Küche – ij holtzen schybbecken (zwei hölzerne Schöpfbecken) für 4 Albus und eine born schoip, wohl eine Schöpfkelle, für 6 Albus.20 Lebensmittel transportierte man in geflochtenen Körben: Im August 1584 verdiente der korffmech ahn korff vnd manden tho bouwen 6 Albus.21 1582 kaufte man zwei manden für 7 Albus sowie einen meskorff für 3 Albus und 3 Heller.22 1584 kostete eyn neu mandt 4 Albus.23 Im Gegensatz zum Korb besaß der mand keine Henkel,24 doch gab es hier offensichtlich auch Sonderformen, wie eine Nachricht von 1583 zeigt: Jtem fur manden korff tho baewen vnd hengeln dran: vj albus 25

55 „Melkende Frau“ mit hölzernem Eimer. Kupferstich nach Abraham Bloemaert (1566 - 1651). Clemens-Sels-Museum Neuss, 1981Gr1376,03

Einige Körbe besaßen eine spezielle Bestimmung, wie ein 1624 erwähnter Keeßkorff (Käsekorb) im Wert von 4 Albus.26 Fische wurden jedoch nicht in Körben, sondern in einem speziellen fysbuedel, einem Fischbeutel, transportiert. Einen solchen erstand man im Mai 1583 für 5 Albus.27 Das Geschirr wusch man im Hospital in einer Spoell thonne; 28 wohl für die Käseherstellung bestimmt war eine Keeß Burstel (Käsebürste).29 1624 wird ein Hackbredt erwähnt, für das man den stolzen Preis von 1 Gulden und 17 Albus bezahlte.30 Das Wasser schöpfte man aus dem Brunnen mit einem puth Emmer,31 der offensichtlich eine eiserne Fassung besaß, denn 1582 musste der putz Emmer durch einen slosmecher repariert werden, da er gebrochen geweesen (Abb. 55).32

Essgeschirr im Gasthaus Im Hospital wurde das Essen gewöhnlich auf Tellern oder Schüsseln serviert, von denen man mit Löffeln aß (Abb. 56).33 Auch wenn es in den Rechnungen zumeist nicht explizit vermerkt ist, so bestand das Geschirr wohl in der Regel aus Holz. Die Preise für das Holzgeschirr lagen noch unter denen für Irdenware: 1582 bezahlte man für eine unbekannte Anzahl holtzener schusselen vnd leffelen nur 9 Albus,34 1583 kaufte man hultzene schusselen

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StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche philippi et Jacobi = 1. 5. 1582; vgl. Jtem fur ij holtzen schypbecken: iiiij albus, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 3: Woche Bartholomej = 24. 8. 1584 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 3: Woche Bartholomej = 24. 8. 1584 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche bartholomej = 24. 8. 1582 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 2: Woche Marien hemelfarth = 15. 8. 1584 MAND, m.,MANDE, f. korb ohne henkel, Deutsches Wörterbuch 1854 -1960, Bd. 12, 1534; vgl. niederländisch mand = Korb StA Neuss B.02.01 / VII 210, 2: Woche petrj ketten = 1. 8. 1583 StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Oculj = 10. 3. 1624 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 2: Woche hemelfart Cristi = 19. 5. 1583 StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Sexagesima = 11. 2. 1624 StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Reminiscere = 3. 3. 1624 StA Neuss B.02.01 / VII 214: Vincula Petrj = 1. 8. 1624 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche agnet. = 21. 1. 1585 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche bartholomej = 24. 8. 1582 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche bartholomej = 24. 8. 1582; StA Neuss B.02.01 / VII 210, 3: Woche philippi et Jacobi = 1. 5. 1584; Woche Bartholomaej Apostolj = 24. 8. 1624 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche Reminiscere = 11. 3. 1582


für 4 Albus.35 1624 kosteten sechs Holzteller lediglich 6 Albus.36 Irdene Schüsseln werden in den Gasthausrechnungen erstmals 1624 erwähnt: vor leffelen vnd erden schußelen bezahlte man 14 Albus.37 In tönernen Kannen bzw. Krügen wurde im Gasthaus das Bier an die Bedürftigen ausgeteilt, wie der Kauf von Kannen in behoiff der armen im März 1624 verrät.38 Auch dieses Geschirr war sehr billig, wie der geringe Preis von 12 Albus verrät. Teurer waren die 4 kruchen zu behueff des Gasthaus, die man 1642 für 14 Albus erstand.39 Sie dürften aus qualitätvollem Steinzeug bestanden 56 Holzteller mit Holzlöffeln. Ausschnitt aus „Allegorie der Sinneslust“, Kupferstich von Jacob Matham (1571-1631). Clemens-Sels-Museum Neuss, haben. Feierlichen Anlässen vorbehalten waren 1981GR1255 vermutlich die 4 weinromer, die 1624 zum Gesamtpreis von 7 Albus gekauft wurden.40 Der Kauf zeigt, dass Glas im 17. Jahrhundert bereits für weite Teile der Bevölkerung erschwinglich geworden war. Das gute Tafelgeschirr der Neusser Bürger bestand allerdings aus Zinn. Auch im Gasthaus, dessen Aufgabe ja eigentlich die Versorgung der Bedürftigen war, wurde ein derartiger Geschirrsatz vorgehalten, wie der Kauf von schußelen, leffelen, handtfeßger, vnd kannen im Jahr 1624 verrät, denn bei einem Preis von 2 Gulden und 6 Albus können die Gefäße nur aus Metall gewesen sein.41 Die Handfässchen dienten übrigens zum Waschen der Hände bei Tisch. Aus Zinn bestand offensichtlich auch der 1582 erwähnte bottertheller.42

Geschirr in Neusser Bürgerhäusern Über die Ausstattung an Koch- und Trinkgeschirr in den Häusern reicher Neusser Bürger informieren uns einige Testamente. Da in ihnen allerdings nur Wertsachen aufgeführt sind, fehlen sämtliche Hinweise auf Ton- oder Holzgeschirr. Am 17. Januar 1496 verfasste Cecilie, die Witwe des Neusser Bürgers Syben Kannengiesser, ihr Testament. Sie verfügte über einen beträchtlichen Bestand an silbernem, kupfernem und zinnenem Ess-, Trink- bzw. Kochgeschirr.43 Aus Silber waren drei große Becheren, drei Schailen mit gulden vlammen vnd mit hyrtzhorn gemacht, d. h. Silberschalen, die mit vergoldeten Flammen und mit Hirschhorn verziert waren. Eine weitere Silberschale und 12 silberne Löffel trugen den Herstellerstempel ihres Vaters, der offensichtlich Kannengießer gewesen war. Zum Kochen dienten Tzwelff dye beste koeffer potte, d. h. 12 Kupfer- bzw. Bronzegrapen bester Wahl. Ferner besaß Cecilie einen besten schynckessel und drei weitere kesselen bester Qualität. Dass im Haushalt der Familie Kannengiesser auch Bier gebraut wurde, verraten Tzweyn dye beste bruwkesselen, zwei erstklassige Braukessel.

35 36 37 38 39 40 41 42 43

StA Neuss B.02.01 / VII 210, 2: Woche Johannen deß tauffers = 24. 6. 1583 StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Palmarum = 31. 3.1624 StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Hilarij Episcopi = 13. 1. 1624 StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Oculj = 10. 3. 1624 StA Neuss B.02.01 / VII 215: Woche Cathedra Petrj = 22. 2. 1642 StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Misericordiae = 21. 4. 1624 StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Joannis Baptistae = 24. 6. 1624 StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Lethare = 25. 3. 1582 StA Neuss B.02.01 / V-1, 1496 Januar 17, 238

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Das wohl aus Zinn gefertigte Trinkgeschirr bestand aus 19 beste quart kannen (Bierkannen bester Qualität von ca. 1,5 l Fassungsvermögen) und vier dye meiste bierpotte, also vier gewöhnlichen Biertöpfen bzw. -krügen. Außerdem werden zwey dye meiste becker, zwei gewöhnliche Becher, genannt. Dem Ausschenken von Bier und Wein dienten vier schenckannen myt tzoegen jnd mit kronen, eine vierdels flesch, eine dryquart flesch, eine halue vierdels flesch und dry eynletzige quart flesschen: vier Schenkkannen, drei Flaschen mit einem Fassungsvermögen von ¼ Quart, ¾ Quart und 1/8 Quart sowie drei einhenklige Quartflaschen. Außerdem werden eine pynt flesch sowie eine dry pynt flesch, also Flaschen mit einem Fassungsvermögen von einer bzw. einer ¾ Pinte genannt. Dem Abmessen von Wein dienten eyne wynquart maisse und eyn halue vnd eyne pynt maisse, eine quart vier maisse sowie eine halue und eine pynt maisse: Die Messbecher oder -krüge fassten also jeweils ein Quart (ca. 1,5 l) bzw. eine halbe sowie eine ganze Pinte (ca. 0,5 l). Das Essgeschirr bestand aus zwei meiste schynck schottelen, drei Paar meiste vleisch schottelen und einem botter tellner, hinzu kamen ein Tesyn moyss Schottelen und zwei Tesyn telner: zwei gewöhnliche Schinken- und sechs gewöhnliche Fleischschüsseln, ein Butterteller, ein Dutzend Musschüsseln und zwei Dutzend einfache Teller. Weiterhin werden zwei Paar kumpger (Kümpfe) und zwei tzynnen kump schuttelen, dair man eyne hoyne in schottelt, also zwei Kumpfschüsseln aus Zinn, auf denen man ein Huhn serviert, genannt. Drei Paar saltzvasser vollendeten den vornehm gedeckten Tisch. Als Tischschmuck dienten drei luchter (Kerzenleuchter). Das ebenfalls genannte wasservasse diente ebenso wie das hantvasse zum Waschen der Hände bei Tisch (Abb. 57 und 58).

57 Aquamanile (Handwaschgefäß). Messing, 15. Jahrhundert. Clemens-SelsMuseum Neuss, D1708

58 Aquamanile (Handwaschgefäß). Steinzeug, gefunden in der Mühlenstraße, 15. Jahrhundert. Clemens-Sels-Museum Neuss, 1984/255

Etwa ein halbes Jahr später als Cecilie Kannengießer, nämlich am 10. Oktober 1496, verfasste Katharina Hamers ihr Testament. Wie aus dem mehrseitigen Dokument hervorgeht, war sie äußerst wohlhabend und verfügte über Häuser in Neuss und Köln. Im Gegensatz zu dem vorher besprochenen Testament werden in diesem aber nur einzelne, wohl besonders kostbare Stücke des Trink- und Essgeschirrs genannt.44 An Silbergeschirr sind drei Becher, eine Kröse, eine Schale und 30 Löffel aufgeführt. Ferner erscheinen sechs kupferne duppen, 12 moysschottelen und 12 vermutlich aus Zinn gegossene Teller.

44

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StA Neuss B.02.01 / V 40, 1496 Oktober 10, 16r-17v


Aus dem Jahr 1501 stammt das Testament der Styncken Haemechers. Sie vermachte ihrer Nichte ihr huysse dayrjnnen sy woende upder ouerstrayssen gelegen myt alle huyssrayt, Ingedoene bedde, pot, kessel (ihr Wohnhaus auf der Oberstraße mit dem ganzen Hausrat einschließlich der Betten, Grapen und Kessel), ohne dass weitere Ausstattungsgegenstände aufgeführt wären.45 Offensichtlich unvollständig ist auch der huysrat eines reichen Neusser Bürgerhauses, der im 1507 aufgesetzten Testament der Neyssgen, Witwe des Gerhard Kopsteyn, aufgelistet ist: Jtem Noch dae genoemen dry schynck schottellen Jtem noch zwelff vleyschschottellen Jtem zwey tesyn comp schottelen Jtem noch anderhalff tesyn moess schottellen Jtem zwey tesyn telner Jtem Seesß koffern luchtenn Jtem noch Seesß tzienen luchtern Jtem tzienn saltvasser Jtem Noch Nuyntzienn tzyenen kannen Jtem Noch zwey koffern becken Jtem nochs dry hantvaesser Jtem dry praetpannen Jtem Noch Achtzien ysern pannen 46 Insgesamt werden also aufgeführt: drei Schinkenschüsseln, 12 Fleischschüsseln, 24 Kumpfschüsseln, 18 Musschüsseln, 24 Teller, sechs kupferne Leuchter, 16 Zinnleuchter, zehn Salzfässer, 19 Zinnkannen, zwei Kupferbecken, drei Handfässer, drei Bratpfannen (aus Kupfer) und 18 Eisenpfannen. Ärmer ausgestattet war dagegen der Hausrat der Eheleute Theißen vonn Boisemkouen und Gierttgen Seilspenners, auch wenn nur die Stücke überliefert sind, die 1602 ihr minderjähriger Sohn Paul erbte.47 An Geschirr werden lediglich ein schinckenkeßel und eine zinnen schussell genannt.

Ess- und Trinkgeschirr des Neusser Adels Welches Geschirr der Neusser Adel um die Mitte des 17. Jahrhunderts verwendete, verraten die Rechnungen des Stifts St. Quirin der Jahre 1641 und 1650. Das im Stift vorhandene Koch- und Essgeschirr reichte nämlich für die Ausrichtung der Feierlichkeiten zu den Äbtissinnenwahlen in diesen Jahren bei weitem nicht aus, so dass man Gläser sowie Zinnschüsseln und -teller für die Dauer der Feierlichkeiten von verschiedenen Seiten gegen Bezahlung ausleihen musste.48 Die Rechnung des Jahres 1641 vermerkt hierzu: heindrich so den glaßer von dußeldorff geholet: 1 gulden 1 albus Ahn glaßer heur vnd zerbrochen glaßer: 3 gulden 21 albus dieselbe wider auff dußeldorff zutragen: 22 heller Vor 8 dutzet schußelen vnd telleren beym kannen gießer zu heuren: 2 gulden 16 albus [...] Vor mein zinnen- eißer- vnd kupfferwerck wie gleichfals was von dergleichen bey meinen verwandten entlehnet, wirdt nichts gesetzet

45 46 47 48

StA Neuss B.02.01 / V 40, 1501 April 28, 51r StA Neuss B.02.01 / V 40 - 1503 Dezember 21, 64v StA Neuss B.02.01 / V 180a vor glaßer heur, zerbroch. glaßer, zinnen schußel vnd Teller heur: 9 gulden 7 albus, Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 50, Nr. 1: Überblick über die Ausgaben für die Äbtissinnenwahl 1641

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Jtem vor gut- vnd mittellrer so jn meinem hauß geholet nebens andere Sachen Jmgleichen vor mein vnd Meiner haußfraw vnruhe muhe vnd sorgh; auf Tischtucher, Seruentten vnd handtzweelen pp.: 64 gulden 1 albus 49 Die Tafel war also mit acht Dutzend Zinntellern- und Schüsseln, Trinkgläsern, Servietten, „Handtüchern“ und Tischtüchern gedeckt, die der Stiftsverwalter aus seinem eigenen Haushalt und dem seiner Verwandten sowie bei einem Düsseldorfer Glaser und einem Kannengießer auslieh. Bei dem aufgeführten eißer- vnd kupfferwerck handelte es sich offensichtlich um eiserne und kupferne Kochtöpfe, Kessel und Pfannen. Mit einem Pocall, den man für 4 Gulden und 4 Albus renouiren ließ, stieß man vermutlich feierlich auf das Wohl der neuen Äbtissin an. Die Festivitäten zur Wahl der neuen Äbtissin fielen 1650 angesichts der schwierigen Lage in Neuss während der hessischen Besatzung deutlich sparsamer aus. In diesem Jahr lieh man lediglich 24 Schüssel und 30 Teller sowie eine unbekannte Zahl an Gläsern aus: vor Spiß heur 2 quart wein ad: 1 gulden 13 albus 6 heller dem kannengießer vor 2 dutzet schußeln vnd 3 ½ dutzet teller heur: 3 gulden 3 albus vor glaßer vnd glaßer heur: 2 gulden 14 albus 6 heller 50 Aufschlussreich ist der Hinweis auf einen Spiß: er diente vermutlich dazu, das gekaufte Geflügel zu braten und dürfte aus dem Haus eines reichen Neusser Bürgers oder Adligen gestammt haben. Im Gebrauch des Koch- und Essgeschirrs des 16. und 17. Jahrhunderts spiegeln sich die sozialen Unterschiede in der Quirinusstadt wider. Während das Geschirr der ärmeren Bevölkerungsschichten und auch des für mittellose Bedürftige errichteten Gasthauses überwiegend aus irdenen Vorrats- und Kochtöpfen sowie Holztellern bestand, verfügte die soziale städtische Oberschicht, zu der reiche Bürger und die Stiftsdamen von St. Quirin gehörten, über einen reichen Fundus an Trinkgläsern (Abb. 59 und 60), zinnenen Tellern, Schüsseln, Bechern und Kannen sowie eisernen und kupfernen Kochkesseln, mit denen aufwändige Speisefolgen zubereitet werden konnten. Silbergeschirr ist dagegen nur in Form von Einzelstücken in den Haushalten besonders reicher Bürger vertreten und scheint eher in die Tafelwelt des hohen Adels gehört zu haben, während goldenen Gefäße gar nicht auftauchen.

59 Weinbecher (hinten) und nuppenverziertes Schnapsglas (vorn), gefunden in Neuss. 14./15. Jahrhundert. Clemens-Sels-Museum Neuss, D3170, D3180, TW186

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60 Stillleben mit venezianischem Weinpokal, Zinnteller, Auster und Zitrone. Öl auf Kupfer, Osias Beert d. J. (1622 -1678). Clemens-Sels-Museum Neuss, D1347

Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 50, Nr. 4: Abrechnung der Ausgaben für die Äbtissinnenwahl 1641 Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 50: Abrechnung der Ausgaben für die Äbtissinnenwahl 1650


Karin Striewe

Keramikgefäße im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Neuss nach archäologischen Quellen Einführung Keramikgefäße zerbrechen leicht und können dann nicht mehr repariert werden. Die Scherben entsorgt man in der Regel als Abfall. Weil zudem Keramik im Erdboden nahezu unvergänglich ist, werden bei fast jeder archäologischen Ausgrabung zum Teil außerordentlich große Mengen von Keramikscherben zutage gefördert. Sie dienen den Archäologen nicht nur zur Rekonstruktion der Ess-, Trink- und Kochsitten, sondern sind vor allem zur Datierung wichtig: Keramikgefäße mussten wegen ihrer Zerbrechlichkeit oft ersetzt werden und waren so in besonderem Maße dem Wandel des Geschmacks und auch fremden Modeeinflüssen unterworfen. Deshalb können oft auch kleine Scherben datiert werden und stellen wichtige historische Quellen dar. Hier sollen aber die chronologischen Aussagen der Keramikgefäße in den Hintergrund treten zugunsten der Betrachtung ihrer ehemaligen Zweckbestimmung. Der Zweck von Gefäßen im Allgemeinen und Keramikgefäßen im Besonderen bestand natürlich darin, Speisen und Getränke herzustellen, aufzubewahren, durch Kochen, Braten und Backen zuzubereiten und schließlich die fertigen Speisen und Getränke zum Verzehr bereitzustellen. Neben diesen funktionalen Aufgaben dienten vor allem das Tischgeschirr, aber auch die Zubereitungsart und damit die dazu erforderlichen Utensilien der Repräsentation. So können aus der Ausstattung eines Haushaltes mit Gefäßen durchaus auch Rückschlüsse auf die soziale Stellung seiner Bewohner gezogen werden.

Quellenlage Nur in sehr seltenen Fällen ist mittelalterliche oder frühneuzeitliche Keramik als Realie über der Erde erhalten geblieben. Schriftliche Auflistungen von Haushaltsgeschirr sind in Testamenten oder Inventaren dagegen recht zahlreich erhalten.1 Sie führen in der Regel jedoch nur den wertvolleren Besitz des Erblassers auf, so dass wir über Anzahl und Art von Metallgefäßen und Metallutensilien in bestimmten Haushalten informiert werden, nicht jedoch über das weniger wertvolle Keramikgeschirr oder gar über Holzgefäße. Allerdings können die schriftlich überlieferten Gefäßbezeichnungen nur in seltenen Ausnahmefällen mit archäologisch überlieferten Keramikgefäßen identifiziert werden, dazu sind die schriftlich überlieferten Bezeichnungen zu ungenau. Eine dieser Ausnahmen bilden die Quartkannen (s. u.). Auch auf zeitgenössischen bildlichen Darstellungen von Mahlzeiten- oder Küchenszenen und Interieurs erscheinen oftmals archäologisch überlieferte Gefäße.2 Zeigen diese eine bewusste Auswahl von dargestellten Gegenständen, so bieten die archäologischen Funde ein in der Regel ungeschöntes Bild der materiellen Ausstattung eines Haushaltes. So lässt

1 2

Vgl. den vorhergehenden Beitrag von Carl Pause Eine Zusammenstellung von spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Abbildungen von Keramikgefäßen findet sich bei Gaimster 2006, 172 ff

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sich der keramische Gefäßvorrat im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Neuss anhand der Funde der Stadtarchäologie recht gut überblicken.3 Auch in Neuss werden Keramikgefäße am häufigsten aus Latrinenschächten, die auch zur Abfallbeseitigung dienten, oder verfüllten Brunnenschächten 4 ausgegraben. Ist in diesen im Idealfall ein Querschnitt des tatsächlich gebrauchten Keramikgeschirrs erhalten, so fehlen im Allgemeinen Metallgefäße fast völlig, weil sie wiederverwendet wurden. Holzgefäße und Körbe wurden dagegen wohl oft verbrannt und sind, falls sie doch in den Abfall gerieten, nur unter besonders guten Erhaltungsbedingungen bei archäologischen Ausgrabungen wiederzufinden. In Neuss wurden bisher weder Metallgefäße noch Holzgefäße geborgen, obwohl beide in nicht geringen Mengen vorhanden gewesen sein dürften.5 So müssen wir hier auf die Betrachtung von Metallgefäßen und Gefäßen aus organischen Materialien wie Holz und Flechtwerk verzichten, was gerade im Hinblick auf die gewiss weit verbreiteten und in jedem Haushalt vorhandenen Holzteller und -schüsseln zu einer bedauerlichen Einschränkung führt.

Niederrheinische Gefäßkeramik im hohen Mittelalter Im späten Mittelalter hatten die Keramikgefäße schon eine lange Entwicklung durchlaufen, sowohl in technologischer als auch in funktionaler und natürlich ästhetischer Hinsicht. Für die unmittelbaren Vorgänger der spätmittelalterlichen Keramik aus Neuss soll hier kurz die Entwicklung seit der karolingischen Zeit überblickt werden.6 Die grundlegenden Funktionen des Keramikgeschirrs – Kochen, Aufbewahren, Auftragen, Ausschenken und Trinken – spiegeln sich in den Gefäßformen wider: Becher, Krüge mit einem oder zwei Henkeln, Kannen mit Ausguss, Töpfe und große Vorratsgefäße sind mehr oder weniger im gesamten hohen Mittelalter in Gebrauch. Im Laufe der Zeit ändern sich natürlich die Formen und auch die Keramiksorten hinsichtlich Ton, Tonbehandlung und Brennvorgang.

61 Frühe Irdenware vom Omnibusbahnhof, Badorfer Ware

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Aus Brühl-Badorf (Rhein-Erft-Kreis) oder einer benachbarten Töpferei im Brühler Umland fanden ab dem 9. Jahrhundert helltonige, recht weich gebrannte, oft mit einem Rollrädchen verzierte Gefäße den Weg nach Neuss. Außer topfartigen Gefäßen, die in späterer Zeit auch eine rote Bemalung aufwiesen, handelte es sich vor allem um große Vorratsgefäße in länglicher Beutelform mit aufgesetzten, rollrädchenverzierten Leisten, den sogenannten Reliefbandamphoren (Abb. 61). Sie konnten mit dem Unterteil in den Boden eingegraben werden und ermöglichten eine kühle Lagerung von Nahrungsmitteln. Solche Reliefbandamphoren wurden z. B. als Schallgefäße unter dem Fußboden von St. Quirin eingefügt. 7

Für zahlreiche Hinweise danke ich Frau Sabine Sauer M.A. Vgl. Beitrag Sabine Sauer. Töpferöfen und die Abwurfhalden von Fehlbränden können hier außer Betracht bleiben. In Lübeck z. B. wurden große Mengen von Holzgeschirr archäologisch geborgen, s. Falk 1982 vgl. auch den vorhergehenden Beitrag von Carl Pause Für die folgenden Ausführungen vgl. grundsätzlich: Heege 1995 Borger 1968, 217


Wohl hauptsächlich als Kochgefäße dienten zur gleichen Zeit einfache grautonige Töpfe, die aus unterschiedlichen Töpferorten der Region stammten.8 Große Amphoren aus grauem Ton, die die Reliefbandamphoren ersetzten, kamen wohl aus Elmpt (Gmde. Niederkrüchten, Kr. Viersen) nach Neuss. Wahrscheinlich sind noch nicht alle Töpfereien bekannt, die die so genannte Grauware herstellten. Ab dem 10. Jahrhundert wurden zum Kochen die sogenannten Kugeltöpfe benutzt, grautonige rundbodige Kochgefäße. Schon im 13. Jahrhundert sind dreifüßige Kochtöpfe ähnlicher Machart bekannt, die so genannten Grapen. Sowohl von Kugeltöpfen als auch von Grapen wird im nächsten Abschnitt ausführlich die Rede sein.

62 Frühe Irdenware vom Omnibusbahnhof, Pingsdorfer Ware

Aus dem Vorgebirgsraum in Brühl-Pingsdorf (RheinErft-Kreis) oder vergleichbaren Töpfereien im niederländischen Maasgebiet bezogen die Neusser Bürger ab dem 10. Jahrhundert klingend hart gebranntes, helltoniges, später auch grautoniges Geschirr mit rauer Oberfläche und roter Bemalung (Abb. 62). Die Formen umfassen meistens große Tüllenkannen und Becher sowie Schüsseln, aber auch Kochgeschirr. Nur sehr selten wurde in Neuss wie auch im gesamten niederrheinischen Gebiet frühe glasierte Keramik gefunden. Die eher kleinen helltonigen Kannen und Becher mit gelblicher Glasur auf der Außenseite (Abb. 63) stammen aus Töpfereien des maasländischen Gebiets in Belgien und stellten in der damaligen Zeit hochwertiges, prestigeträchtiges Geschirr dar, aus dem sicherlich ebenso hochwertige Getränke ausgeschenkt wurden.9

63 Frühe glasierte Keramik aus Huy bei Liège vom Omnibusbahnhof

Aus der hartgebrannten Keramik Pingsdorfer Machart wurde im 13. Jahrhundert eine neue Keramiksorte entwickelt, das sogenannte Faststeinzeug, eine bei hohen Temperaturen gebrannte, dunkelgraue bis dunkelbraune, sehr rauwandige Keramik, die vollständig wasserdicht war. Diese eignete sich nicht zum Kochen, aber wegen der Wasserdichtigkeit besonders als Trinkgeschirr. So liegen aus Faststeinzeug auch in Neuss vor allem Becher und Kannen vor (Abb. 64). Bald darauf gelang den rheinischen Töpfern ein technischer Durchbruch: Durch sehr hohe Brenntemperaturen konnte bestimmter, besonders reiner Ton beim Brennen gesintert werden, d. h. eine glasartige Struktur erhalten. Das so entstandene Steinzeug war vollständig wasserundurchlässig.

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64 Trinkgeschirr aus Faststeinzeug von der Oberstraße

Z. B. aus Paffrath, Stadt Bergisch Gladbach, Rheinisch-Bergischer Kreis, Mayen, Ldkr. Mayen-Koblenz, in der Eifel oder Duisburg Hupka 1988, 89

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Bald darauf wurde auch die Salzglasur für Steinzeuggefäße entwickelt, die die Oberfläche mit einem hochglänzenden glatten Überzug versah. In den folgenden Jahrhunderten bestand das Trink- und Schankgeschirr zum allergrößten Teil aus Steinzeug.

Der Gefäßvorrat im spätmittelalterlichen Neuss im 15. Jahrhundert Die Entwicklung im 9. bis 14. Jahrhundert hatte zu einer differenzierten keramischen Gefäßausstattung für Küche, Keller, Ausschank und Tafel geführt.

Koch- und Küchengeschirr Am Anfang des 15. Jahrhunderts machte der Keramikvorrat noch einen deutlich altertümlichen Eindruck. Zum Kochen dienten neben metallenen Töpfen und Kesseln bis weit in das 15. Jahrhundert hinein noch althergebrachte, in nahezu gleicher Form seit karolingischer Zeit benutzte, einfache Töpfe mit rundem Boden. Diese als Kugeltöpfe bezeichneten Kochbehälter waren unter Sauerstoffabschluss, also reduzierend gebrannt und deshalb von grauer Farbe. Sie konnten nicht vollständig auf der schnelldrehenden Töpferscheibe hergestellt werden, der runde Boden musste aus dem Topf herausgeschlagen werden (Abb. 65). Mit dem runden Boden konnte der Kugeltopf direkt in eine Vertiefung der Glut gesetzt werden oder auch auf drei Steine oder Ziegelsteine standfest über die Glut gehoben werden. Die Wärme wurde aber über die dem Feuer zugewandte Topfseite aufgenommen, nicht über den Boden.10 Diese Seiten zeigen heute noch oft Schmauchspuren. Moderne Kochversuche mit Kugeltöpfen verliefen erfolgreich: „Breie und Eintöpfe gelangen problemlos. … Die rundlich geschlossene Form speichert die Hitze sehr gut und führt zu erstaunlich kurzen Garzeiten. Hier könnte das Märchen vom Topf, der immerzu Hirsebrei kocht, seinen Ur65 Grautoniger Kugeltopf aus dem Gasthausbrunnen sprung haben. Nimmt man den Kugeltopf mit Hirsebrei nicht rechtzeitig vor Erreichen der Kochtemperatur vom Feuer, so kocht der Topf so lange über, bis die in den Wandungen gespeicherte Wärmeenergie verbraucht ist. Meist landet dabei mehr als die Hälfte des Topfinhalts im Feuer.” 11 Das übrige Keramikgeschirr aus Grauware zeigte eine nur geringe Formenvielfalt: Grautonige Krüge und Schüsseln unterschiedlicher Größe zeugen von einem nur wenig differenzierten tönernen Küchengeschirr. Dies änderte sich im Laufe des 15. Jahrhunderts. Als bahnbrechende Neuerung setzte sich in dieser Zeit die Bleiglasur durch, die die vorher porösen Keramikgeschirre wasserundurchlässig machte. Ein weiterer Effekt war, dass das Irdenwaregeschirr von nun an farbiger werden konnte.

10 11

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Heege 2002, 254 Heege 2002, 254


Auf die noch ungebrannten Tonwaren wurde ein flüssiger Tonschlicker aufgetragen, dem Bleioxid zugesetzt war. Je nach Reinheit der Bleiglasur konnte sie einen leicht grünlichen, bräunlichen, gelblichen oder gänzlich klaren Farbton annehmen, der zusammen mit dem durchscheinenden weiß-gelben bis orangefarbigen Farbton des gebrannten Tons die Färbung des Gefäßes ergab. Bald wurde natürlich eine Färbung der Bleiglasur durch Zusatz verschiedener Metalloxide vom Töpfer gesteuert.12 Am Niederrhein war die bei einem oxidierenden Brennvorgang entstehende Scherbenfarbe durch natürliche Eisenbeimengung im Ton in der Regel rötlich. Zusammen mit der leicht durchscheinenden, unterschiedlich gefärbten Bleiglasur entstanden oliv- und orangefarbene, braune und braunrote Farbeindrücke für die bleiglasierten Irdenwaren niederrheinischer Herkunft. Diese wurden sicher in einer ganzen Reihe von Werkstätten hergestellt, von denen jedoch für das 15. Jahrhundert nur wenige nachgewiesen sind. Vermutlich handelte es sich um die gleichen Werkstätten, die vorher Grauware produzierten und sich nun dem Zeitgeschmack, der buntes Keramikgeschirr forderte, anpassten.13 Möglich wäre es, dass in Neuss eine solche Töpferwerkstatt für den lokalen Markt produzierte. Dies ist freilich für diese frühe Zeit noch nicht nachgewiesen, wohl aber für das 16. und 17. Jahrhundert.14 Die grauen Kugeltöpfe wurden im Folgenden durch bleiglasierte dreibeinige Kochtöpfe abgelöst, deren Grundform bis in das 18. und sogar 19. Jahrhundert beibehalten wurde. Dreibeinige Kochtöpfe, gleich welchen Materials, werden als Grapen bezeichnet. Diese Töpfe brachten ihre Standvorrichtung für die Feuerstelle fest mit. Außerdem bot ihr leicht ausbiegender Rand, der oft eine Deckelfalz aufwies, sicheren Halt für Deckel, die im archäologischen Material auch vorhanden sind. Die Bleiglasur hatte gerade für diese Kochtöpfe einen doppelten Nutzen: Sie machte sie nicht nur wasserfest, sondern verzögerte auch das Anbacken und Anbrennen, so dass wir hier sozusagen eine Antihaftbeschichtung vor uns sehen. Weißtonige, innen und am Rand gelb glasierte Grapen und anderes Keramikgeschirr gleicher Machart wurden im 15. Jahrhundert nachweisbar in Utrecht, im Töpferzentrum Langerwehe bei Düren und in Köln hergestellt.15 Für die Neusser gelbglasierten weißtonigen Keramikgrapen und Schüsseln (Abb. 71) ist eine Herkunft aus Köln anzunehmen.

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66 Grapen und Schüsseln aus bleiglasierter Irdenware vom Minoritenkloster und aus dem Gasthausbrunnen

Göbels 1971, 169 Gaimster 2006, 71 Sauer 2004 Gaimster 1989, 56 -58

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Weitere Gefäßformen sind Töpfe mit einfachem Standboden und Schüsseln mit Ausguss, die wohl u. a. zum Entrahmen von Milch dienten. Auch Siebgefäße benötigte man in der Milchverarbeitung zur Käseherstellung. Langovale Platten dienten als Fischbräter oder Fettfänger für Spießbraten (vgl. Abb. 66). In Neuss sind aus dem 15. Jahrhundert bisher nur Scherben solcher Gefäße belegt.

Ess- und Tafelgeschirr Wir kennen für das 15. Jahrhundert aus archäologischen Funden kein Geschirr aus Irdenware, das zwingend nur oder hauptsächlich als Tafelgeschirr diente. Wie aus der schriftlichen und bildlichen Überlieferung bekannt, wurden Gerichte aus Brei in einer Schüssel aufgetragen, aus der sich alle zu Tisch Sitzenden bedienten. Fleisch wurde auf Platten aufgetragen und portionsweise auf Brotstücken serviert.16 Hierfür dürften die gleichen Keramikgefäße benutzt worden sein, die auch in der Küche zum Einsatz kamen. In einfachen Haushalten ist damit zu rechnen, dass außer Keramikgefäßen Holzplatten zum Auftragen sowie Holzlöffel zum Essen benutzt wurden. Im gehobenen Haushalt dürfte zum gleichen Zweck auch Metallgeschirr benutzt worden sein. Dies legen besonders die zeitgenössischen Darstellungen von Mahlzeiten nahe.17 Messer und Löffel, die einzigen damals üblichen Tischbestecke, brachte jeder Esser selbst mit.18

Trink- und Schankgeschirr Im Gegensatz zum Essgeschirr ist das Trink- und Schankgeschirr des 15. Jahrhunderts in Neuss zahlreich archäologisch überliefert. Die Kannen, Krüge und Trinkgefäße bestanden aus Steinzeug. Dazu kommen nicht wenige Trinkgläser, die im 15. Jahrhundert bereits für breitere Schichten erschwinglich wurden. Zwar waren auch die glasierten Irdenwaren wasserfest, jedoch wurde aus diesem Material kaum Schank- und Trinkgeschirr hergestellt. Steinzeug 19 war eine Entwicklung des 14. Jahrhunderts (vgl. oben). Während Irdenware bei ca. 900 Grad gebrannt wird, muss Steinzeugton bei Temperaturen von ca. 1200 Grad Celsius gebrannt werden, damit er versintert. Das fertige Gefäß ist glasartig, klingend hart und wasserdicht. Es eignet sich wegen seiner Wasserdichtigkeit besonders für die Aufnahme von Flüssigkeiten, in ihm kann jedoch nicht gekocht werden, weil das harte Material im Feuer zerspringen würde.20 Der für die Steinzeugherstellung benötigte sehr reine Ton stand nur an wenigen Stellen im Rheinland an, an denen sich die Töpfer dann auf die Produktion von Steinzeug spezialisierten. Im 15. Jahrhundert hatte sich die Steinzeugproduktion in mehreren Zentren etabliert: in Siegburg, bei Köln, bei Raeren und Langerwehe. Die Steinzeugtöpfer benötigten andere Arbeitstechniken und vor allem andere Brennöfen als die Irdenwaretöpfer. So werden auch

16 17 18 19 20

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Rumm-Kreuter 1997, 232 ff Gaimster 2006, 172 ff Rumm-Kreuter 1997, 232 ff Grundsätzlich vgl. Gaimster 1997 Göbels 1971, 168


67 Trinkgeschirr aus Steinzeug Siegburger Art vom Minoritenkloster und aus dem Gasthausbrunnen

in zeitgenössischen Quellen Düppenbäcker von Kannenbäckern unterschieden: Die ersten stellten Irdenwaregefäße her, die letzteren Steinzeuggefäße.21 Im 15. Jahrhundert waren die Siegburger Kannenbäcker marktbeherrschend im Rheinland. Auch in Neuss wurde in Fundkomplexen des 15. Jahrhunderts fast ausschließlich Siegburger Steinzeug gefunden (Abb. 67). Zum Beispiel wurde im ehemaligen Klostergarten des Minoritenklosters ein Depotfund mit vielen hundert Gefäßen geborgen, zu dem ganz überwiegend Steinzeugkrüge und -becher Siegburger Machart gehörten.22 Auch ein Brunnen aus dem Bereich des ehemaligen Gasthauses wurde nach den jüngsten Funden wohl ganz am Anfang des 16. Jahrhunderts verfüllt, so dass wir dort ein Fundspektrum des 15. Jahrhunderts vorfinden.23 Die Brunnenverfüllung erbrachte viele optisch geblasene, d. h. in eine reliefierte Hohlform geblasene Gläser und sehr viele Krüge und Becher aus Siegburger Steinzeug, in einem geringeren Maße auch Steinzeug aus dem Töpferzentrum Langerwehe. Die Krüge und Becher Siegburger Art aus dem Gasthausbrunnen wie auch die aus dem Minoritenkloster bestehen aus dem typischen hellgrau-beige brennenden Ton und tragen noch keine vollständige Salzglasur, sondern eine sogenannte Anflugglasur, die durch die Zusammensetzung der Ofenatmosphäre entstand und durchaus mit Absicht, aber in zufälliger Verteilung auf die Gefäße kam.24 Die außerordentlich schlanken Jacobakannen (Abb. 67, ganz rechts) waren im 15. Jahrhundert schon eine alte Form und spiegeln gotisches Stilgefühl wider. Am häufigsten im

21 22

23 24

Göbels 1971, 71 u. 167 Sauer 1987, 109. Sauer vermutet, dass diese Gefäße den Vorrat des Klosters darstellten und vielleicht während der Wirren des Burgundischen Krieges 1474/1475 vergessen wurden. Sie stellt fest, dass auch viele im Brand leicht deformierte Gefäße darunter sind, und vermutet, dass hier eventuell eine ganze Ofenfüllung erworben wurde. Vgl. zu dem Depotfund: Spuren der Geschichte 1984, 18 -19 Sauer 1988a Vgl. grundsätzlich Reineking-von Bock 1986

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15. Jahrhundert belegt sind die Zylinderhalskrüge – einhenklige Schankgefäße mit einem bauchigen Körper und einem zylindrischen Hals ohne Ausguss. Ihr Fuß wurde wellenförmig gekniffen, und die Drehrillen als Spuren der Herstellung auf der Töpferscheibe wurden deutlich sichtbar gemacht. Oft fassten diese Krüge ungefähr 1,5 l, was dem Hohlmaß Kölner bzw. Neusser Quart entspricht. Tatsächlich wurden sie schon in zeitgenössischen Quellen Quartkrüge genannt.25 Eine kleinere Variante der Krüge enthielt ein halbes Quart Flüssigkeit. Außerdem sind auch größere und kleinere Krüge belegt. Trinkgefäße gleichen Aussehens, die Zylinderhalsbecher, fassten ungefähr einen Viertelliter Flüssigkeit, sie könnten sowohl für Bier als auch für Wein benutzt worden sein (Abb. 67). Als Trinkgefäße dienten außerdem die so genannten Trichterhalsbecher, kleine kugelige Becher auf Wellenfuß und mit dem namengebenden Trichterhals. Einige waren unverziert, andere trugen kleine Medaillonauflagen, die z. B. Punktmuster aufwiesen (Abb. 67). Eine besondere Form stellten flache unglasierte Steinzeugschalen auf kleinem Standfuß dar, die, umgedreht, auch durchaus als Deckel gedient haben könnten (Abb. 67). Wiederum zeigen uns die zeitgenössischen Gemälde, dass solche Schalen als Trink- und Serviergefäße genutzt wurden, in gehobener Gesellschaft jedoch nicht aus Keramik, sondern aus Glas.26 Im Gegensatz zum hellen Siegburger Steinzeug ist der Ton der aus Langerwehe stammenden Gefäße oft dunkelgrau und ihre Oberfläche braun engobiert, bevor eine manchmal nur partielle Salzglasur aufgebrannt wurde. Aus Langerwehe stammt ein großer Zweihenkelkrug aus dem Gasthausbrunnen (Abb. 68), der zwar ebenfalls deutliche Drehrillen und einen Wellenfuß aufweist, dessen Henkel- und Halsform sich aber von den Siegburger Gefäßen deutlich unterscheidet und große Ähnlichkeit mit denen der ebenfalls aus Langerwehe stammenden Pilgerflaschen aufweist. Diese flachen Feldflaschen waren Spezialformen, die dem Transport von Flüssigkeiten auf der Reise dienten. Ihre Grundform ist bis heute die gleiche geblieben. Bei den letzteren und einigen kleineren Näpfen und Schüsseln aus Langerweher Steinzeug könnte man vermuten, dass Pilger sie auf dem Rückweg von Aachen mitbrachten. Offenbar waren im 15. Jahrhundert Schankgefäße und Becher aus Steinzeug in großen Mengen in Gebrauch. Die archäologischen Fundzusammenhänge in Neuss lassen auf Personen aus eher weniger gehobenen sozialen Schichten schließen, die diese Gefäße im Gasthausbrunnen entsorgten und im Minoritenkloster wohl auch für die Armenspeisung horteten.

68 Zweihenkelkrug aus Steinzeug Langerweher Art aus dem Gasthausbrunnen

25 26 27

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Die Füllmengen der Gefäße und auch die Fundorte legen nahe, dass aus den Steinzeugkrügen Bier ausgeschenkt wurde. Vom Neusser Gasthaus ist überliefert, dass die Bedürftigen täglich ein Quart Bier, also wohl eine gefüllte Quartkanne, erhielten.27 In dem Abfall aus dem Gasthausbrunnen haben wir also mindestens zum Teil die Spendegefäße vor uns.

Vgl. den vorhergehenden Beitrag von Carl Pause Gaimster 1997, 168 Wisplinghoff 1975, 700 ff


69 Trinkgläser aus dem Gasthausbrunnen

Dass auch vollständige und offenbar noch gebrauchsfähige Krüge und Becher in die Brunnenverfüllung gerieten, zeigt einen recht sorglosen Umgang mit ihnen. Offenbar waren sie nicht besonders wertvoll, und tatsächlich wurden Steinzeuggefäße ebenso wenig wie die schon behandelten Irdenwaregefäße in Inventaren und Testamenten des 15. Jahrhunderts genannt.28 Dem gehobenen Bedarf dienten im 15. Jahrhundert neben Trinkgefäßen aus Metall besonders solche aus Glas. Trinkgläser waren nicht mehr nur obersten Schichten vorbehalten, auch wohlhabende Bürger tranken aus Gläsern. In Neuss wurde außer gelegentlichen Scherben eine Reihe von weitgehend erhaltenen Trinkgläsern aus dem Gasthausbrunnen geborgen (Abb. 69). Es handelt sich um die im 15. Jahrhundert weitverbreiteten optisch geblasenen Glasbecher aus grünlichem oder blauschimmerndem Glas oder mit Nuppen besetzte zylindrische Gläser mit gewelltem Standfuß, die auch im Mittelalter treffend als Krautstrünke bezeichnet wurden. Fragmente von Standfüßen könnten auch von modernen Biertulpen ähnlichen langgestreckten Stangengläsern stammen.29

Der Gefäßvorrat im frühneuzeitlichen Neuss im 16. Jahrhundert und zu Beginn des 17. Jahrhunderts Küchengeschirr Wie schon im 15. Jahrhundert sind als metallenes Küchengeschirr Kessel, Henkeltöpfe und Metallgrapen sowie Utensilien aus Holz vorauszusetzen. Aus der Verfüllung eines Brunnens vom Markt 32 und eines Brunnens vom Viehmarkt aus dem 17. Jahrhundert stammt eine Reihe von glasierten Kochgefäßen, die so oder ähnlich auch schon im 16. Jahrhundert in Gebrauch waren (Abb. 70).30 Die Grapen erfreuten sich im 16. Jahrhundert ungebrochener Beliebtheit. Geschätzt wurden in Neuss weißtonige Grapen, die innen eine gelbe und außen eine kräftig grüne Bleiglasur trugen und von Frechener Töpfereien bezogen wurden (Abb. 70). Daneben fanden aber auch solche aus niederrheinischer rottoniger, bleiglasierter Irdenware Verwendung.

28 29 30

Vgl. den vorhergehenden Beitrag von Carl Pause Sauer 1988a, 36, Taf. 1 Sauer 1988b, Sauer 1993

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70 Grapen und Bratgrapen mit Stielhenkel aus bleiglasierter Irdenware vom Viehmarkt und von der Michaelstraße

Die Form der Grapen war kaum zu verbessern, allerdings scheinen sie im 16. Jahrhundert oft mit einem Hohlhenkel versehen. Es handelt sich dabei um einen hohlen Stielhenkel, in den ein Holzstab eingeführt wurde (Abb. 70). So konnte man mit dem heißen Gefäß hantieren, ohne sich zu verbrennen. Die Grapen zeigten unterschiedliche Varianten in Größe, Art und Anzahl der Henkel, die wahrscheinlich auf spezielle Einsatzmöglichkeiten in der Küche zurückzuführen sind, d. h. für das Kochen unterschiedlicher Gerichte. Flache Grapen wurden als Bratpfannen genutzt (Abb. 70). Dass auch Pfannkuchen darin gebacken wurden, zeigt die Darstellung auf dem Gemälde „Die Pfannkuchenbäckerei” von Pieter Aertsen von 1560.31 Große Fleischstücke wurden jedoch am Spieß gebraten, wie zeitgenössische Darstellungen ebenfalls zeigen.32 Der Spieß drehte sich nicht über, sondern neben dem Feuer, und ein

71 Fettfänger aus bleiglasierter Irdenware vom Viehmarkt

31 32

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Burhenne u. a. 1991, 26 mit Abb. Z. B. abgebildet bei Rumm-Kreuter 1997, 230: Küche mit Kachelofen aus der „Küchenmaistrey”, erstmals erschienen 1485 bei Peter Wagner. Mit einem Fettfänger: Küchenszene, Gemälde aus Flandern, Ende 16. Jahrhundert, Musée des Beaux Arts. Lille. Abgebildet in:Vor dem großen Brand. Archäologie zu Füßen des Heidelberger Schlosses (Stuttgart 1992).


großer flacher Fettfänger aus glasierter Irdenware diente dazu, heruntertropfendes Fett und Bratensaft aufzufangen. Ein solcher wurde ebenfalls im Brunnen am Markt 32 gefunden (Abb. 71). Auch das langsame Garen in geschlossenen keramischen Schmortöpfen war bekannt. Eine dazu gebrauchte Pastetenform in Gestalt eines sogenannten Schweinetopfes stammt in Neuss aus einer Brunneneinfüllung an der Oberstraße 21/23 (Abb. 72).33 Das walzenförmige Gefäß hat eine große ovale Öffnung, die einst mit einem Deckel verschlossen war. Es steht auf vier kurzen Beinen und trägt an den runden Schmalseiten je einen senkrechten Henkel. Es handelt sich um einen Schweinetopf, wie er für das 17. Jahrhundert in Norddeutschland nicht selten belegt ist. Der Neusser Schweinetopf gehört zu einer niederrheinischen Variante, deren Tierform nur angedeutet ist, in anderen Städten sind Schweinetöpfe mit realistisch ausgeformter Schnauze gefunden worden.34 Die Brunnenverfüllung von der Oberstraße datiert an den Anfang des 17. Jahrhunderts, der Schweinetopf kann aber durchaus schon im 16. Jahrhundert in Gebrauch gewesen sein, wie die Abbildung einer solchen Form auf dem Gemälde „Hochzeit zu Kana” des Malers Ludger tom Ring des Jüngeren von 1562 zeigt.35 Zur Küchenausstattung gehörten außerdem, wie schon im 15. Jahrhundert, tiefe bleiglasierte Irdenwareschüsseln mit Ausguss und Krüge aus Irdenware. Ess- und Tafelgeschirr Im Laufe des 16. Jahrhunderts wandelten sich die Tischsitten grundlegend. Die vornehmsten Haushalte deckten nun für jeden Speisenden einen individuellen Teller auf, wie es auf zeitgenössischen niederländischen Gemälden dargestellt ist.36 Aber auch in einfacheren Haushalten diente die Tischkultur nun als Ausdruck des Prestiges.

72 Schweinetopf aus bleiglasierter Irdenware von der Oberstraße

33 34 35 36

Hupka 1989, 22. Der Schweinetopf ist im Zeughaus ausgestellt Laux 1982 Vgl. Laux 1982, 127 mit Abb. Gaimster 1997, 168

111


Erstmals ist glasierte Irdenware als spezielles Tafelgeschirr belegt. In großen tiefen Tellern aus glasierter Irdenware wurden die weiter üblichen breiartigen Speisen aufgetragen, von denen sich mehrere Esser mit jeweils eigenem (Holz-)Löffel bedienten.37 Die Teller zeigen am Rand oft zwei Durchbohrungen: An diesen wurden die Teller zum Trocknen aufgehängt, und zwar mit der glasierten Seite zur Wand, so dass die unglasierte Seite besser trocknen konnte. Dies erklärt auch die Glasurkleckse auf der Außen- bzw. Unterseite der Teller: Auch in aufgehängtem Zustand sollten bunte Gefäße als solche zu erkennen sein.38 Teller dieser Art sind in Neuss häufig gefunden worden, z. B. am Hamtorwall 16 und am Büchel (Abb. 73). Sie haben Durchmesser von ca. 30 cm und wirken mit Spiegel (dem Boden) und abgesetzter Fahne (dem Rand) wie ein heutiger, allerdings sehr groß dimensionierter Suppenteller. Sie weisen einen kleinen Standring oder auch einen etwas höheren Standfuß auf. Die Neusser Teller wurden wie die Grapen gern aus Frechen bezogen und zeigten dann eine in Zonen gelbe und grüne oder vollständig grüne Bleiglasur auf der Innenseite des weißen Irdenwarescherbens. Eine gesteigerte Zierfreude äußert sich in dem mit einem kammartigen Werkzeug vor dem Glasieren eingeritzten Wellenbandmuster, das in Wel73 Kammstrichverzierte Teller aus bleiglasierter Irdenware vom Hamtorwall len rund um die Fahne verlief und in Sternund Kreismustern auch den Gefäßspiegel zierte. Ein solcher Teller wird auf dem Gemälde „Die Pfannkuchenbäckerei” von Pieter Aertsen dargestellt und zum Servieren von Pfannkuchen benutzt.39 Ähnliche Stücke gab es auch vom Niederrhein in roter, einfach bleiglasierter Irdenware. Eine völlig neue Verzierungsweise kam gegen Ende des 16. Jahrhunderts auf: Die Irdenwaregefäße wurden zunächst mit gelber, dann gelb-grüner und später polychromer Bemalung versehen, die das niederrheinische Töpferhandwerk bis in das 20. Jahrhundert hinein kennzeichnen sollte. Dazu wurde das trockene, ungebrannte Tongefäß mit Malereien aus flüssigem, gefärbtem Tonschlicker verziert, der aus der Öffnung eines kleinen Gefäßes, des Malhorns, floss. Der Auftrag der Muster musste jeweils möglichst in einem Strich erfolgen, was ein sehr fließendes Bild ergab. Dann wurde das ganze Gefäß mit einer farblosen bzw. hellgelben Bleiglasur überzogen. Die leuchtenden Farben entwickelten sich erst während des Brennens.40 Nicht unähnliche bemalte Irdenware ist zuerst im Werra-/Weserraum belegt. Über die Wege der Beeinflussung herrscht noch keine endgültige Klarheit. Die Mehrheit der Forscher hält aber eine nur mittelbare Beeinflussung der niederrheinischen Töpfer durch den

37 38 39 40

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Burhenne u. a. 1991, 27 ff Burhenne u. a. 1991, 27 ff Burhenne u. a. 1991, 26 mit Abb. 1 Burhenne u. a. 1991, 16 ff


Werra-/Weserraum für wahrscheinlich. Deren Maltechniken seien über Töpfer aus Friesland an die niederrheinischen Töpfer vermittelt worden.41 Malhornbemalte Irdenwaren wurden in Neuss sehr häufig in den stadtarchäologischen Ausgrabungen gefunden.42 Hier sollen als Beispiel die Funde aus der Brunnenverfüllung vom Viehmarkt dienen (vgl. Abb. 115).43 Die Teller und Schüsseln wurden mit konzentrischen gelben Kreisen und Wellenbandmustern rund um die Fahne oder um den Spiegel verziert, der Spiegel zeigte florale Motive oder auch Vögel in gelb, grün und rot oder das Christusmonogramm IHS. Ein besonders beliebtes Motiv war Anfang des 17. Jahrhunderts die Tulpe. Fortwährend neu gezüchtete Tulpen galten als Statussymbol, und Tulpenzwiebeln wurden zu horrenden Preisen gehandelt bis im „Börsencrash” des Jahres 1637 der Markt zusammenbrach.44 Weitere neue Irdenwaregefäße waren tassenartige Schalen mit einem, später bis zu drei quergestellten Henkeln, wie z. B. die grün glasierte Frechener Tasse von der Oberstraße 21-23 (Abb. 74).45 In späterer Zeit dienten ähnliche Schalen als Branntweinschälchen.46 Es liegt nahe, auch diese Vorläufer als ein kleines Behältnis für ein Genussmittel anzusehen. In den folgenden Jahrhunderten passten die Töpfer die niederrheinischen Irdenwaren immer weiter an die Bedürfnisse der Verbraucher an, die für immer differenziertere Zwecke spezielle Keramikformen wünschten. Die verzierten Schüsseln oder Teller blieben aber als Zier- und Prunkschüsseln bis weit in 74 Kleiner Teller auf Standfuß und Henkelschälchen aus bleiglasierter Irdenware vom Hamtordas 19. Jahrhundert hinein wall und von der Oberstraße bestehen.

Schank- und Trinkgeschirr Ebenso wie das Essgeschirr wurde auch das Trinkgeschirr im 16. Jahrhundert zum Prestigegut für immer mehr wohlhabende Bürger. Weiterhin bestand es zum größten Teil aus Steinzeug. Einfache Schankkrüge und -kannen blieben mit nur kleinen Formänderungen der Tradition des 15. Jahrhunderts verhaftet. Aber gerade für das Schankgeschirr wurden im 16. Jahrhundert neue Formen entwickelt und aufwändig dekoriert.

41 42 43 44 45 46

Gaimster 2006, 75 Vgl. Zangs 2004 Sauer 1993, 113 -115; siehe den Beitrag von Sabine Sauer mit Abb. Sauer 2004, 64 Hupka 1988, 93 Schulten-Nees/Jüttner 1971, 182

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75 Trinkgeschirr aus Steinzeug Kölner oder Frechener Art vom Büchel, Hamtorwall und Minoritenkloster

Jede der großen Steinzeugtöpfer-Regionen bildete dabei ihren eigenen Stil aus, wenn auch natürlich sowohl Anregungen als auch Töpfer zwischen ihnen hin- und herwechselten. Hier würde es zu weit führen, die Entwicklung des Steinzeugs im 16. Jahrhundert aufzuzeigen, und wir wollen uns darauf beschränken, einige für Neuss bestimmende Tendenzen aufzuzeigen (Abb. 75 und 76).47 Das höhere Schmuckbedürfnis wurde in den einzelnen Töpferzentren unterschiedlich umgesetzt: In Köln und Frechen wurden aus dem dortigen grauen Ton sehr bauchige, enghalsige Krüge mit glattem Standboden, brauner Engobe und Salzglasur hergestellt. Viele Krüge trugen mehrere große Medaillonauflagen mit ganz unterschiedlichen Darstellungen wie z. B. Porträts oder Wappen oder viele kleine Auflagen in Beeren- und Blätterform, die flächendeckend angeordnet waren. Oft lief um den Gefäßbauch ein Schmuckband.

76 Trinkgeschirr aus Steinzeug Siegburger Art vom Büchel und vom Hamtorwall

47

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Vgl. grundsätzlich zum Folgenden: Reineking-von Bock 1986, Gaimster 1997


Sehr beliebt waren die sogenannten Bartmannkrüge, die auf dem Hals eine Auflage trugen, die ein bärtiges Männergesicht zeigte. Solche Krüge wurden besonders nach Großbritannien und Nordamerika, aber ebenso darüber hinaus verhandelt.48 Auch aus Neuss sind Bartmannkrüge belegt: Ein kleiner, braun engobierter, salzglasierter Bartmannkrug wurde in der Verfüllung des Brunnens am Markt 32 gefunden und stammt wahrscheinlich aus Frechen. Als Verzierung trägt er nur eine stilisierte Bartmannmaske mit langen Haaren und spitzovalem Bart. Er datiert an das Ende des 16. Jahrhunderts (Abb. 75). Ebenfalls aus Frechen dürfte ein etwas älter zu datierender, dunkelbraun engobierter und salzglasierter Bartmannkrug stammen, der an der Promenadenstraße gefunden wurde (Abb. 75).49 Das bärtige Gesicht wirkt edler als das oben beschriebene, und sein Bart ist rechteckig gestutzt. Den Gefäßkörper schmücken Blatt- und Medaillonauflagen, die die Seitenansicht eines bärtigen Mannes zeigen. Um den Gefäßbauch verläuft ein Inschriftenfries mit spiegelverkehrtem unleserlichen Text, der also rein ornamentale Funktion hatte und nicht tatsächlich gelesen werden sollte. Auch einfaches Steinzeuggeschirr war weiterhin in Gebrauch: Ebenfalls vom Markt 32 stammt ein hellbraun-grauer, nur teilweise braun engobierter und mit Salzglasur überzogener bauchiger Krug mit engem Hals, der aus Frechen kommen dürfte (Abb. 75). In Siegburg behielt man die traditionellen Trichterhalsbecher bei, zunächst mitsamt Wellenfuß, später mit abgesetztem Standfuß. Man verzierte sie jedoch aufwändiger und perfektionierte die hellbeige Farbe mit gleichmäßiger Salzglasur. Die Gefäßkörper trugen runde Medaillonauflagen mit ganz unterschiedlichen Abbildungen, wie Porträts, szenischen Darstellungen oder auch Rankendekor. Solche Becher sind auch in Neuss gefunden worden, z. B. am Büchel und am Hamtorwall (Abb. 76). Ein Trichterhalsbecher ist mit aufgelegten Distelranken verziert, ein anderer zeigt eine beliebte biblische Darstellung: das Opfer des Abraham.50 Dazu kamen als Trinkgeschirr die lang-konischen Schnellen, die in Neuss z. B. am Hamtorwall gefunden wurden, und als Schankgeschirr eine kugelbauchige sogenannte Pulle mit Rankenmedaillonauflage vom Büchel (Abb. 76). Gegen Ende des 16. Jahrhunderts wurden in Siegburg außerdem unglasierte hellgraue einfache Becher oder solche mit konischem Gefäßkörper auf kleinem, abgesetzten Standfuß entwickelt. Als Verzierung zeigen sie eleganten Stempeldekor in senkrechten Feldern, wie z. B. das Exemplar vom Hamtorwall 16 (Abb. 76). Die Vermutung liegt nahe, dass diese Becher geschliffene und verzierte Trinkgläser imitierten. Trinkgläser waren im 16. Jahrhundert für viele Bürger erschwinglich, aber es ist nicht ohne weiteres vorauszusetzen, dass die qualitätvollen Siegburger Becher preiswerter als einfache Gläser waren. Trinkgeschirr aus Köln bzw. Frechen und solches aus Siegburg konnten nicht verwechselt werden und sie spiegelten sehr unterschiedliche Geschmäcker wider. Wurden sie von unterschiedlichen Haushalten oder als zwei unterschiedliche „Services” benutzt? Tatsächlich war das Steinzeuggeschirr des 16. Jahrhunderts wegen seiner Dekorationsfreude sehr vielfältig. Viele Gefäßformen und -verzierungen, auch aus den anderen

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Gaimster 1997, 208 ff Vgl. Reineking-von Bock 1986, 238, Nr. 285 Vgl. Reineking-von Bock 1986, 203

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Töpferzentren, sind in Neuss bisher nur selten oder als Scherben belegt und wurden für diesen knappen Überblick außer Acht gelassen. Alle bisher vorgestellten Steinzeuggefäße hatten eine beige bis braune Farbe. Doch am Ende des 16. Jahrhunderts kam ein neues Farbempfinden auf: In allen Steinzeug-Töpfereizentren begann man Steinzeug herzustellen, das zusätzlich zu vielen kleinen Auflagen und Stempelmustern mit blauer Farbe bemalt war. Fortan beherrschte beige-blaues und graublaues Steinzeug aus dem Westerwald den Markt.

Ausblick Ungefähr seit dem 17. Jahrhundert sind in Neuss hochwertige Fayencegefäße und chinesisches Importporzellan belegt, seltene Luxusgeschirre, aus denen vermutlich die neuen Genussmittel Branntwein, Kaffee und Tee getrunken wurden.51 Die einfachen bleiglasierten Irdenwaren bildeten dagegen auch in den folgenden Jahrhunderten das alltägliche Haushaltsgeschirr in Neuss und am Niederrhein. Das nun fast ausschließlich grau-blaue Steinzeug blieb ebenfalls auf einfaches Vorrats- und Küchengeschirr beschränkt. Bemalte Irdenwareschüsseln und -tassen bildeten aber feste Bestandteile des Tafelgeschirrs, bis sie im 19. Jahrhundert von industriell gefertigtem Steingut und schließlich Porzellan verdrängt wurden.

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Weyer 2004


Carl Pause

Spaenverckelgen, Basteten und Gourtte in de Wurst – Was in Neuss vor 500 Jahren auf den Tisch kam Die Liste der in Neuss im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit gegessenen Tier- und Pflanzenarten, die sich anhand der historischen und archäologischen Quellen rekonstruieren lässt, wirft die Frage auf, welche Speisen denn aus diesen Nahrungsmitteln zubereitet wurden. Da sich keine Neusser Kochbücher des 16. und 17. Jahrhunderts erhalten haben, ist man bei der Rekonstruktion der Speisen auf die Hinweise in Schriftquellen wie Urkunden oder Rechnungsbüchern angewiesen. Auch wenn diese zumeist nur ungenaue Angaben zum Thema Essen und Trinken enthalten, so geben sie doch in der Summe zumindest eine Vorstellung davon, welche Speisen man wie und zu welchen Gelegenheiten aß. Eine dieser Quellen stammt aus dem Jahr 1434. In ihm gaben Jelis von Achen und Alveradis vom Bongart eine Stiftung an das Neusser Klarissenkloster (Abb. 77) und legten dabei fest, dass nach ihrem Tod viermal im Jahr ein jairgetzide (Gedenkessen) zu ihren Ehren im Kloster abgehalten werden sollte: Det eirste jairgetzit sal man halden up vigilia annunciacionis dominice, up denselven dach nemen III malder roggen ind da van geven zweierleie gerichte van vischen gesoeden ind gebraeden mit crude of in pfeffer, wie man dat wilt, ind dar zo ietlich suster ein porcie gudes wines.1 Das erste Essen für die Klarissinnen sollte also zu Mariä Verkündigung am 25. März, d. h. in der österlichen Fastenzeit, stattfinden und mit dem Verkauf von 3 Malter Roggen, der aus einer mitgestifteten Rente eines Hofes stammte, finanziert werden. Es sollten zwei ver77 Das Klarissenkloster in Neuss, Ausschnitt aus schiedene Gerichte mit gekochtem und gebratenem Fisch serviert der Stadtansicht von Braun und Hogenberg. werden, die mit Kräutern gewürzt oder als Pfeffer zuzubereiten waren. Kolorierter Kupferstich 1588. Clemens-SelsMuseum Neuss, Slg. Rabe Das zweite Essen war für den Sonntag nach dem Gedenktag des Heiligen Franziskus (am 4. Oktober) vorgesehen. Zu diesem Anlass sollten Rindfleisch, gebratene Gänse und Enten sowie eine gute Portion Wein für jede Klarissenschwester gereicht werden: Dat andere jairgezit sal man halden allewege des neisten sondages na Francisci, so sal man nemen drei malder roggen, van wilchen man geven sal rintfleisch ind gut gebraet dar zo von gensen ader antvoegeln, ind ietlich suster eine porcie gudes wines dar zo vor broder Jelis ind suster Alverit vurschreven ind alle deijene dar si dat vor begerende sin 2 Das dritte Gedenkessen war für den Todestag des Jelis, das vierte für den Todestag der Alveradis vorgesehen, wobei die Speisefolge für beide Festmahle gleich sein sollte. Zu diesem Essen waren – unter Beachtung der Fastengebote – zweierlei Fisch- bzw. Fleischgerichte zu reichen. Bei dem ersten Gericht sollte das Fleisch mit Gewürzen oder als Pfeffer gekocht, beim zweiten gebraten werden:

1 2

Tücking 1891, 47 Tücking 1891, 47

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Item up den selven dach dat broder Jelis stirfet int vort alle jair als sin jairgezide is, up den selven sal man aver nemen III malder roggen zo zweierleie gerichte van vische oder vleisch wie dat genoget ind ein porcie gudes wines up den selven dach einer ietlicher suster zo geven, it en were dan sache, dat ein grois hoegeziet of eine groisse vigilie dan were, want so sal dat zer stund des anderen dages erfallen. Is it aver gudensdach of saterdach, so sal man geven zweierleie gerichte van vischen ind nit warden des fridages, umb af zo trecken dat man fridags plit zo geven. is it aver sondach, maendach, dinsdach ader donersdach, so sal man geven vleisch mit crude gesoeden ader in pfeffer ind gebraet dar zo, wat dan zidich is. it en were dan sache dat he storfe up einen fridag of in dem advente ader vasten, want so sal man geven vische ind dat herliche und kostliche ind tzweierleie gerichte.3 Die Stiftung eines weiteren festlichen Gedenkessens für die Klarissinnen ist aus dem Jahr 1452 überliefert. Das alljährliche Essen sollte wiederum mit dem Ertrag der Jahrrente eines Hofes finanziert werden. Jede der Schwestern sollte am Tag Mariae Empfängnis, dem 8. Dezember, einem Fastentag, zum Mittagsmahl ein Stück von einem Lachs oder einem gleichwertigen Fisch in Öl oder Butter mit Mandeln erhalten. Dazu sollten sie eine Pinte Wein sowie am Walpurgistage eine weitere Pinte erhalten.4 Als Gegenleistung waren die Schwestern gehalten, für das Seelenheil der Stifterin Eva von Harlis sowie ihrer Eltern und Verwandten zu beten. Bei den Gedenkessen im Klarissenkloster handelte es sich um Festessen, bei denen andere Gerichte als im Alltag serviert wurden. Die Schenkungsurkunden nennen nur die aus Sicht der damaligen Menschen wichtigen Bestandteile der Speisen wie Fisch, Fleisch, Öl, Butter, Mandeln und Gewürze. Wie die Gerichte genau zubereitet werden sollten und ob zu ihnen auch Brot oder andere Beilagen gegessen wurden – was zu vermuten ist –, wurde damals anscheinend als bekannt vorausgesetzt bzw. als unwichtig erachtet und nicht weiter ausgeführt. Einblicke in den Ablauf bürgerlicher Festessen geben die „Amtsbriefe”, die Zunftordnungen der Neusser Handwerker. In ihnen wird festgehalten, welche Speisen ein neu aufgenommener Meister (Abb. 78) als „Einstand” bei seinem Amtsessen zu kredenzen hatte. Hintergrund dieser Bestimmungen ist offensichtlich die Befürchtung, dass die Veranstaltungen zu einem Wettbewerb unter den einzelnen Meistern um immer größere und prächtigere Gelagen und letztendlich zu ruinösen finanziellen Folgen für die Teilnehmer ausufern könnten. 1549 bestätigten die Neusser Bürgermeister und Schöffen sowie der Rat die aus dem Jahr 1461 stammende Ordnung der Leinweber.5 Die Zunftordnung enthält die älteste überlieferte Beschreibung eines Amtsessens aus Neuss: Die neuen Meister sollten wie von alders gebruichlich und oefflich, also wie von alters her gebräuchlich und üblich, ein schink, ein stuck rintfleisch samt einem halven verkensheuft und braitworsch geben. Das Fleisch – Schinken, Rindfleisch, Ferkelkopf und Bratwurst – wurde vermutlich nicht frisch zubereitet, sondern war durch Räuchern oder Pökeln haltbar gemacht worden. Die altertümliche Sprache, in der die Bestimmung zum Amtsessen 1549 abgefasst wurde, verrät, dass man diesen Passus aus den alten, bereits 1461 abgefassten Statuten wörtlich übernommen hatte.

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Tücking 1891, 47 Tücking 1891, 54 Lau 1911, 232


78 Kölner Bürger und Bürgerinnen in zeitgenössischer Tracht. Ähnlich dürften man auch in Neuss gekleidet gewesen sein. Kolorierter Kupferstich, 1. Hälfte 17. Jahrhundert. Clemens-Sels-Museum Neuss, 1986.009

1570 bestätigte die Stadt einen älteren, nicht mehr erhaltenen Amtsbrief der Hutmacher, der wohl ebenfalls aus dem 15. Jahrhundert stammte.6 In dem neu aufgesetzten Dokument legte sie fest, dass ein neu aufgenommener Meister beim Amtsessen eine ehrliche schussel mit hartem fleisch, einen Hollendischen vier- oder funfpfundigen kees samt notturftigem brot, also Rauchfleisch bzw. Schinken, holländischen Käse und Brot zum zechmal reichen sollte. Dazu sollte jedem Meister ein Quart (ca. 1,5 l) Wein ausgeschenkt werden. Der für heutige Verhältnisse hohe Pro-Kopf-Verbrauch an Wein erklärt sich dadurch, dass der mittelalterliche Rebensaft offensichtlich deutlich weniger Alkohol enthielt und daher auch in größeren Mengen genossen werden konnte. Ähnliche Vorgaben wie die Statuten der Hutmacher enthält auch der 1575 aufgestellte Amtsbrief der Schneider. Ein neu aufgenommener Schneidermeister musste seinen Amtsbrüdern eine schussel hartes fleischs von vier stuckeren und einen Nidderlendischen kees samt notturftigem brot sowie wiederum jeweils ein Quart Wein auftischen.7 Die vier in einer Schüssel servierten Stücke Rauchfleisch bzw. Schinken wurden vermutlich nicht roh serviert, sondern vorher in einem Schinkenkessel gekocht. Der Käse stammte wiederum aus „Holland” – offensichtlich betrieb man in der Neusser Umgebung keine Milchwirtschaft größeren Umfanges. Dass das in den Amtsbriefen genannte „harte Fleisch” nicht roh, sondern gekocht serviert wurde, zeigt der 1579 erlassene Amtsbrief der Bäcker: Und solle alstan erstlich eine schussel gereuchten fleisch mit ertzen durchgeschlagen aufsetzen, vort demnach zwa schusseln grönes fleisch und zwahe schusseln gebraetz, und hernacher botter, kees, wegk, brot, bier, epfel und knapkoeche 8

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Lau 1911, 249 Lau 1911, 252 Lau 1911, 259

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Das geräucherte Fleisch sollte mit Erbsen durchschlagen, also wohl als eine Art Erbseneintopf gekocht werden. Ebenfalls gekocht wurde wohl auch das „grüne”, also frische Fleisch. Als Nachspeise dienten Äpfel und Knappkuchen, als Getränke Bier und Wein. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts verdrängte das Bier mehr und mehr den Wein bei den Amtsessen der Neusser Handwerker: Der 1592 verabschiedete Amtsbrief der Schmiede nennt als Bestandteile des Amtsessens Brot, eine schussel mit hardem fleisch, darzu notturftig botter und kees sowie als Getränke Bier und eine mass Wein für jeden Amtsbruder.9 Als man 1594 den 1549 aufgestellten Amtsbrief der Leineweber erneuerte, modifizierte man einige der Bestimmungen für das Amtsessen.10 Als Speisen sollte man zwar weiterhin eine schussel hardes fleisch, wie von alters preuchlich, nemlich ein schink, ein stuck geruchts rindfleisch, ein halb verkensheupt samt einer braitwurst, einen Hollendischen kees von 8 pfunden und sovil weiss und anderen broits, als darzu noetig reichen, doch an Stelle des Weines sollte nun Bier zum Essen getrunken werden. Die Amtsbriefe lassen erkennen, dass auch bei den Neusser Handwerkern das Festessen aus mehreren Gerichten bestand, dessen wichtigste Bestandteile Fleisch und Käse waren. Das Rauchfleisch und der Schinken wurden dabei nicht roh verzehrt, sondern zusammen mit Erbsen und anderen Gemüsen vermutlich zu einem eintopfartigen Gericht gekocht. Als „Sättigungsbeilagen” dienten (dunkles) Roggenbrot und Weißbrot, das „Dessert” bildeten Obst und Kuchen. Prunkvoller als das Amtsessen der Handwerksmeister fiel das Mahl aus, das ein neuer Bürgermeister bei seinem Amtsantritt zu geben hatte. Da die Gäste dem Bürgermeister gegenüber als Dank für die Einladung zu einem Gegengeschenk verpflichtet waren, bestand offensichtlich auch hier die Gefahr, dass eine Spirale des Schenkens und Beschenktwerdens mit erheblichen unkosten zu Lasten des Bürgermeisters in Gang gesetzt wurde. Daher sah sich der Rat 1560 genötigt, konkrete Vorgaben für den Ablauf der Antrittsessen am Gedenktag des Heiligen Paulus, dem 25. Januar, zu beschließen.11 Anstelle der bisher üblichen soppen sollte zu Mittag lediglich botter und keis neben gudem wein kredenzt werden. Nach Verlesen der rol, der feierlichen Ernennung der Bürgermeister, sollten dann kuechen an die Gäste ausgeteilt werden. Das principalessen, das eigentliche feierliche Mahl, war für den 3. Februar, den Tag des Heiligen Blasius, vorgesehen und sollte allein im Beisein der Ratsherren und ihrer Frauen sowie der Vierundzwanzigern, den 24 von den Neusser Bürgern für die Bürgermeisterwahl ernannten Wahlmännern, stattfinden. Außer den genannten Personen sollte der Bürgermeister nicht mehr als vunfzehen par volks von seinen bekanten und freunden sowie die edelluden und pfaffen zu diesem Essen einladen. Leider erwähnt der Ratsbeschluss nicht, welche Speisen beim principalessen gereicht werden sollten. Die Gefahr, dass der Umfang der Festessen ausuferte und für den Gastgeber ruinöse wirtschaftliche Folgen annahm, bestand offensichtlich auch bei den einfachen Bürgern, denn 1526 sah sich der Rat genötigt, in einer „Morgensprache” scharfe Reglements für derartige Feierlichkeiten einzuführen.12 Zum abendlichen Taufessen durften nur noch die Paten und die engsten Freunde geladen werden; zur Verlobung und am Abend vor der Hochzeit sollten lediglich die engsten Verwandten, nämlich die Eltern, Geschwister, Neffen und Nichten sowie das Gesinde kommen. Das Essen sollte dabei auf acht schottelen (Schüsseln) und bei Hochzeiten auf zwölf Schüsseln begrenzt sein. In den Schüsseln wurden unterschiedliche Gerichte serviert.13 Allerdings wurden diese Speisen nicht, wie heute üblich, nacheinander,

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Lau 1911, 265 Lau 1911, 269 Lau 1911, 237 f Lau 1911, 200 f Laurioux 1999, 124 f


sondern – zu einzelnen Gängen zusammengefasst – gleichzeitig aufgetragen. Allerdings konnte sich nicht jeder Gast aus allen Schüsseln bedienen, denn die hochwertigeren Gerichte waren nur den sozial Höhergestellten an der Tafel vorbehalten. Beschränkungen gab es auch für die Beerdigungsfeiern: In der Zeit zwischen dem Todestag und der Beerdigung durften nur enge Familienangehörige miteinander (festlich) speisen. Zum Totenmahl am Tag der Beerdigung waren nur so viele Trauergäste einzuladen, wie mit zwölf Schüsseln Essen gesättigt werden konnten – nicht mitgerechnet sind hier allerdings Eltern, Geschwister, Nichten und Neffen, das Hausgesinde, Priester und Geistliche und auswärtige Gäste! Zwei anlässlich der Äbtissinnenwahl im Stift St. Quirin angefertigte Rechnungen geben Einblicke in die Festkultur des Neusser Adels während der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Da sich Neuss in dieser Zeit bereits im wirtschaftlichen Niedergang befand, dürften die Feiern nur ein Abglanz früherer Festivitäten zu ähnlichen Anlässen gewesen sein. 1641 – am Ende des Dreißigjährigen Krieges, ein Jahr vor der Schlacht bei St. Tönis und der Besetzung von Neuss durch hessische Truppen – begannen die mehrwöchigen Feierlichkeiten im Stift am Aschermittwoch, dem 13. Februar, mit einem großen Festessen.14 Da hierfür offensichtlich der Platz in den Stiftsräumen nicht ausreichte, mietete man für 2 Gulden und 3 Albus den Schutzen Suller, den Versammlungsraum der Neusser Schützen im Kaufhaus. Das geplante Bankett überschritt wohl bei weitem die Kapazitäten und Möglichkeiten der Stiftsküche, so dass zusätzliches Personal engagiert werden musste: Meister Cornelius, der Koch, und Meister Diethrich, der ebenfalls aus Düsseldorf angereiste Aufwarter, zwei ausgesuchte Spezialisten ihres Faches, wurden in einer Herberge untergebracht und dort u. a. mit einer soppen und mit 7 Quart Wein beköstigt. Die anderen beiden Aufwarter – der halffman zu vdeßheim und Mr. Zilliß schneider – fassten ihre Tätigkeit als Ehrenamt auf und verzichteten auf eine Entlohnung. Eineinhalb Tage lang wurden sie von einer Hilfskraft namens heinrich unterstützt. Den Koch unterstützten drei Frauen an drei Tagen mit schauren, schußelspuelen vnd sonsten in der Küche. Für die Zubereitung der Speisen wurden für etwa 10 Gulden ein maß druggen boucken holtz, also trockenes Buchenholz, und für 22 Albus waldkolen (Holzkohle) beschafft. Da die Wahl der neuen Äbtissin in der Fastenzeit stattfand, wurde bei den Mahlzeiten kein Fleisch, sondern nur Fisch serviert. In Köln kaufte man 200 Austern,„süßen” Bückling, Stockfisch, frische Flundern, Spierlinge, Bolche und „Rheinfisch”. Karpfen erstand man in Derikum – hier gab es wohl entsprechende Fischteiche. Ein Bote holte weiteren Fisch aus Millendonk, wo man offensichtlich in den Schlossgräften eine Fischzucht betrieb. Einen Lachs von 26,5 Pfund und einen Hecht von 9 Pfund kaufte man von Kaiserswerther Fischern. Bei „Jungfer” Margrett Hermes, einer offensichtlich selbständigen, unverheirateten Gewürzhändlerin, erstand man schließlich noch neben diversen Gewürzen 200 Heringe und 14,5 Pfund Laberdan (in Salz eingelegten Kabeljau). Bei einem Händler oder Fischer namens Conrad Becker kaufte man weitere 66 Pfund Fisch, u. a. Hechte, Brassen und Köhler. Das Fleisch von Lachs, Karpfen, Hecht, Brasse und Köhler wurde durch sieden, backen vnd braten zubereitet oder für basteten bzw. taten verwendet. Die Pasteten und Torten ließ man ebenso wie Brot und Wecken bei der backerschen backen, die insgesamt 2 ¼ Sümber Weizen und 3 Sümber Roggen verarbeitete. Eine große Anzahl an Gewürzen, die man u. a. bei der Gewürzhändlerin Margrett Hermes erstand, war wohl in erster Linie ebenfalls für die Zubereitung der Pasteten bestimmt. Zu ihnen gehörten Pfeffer, Ingwer, Nelken und Muskat und wohl auch Korinthen. Mit den „heißen” und „trockenen”, also scharfen Gewürzen sollte

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Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 50, 1- 4

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79 „Der reiche Mann ergötzt sich an der Tafel“. Kupferstich von Heinrich Aldegrever, 1554. Verschiedene Aktionen sind als zeitgleich dargestellt und verdeutlichen den Zusammenhang zwischen Essen und Gesundheit: das festliche Mahl bei Flötenmusik, der Aderlass (links), das Bad (rechts) und die Urinschau (hinten rechts). Clemens-Sels-Museum Neuss, 1981Gr1311

offenkundig die Wirkung der im Sinne der Humoralpathologie „kalten” und „nassen” Fischgerichte ausgeglichen werden. Nach der von den griechischen Ärzten Galen und Hippokrates entwickelten Lehre besteht der menschliche Körper aus den vier Körpersäften Blut, Schleim, schwarze Galle und gelbe Galle, welche die Eigenschaftspaare warm und feucht, kalt und feucht, kalt und trocken bzw. warm und trocken besitzen.15 Ein Übermaß an Blut, Schleim, schwarzer oder gelber Galle ruft beim Menschen ein sanguinisches, phlegmatisches, melancholisches bzw. cholerisches Temperament hervor. Durch eine gezielte Diät, also durch eine geschickte Kombination der Eigenschaften, die die einzelnen Speisezutaten besitzen, können das Temperament und somit die Gesundheit des Menschen positiv gesteuert werden: Durch das Würzen mit Pfeffer und Ingwer lassen sich also die „Kälte” des im Winter genossenen Fisches verringern und Erkältungen vermeiden (Abb. 79). Wohl ebenfalls für die Zubereitung der Fischgerichte wurden die folgenden, in der Rechnung aufgeführten Zutaten verwendet: 42 Pfund gesalzene und 6 Pfund ungesalzene Butter, sechs Quart Weinessig, zwei reien vlligh (Zwiebelzöpfe), zwölf kappus (Kohlköpfe), sieben Quart Milch und alte Wecken. Ein Pfund Mostermeell wurde zusammen mit einem Quart Wein zu einer Mostart genannten Gewürzsauce verarbeitet. Die Pasteten und Torten wurden offensichtlich mit Hilfe von Papier verziert oder zu kunstvollen Gebilden geformt, denn nach Angabe der Rechnung kaufte man für 2 Albus papeir vor den koch. Wohl im Anschluss an die Fischgerichte wurde der in der Rechnung aufgeführte Hollendische keeß serviert. Als Nachspeise dienten die aus Köln in einer eigens hierfür bestimm-

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Laurioux 1999, 12 f; Ehlert 2000, 23 f


ten Kiste geholten confecturen, zu denen dicke und runde spanische bisquitten, Zitronenbiskuits, Kandiszucker, weiße Printen, Feigen, Esskastanien, Nüsse und kandierte Früchte zählten. An Getränken wurden 16 Quart brewers bier (Festtagsbier aus der Brauerei) und 106 Quart (ca. 150 l) Wein, den man größtenteils von einem Händler namens Spor holte, konsumiert. Für die musikalische Untermalung des Festes sorgte ein trompetter. Mit dem Festmahl zu Aschermittwoch waren die Feierlichkeiten im Stift aber noch nicht beendet. Zwei Tage später, am 15. Februar, bewirtete der Stiftsverwalter den Dechanten Maeß und seine Frau, die Stiftsdamen Edl, Newhoff und Oelwigh, die Jungfer Senior und D. Hambloch in seinem Haus zu Mittag, wobei die Gäste acht Quart (ca. 12 l) Wein vertranken. Die eigentliche Äbtissinnenwahl fand aber erst am 27. Februar statt. An diesem Tag stieß man mit vier Quart Wein an. Das Mittagsmahl nahmen die beiden wohl für die Abfassung der Ernennungsurkunde herbeigekommenen Notare nebst zwei Zeugen und dem halbman von vdeßheim im Haus des Stiftsverwalters ein, der seinen Gästen Laberdan, Stockfisch, Hering und Wecken sowie weitere 13 Quart Wein servierte. Am 28. Februar sowie am 1., 2., 3. und 5. März wurde bei weiteren feierlichen Anlässen im Zusammenhang mit der Äbtissinnenwahl lediglich Wein getrunken. Am 23. November 1650 musste im Stift St. Quirin erneut eine Äbtissin gewählt werden, denn die bisherige Amtsinhaberin Elisabeth von Neuhof hatte am 5. November des Jahres geheiratet.16 Da die Stadt durch die lange hessische Besatzung in eine äußerst prekäre wirtschaftliche Situation geraten war, fielen die Feierlichkeiten, die bereits im September begonnen hatten, deutlich bescheidener aus als neun Jahre zuvor.17 Für die Zeit vom 23. bis zum 25. September wurden ein Koch – Meister Jan – sowie eine unbekannte Anzahl Auffwarter und Lvchtentrager für das Festessen verdingt, die an diesen drei Tagen 42 Quart (ca. 60 l) Wein vertranken. Da die weihnachtliche Fastenzeit noch nicht begonnen hatte, stand Fleisch auf dem Speiseplan. Insgesamt kaufte man für das Fest: zwei Kälber, 134 Pfund frieschochsenfleiß (frisches, also nicht gedörrtes Ochsenfleisch), 22 Pfund Rindfleisch, das zu Pasteten verarbeitet wurde, zwei Spaenverckelgen, zwei Hammel und zwei Hasen. An Geflügel wurden gegessen: vier Gänse, zwei Kapaune, elf Schnepfen,19 hannen (Hähnchen), 11 gebundt Cramels vogell (Wacholderdrosseln) – und vier Truthähne (Abb. 80). Die ursprünglich aus Nordamerika stammenden Truthähne waren vermutlich über die Niederlande an den Niederrhein gelangt, wo sie nun gezüchtet wurden: Drei der jndianischen hannen wurden in Düsseldorf gekauft, einer stammte aus dem Haus des Secretario Wirsingh in Neuss! Da man das Fleisch frisch, d. h. gebraten oder gekocht, essen wollte, wurden die Tiere erst 80 In der Rechnung des Stifts St. Quirin aus dem Jahr 1650 werden u. a. kurz vor dem Beginn der Feierlichkeiten geIndianische Hannen (Truthähne), Kastanien, Zitronen, Kapern und Oliven schlachtet. Ein Teil der Tiere wurde an einem genannt. Pfarrarchiv St. Quirin

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Wisplinghoff 1989, 327 Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 50: Abrechnung der Ausgaben für die Äbtissinnenwahl 1650

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Spiß gebraten, den man sich hierfür in der Stadt auslieh. Die 9 ½ Pfund Speck, die man bei der Frau des Dechanten kaufte, waren wohl ebenso für die Zubereitung der bereits erwähnten Pasteten bestimmt wie die 47 Pfund Butter und die 5 ½ Quart Milch, die man erstand. Eine besondere Delikatesse waren wohl die drei Rinderzungen, die man für über 3 Gulden erwarb. An Gemüse werden in der Rechnung lediglich vlligh (Zwiebeln) sowie blomenkuell, Saffrische koull und Radieschen genannt. Als Exotica erscheinen noch 20 Citronen und 1 Quart Oliven. Zum Essen reichte man wecken und brodt. Womit die Speisen gewürzt waren, ist leider nicht überliefert, da die betreffende Rechnung im Pfarrarchiv von St. Quirin nicht erhalten ist. Allerdings wurde das gewurtz nicht in Düsseldorf oder Köln, sondern zusammen mit diversen confecturen in franckreich, d. h. vermutlich in der heutigen Wallonie gekauft. Weitere confecturen erstand man bei einem Düsseldorfer Zuckerbäcker. Aus Reismehl und roßenwasser Aneiß wurde vermutlich eine Süßspeise zubereitet. Ebenfalls als Dessert wurden bieren (Birnen) und castanen (Kastanien) gegessen. Im Ancker, einem Wirtshaus an der Oberstraße, besorgte man ein Ohm (ca. 21 l) Wein. Weitere 9 ½ Quart Wein vertrank man neben 3 Quart Bier in der Zeit biß ahn dem Waltagh bei diversen Gelegenheiten. Im Vergleich zu der 1641 abgehaltenen Feier war der Alkoholkonsum im Stift deutlich zurückgegangen. Die 1641 und 1650 im Stift St. Quirin konsumierten Speisen unterscheiden sich deutlich von denen, die die Amtsbriefe der Handwerker nennen. Ins Auge fällt zum einen die Menge, zum andern die überaus große Vielfalt der kredenzten Speisen und Gerichte, unter denen sehr viele aus dem Süden importierte Lebensmittel vertreten sind. Während das Essen der Handwerker wohl in einem großen Kessel zu einer Art Eintopf gekocht war, bekamen die adligen Stiftsdamen und ihre Gäste raffiniert zubereitete und aufwändig dekorierte Speisen serviert, unter denen vor allem Pasteten in verschiedenen Varianten vertreten waren. Festliche Gastmahle wurden in Neuss auch in dem für die Versorgung der Armen und Kranken bestimmten Hospital zum Heiligen Geist abgehalten. Dies war vor allem zur kyrmis im Juni und im Oktober sowie zu Fastnacht der Fall. Die Teilnehmer an diesen Festivitäten sind nicht namentlich überliefert, doch verraten die bei diesen Anlässen kredenzten, erlesenen Speisen, dass in erster Linie die Provisoren des Gasthauses und eingeladene Honoratioren an dem Mahl teilnahmen. Entsprechend der Gepflogenheiten der Zeit ist aber davon auszugehen, dass auch die im Hospital versorgten Bedürftigen ebenso wie das Gesinde an den Festivitäten teilnehmen durften, allerdings wohl nicht von allen Speisen zu essen bekamen! Zur Herbstkirmes des Jahres 1581 veranstaltete man am Tag des Heiligen Dionisius, dem 9. Oktober, im Hospital ein festliches Bankett.18 Da die angedachten Speisen wohl die Möglichkeiten und Fähigkeiten der Gasthausmagd, die ansonsten die Gerichte zubereitete, überstiegen, wurden mehrere kochfrauen engagiert. Thegen de kyrmis, also kurz vor dem Kirmesfest, kaufte man 24 Pfund Rindfleisch, 3 Gänse, 5 Enten, 13 Hühner und einen hollensschen keeß von 8 Pfund. Während das Rindfleisch vermutlich zu Pasteten verarbeitet werden sollte, wurde das Geflügel gebraten oder gekocht. Ein Teil des Fleisches bzw. der Pasteten wurde möglicherweise zu kunstvollen Gebilden arrangiert, denn hierfür könnte das für 15 Heller gekaufte byndt garn benötigt worden sein (Abb. 81). Als Gemüse wurde kappis serviert. Für die Zubereitung eines besonderen, im Gasthaus nur an Festtagen servierten Gerichts wurde win jn de Ertzen, also Wein in die Erbsen gegeben. Wie das Gericht zubereitet wurde, ist leider nicht überliefert.

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StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche dionisius = 9. 10. 1581


81 „Salome präsentiert König Herodes Antipater das abgeschlagene Haupt Johannes des Täufers“. Auf dem Tisch eine als Pfau gestaltete Pastete. Öl auf Holz, nach Art des Frans Francken d. J. (1581 - 1642). Clemens-Sels-Museum Neuss, D1412

Gewürzt wurden die Speisen mit kruith – vermutlich heimischen Gewürzkräutern – und mit Essig; als Sättigungsbeilage diente Roggenbrot. Milchreis, der aus zwei Pfund Reis gekocht wurde, wurde zusammen mit Äpfeln, Beeren, Nüssen und kniepkuchen als Süßspeise zum Abschluss des Mahls serviert (Abb. 82). Die schouler, die Scholaren der Lateinschule des Stiftes St. Quirin, sorgten für die musikalische Gestaltung der Feierlichkeiten und erhielten 3 Albus für ihre Mühe. Wer noch an den Festlichkeiten teilnahm, lässt sich anhand der Getränkeausgaben erschließen: So erhielten der priester vnde scholmeister, die provener (Gasthauspfründner) und de nachbar vnd nachbar frauen jeweils vier Quart (ca. 6 l) Wein; insgesamt wurden also 12 Quart (ca. 18 l) vertrunken. Ähnliche Bankette wurden im Gasthaus, den Rechnungseinträgen nach zu schließen, auch in den folgenden Jahren zur Herbstkirmes veranstaltet.19 Ein ähnliches Festessen hielt man im Februar 1582 zur Fastnacht ab.20 Auch dieses Mal ließ man die Speisen von einer eigens bestellten Köchin zubereiten. An Fleisch verzehrte man: ein Lamm, zwei Kaninchen, drei Feldhühner, vier Kapaunen, vier Hühner, zwei bruthoner (Suppenhühner), einen Hasen sowie 17 Pfund Kalbfleisch. Auch das mit Wein zubereitete Erbsengericht durfte zu Fastnacht nicht fehlen. Gewürzt wurden die Speisen mit Ingwer, kruith und Essig. Besondere Zutaten stellten kapperen und

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82 Ein Putto isst süßen, mit Rosinen verzierten Brei (Milchreis?). Ausschnitt aus „Allegorie der Sinneslust“. Kupferstich von Jacob Matham (1571 – 1631). Clemens-Sels-Museum Neuss, 1981Gr1255

StA Neuss B.02.01 / VII 210, 2: Woche dionisij nach Remigij = 1. 10. 1582; StA Neuss B.02.01 / VII 210, 3: Woche dionisius, vnser kirmes gehalden = 1. 10. 1583; StA Neuss B.02.01 / VII 210, 4: Woche dionisius = 9. 10. 1584 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche matthias = 24. 2. 1582

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oliuen dar. An Süßspeisen servierte man Milchreis, der aus einem Pfund Reis und drei Quart (ca. 4,5 l) frischer Milch zubereitet wurde, Knappkuchen sowie weitere Desserts, die man vermutlich aus einem Pfund Zucker und Haselnüssen zubereitete. Ob die Gasthauspfründner von diesen Speisen essen durften, ist unklar, denn für die prouener kaufte man laut Rechnungsbuch zusätzlich heryng vnd stockfysch. Möglicherweise war der Fisch aber auch nur für die Versorgung der Pfründner außerhalb der Feierlichkeiten bestimmt. Aufschlussreich sind die Rechnungseinträge, die den Kauf von Wein betreffen: In der Woche vor Fastnacht holte man jn der quintinen, jn der blomen und vp de waeg, in drei Wirtshäusern auf der Oberstraße, insgesamt 35 Quart (ca. 52 l) Wein. Die Scholaren sangen nicht zur Fastnacht – offensichtlich passte die fromme Musik nicht zum feuchtfröhlichen Charakter des Festes. Zur mertaler kyrmis am 22. Juni 1582 wurde das nächste Bankett im Gasthaus gefeiert. Die Kirmes war nach den 1.000 Märtyrern benannt und wurde am Gedenktag des Heiligen Achatius, dem Anführer der 1.000 Märtyrer, gefeiert. Wiederum engagierte man für die Zubereitung des Essens eine kochfrau.21 Schon einige Tage vor dem Fest ließ man einen Sümber Weizen zu Wecken oder Pasteten backen. Da das Mahl in der Fastenzeit stattfand, gab es kein Fleisch, sondern nur Fisch zu essen: nämlich 7 Pfund kolfysch (Köhler), 3 Pfund „Lachs” (Forellen), 18 Pfund Karpfen und Brassen, 6 Pfund Hecht und 6 Pfund mackerelen (Nasen). Die offensichtlich bereits zerlegten Fische wurden vermutlich zusammen mit den ebenfalls gekauften Eiern als Pasteten zubereitet (Abb. 83). Auch die in der Rechnung genannten iiij pont forsser botter (4 Pfund frische Butter) wurden wohl für die Pasteten benötigt. Weitere Zutaten waren kruit, Wein und Essig. Daneben wurden Erbsen in Wein, ein hantkeeß sowie ein holländischer Käse von sieben Pfund serviert. Als Süßspeisen tischte man Milchreis – zubereitet aus einem Pfund Reis und drei Quart frischer Milch – , Knapp-

83 Reich gedeckte Tafel mit Pasteten. Ausschnitt aus „Der reiche Mann und der arme Lazarus“. Kupferstich von Claes Jansz. Visscher (um 1550 - um 1612). Clemens-Sels-Museum Neuss, 1981Gr1272

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StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche achatius = 22. 6. 1582


kuchen, Kirschen und wolberen auf. Zu dem Fest sangen die Scholaren der Lateinschule. Die preister vnd scholmeister erhielten ebenso wie die prouener (Pfründner) jeweils 4 Quart Wein. Auch in den folgenden Jahren beging man die Sommerkirmes im Gasthaus auf ähnliche Weise.22 Auch zu Weihnachten wurde im Gasthaus festlich gespeist – soweit es die weihnachtliche Fastenzeit, die vom Martinstag am 11. November bis zu Epiphanias (Dreikönig) am 6. Januar dauerte, zuließ. 1581 fiel der Heilige Abend auf einen Sonntag, der vom Fastengebot ausgenommen war. Einige Tage vor dem korsdach, dem Christ- oder Weihnachtstag, ließ man etwa einen Sümber Weizen zu Wecken bzw. Pasteten backen.23 Ferner kaufte man ein Kalb von 21 Pfund Gewicht, zwei Ochsen sowie zwei Ferkel, die von den fleysch heuers, den Fleischhauern, geschlachtet und zerlegt wurden. Zusätzlich schlachtete man zwei fercken (Ferkel) aus eigener Aufzucht (Abb. 84).

84 Langbeiniges Hausschwein. Die Verwandtschaft zum Wildschwein ist noch deutlich erkennbar. Ausschnitt aus „Der verlorene Sohn als Schweinehirte”. Kupferstich von Abraham Bloemaert (1566 -1651). Clemens-Sels-Museum Neuss, 1981Gr1376,10

Ein Festessen, dessen Anlass uns heute verborgen bleibt, wurde Anfang Juni 1583 in der Woche des Heiligen Bonifacius gegeben.24 Auf dem Speiseplan standen vier Kapaune, sechs junge Hühner und drei Kaninchen, die wohl mit Hilfe von byndtgarn zu kunstvollen Gebilden geformt und mit Essig, Kapern, Baumöl und kruith zubereitet wurden. Handkäse und neun Pfund holländischer Käse wurden ebenso wie Erbsen in Wein, Milchreis, Knappkuchen und Haselnüsse gereicht. Für die Zubereitung der Süßspeisen kaufte man ein Pfund Zucker. Aus der quintinen, der blomen und vp der waegen an der Oberstraße holte man insgesamt 23 Quart (ca. 34 l) Wein.

Am Dienstag nach Misericordia des Jahres 1584 hielt man im Gasthaus de Rechnung. An diesem Tag, dem 17. April, rechnete man offensichtlich die Einnahmen des Gasthauses aus dem vergangenen Jahr zusammen. Auch dies war wohl Anlass für ein Festessen.25 Unter Verwendung von einem Quart Essig, fünf Pfund frischer Butter, Kapern, kruith und Baumöl wurden ein Lamm, drei Feldhühner, ein Kalb sowie 15 Pfund Hammelfleisch zubereitet. Handkäse, acht Pfund holländischer Käse, Erbsen in Wein, Knappkuchen, Milchreis, Äpfel sowie ein Quart Haselnüsse rundeten das Mahl ab. Wiederum wurden in der blomen neun Quart ferme weyn sowie aus der quintinen und dem Haus zur Waage 11 flessen wyns (Flaschen Wein) herbeigeschafft. Abschließend soll noch kurz auf ein Gericht eingegangen werden, das in den Gasthausrechnungen einige Male in der vorösterlichen Fastenzeit genannt wird – den peffer.26 Das Gericht, das nicht mit dem gleichnamigen Gewürz zu verwechseln ist, wurde offensichtlich nicht als Festtags-, sondern als Fastenspeise gegessen. Seine Bezeichnung leitete sich von einer gleichnamigen Gewürzsoße her, die unter Verwendung von gestoßenem Zimt, Ingwer, Nelken und Pfeffer hergestellt und zur Zubereitung von Fisch- oder Fleischgerichten verwendet wurde.27 Welche Gewürze im Gasthaus verwendet wurden, verraten die

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StA Neuss B.02.01 / VII 210, 2: Woche Achat. = 22. 6. 1583; StA Neuss B.02.01 / VII 210, 3: Woche achatius = 22. 6. 1584 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche Thom. = 21. Dezember 1581 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 2: Woche bonifacius = 5. 6. 1583 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 3: Woche misericordia = 15. 4.1584 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche Reminiscere = 11. 3. 1582; StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche oculi = 18. 3. 1582; StA Neuss B.02.01 / VII 210, 2: Woche Oculi = 13. 3. 1583; StA Neuss B.02.01 / VII 210, 3: Woche Oculi = 4. 3. 1584; StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Reminiscere = 3. 3. 1624 Deutsches Wörterbuch 1854 -1960, Bd. 13, Spalte 1633 ff

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Rechnungen nicht – sie bezeichnen die Zutaten nur summarisch als kruith oder specerei. Auch über die Zubereitung des Pfeffergerichts geben sie keine nähere Auskunft, doch dürfte frischer Fisch ein wesentlicher Bestandteil des Fastengerichts gewesen sein, wie die mehrfachen Nennungen von Flundern und Spierlingen in der Fastenzeit nahelegen. Thom peffer gab man im Neusser Hospital auch jeweils ein Quart Honig. In der Woche Reminiscere des Jahres 1582 wurden zudem ein Sümber Roggen und ein Viertelsümber Weizen thom peffer verbacken. Welche Backwaren man herstellte, bleibt unklar, doch vermutlich handelte es sich nicht um Brot oder Wecken, sondern um Pasteten. Im Hospital wurde auch gewurstet: In der ersten Oktoberwoche des Jahres 1581 kaufte man vom Bartscherer Henrich Kluith zwei Ferkel, die zusammen 476 Pfund auf die Waage brachten.28 Die Tiere wurden noch in derselben Woche geschlachtet und von einem Metzger beschein (besehen bzw. auf Krankheiten untersucht). Ein Teil des Fleisches wurde zu Wurst verarbeitet: Dabei kamen ij loith peffer jn der wurst, d. h. ca. 30 g Pfeffer.29 Vier Wochen später kaufte das Gasthaus zwei ossen von dem Kaufmann Sveick (Abb. 85).30 Die Ochsen wurden zum Hospital getrieben, geschlachtet und vom knoeckenheuer zerlegt. Ein Teil des Fleisches wurde augenscheinlich in den Rauch gehängt, denn man kaufte byndt garn tho den fleiß vp to hangen. Das Endprodukt, ein Rinderschinken, dürfte dem heutigen Rauchfleisch entsprochen haben. Ein 85 Ein Viehhirte treibt Rinder. Ausschnitt aus einer Stadtansicht von Neuss mit Darstellung der Rheinanlandungen. Kolorierte Federzeichnung von Michael weiterer Teil des Ochsenfleisches wurde zu Hupertz, 1616. Clemens-Sels-Museum Neuss, D6657 Wurst verarbeitet. Sie entsprach wohl weniger einer heutigen Salami als vielmehr der Westfälischen Rinderwurst, einer Grützwurst, denn neben Pfeffer kam auch gourtte (Hafergrütze) in den Wurstbrei.31

86 Rheinschiff. Radierung von Wenzel Hollar, 1630/75. Clemens-Sels-Museum Neuss

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Im Herbst 1572 unternahm ein Gesandter des Stiftes St. Quirin eine Reise nach Boppard, um die dortigen Weinberge des Stiftes zu inspizieren. Seine Identität geht aus den Rechnungen nicht eindeutig hervor. Da es sich um eine „Dienstreise” handelte, wurden alle anfallenden Ausgaben sorgfältig in ein Spesenbuch eingetragen, das heute eine relativ genaue Rekonstruktion der Fahrt ermöglicht.32 Die Reise begann am 27. September, dauerte insgesamt etwa drei Wochen und wurde größtenteils mit dem Schiff durchgeführt (Abb. 86).

StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche Remigius = 1. 10. 1581 Vgl. Jtem fur iiij loith peffer jn de wurst: vj albus, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 2: Woche Gallus = 16. 10. 1582; Jtem fur iiij loith peffer jn de wurst: viij albus, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 3: Woche Seuerinus = 23. 10. 1583 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche Simon et Jude = 28. 10. 1581 vgl. „Jtem fur j fierdel gourtten yn de wurst: ij gulden iiij albus / Jtem fur ij loith peffer yn de wurst: vj albus”, StA Neuss B.02.01 / VII 210, 4: Woche Crispinus = 25. 10. 1584 Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 16


Vor Beginn der Reise wurden zwei Fässer mit Bier, das zuvor aus sechs Malter Malz gebraut worden war, verschiedene Käse, darunter hollanß keiß und kantert,33 Wecken, Brot, drei Dutzend Knappkuchen, Kappis, Zwiebeln und krut (Gewürze) als Proviant eingepackt. Eine Gans, zwei Enten und zwei Hühner sollten wohl die Versorgung mit frischem Fleisch sicherstellen. Das hamelfleiß und das ossenfleiß hingegen dürften getrocknet oder geräuchert gewesen sein. Am Abend des 1. Oktobers erreichte die Reisegruppe Boppard. Hier aß man am folgenden Tag zusammen mit dem Schultheiß zu Unkel, dem Stadtsekretär und dem Schiffer Christ sowie dessen Frau zu Abend. Dabei wurden laut Spesenbuch Speck, Wecken, Butter, Krammetsvögel (Wacholderdrosseln), Hammelfleisch, Stockfisch und peffer verzehrt sowie zwei Quart (ca. 3 l) Wein getrunken. Als man am nächsten Abend mit dem Sekretär und dessen haußfraw sowie dem Kellerer des hogen Closter speiste, kamen hingegen lediglich Butter, Hering, Bückling und Wecken auf den Tisch: Es war ein Freitag und damit ein Fastentag. Das nächste „Geschäftsessen” fand am Sonntag, dem 5. Oktober, statt. An dem Mittagsmahl namen vier Gäste vom Raedt der Stadt Boppard, der Propst der Propstei Hirzenach, der wingarder (Verwalter des Weinberges) von Welmich 34 und der Winzer des Weinbergs in Kamp teil. Auf den Tisch kam ein Gericht, das aus Gänsefleisch, Korinthen, Nelken, Baumöl und Essig von einem extra bestellten Koch zubereitet wurde. Zu dem Essen wurde Brot gereicht. Von einem weiteren Essen am 11. Oktober liegt nur ein in das Spesenbuch gehefteter Rechnungszettel vor, aus dem die Teilnehmer des Essens nicht hervorgehen. Laut Rechnungseinträgen wurden Ochsen-, Hammel- und Ferkelfleisch, Ochsenzunge, Stockfisch, reuckenbrait (Schweinebraten), Baumöl, Zwiebeln, Esskastanien und Wecken verspeist. Ein Teil des Fleisches wurde an einem Drehspieß über dem Feuer gebraten – der Junge, der den braden wandt, erhielt für seine Arbeit 3 Pfennige. In der Rechnung sind viele weitere Lebensmittel aufgeführt, von denen sich aber nicht sicher sagen lässt, wo und wann sie konsumiert wurden. Zu ihnen gehören Hasen, Krammetsvögel, Ochsen- und Hammelfleisch, gesmolße potter (ausgelassene Butter), Kohl, Zwiebeln, Erbsen, Salz, Karpfen, Hähnchen, cloff vogel, Essig, Baumöl und Brot. Auffällig ist das Fehlen von Gemüse in der Spesenrechnung, denn abgesehen von Kohl, Erbsen und Zwiebeln sind keine weiteren Pflanzen genannt. Entweder wurde nur wenig Gemüse gegessen, oder es wurde – sei es wegen seines geringen Wertes, sei es weil es selbstverständlicher Bestandteil der Speisen war – nicht gesondert in der Rechnung aufgeführt. Die Hinweise aus den Schriftquellen zeichnen ein vielschichtiges Bild von den Speisen, die man vom 15. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts in Neuss aß. Keineswegs begnügte man sich mit einfacher Küche, vielmehr war man gutem und reichlichem Essen sehr zugetan. Allerdings beziehen sich die Angaben fast ausschließlich auf Festessen, die zudem aus der Welt der Bürger und Adligen stammen. Angaben zu den im Alltag verzehrten Gerichten hingegen fehlen weitgehend, ebenso Informationen darüber, was die städtische Unterschicht aß und wie es generell um die Ernährung bestellt war. Ins Auge fallen die große Vorliebe für Pasteten vor allem im 16. und 17. Jahrhundert und der hohe Stellenwert von Fleisch in der Ernährung. In der Wertschätzung der Menschen rangierte dabei Wildbret vor dem Fleisch von Haustieren. Schweinefleisch war deutlich teurer als Rind- bzw. Ochsenfleisch, das wegen seines höheren Fettgehaltes wiederum mehr kostete als Kalbsfleisch. Das Fleisch wurde überwiegend konserviert als Wurst, Schinken

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Ein großer Käse, wohl aus Friesland: Kantert, kanter-kaese. holl. fris. sicamb. Caseus magnus, Kiliaan 1599 Heute ein Ortsteil von St. Goarshausen

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oder Rauchfleisch gegessen. Frisches Fleisch war – gebraten oder gekocht – etwas Besonderes und blieb auf Festtagsessen und die Tafel der sozialen Oberschichten beschränkt. Einen großen Einfluss auf die Speisen hatten die Jahreszeiten, die das jeweils zur Verfügung stehende Angebot an pflanzlichen Nahrungsmitteln bestimmten, und die kirchlichen Speisegebote. Wegen der langen Fastenzeiten vor Ostern und in der Weihnachtszeit sowie der über das ganze Jahr verteilten Fastentage, an denen kein Fleisch von Säugetieren gegessen werden durfte, wurden große Mengen an Fisch und auch Muscheln konsumiert. Zu letzteren gehörten neben den bereits erwähnten Austern (Abb. 87) auf der Tafel der adligen Stiftsdamen auch Süßwassermuscheln aus den Gewässern in und um Neuss: Der Neusser Stadtschreiber Christian Wierstraet berichtet, dass die Neusser während der burgundischen Belagerung in die Stadtgräben stiegen, um dort in der Fastenzeit mosschelen zu ernten.35 Wie allerdings insbesondere die Nachrichten aus St. Quirin eindrucksvoll zeigen, wurde das Fastengebot von den damaligen Menschen anders als heute verstanden, denn auch in der Fastenzeit veranstaltete man oppulente Festgelage, bei denen Wein und Bier getrunken, aufwändig zubereitete Speisen verzehrt und Süßspeisen gegessen wurden. Letztlich unterschieden sich diese Festessen nur durch einen Umstand von jenen, die außerhalb der Fastenzeit stattfanden: Anstelle des Fleisches servierte man Fisch. 87 Austernschalen, 17. Jahrhundert, gefunden an der Brückstraße in Neuss

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Wierstraet 1974, Vers 1677


Carl Pause

Von Röggelchen und Knappkuchen Brot, Röggelchen und Wecken Als am 10. Oktober 1496 die Neusser Bürgerin Katharina Hamers ihr Testament verfasste, legte sie fest, dass allen priestern yeder dye myss halden, also allen Priestern, die eine Totenmesse zu ihrem Andenken halten sollten, eyn wyssbroit ind eyn Ruggenbroyt gegeben werden sollten.1 Brot war am Ende des Mittelalters eines der Grundnahrungsmittel der Neusser Bevölkerung; dies galt auch für die Priester. Die testamentarisch verfügte Brotspende war daher alles andere als eine belanglose Geste, sondern sicherte die Ernährung der Beschenkten für eine ganze Woche. Während es sich beim Roggenbrot wohl um ein recht grobes Backwerk handelte, das ungefähr unserem heutigen Vollkornbrot bzw. dem westfälischen Pumpernickel entsprochen haben dürfte, wurde das Weißbrot aus Weizen gebacken. Die am 10. März 1595 festgelegte Neusser Backordnung nennt drei verschiedene Backwaren: Jst das broedt durch beide zur zeit regierende Burgermeistern außzuuerkhauffen vnd gesatzt worden wie folgt Das malter broedt ad 7 lb. gesetzt soll vor acht albus verkhauft werden Ein par roggelgen ad 30 loet umb 16 heller zuuerkauffen Das par weggen auff 9 loet ad 8 heller 2 Bei dem Roggenbrot, den Röggelchen und den Wecken handelte es sich offensichtlich um die drei gängigsten Backwaren in Neuss, für die man die Notwendigkeit sah, garantierte Preise festzusetzen. Das Roggenbrot war das mit Abstand am häufigsten gegessene Backwerk und wog etwa 7 Pfund.3 Die vom Neusser Hospital unterstützten „Hausarmen” bekamen 1582 in der Woche ein Roggenbrot sowie sieben Quart Bier als Verpflegung überreicht.4 Die Wecken dürften dem 1496 genannten Weißbrot entsprochen haben und standen in der Wertschätzung der damaligen Menschen höher. Wecken 5 und paißweggen 6 (Osterwecken) gab es im Neusser Hospital nur selten zu essen und dann meist zu besonderen Anlässen. Allerdings waren sie nicht nur der Tafel der sozialen Oberschichten vorbehalten, denn im Spendhäuschen, einer karitativen Einrichtung der Stadt, teilte man jeden Sonntag Weißbrot in Form von zwei Wecken an die Armen aus, die von einem Bäcker namens Ludwig gebacken wurden. Außgifft des weißbroets, so auff all Sonthag dennen hausarmen außgedeilt woirdt. Jtem haben wir vorgenannte viij malder weiß loidwech becker zu backen verthaen, das er von yederm summer soll leberen vj par weggen, vnd yeder par sall wagen 28 loett, woell gar gebacken 7 Ein Paar Wecken wog also 28 Lot (ca. 800 g), also fast ein Kilogramm. Offensichtlich handelte es sich um einen recht großen Doppelwecken.

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B.02.01 / V 40, 16v, 1496 Oktober 10 StA Neuss B.02.01 / III D 3, ao d. 95 den 10t. Martij Wisplinghoff 1975, 448 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1; 84 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 4: Woche marien hemelfarth = 15. 8. 1585 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche palmen = 8. 4.l 1582 StA Neuss B.02.01 / VII 236: Rechnung des Spendtheußgens auff dem kirchoff von den jar 1580, 9r

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Das Brot wurde von Bäckern hergestellt, die in Neuss seit 1296 schriftlich belegt sind und in der Stadt stetig an Bedeutung gewonnen hatten.8 Waren um 1500 nicht mehr als zwölf Bäcker in der Stadt tätig, so hatte sich ihre Zahl 1579 bereits auf 26 Meister erhöht.9 Nach Berechnungen des Historikers Erich Wisplinghoff konnten die Neusser Bäcker 1501/02 aus den 384 in diesem Jahr verbrauchten Sack Roggen und den 765 Sack Weizen etwa 17.000 Roggenbrote mit einem Gesamtgewicht von 60.000 kg bzw. 84.000 kg Weizenbrot backen, was bei einer geschätzten Bevölkerung von etwa 5.000 Personen einem Jahreskonsum von etwa 12 kg Roggen- und 17 kg Weizenbrot entsprach.10 Der wirkliche Brotkonsum dürfte weit höher gelegen haben; offensichtlich wurde ein großer Teil des Brotes, vor allem des Roggenbrots, in den Privathäusern gebacken.

Neusser Kuchen Süßgebäck stellten die in Neuss spätestens seit dem 15. Jahrhundert in einer Zunft zusammengeschlossenen Bäcker allerdings nicht her. Dies war das Privileg der in einem eigenen Amt organisierten Kuchenbäcker, zu denen um 1500 etwa zehn Meister zählten.11 Unter ihnen waren auch zwei Frauen vertreten: Styne Pauwels und Kathringen zom Ross. Damit gab es in Neuss fast genauso viele Kuchenbäcker wie Bäcker, was die große Bedeutung dieses Handwerks für die Stadt unterstreicht. Erich Wisplinghoff hat anhand der von den Kuchenbäckern 1501 versteuerten 199 Sack Roggen errechnet, das daraus schätzungsweise 21 t Mehl gewonnen werden konnten, die die Kuchenbäcker zu etwa 35 t Kuchen verarbeiten konnten!12 Auch wenn diese Zahlen unverhältnismäßig hoch erscheinen, so ist doch eine enorme Kuchenproduktion in Neuss am Ende des Mittelalters evident. 1582/83 erreichte der Ausstoß der Kuchenbäcker einen absoluten Höchststand: Die Bäcker versteuerten in diesem Rechnungsjahr 410 Sack Roggen – mehr als doppelt so viel wie 1501! 13 Die Neusser Kuchenbäckerei wurde offensichtlich wesentlich durch die auswärtigen Gäste befördert, die zu den Jahrmärkten und den Wallfahrten zu den Reliquien des Heiligen Quirinus, dem Stadtpatron von Neuss, in die Stadt strömten, denn diese kauften wohl große Mengen Kuchen als Souvenir und Reiseproviant. Durch den Truchsessischen Krieg der Jahre 1585/86 erlitt das Neusser Kuchenbäckergewerbe schweren Schaden. Der Niedergang der Quirinus-Wallfahrten zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges läutete dann das Ende der Neusser Kuchenbäckerei ein. Im Laufe des 17. Jahrhunderts nahm die Zahl der Kuchenbäcker rapide ab, bis das Kuchenbäckeramt im 18. Jahrhundert ganz aus Neuss verschwand. In der Zeit davor erfreuten sich die Neusser Kuchen auch außerhalb der Stadt großer Beliebtheit und Wertschätzung. Aus den Jahren 1440/41 sind vier Bestellungen Herzog Gerhards von Kleve-Berg überliefert, der jeweils zwei Neusser Kuchen orderte, um sie u. a. dem in Hambach weilenden Kölner Erzbischof zu überreichen.14 1457 und 1459 lieferten die Brüder von St. Nikolaus als Pacht einen Neusser Kuchen; das Kloster Kamp ließ sich im 16. Jahrhundert vom Hof Gommershoven jährlich 18 Reichsgulden und einen Neusser Kuchen zahlen.15

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Wisplinghoff 1975, 394 Wisplinghoff 1975, 403 Wisplinghoff 1975, 447 ff Lau 1911, 80*f, 368; Wisplinghoff 1975, 444 ff; Huck 1984, 62 ff Wisplinghoff 1975, 445 Wisplinghoff 1975, 342 Bömmels 1961, 104 Bremer 1930, 157; 439


Die Erzeugnisse der Kuchenbäcker wurden auch von der Stadt Neuss als Ehrengeschenke überreicht: Anlässlich des feierlichen Beritts des Neusser Burgbanns am 23. September 1502 und up der 1000 merteler dage, d. h. zur Neusser Kirmes am 22. Juni 1502, erhielten die Herzöge von Kleve und von Jülich, der Kölner Erzbischof sowie eine Reihe weiterer Honoratioren Neusser Kuchen, wie die Stadtrechnung dokumentiert: Bi Peter van Ympell Philips, kemerlink unss gn. heren, 1 koichen: 2 m. Velten, oiuch sinre gen. kamerknecht, 1 koichen: 2 m. Sinre gnaden jegermeister 1 koichen: 2 m. [...] Mime gn. hern herzogen van Cleve 2 groisse koichen, yder stuck vur 2 fl. 6 alb.: 9 m. Mime gn. hern herzogen van Guylge ouch 2 koichen: 9 m. Zo Zoens vur toelner, besienre ind tolschriver 3 koichen, yder stuck 1 fl.: 6 m. Der stat wirtinnen zu Colne 1 koichen: 2 m. Dem wirde zu Bunne 1 koichen: 2 m, 8 alb. Zo Berk vur toelner, besierrer, tolschriver ind wartzpennink 4 koichen: 8 m. [...] Noch 2 cleine koichen vur de tolknecht daselfs, yder stucke vur 8 alb.: 1m., 4 alb. Den scheffen na alder gewoenten vur 6 ½ koichen: 19 m., 6 alb. Vur de raitzkoechen bi Hermannus van Wyswylre: 19 m., 6 alb. Unsem gn. hern bi demselven Hermanno 2 koichen: 9 m. Zo Bunne vur toelner, besienrer, tolschriver ind wartzpennink 4 koichen: 8 m. Dem doimdechen, dem officiail ind meister Johan van Dalen zo Colne, mallich 1 koichen van 2 koufmansfl.: 10 m.16 Die Kuchen gab es in unterschiedlichen Größen. Während 1501/02 groisse koichen, die man besonders wichtigen Leuten als Geschenk überreichte, 4 ½ Mark (54 Albus) das Stück kosteten, bezahlte man für einen einfachen koichen nur 2 Mark (24 Albus) und für einen cleinen koichen lediglich 8 Albus. Im Rechnungsjahr 1583/84 gab die Stadt über 546 Mark für Kuchengeschenke aus.17 Die kuechen wurden wohl als eine Art Nachspeise gegessen, wie u. a. aus einem Ratsbeschluss des Jahres 1560 zur Durchführung des Bürgermeisteressens hervorgeht.18 Etwa um dieselbe Zeit, d. h. in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, taucht in den Neusser Quellen die Bezeichnung Knappkuchen auf. Vermutlich handelt es sich um das in den Jahrzehnten zuvor lediglich als koichen bezeichnete Gebäck. Aus dem Kontext der Nennungen ist ersichtlich, dass man mit diesem Begriff einen dünnen harten Gewürz-, Pfeffer- oder Honigkuchen bezeichnete, der beim Abbeißen ein knackendes Geräusch hervorrief.19 Die Bezeichnung Knappkuchen ist aber deutlich älter, wie ein Blick in die Numismatik lehrt, denn schon im 15. Jahrhundert wurde der Begriff als Spottbezeichnung für eine Reihe minderwertiger niederländischer und ostfriesischer Goldgulden verwendet, weil sie beim Biegen leicht zerbrachen und dabei ein knappendes (knackendes) Geräusch machten.20 Die Münzen wiesen auf der Vorderseite zumeist eine Heiligendarstellung und auf der Rückseite einen Wappenschild auf.

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Lau 1911, 406 ff Lau 1911, 446 Lau 1911, 238, Nr. 174 KNAPPKUCHEN, m., knapkuchen Garg. 274a (knabkuchen 519 Sch.), eine art pfefferkuchen, lebkuchen, nl. knapkoek, ‘dünner und harter kuchen’ M. KRAMER 1719 2, 124b, ostfries. knappkôk honigkuchen STÜRENBURG 115a von knappen I, 8, c, hartes beiszen, nl. knappen croqueter KIL. (franz. croquet dünner harter pfefferkuchen), wie die knackwurst nd. auch knapwust heiszt; vgl. auch knackmandel, krachelchen, Deutsches Wörterbuch 1854-1960, Bd. 30, 1350 von Schrötter 1970, 311

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Auch die Neusser Knappkuchen wurden bei Festessen als Nachspeise gereicht. Der 1579 erneuerte Amtsbrief der Kuchenbäcker sah vor, dass die knapkoechen zusammen mit epfel am Ende des Essens serviert werden sollten.21 Die knapkuchen, kniepkuchen oder knepkuchen wurden auch im Neusser Hospital gegessen, allerdings wohl nur zu besonderen Feierlichkeiten wie der Kirmes im Juni und im Oktober sowie der Fastnacht.22 Wie viele Knappkuchen jeweils gekauft wurden, ist in den Rechnungen nicht angegeben, doch lassen die für die Knappkuchen ausgegebenen Summen von fünf, sechs, sieben, acht und zehn Albus vermuten, dass man jeweils wohl nur einen oder zwei Gebäckstücke erstand, die den bereits genannten cleinen koichen entsprochen haben dürften. Die Knappkuchen waren relativ lange haltbar und wurden deshalb wohl auch als – erlesener – Reiseproviant verwendet. Als man im Auftrag des Stiftes St. Quirin im Herbst des Jahres 1572 nach Boppard reiste, um die dortigen Weinberge des Stiftes zu inspizieren, waren 3 tersein (drei Dutzend) Knappkuchen im Wert von zwei Gulden mit im Gepäck.23 In der Gasthausrechnung des Jahres 1623/24 werden Knappkuchen nicht mehr genannt. Allerdings kaufte man zwei Wochen vor Aschermittwoch 5 Pfund Pefferkoechs zu je 5 Albus, also für insgesamt 1 Gulden und 1 Albus, und zur Kirmes im Juni britzelen vnd zuckerkochen für 14 Albus.24 Während die Pfefferkuchen vermutlich den etwa 50 Jahre zuvor als Knappkuchen bezeichneten Backwaren entsprochen haben dürften, handelt es sich bei den Brezeln und Zuckerkuchen um neuartige, zuvor noch nicht in den Quellen genannte Gebäcke (Abb. 88a und b).

88 a und b Handelte es sich bei den 1624 genannten Zuckerkuchen um Waffeln oder Pfannkuchen? Links: Ein Putto isst eine süße Waffel. Ausschnitt aus „Allegorie der Sinneslust“. Kupferstich von Jacob Matham (1571-1631). Clemens-Sels-Museum Neuss, 1981Gr1255 Rechts: Pfannkuchenbäckerei.„De Smaek – Der Geschmack“. Radierung von Jan Both, um 1640/50. Clemens-Sels-Museum Neuss, 1981Gr1392

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Lau 1911, 259 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1: Woche dionisius = 9. 10. 1581; Woche matthias = 24. 2. 1582; Woche achatius = 22. 6. 1582; StA Neuss B.02.01 / VII 210, 2: Woche dionisij nach Remigij = 1. 10. 1582; Woche bonifacius = 5. 6. 1583; Woche Achat. = 22. 6. 1583; B.02.01 – VII 210, 3: Woche dionisius, vnser kirmes gehalden = 1. 10. 1583; Woche misericordia = 15.4.1584; Woche achatius = 22. 6. 1584; StA Neuss B.02.01 / VII 210, 4: Woche dionisius = 9. 10. 1584 Pfarrarchiv St. Quirin, Bestand Hansen A Nr. 16: Reise nach Boppard 1572, 1r StA Neuss B.02.01 / VII 214: Woche Septuagesima = 4. 2. 1624; Woche Agathij Martyris = 22. 6. 1624


Wie wurden nun die Neusser Kuchen und die Knappkuchen gebacken? Aus den Steuerrechnungen ist ersichtlich, dass die Neusser Kuchenbäcker wohl ausschließlich Roggen verarbeiteten.25 Gesüßt wurden die koichen mit Honig, denn Zucker war im 15. und 16. Jahrhundert noch teuer und stand nicht in ausreichender Menge zur Verfügung (Abb. 89). Die vunffhondert vassz hoenichs, die sich während der Burgundischen Belagerung von 1474/75 in der Stadt befanden, waren ganz offensichtlich für das Kuchenbäckergewerbe bestimmt.26 Die Neusser koichen waren augenscheinlich mit exotischen Gewürzen versehen,27 worauf auch die Nennung eines Kuchenbäckers namens Werner in der Aptieken im Jahr 150128 und die 1624 genannten Pfefferkuchen (s. o.) hinweisen. Angesichts der großen produzierten Kuchenmengen kann es sich nur um Gewürze gehandelt haben, die in der Stadt zu einem erschwinglichen Preis und in ausreichenden Mengen vorhanden waren. Zu den im Neusser Hospital Ende des 16. Jahrhunderts genannten Gewürzen, die man in der Frühen Neuzeit üblicherweise dem Pfefferkuchenteig zugab, gehören vor allem Ingwer und Zimt. Aus der Bezeichnung Knappkuchen für die kleineren Kuchen lassen sich Rückschlüsse auf das Aussehen der Gebäckstücke ziehen. Offensichtlich handelte es sich um ein eher trockenes, lange haltbares Backwerk, das beim Zubeißen ein knackendes Geräusch hervorrief – nach dem heutigen Sprachgebrauch also um einen Keks. Die Verwendung des Wortes Knappkuchen als Spottbezeichnung für Goldgulden schlechter Qualität verrät, dass die Kekse eine große runde Form besaßen und wohl auch mit einem Wappen oder einer Heiligendarstellung verziert waren. Die Knappkuchen waren demnach Gebildbrote aus einer Art Lebkuchenteig (Abb. 90). Da die Konturen der eingestempelten Figuren auch nach dem Backen noch gut zu sehen sein müssen, darf der Teig der Gebildbrote keinen Triebmittelzusatz wie Hefe oder Hirschhornsalz enthalten.

89 Allegorische Darstellung mit einem geflochtenen Bienenkorb. „Spes, Hoffnung“. Holzschnitt von Jost Ammann, 1599. Clemens-Sels-Museum Neuss, 1981Gr1318

90 Ein Mann verteilt Lebkuchen an seine Gäste. Blatt aus Geiler von Keysersberg Passion in stückes weiß eins süssen Lebkuchen oder Honigzelte. Holzschnitt, 1514.

Der Begriff Knappkuchen ist heute am Niederrhein nicht mehr geläufig; im Saarland, in Trier und in Limburg wird er dagegen noch jeweils für ein regionaltypisches Gebäck verwendet. Während die saarländischen und die Trierer Knappkuchen in rechteckige oder rautenförmige Stücke geschnitten werden, wird der maasländische knapkoek als große flache Scheibe von ca. 15 cm Durchmesser gebacken.

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Lau 1911, 80*f, 368, Huck 1984, 62 ff Wierstraet 1974, Vers 3090 Bömmels 1961, 103 ff; Wisplinghoff 1975, 444; Huck 1984, 63 ff Lau 1911, 368

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Die Zutaten für die Trierer und die saarländischen Knappkuchen bestehen heute aus Butter, Zucker, Eiern und Mehl, wobei in Trier Mandelstifte und Zimt und im Saarland Vanillezucker, Nüsse und Backpulver zugegeben werden. Ähnlich ist das Rezept für die vor allem in der Gegend um das belgische Maaseik gebackenen knapkoeken: Als Zutaten dienen wiederum Butter, Zucker, Eier, Mehl und Backpulver. Gemeinsam ist also allen Rezepten die Verwendung von Butter, Eiern und Mehl, was ein Indiz dafür sein könnte, dass sie im Gegensatz zu den modernen Zutaten Zucker und Backpulver auch zu den ursprünglichen Ingredienzen der Knappkuchen gehörten. Allerdings dürfte in Neuss nicht Butter, sondern Öl als Fett verwendet worden sein, da im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit im Umland der Stadt kaum Milchwirtschaft betrieben wurde, stattdessen aber Speiseöl reichlich zur Verfügung stand. Hierauf deutet auch der Umstand hin, dass während der burgundischen Belagerung 1474/75 nicht nur der für die Kuchenbäckerei benötigte Honig, sondern auch Öl in großen Mengen in Neuss bevorratet war.29 Möglicherweise wurde für die Herstellung der Kuchen das vor Ort gepresste Mohnöl verwendet. Zusammenfassend ergibt sich also folgendes Bild: Bei den Neusser Kuchen handelte es sich vermutlich um Leb- oder Honigkuchen, deren Teig aus Roggenmehl und Honig hergestellt und mit Ingwer, Zimt und Nelken gewürzt wurde. Eine Variante von ihnen waren die Knappkuchen, d. h. runde Bildlebkuchen, die wohl auch Butter und Eier als Zutaten enthielten. Ein Tonmodel des 15. Jahrhunderts, das in Neuss an der Brückstraße gefunden wurde, diente möglicherweise zur Herstellung von Neusser Knappkuchen (Abb. 91).30 Mit dem Fundstück konnten offensichtlich runde Gebildbrote mit einem Durchmesser von 9 cm verziert werden. Auf dem Model, das sich in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts datieren lässt, ist eine Abendmahlszene zu erkennen. Der Model stammt vermutlich aus dem klösterlichen Bereich. Seit 1451 war an der Brückstraße ein Kloster der Alexianer ansässig, der Model selbst wurde allerdings auf dem Gelände des erst 1680 in Neuss angelegten Klosters der Sepulchrinerinnen gefunden.

91 Backmodel zur Herstellung von Gebildbroten, 15. Jahrhundert, gefunden an der Brückstraße in Neuss

Die Knappkuchen wurden wohl ursprünglich in einem relativ großen geographischen Gebiet, das vor allem das nördliche Deutschland umfasst haben dürfte, gebacken. Sie sind dem Phänomen der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Lebkuchen zuzuordnen, die nach regional leicht voneinander abweichenden Rezepten gebacken und auch als Honig-, Pfeffer- oder Gewürzkuchen bezeichnet wurden.31 Während die Lebkuchenbäckerei an Orten wie Aachen, Nürnberg oder Basel den Sprung in die moderne Zeit geschafft hat, ist das ehemals für die Quirinusstadt typische Gebäck heute aus dem Gedächtnis der Neusser verschwunden.

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Wierstraet 1974, Vers 1665 Sauer 2009 Kittelberg 1988, 47 ff


Sandra Schillings

Das Bier im Mittelalter – vom Grutbier zum Hopfenbier Gerne trinkt heutzutage der Neusser bei geselligen Anlässen ein oder auch mehrere Bier. Kernige Sprüche wie „Drei Biere ersetzen eine Mahlzeit” machen dabei das ein oder andere Mal die Runde. Kaum einer wird aber behaupten, dass das Bier zu seinen Grundnahrungsmitteln gehört. Anders im mittelalterlichen Neuss: In einer Zeit, in der das Wasser meist verunreinigt war und Krankheiten auslösen konnte, war Bier eines der vorherrschenden Getränke im Alltag (Abb. 92). Sicher ist, dass das mittelalterliche Bier zunächst nicht unseren heutigen Standards entsprach, da das Reinheitsgebot erst 1516 in Kraft trat. Doch welche Art von Bier wurde in Neuss gebraut? Im Mittelalter kannte man verschiedene Biersorten. Eine Sorte war das Grutbier. Es wurde aus Wasser,„Grut” und Getreide, in der Regel Gerste – denn zu einer Bevorzugung der Gerste gegenüber anderen Getreidesorten wie Roggen, Hafer, Weizen und Spelz kam es erst im Laufe des Mittelalters 1 – gebraut. Die Grut, eine Mischung aus verschiedenen Pflanzen, wurde der Würze zugefügt und macht das Bier für kurze Zeit haltbar. Hopfen war als Zugabe zur Bierwürze zunächst unbekannt. Die Zusammensetzung der Grut konnte sehr unterschiedlich ausfallen. Leider haben sich keinerlei Bierrezepte aus dem Mittelalter erhalten, die genauere Auskunft über die Inhalte Neusser Biere geben könnten. Hauptbestandteil der Grut dürfte das Gagel92 Bier trinkende Männer.„De Oude Waardin – Die alte Wirtin“. kraut (Myrcia gale) gewesen sein. Es handelt Radierung von Cornelis Bega, 1660/64. Clemens-Sels-Museum Neuss, 1981Gr1360 sich hierbei um eine Moorpflanze, die ungefähr in einem Raum von der Nord- und Ostseeküste im Norden bis auf die Höhe von Neuss im Süden vorkommt.2 Die sumpfigen Niederungen der Krur könnten Neuss das Gagelkraut geliefert haben.3 Schauen wir auf die Grutbestandteile benachbarter Städte, so können wir als weitere Zutaten Anis, Kümmel, Lorbeer, Kirschen, Wacholder, Weißen Enzian und andere mehr finden.4 In Neuss wurde anscheinend manches Mal auch das giftige Schwarze

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Fischer/Herborn 1985, 24 Schulte 1908, 120 Huck 1984, 57 Schulte 1908, 128 -131

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Bilsenkraut zugesetzt.5 Sämtliche Zutaten wurden vermischt. Das Rezept hierfür blieb aber das Geheimnis des Gruters, der den Brauern die Würze verkaufte. Die Neusser Grut wird aber wohl eine gute Qualität gehabt haben, da sie um 1400 herum von den Kölnern sogar für besser als ihre eigene Grut gehalten wurde.6 Das Grutbier konnte als Dünn- oder Dickbier angeboten werden; beide Sorten unterschieden sich in Preis und Alkoholgehalt. Es schmeckte meist süßlich, war trüb sowie kohlensäurearm und konnte durch den Gagel und das Bilsenkraut eine berauschende Wirkung haben. Das im Bilsenkraut enthaltene Alkaloid Hyoscyamin ruft ähnliche Vergiftungserscheinungen wie Atropin hervor und kann zu Halluzinationen, Sprechstörungen, Erregungszuständen und zuletzt zu einem plötzlichen Koma und Atemlähmungen führen.7 Wer zu viel mit Gagel gewürztes Bier trank, lief Gefahr zu erblinden.8 Wegen seiner stark erregenden Wirkung hieß das Grutbier in Neuss auch Dollbier. Das wissen wir aus Neusser Quellen, denn obwohl Einzelheiten über die Neusser Bierarten fehlen, so ist doch bekannt, dass die Stadt Neuss sich von 1598 -1672 immer wieder genötigt sah, die Herstellung von Dollbier zu verbieten.9 Die Hefe war dem mittelalterlichen Brauer unbekannt. Die in der Luft enthaltenen „wilden Hefen”10 brachten das Bier zur Gärung. Das Grutbier wurde nach der obergärigen Brauweise gebraut. Diese Art des Brauens wird noch heute für verschiedene Biersorten wie Altbier (nach alter Brauweise), Weizenbier oder auch das Kölsch verwandt. Nachteilig war, dass die Biere nur bedingt transportfähig waren. Bei den obergärigen Bieren setzen sich die Heferückstände bei einer Temperatur von 14° bis 22° C an der Oberfläche des Bieres ab. Bei den untergärigen Bieren sinken die Heferückstände dagegen nach unten. Dies geschieht bei einer Temperatur zwischen 4° und 9° C. Solch eine schnelle Abkühlung des Suds konnte nur mit Hilfe von viel Eis geschehen, wie es in den benötigten Mengen beispielsweise in Bayern, nicht aber im Rheinland vorkommt. Daher wurde bis in das 19. Jahrhundert hinein im Rheinland obergäriges Bier gebraut.11

93 Gerstenmalz (links) und Hopfenblüten (rechts)

5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15

138

Sauer 1999 Fischer/Herborn 1985, 34 Reichel 1997, 256 f http://wikipedia.org/wiki/Gagelstrauch (6. 11. 2008) Huck 1984, 60 Fonk 1999, 10 Fonk 1999, 10 f Fischer/Herborn 1985, 30 Fischer/Herborn 1985, 28 Fonk 1999, 21 Fonk 1999, 13

Eine weitere Biersorte des Mittelalters war das Hopfenbier. Es bestand aus Wasser, Gerste und Hopfen (Abb. 93). Im Laufe des 14. Jahrhunderts drang das Hopfenbier – vermutlich über die Handelslinien der Hanse12 – vermehrt in den rheinischen Raum vor und verdrängte allmählich die Grut als Bierwürze.13 Das Hopfenbier wurde ebenfalls obergärig gebraut und war damit das erste „Altbier”, 14 dessen Grundzusammensetzung bis heute Gültigkeit besitzt und das als einziges Bier auf eine ungebrochene Tradition zurückblickt, die bis in das Spätmittelalter zurückreicht.15


Die Vorteile des Hopfenbieres lagen in mehreren Bereichen. Sicherlich war das Hopfenbier nicht so lange haltbar wie unser heutiges Altbier. Allerdings besaß es durch seine Gerbstoffe eine größere chemische Stabilität als das Grutbier, wobei anzumerken bleibt, dass man sich immer noch unbewusst der wilden Hefen bediente und damit jeder Brauvorgang gewissermaßen ein Glücksspiel mit ungewissem Ausgang war. Durch die Gerbstoffe, die zumindest teilweise die im Wasser enthaltenen Bakterien abtöteten oder zumindest ihre Vermehrung verhinderten, war das Hopfenbier aber in jedem Fall haltbarer als das Bier auf Grutbasis und konnte damit besser transportiert werden. Zudem hatte das Hopfenbier einen anderen und vor allem gleichbleibenden Geschmack. Da man sich nur auf Hopfen als Zugabe zur Bierwürze beschränkte, blieb ein Geschmackscocktail aus verschiedensten Zutaten wie bei den Grutbieren aus. Weiterhin war das Hopfenbier in der Herstellung billiger und auch eher beruhigend als erregend in seiner Wirkung.16 Es hatte eine dunkle rot-braune Farbe und wurde daher auch „Rotbier” genannt.17 Es gehörte zu den Dickbieren, das in unterschiedlicher Stärke und zu unterschiedlichen Preisen angeboten wurde. Ein erster Beleg für Hopfenbier in Neuss findet sich im Jahre 1388 durch einen Hopfenbrauer zu Neuss, der ein Haus am Glockhammer besaß.18 Ein hoppenbruwer ist auch im Jahre 1406 belegt.19 In den Jahren 1493 und 1509 wurde eine Hopfenakzise erhoben.20 Der Hopfen wurde wohl teilweise vor Ort angebaut. So sind Neusser Hopfengärten seit 1504 bezeugt: Der Brauer Wilhelm Duisberg zahlte in diesem Jahr eine Gebühr für Hopfen, den er an den Stadtwällen geerntet hatte.21 In einem Pachtvertrag aus dem Jahre 1580 wird ein Hopfengarten auf dem Gelände des Hauses zum Kaiser an der Niederstraße 43 genannt.22 Weiter sind Hopfengärten 1541 am Viehmarkt 23 und 1629 am Hamtor 24 belegt. Das Keutebier war eine weitere Sorte, die in Neuss besonders im 15. Jahrhundert gebraut wurde und eine Zeit lang eine große Bedeutung besaß. Die Herkunft der Bezeichnung Keutebier ist nicht ganz klar. Es steckt aber möglicherweise in dieser Bezeichnung das niederdeutsche Wort keuten (tosamen keuten), was so viel wie gießen bzw. verschiedene Flüssigkeiten zusammengießen bedeutet. Die Bestandteile des Neusser Keutebieres sind ebenso wenig überliefert wie die Rezepturen des Grut- und Hopfenbieres. So sind wir wieder auf die Erwähnungen in den Quellen anderer Städte angewiesen und werden beispielsweise in Köln fündig, wo das Keutebier aus verschiedenen Zutaten wie Weizen, Hafer, Gerste, Dinkel, Hopfen und Zucker gebraut wurde.25 Bier – gemeint ist wohl Keutebier – spielte auch bei der Belagerung von Neuss durch Karl den Kühnen eine Rolle. Nach Aussage des Stadtschreibers Christian Wierstraet soll man mit Roggen gebrautes Bier getrunken haben, da es weder Hafer- noch Gerstenmalz gab.26 Dies ist als Hinweis darauf zu verstehen, dass man in Neuss das Keutebier normalerweise aus Hafer- und Gerstenmalz braute.

16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26

Fischer/Herborn 1985, 29 f Fonk 1999, 21 Brandts 1964, 84, Nr. 404 Lau 1911, 82*, Anm. 1 Lau 1911, 138* StA Neuss IV A 3 Bl. 8 StA Neuss Ab. 02/01 / 1580 Oktober 2 Wisplinghoff 1975, 10 Anm. 49 Lau 1911, 82* Huck 1984, 59 f; Fischer/Herborn 1985, 33 Huck 1984, 60

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Dieses Bier war wohl auch außerhalb von Neuss sehr beliebt. Die Stadt Neuss bemühte sich 1449 in Köln um die Zulassung ihres Keutebiers. Im Jahre 1451 wurde ein erneuter Antrag von Köln mit Hinweis auf ein bestehendes Importverbot für Keutebier abgelehnt.27 In den ältesten erhaltenen Neusser Stadtrechnungen ist um 1500 herum vom Keutebier keine Rede mehr.28 Die Zeit des Keutebieres war in Neuss wohl vorüber; es wurde nicht mehr gebraut. Wie bereits erwähnt, konnte das Hopfenbier das Grutbier nur langsam verdrängen. Das hatte durchaus seine Gründe. Denn mit der Grut war das sogenannte Grutrecht verbunden und mit dem Grutrecht entsprechend finanzielle Einnahmen, auf die man nicht verzichten wollte. Das Grutrecht, also das Recht, die Ingredienzien für die Herstellung der Grut zu sammeln, zu vermengen und zu verkaufen, war ursprünglich wohl ein königliches Regal. Im Laufe der Zeit findet man dieses Königsrecht in den Händen aufstrebender Territorialherren. Dabei konnten neben Bischöfen auch Stifte und Klöster Inhaber des Grutrechtes sein. Dieses Recht beinhaltete ein Bannrecht, das besagt, dass die Einwohner des jeweiligen Bezirkes ihre Rohstoffe ausschließlich von den Vertretern des Grutherren erwerben durften.29 In Neuss ist die Äbtissin des Quirinusstiftes als Inhaberin der Grutgerechtsame bezeugt. Schon für 1283 sind ein Gruthaus und ein Gruter Konrad 30 schriftlich belegt (Abb. 94). Das Gruthaus wird – allerdings in einer Urkundenfälschung – bis in die Zeit von Erzbischof Anno II. von Köln (1056 -1075) zurückdatiert.31

94 Bierkrüge aus Faststeinzeug, wohl zur Versorgung von Pilgern. Gefunden auf dem Gelände des Stifts St. Quirin, 13. Jahrhundert. Clemens-Sels-Museum Neuss, 1984.52, 55, 61, 64

Die Gruterträge dürften nicht unrentabel gewesen sein: Fehlen auch entsprechende Neusser Quellen hierzu, so können doch entsprechende Schlussfolgerungen aus dem zähen Kampf zwischen der Äbtissin des Neusser Quirinusstiftes und dem Brauamt um das Grutrecht um 1470 gezogen werden. Erst im Jahre 1473 konnte ein Kompromiss den Streit beenden:

1. Äbtissin und Kapitel haben das ausschließliche Recht der Grut. 2. Jeder andere, welcher Grutbier brauen will, muss es der Äbtissin und dem Kapitel anzeigen.

27 28 29 30 31

140

Huck 1984, 60 Wisplinghoff 1975, 439 Fischer/Herborn 1985, 26 Lau 1911, 15 Fischer/Herborn 1985, 34


3. Wer in der Stadt oder Feldmark Neuss Keut oder Hupa (Hopfen) oder irgend ein anderes Bier zum Verkauf herstellen will, hat von jedem Sack Malz zu 2 Maltern 1 Sümmer der Äbtissin und dem Kapitel 33 mauros (Möhrchen), von denen 12 einen kölnischen Weißpfennig ausmachen, zu entrichten und dem Grutmeister der Äbtissin 2 Weißpfennige zu zahlen. 4. Wer keine Anzeige macht, muss, obwohl er Grut nicht erhält, doch die Gebühr zahlen. 5. Der Grutmeister der Äbtissin hat den Eid zu leisten, dass er sein Amt gut verwalten wolle. 6. Kein Brauer darf das erhaltene Malz einem anderen einheimischen Brauer geben oder verkaufen. 7. Jeder Brauer muss der Äbtissin schwören, alle Punkte des Vertrages genau erfüllen zu wollen. 8. Wer dagegen verstößt, dem soll durch Bürgermeister, Schöffen und Rat das Brauen verboten werden.32 Damit wurde im Grunde die Grutabgabe in eine Biersteuer umgewandelt. Als im Laufe des Mittelalters der Hopfen begann, die Grut abzulösen, zahlte das Neusser Brauamt nun nämlich Geld für eine in Wirklichkeit gar nicht mehr gelieferte Ware, eben die Grut. Damit waren die Einnahmen der Neusser Äbtissin weiterhin gesichert. Der Name Grut hielt sich bis an das Ende des Alten Reiches als Bezeichnung für diese Art der Abgabe.33 Im 15. Jahrhundert war das Neusser Grutmonopol an die Familie Broichhausen verpachtet.34 Ein weiterer Grund für die zunächst nur langsam voranschreitende Vorherrschaft des Hopfenbieres liegt wohl darin, dass die Umsätze des Bieres zwar schon sehr hoch waren, im 15. Jahrhundert der Weinkonsum aber insgesamt noch über dem des Bieres lag. Erst im 17. Jahrhundert übertrafen die Einnahmen aus dem Bieramt jene aus dem Weinamt.35 Das gilt auch für Neuss, obwohl man hier schon seit jeher außerhalb der klassischen Weinanbaugebiete lag. Dieser Prozess hatte mehrere Ursachen. Die seit dem 14. Jahrhundert schubweise einsetzende Klimaverschlechterung ließ auch die Qualität des Weines in ungünstigen Lagen, besonders im niederrheinischen Raum, sinken. Das neue Hopfenbier war nun aber ein günstiges Getränk, das mit den billigeren säuerlichen Weinsorten ohne weiteres konkurrieren konnte und so besonders bei den ärmeren Bevölkerungsschichten beliebt war. Außerdem ermüdete das alkoholschwächere Bier weniger bei der Arbeit als der Wein. Man kann aber sagen, dass der Wein das gesellschaftlich angesehenere Getränk blieb.36 Früher braute man das Bier für den Eigenbedarf selbst. Bis in die Frühe Neuzeit hinein stand jedem Bürger das Recht zu, Bier für den eigenen Konsum herzustellen. Da das Bierbrauen aber sehr aufwändig ist und man dazu kostspielige Gerätschaften wie beispielsweise eine Sudpfanne brauchte,37 bildete sich im Laufe des Mittelalters das Handwerk der Bierbrauer heraus. So auch in Neuss, wo sich bereits für das Jahr 1339 das Brauamt (Zunft der Brauer) nachweisen lässt.38 Damit ist es neben dem Weberamt als erstes Neusser Hand-

32 33 34 35 36 37 38

Tücking 1886, 328 Fischer/Herborn 1985, 35 Fischer/Herborn 1985, 34 f Fischer/Herborn 1985, 45 Fischer/Herborn 1985, 45 Reith 1990, 30 Lau 1911, 66, Nr. 38 von 1339 Juli 17

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werksamt bezeugt. Das Brauamt wird es sicherlich schon früher gegeben haben, doch liegen hierfür keine Quellen vor.39 Lediglich eine Erwähnung aus dem Jahr 1296 bzw. 1315 nennt neben einem Bäcker und einem Weinschröder auch einen Brauer als Hausbesitzer – im Übrigen ein Hinweis darauf, dass dieser Handwerker nicht in schlechten finanziellen Verhältnissen lebte.40 Ob die Brauer sich zu dieser Zeit bereits in einem eigenen Amt organisiert hatten, geht aus dieser Anmerkung nicht hervor. Das Brauamt, die Schöffen und der Rat der Stadt Neuss ordneten 1339 gemeinsam an, dass jeder Brauer nicht mehr als 13 Malter auf einmal verbrauen sollte (1 Malter = etwa 100 kg). Eine Ausnahme bildete die Marktzeit, zu der es erlaubt war, mehr zu brauen. Das Bier sollte dabei nicht teurer als 2 Heller sein. Wer sich darüber hinwegsetzte, konnte mit einer Strafe von 5 brabantischen Mark rechnen. Zweck der Verordnung war, dem Bürger ein preiswertes und gutes Bier verkaufen zu können.41 Die Verordnung von 1339 war die erste einer langen Reihe ähnlicher Bestimmungen, die noch folgen sollten. Dass sich die Vorgaben positiv auf die Bierqualität ausgewirkt haben, darf wohl verneint werden, da man bereits 1358 – offensichtlich erfolglos – festgelegt hatte, dass das Bier gut gekocht sein sollte und nicht mit ungekochtem Bier vermischt werden durfte. Man könnte also von einer Art erstem Reinheitsgebot sprechen. Bei Zuwiderhandlung – ebenso bei einer Überschreitung der Bierpreise - konnte eine Geldbuße verhängt werden. Das Brauamt versprach, die Preise für mindestens drei Jahre stabil zu halten.42 Im Jahre 1363 beschlossen Schöffen und Rat eine neue Ordnung, in der angeordnet wurde, dass kein einheimisches oder fremdes Bier zu einem Preis von mehr als 4 Heller das Quart (ca. 1,5 Liter) verkauft werden durfte.43 Amtsbriefe des Brauamtes stammen aus den Jahren 1595 bzw. 1649. Der Amtsbrief von 1595 ersetzte einen älteren, der beim Stadtbrand von 1586 verloren gegangen war. Er legte fest, dass derjenige, der das Brauamt erhalten wollte, keinen Wein außerhalb des Hauses ausschenken durfte. Des weiteren wurde die gleichzeitige Ausübung der Tätigkeit als Bäcker und Brauer verboten – eine Regelung, die übrigens nicht befolgt wurde. Auch von der Grut wurde gesprochen: Da der Besitz des Grutrechts immer üblich gewesen sei, solle es auch dabei bleiben.44 Selbst bei der Erneuerung des Amtsbriefes der Brauer im Jahre 1649 wurde der Text von 1595 beibehalten und nur durch weitere Passagen ergänzt. Dort findet sich nun auch erstmals eine Erwähnung des Hopfens.45 Bei den Ämtern handelte es sich um autonome Organisationen. Sie bestanden aus den Mitgliedern eines oder auch verschiedener, mehr oder weniger verwandter Handwerke, die ihre Angelegenheiten selbständig regelten. Dem Amt standen zwei bis vier Amtsmeister vor, die beispielsweise die Meisterstücke beurteilten, die Anzahl der Lehrlinge festlegten und die Versammlungen leiteten.46 Hauptaufgabe der Ämter war auch die Zulassung neuer Gewerbeinhaber.47 Die Mitgliedschaft war für jedermann verpflichtend. Wer braute und kein Mitglied war, konnte mit einer Geldbuße bestraft werden.

39 40 41 42 43 44 45 46 47

142

Wisplinghoff 1975, 395 Wisplinghoff 1975, 394 f Huck 1984, 58 Lau 1911, 77 f Lau 1911, 79 ff Lau 1911, 273 f Lau 1911, 308 f Wisplinghoff 1975, 417 Wisplinghoff 1975, 397 f


Der Bierumsatz in Neuss lag zwar, wie oben erwähnt, noch unter dem des Weines, doch war die Bierproduktion offenbar recht bedeutend. Im Jahre 1493 gab es 41 Brauer 48 in der Stadt, von denen drei gleichzeitig Weinhändler waren. Zwischen 1532 und 1541 werden in den Schriftquellen 13 Brauer genannt.49 Die Produktion der einzelnen Brauer variierte natürlich. Es gab Brauer, die nur wenige Säcke Braugerste im Jahr verarbeiteten, und andere, die 100 Säcke oder mehr verbrauchten.50 Sibe Kannengießer braute beispielsweise im Jahr 1493/94 aus seinen versteuerten 79 Säcken Braugetreide etwa 61.000 Liter Bier.51 Zu den Brauern gehörten auch Frauen. Im Jahre 1554 beispielsweise waren unter den insgesamt 46 Brauern sechs Frauen.52 1501 war Christine Grunsgen mit 154 Säcken versteuertem Braumalz sogar die erfolgreichste unter den Brauern.53 Für die Jahre 1606 und 1636 lassen sich weitere erfolgreiche Frauen finden, die zum Teil gleichzeitig im Weinhandel tätig waren bzw. umgekehrt nebenbei brauten.54 Aus den Angaben in der Stadtrechnung von 1501/02, die die Anzahl der zu versteuernden Säcke an Braugetreide auflistet, hat Erich Wiplinghoff errechnet, wie viel Bier die Neusser in diesem Jahr gebraut und getrunken haben. Er stellte fest, dass man aus den ungefähr 2.457 Säcken 55 Braugetreide bei einer Einwohnerzahl von ungefähr 5.000 Menschen auf ca. 270 l Bier pro Neusser kommt.56 Man darf aber sicher davon ausgehen, dass die Neusser das in der Stadt gebraute Bier nicht allein tranken, sondern es sich mit den zahlreichen Kaufleuten und Pilgern, die in die Stadt kamen, teilten. Zu den Konsumenten gehörten auch die Gefangenen, die nicht bei Wasser und Brot, sondern bei Bier und Brot in den Gefängnissen einsaßen. Zudem gehörte das Bier zur Armenspeisung. Ein Bedürftiger hatte täglich den Anspruch auf 1 ½ Liter Bier.57 Das städtische „Gasthaus zum heiligen Geist”, ein Hospital, in dem Arme, Gebrechliche und Kranke versorgt wurden, verbrauchte im Jahr etwa 550 Liter Bier.5 8 Die Gasthausrechnungen des späten 16. Jahrhunderts geben sogar Aufschluss darüber, wie die Bedürftigen hießen und welche Zuwendung sie erhielten. Darunter wird auch Bier genannt (Abb. 95).59 Außerdem kann man den Rechnungen entnehmen, dass das Gasthaus

48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58

95 „Quartkannen“ mit leichten Produktionsfehlern aus dem Gasthaus zum Heiligen Geist in Neuss, um 1500. Bodendenkmalpflege Neuss 1987/Rath. Fst. 14

Lau 1911, 82* Wisplinghoff 1975, 422 Wisplinghoff 1975, 437 Wisplinghoff 1975, 253 Wisplinghoff 1975, 270, dazu auch Anm. 390 Lau 1911, 366 Wisplinghoff 1975, 271 Lau 1911, 366 f Wisplinghoff 1975, 439 Wisplinghoff 1975, 435 Fischer/Herborn 1985, 45

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ein- bis zweimal im Monat Brauer kommen ließ, um das Bier brauen zu lassen. Der Brauer erhielt dafür als Lohn zwölf Albus, der ihn begleitende Helfer sechs Albus.60 Da das Bier als „Volksgetränk” den Status eines Grundnahrungsmittels hatte, unterlag es nicht dem Fastengebot. So berichtet der Neusser Stadtschreiber Christian Wierstraet, dass die Neusser während der Belagerung in den Jahren 1474/75 die Mutter Gottes um Hilfe baten und zur Bekräftigung ihrer Bitte sogar auf Brot und Bier verzichten wollten, um die Belagerung heil zu überstehen (Abb. 96).61 Wollten die Neusser in der oben geschilderten Begebenheit noch freiwillig auf das Bier verzichten, so kann man sich vorstellen, dass man den Bierentzug auch durchaus als Strafe anwenden konnte. Zwar sind hierfür keine Beispiele aus Neuss bekannt, 96 Bierkrüge aus Steinzeug, wohl zur Versorgung von Bedürftigen, doch wurde bereits auf der Mainzer 15. Jahrhundert, gefunden auf dem Gelände des Minoritenklosters in Neuss. Synode von 852 festgelegt, dass eine Clemens-Sels-Museum Neuss, 1984.214 -215, 170 -171 Person, die sich des Totschlages schuldig gemacht hatte, als Buße zeitweise auf Bier verzichten musste.62 Ebenso musste man bei bestimmten Vergehen zur Strafe eine gewisse Menge an Bier „zahlen”, oder es wurde im umgekehrten Fall Bier als Lohn ausgegeben.63 Weiterhin war Bier ein Bestandteil der Neusser Gesellen- oder Meisteressen. So wurden beispielsweise im Amtsbrief der Bäcker von 1579 und im Amtsbrief der Leineweber die Bestandteile solch eines Mahles aufgeführt. Das Festessen bei den Bäckermeistern sollte neben Käse, Wecken, Brot, Äpfeln, Knappkuchen und anderen Lebensmitteln auch Bier beinhalten.64 Ähnliche Vorgaben finden sich auch in dem erneuerten Amtsbrief der Leineweber von 1549. Wenn ein neuer Meister in Neuss arbeiten wollte, musste er nicht nur Geld an den Bürgermeister zahlen, sondern ebenfalls ein Essen geben, bei dem für einen Taler Bier gereicht werden sollte.65 Da das Bier im Alltag getrunken wurde, gab es zum Alkohol sicherlich eine andere Einstellung als heute. Bier war als „Volksgetränk” nicht nur eine Nahrungsergänzung, sondern, wie man an den beiden oben genannten Beispielen sehen konnte, auch ein wichtiger Bestandteil bei Ritualen im Zusammenhang mit Vertragsabschlüssen, Verlobungen, Lehns-

59 60 61 62 63 64 65

144

z.B. StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1, Bl. 84; StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1, Bl. 87 StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1, Bl. 20; StA Neuss B.02.01 / VII 210, 1, Bl. 25 (und öfter) Fonk 1999, 24 f Fischer/Herborn 1985, 20 Fonk 1999, 26-29 Lau 1911, 259 Lau 1911, 269


97 Trinkende Bauern. Ausschnitt aus „Bauernkirmes“. Öl auf Holz, Pieter Brueghel d. J., um 1615. Clemens-Sels-Museum Neuss, D1414

nahme und anderen mehr. Bei solchen Anlässen, denen man sich nicht entziehen konnte, war es nicht ungewöhnlich, dass das Trinkgelage mit der Bewusstlosigkeit der Teilnehmer endete (Abb. 97).66 Die Geistlichkeit versuchte, dem durch Verbote entgegenzuwirken, wie auch eine Anweisung des Kölner Erzbischofs an die Neusser von 1546 zeigt, die im Folgenden sinngemäß wiedergegeben wird: Da in Neuss Tag und Nacht übermäßig und unaufhörlich getrunken und gesoffen werde, seien nicht nur der Besitz und die Gesundheit der Menschen gefährdet, sondern auch ihr Seelenheil. Deshalb sollten nicht nur die normalen Bürger, sondern auch die Ratsleute aufhören, andauernd zusammenzusitzen, sich zuzuprosten und lange beim Wein herumzuhocken. Gastwirt und Gastgeber sollten darauf achten, dass sich die Gäste nicht „vollsaufen” (Abb. 98). Sie dürften nur das Nötigste an Wein und Bier bekommen. Im Sommer sollte nach neun Uhr abends und im Winter nach acht Uhr abends im Wirtshaus oder im Weinhaus kein Wein oder Bier ausgeschenkt werden. Wer dagegen verstieße, sollte bestraft werden.67 Diese Art der Alkoholexzesse oder auch allgemein den ausschweifenden Umgang mit Alkohol zu bekämpfen, war insofern schwierig, als dass die berauschende Wirkung des Alkohols eben alltäglich geworden war und man dadurch kein Gefühl mehr für die Gratwanderung zwischen viel und zu viel hatte.68 Im Laufe des 16. Jahrhunderts ging die Bierproduktion in Neuss stark zurück. Der Tiefstand war 1578 erreicht.69 Bei der Menge Bier, die anscheinend jährlich in Neuss verbraucht wurde, kann man diesen Einbruch nur schwer einordnen. In der wissenschaftlichen Diskussion ist man bisher noch zu keiner eindeutigen Erklärung gelangt.

66 67 68 69

Schievelbusch 1980, 38 Lau 1911, 222 Spode 1993, 51 f Lau 1911, 82*

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98 „Bauernschänke“. Öl auf Holz, nach Art des Cornelis Bega, 1651. Clemens-Sels-Museum Neuss, D1407

Eine Vermutung ist, dass die Bierproduktion rückläufig war, weil die Einwohnerzahl stark abgenommen hatte. Zur Überprüfung dieser These mangelt es an entsprechenden Neusser Quellen; außerdem darf man im Hinblick auf die allgemeine Bevölkerungssituation im 16. Jahrhundert eher vom Gegenteil ausgehen.70 Eine weitere Vermutung ist, dass es in dem besagten Zeitraum starke Missernten gegeben hat. Vergleicht man aber die bereits bekannten Krisenjahre mit dem Produktionsrückgang in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, so fällt auf, dass die Bierproduktion selbst in diesen Jahren nie auf den Tiefstand fiel, den sie zwischen 1554 und 1584 erreicht hatte.71 Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Produktion seit 1583 und selbst nach dem Stadtbrand von 1586 bald wieder beachtlich anstieg, und das, obwohl sich die Bevölkerung deutlich reduziert hatte und die wirtschaftliche Lage alles andere als gut war.72 Hier sei auch darauf hingewiesen, dass zeitgleich zum Rückgang in der Bierproduktion der Ausschank von Wein nur um 10% zurückging und das, obwohl Wein teurer war als Bier und bereits um 1554 bei der Bevölkerung eine deutliche Verschlechterung des Lebensstandards eingetreten war. Möglicherweise konnte sich zu diesem Zeitpunkt noch eine Oberschicht den Konsum des Weines leisten, während ärmere Bevölkerungsschichten selbst beim Bier sparen mussten. Dass es dann in den 1580er Jahren zu einem Anstieg in der Bierproduktion kam, könnte wiederum darin begründet liegen, dass nach der Katastrophe von 1586 selbst die Oberschicht finanziell nicht mehr in der Lage war, sich ihren Wein tagtäglich zu leisten.73

70 71 72 73

146

Wisplinghoff 1975, 442 Fischer/Herborn 1985, 45 Wisplinghoff 1975, 442 Wisplinghoff 1975, 441 f


Das Neusser Bier wurde wahrscheinlich auch außerhalb von Neuss verkauft. Leider gibt es dazu nur vereinzelte Hinweise. Karl Tücking weist darauf hin, dass neben dem Weinhandel auch der Bierhandel blühte.74 Nicolaus Bömmels erwähnt, dass der Bierverkauf bis in das 15. Jahrhundert hinein nicht unerheblich gewesen sein kann, da bereits 1363 der Vertrieb nach außerhalb erwähnt wird.75 So hat man im Jahre 1382 Neusser Bier nach Düsseldorf exportiert. Die Bevorzugung der Neusser Grut durch die Kölner aus dem Jahre 1408 könnte als Hinweis darauf gedeutet werden, dass man auch dorthin Bier verkaufte.76 Weiter oben wurde bereits erwähnt, dass die Neusser sich 1449 bemühten, beim Rat der Stadt Köln die Erlaubnis zu erhalten, das Neusser Keutebier in Köln verkaufen zu dürfen. Ist dies ein Anhaltspunkt für weitere Exportvorhaben? Nachdem die Bierproduktion zunächst einbrach und sich erst in den 1580er Jahren erholte, wird in der Stadtrechnung von 1583 ein Bierzoll erwähnt, von dem Wisplinghoff annimmt, dass er sich auf ausgeführtes Bier bezieht.77 Im Jahr 1598 wurden neben Bier auch noch Brot und Mehl stromabwärts verschifft.78 Über die Ein- bzw. Ausfuhr wissen wir auch in späteren Zeiten nur wenig.79 Ebenso wenig lässt sich zu den Gewinnen sagen, die durch die Bierproduktion erwirtschaftet wurden. Nur vereinzelt werden Bierpreise erwähnt. Da sich aber die Unkosten nur schwer berechnen lassen und der Stammwürzgehalt ebenfalls nur geschätzt werden kann, ist die Ermittlung eines Gewinnes sehr schwierig.80 Weiter darf durch die Angaben in den Stadtrechnungen davon ausgegangen werden, dass die Brauer – ebenso wie die Weinhändler – einen Ausschank hatten, der wiederum mitunter eine Übernachtungsmöglichkeit bot, wodurch ebenfalls Gewinne erwirtschaftet wurden. Manche Brauer waren gleichzeitig als Weinhändler 81 oder als Bäcker 82 tätig, auch wenn dies nach dem Amtsbrief von 1595 eigentlich verboten war. Weitere Verdienstmöglichkeiten suchten die Brauer durch den Handel mit Eisen, Holz, Heringen, Mühlsteinen oder Baumaterialien.83 Dass die Neusser Brauer schon während des Mittelalters einen hervorragenden Ruf in der Umgebung hatten, darf man aus den oben gemachten Ausführungen schlussfolgern. Das Neusser Brauamt gehörte mit seinen Mitgliedern – neben den Weinkaufleuten – immer zu den stärksten Berufsgruppen der Stadt. Aber nur ca. 10 -12 % der Brauer brachten es zu Vermögen, Ansehen und Einfluss.84 Sie saßen im Kollegium der „Vierundzwanziger”, einem Gremium, das als Sprungbrett für höhere Würden (Schöffen-, Rats- und Bürgermeisteramt) galt. Nach einer Auflistung aus

74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84

Tücking 1891, 243 Bömmels 1961, 108 Huck 1984, 58 Wisplinghoff 1975, 350, dazu auch Anm. 197 Wisplinghoff 1975, 354 Wisplinghoff 1975, 443 Wisplinghoff 1975, 253 Wisplinghoff 1975, 254 Wisplinghoff 1975, 284 Wisplinghoff 1975, 285 Wisplinghoff 1975, 437

147


dem Jahr 1630 stammten allein zwölf Mitglieder aus dem Kreis der Brauer.85 Bereits 1493 entstammten der Schultheiß Lambert Kreitfisch und Mitglieder der Schöffen- und Ratsfamilien Grunskens, Pilgrum und Scheffner der Berufsgruppe der Brauer. Im Jahre 1720 waren von 57 Brauern 10 Schöffen und Ratsherren, und noch im Jahre 1750 gehörten drei Bürgermeister zur Brauzunft.86 Die Tätigkeit des Brauens lässt sich noch heute in Neuss und Umgebung an vielen Nachnamen ablesen. So gehen Familiennamen wie Broyer, Bröer, Bruwer, Brawer, Breyer, Breuer, Breier oder auch Preyer ursprünglich auf Brauer zurück. Ähnlich verhält es sich mit Namen, die sich auf Grut zurückführen lassen wie Gruter, Greuter, Gruyter, Gruttmann, Grütter. Die Familiennamen Hoppe, Hopf, Hopfner, Höpfner, Hopp oder Hoppen leiten sich von der Pflanze Hopfen her.87

85 86 87

148

Fischer/Herborn 1985, 46 Lau 1911, 82* f Gottschald 1982, 127; 224; 258


Britta Spies

So sullen op sent Sebastianus Dach alle Broedere bij eynanderen essen – Essen und Trinken im Neusser Schützenwesen der Frühen Neuzeit Die gemeinsame Mahlzeit spielt im Zusammenleben der Menschen seit jeher eine große Rolle – nicht nur für Familien und Hausgemeinschaften, sondern auch für Menschen, die nicht unter einem Dach wohnen. Sich zusammen an einen Tisch zu setzen, gemeinsam zu essen und zu trinken, sich zu unterhalten und sich bestimmten Verhaltensweisen zu unterwerfen, ist weit mehr als die Befriedigung von Hunger und Durst. Das Zusammensein und Teilen der Nahrung wirkt in ganz unterschiedlichen Gruppen von Menschen in hohem Maße sozialisierend und bindungsstiftend. Ob Abendmahl oder Festbankett zum Abschluss eines EU-Gipfels, Geburtstagskaffeetrinken oder König Artus’ Tafelrunde – religiöse, politische und soziale Systeme nutzten und nutzen gleichermaßen die symbolische Kraft des friedvollen gemeinsamen Speisens. Gerade für Personengruppen, die gleiche Ziele und Interessen verfolgen, sich aber nur selten sehen, können regelmäßige Treffen und das gemeinsame Essen und Trinken große Bedeutung für den Zusammenhalt und das Zusammengehörigkeitsgefühl der einzelnen Mitglieder haben. Und so besaß auch im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, wo die Zugehörigkeit des Einzelnen zu bestimmten Funktionsgruppen eine besondere Rolle spielte, ein zu bestimmten Terminen veranstaltetes Festessen in diesen Gruppen große Bedeutung und sollte helfen, den inneren Zusammenhalt zu stärken.1 In einer Zeit, in der sehr viel Wert auf sichtbare Zeichen und Rituale gelegt wurde, war so ein Essen stets weit mehr als nur ein geselliges Treffen oder reine Nahrungsaufnahme. Die Bereitschaft, sich an einen Tisch zu setzen und gemeinsam zu speisen, war für das einzelne Mitglied, aber auch für den Außenstehenden vielmehr ein deutliches Zeichen für die Existenz und das Funktionieren dieser Gemeinschaft. Zünfte und Gilden, Dorfgemeinschaften und Nachbarschaften, Ratsversammlungen und Bruderschaften nutzten daher die Möglichkeit, mit einem Festmahl ihre Gemeinschaft zu demonstrieren und zu zelebrieren. Auch die Schützenbruderschaften in der Frühen Neuzeit kannten regelmäßige Treffen in Verbindung mit einem Festessen, das in den Quellen häufig als „Gelage” bezeichnet wird. Das Wort „Gelage” hatte zu dieser Zeit jedoch keineswegs die negative Bedeutung, die heute mit dem 99 Gründungsurkunde der St. Sebastianus SchützenbruderBegriff verbunden ist, sondern bezeichnete vielmehr das schaft in Neuss vom 1. November 1415. Stadtarchiv Neuss gemeinschaftliche Essen und Trinken, worauf etwa auch die Definition im Wörterbuch von Adelung verweist: Eine Gasterey, ein Schmaus, der auf gemeinschaftliche Kosten ausgerichtet wird.2 Auch die Neusser Schützen kannten so ein gemeinsames Essen: Bereits in der ersten urkundlichen Erwäh-

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Vgl. Althoff 2003, 32-37 Adelung 1811, Bd. 2, Sp. 520

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nung der Schützen in Neuss, in der auf den1. November 1415 datierten Gründungsurkunde der St. Sebastianus Bruderschaft, die heute im Stadtarchiv Neuss aufbewahrt wird (Abb. 99), findet sich ein Hinweis auf die Bedeutung eines derartigen Festmahls: Ind wanne dat Jahre geleden ist, so sullen op sent Sebastianus Dach alle Broedere, dye asdan binnen Nusse sijnt, bij eynanderen essen ind dye Broderschaft sal zoborens gheven viij Wyssepennighe, ind asdan sullen dye Meistere dat gelt leveren ind rechenschaf doyn van opboringen ind van usgheven. Ind dye Meistere sullen mit vijr andere Meistere dye Broderschaf, dat Gelt ind dye Kertze ind wat dye Broderschaf antreft, truwelich zo bewaren.3 In der Übertragung ins Hochdeutsche: „Wenn das Jahr vergangen ist, sollen auf Sankt Sebastianustag alle Brüder, die dann in Neuss weilen, beieinander ein Essen veranstalten, und die Bruderschaft soll dazu 8 Weißpfennige geben. Danach sollen die Meister das Geld abliefern und Rechenschaft ablegen über Einnahmen und Ausgaben. Dann sollen die Meister mit vier der ältesten Brüder vier andere Meister wählen, welche die Bruderschaft, das Geld und die Kerze und was sonst die Bruderschaft anbetrifft, treulich in Verwahr nehmen.” In dieser Urkunde, in der die Rechte und Pflichten der Mitglieder der Bruderschaft festgehalten sind, wird bestimmt, dass jeweils am 20. Januar, am Patronatstag, alle Brüder, die sich zu diesem Zeitpunkt in der Stadt befanden, zusammenkommen sollten, um ein gemeinsames Essen zu veranstalten. An diesem Termin sollten die Brudermeister als Repräsentanten und Geschäftsführer der Bruderschaft ihren Mitbrüdern die Abrechnung über die Einkünfte und Ausgaben des vergangenen Jahres präsentieren, und es sollte eine Neuwahl der Meister erfolgen. Ein anderer Passus der Statuten bestimmt zudem, dass vor dem Essen im Quirinus-Münster eine Messe für die lebenden und die verstorbenen Brüder stattfinden musste. Ab Mitte des 15. Jahrhunderts gab es in Neuss nicht mehr nur eine Schützenbruderschaft unter dem Patronat des heiligen Sebastianus, sondern zwei, die als „Alte Schützen” bzw. „Junge Schützen” bezeichnet wurden.4 Beide Gruppierungen feierten jeweils eine eigene Messe und veranstalteten ein eigenes Bruderschaftsmahl. Das gemeinschaftliche Mahl am Patronatstag im Anschluss an einen Gottesdienst kannten jedoch nicht nur die Schützen, sondern zumindest auch einige der zwanzig anderen Bruderschaften in Neuss,5 wie ein von dem Stadtsekretarius Johann Hoen verfasster Bericht aus dem Jahr 1616 zeigt: „Binnen der Stadt Neus ist es von uraltersher lobenswert hergebracht und ersessen, daß verschiedene Bruderschaften aufgericht und unterhalten wurden dergestalt, daß jede Bruderschaft alle Jahre auf ihrem Patronatstag in der Kirche des heiligen Quirinus eine Beisammenkunft gehabt und einen feierlichen Gottesdienst für die verstorbenen und lebenden Brüder hat halten lassen. Dabei haben ihnen auch viele Bürger und andere ihre Andacht erwiesen. Wann dann der Gottesdienst zu Ende gewesen, sind die Brüder an einem ihnen gefälligen Ort beisammen erschienen, haben sich belustiget, lieblich erzeigt, und sind dann voneinander geschieden.” 6 Die Statuten der Schützenbruderschaft von 1415 legen also die Rahmenbedingungen der Feierlichkeiten am Patronatstag der Bruderschaft fest. Wie diese Feier aber nun tatsächlich aussah, wo diese stattfand und was gegessen und getrunken wurde – darüber lässt sich dem Text der Urkunde nichts entnehmen. Tatsächlich haben sich in Neuss nur

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Transkription und Umschrift nach Lange 1991, 49 f Dazu Wisplinghoff 1989, 37; Lange 1991, 60 ff Wisplinghoff 1989, 33 Lange 1991, 223


wenige andere Quellen erhalten, die Auskunft über das Schützenwesen in dieser Zeit geben können. Dazu zählen neben den erwähnten Statuten vor allem Vermerke in den Ratsprotokollen der Stadt und einige erhaltene Rechnungsbelege der Bruderschaft selbst. Aber auch diese wenigen Belege erlauben es, Einblick in das Bruderschaftsleben der Schützen im 16./17. Jahrhundert zu nehmen. Dabei wird immer wieder deutlich, wie wichtig die Zusammenkünfte mit Essen und Trinken für die Gemeinschaft waren. Ein erster Hinweis darauf findet sich etwa in der ältesten erhaltenen Jahres-Rechnung der Alten Schützen für die Jahre 1577/1578, die eine Auflistung der Ausgaben für das Essen am Patronatstag 1578 enthält (Abb. 100). Zu diesem Anlass wurden für die Bewirtung von 39 Gästen auf Kosten der Bruderschaft folgende Lebensmittel eingekauft: 6 ½ Pfund Butter, 3 Viertel Erbsen, 3 Lämmer, 2 Hasen, 24 ½ Pfund Kuhfleisch, 63 Pfund Rindfleisch, 2 Quart Wein für die Erbsen, Kraut, Mostert, 2 Kaninchen, Spickspeck und Garn sowie ein holländischer Käse zu 4 ½ Pfund. 7

100 Die Abrechnung der Alten Schützen für das Jahr 1577/ 78 verzeichnet auch die für das Bruderschaftsmahl eingekauften Lebensmittel.

Auch wenn die Rechnung nur die Zutaten, aber keine Gerichte oder Rezepte verzeichnet, so fällt doch sofort der Unterschied zu modernen Festessen ins Auge: Auf der Tafel stand vor allem Fleisch, von verschiedenen Tieren und in verschiedenen Zubereitungsarten. Dabei gönnten sich die Schützenbrüder durchaus auch feinere Kost als sonst üblich: Die drei Lämmer kosteten mit 15 Mark wesentlich mehr als die 63 Pfund Rindfleisch zu 10 Mark und die zwei Hasen für 4 Mark überstiegen die Kosten für die 24 Pfund Kuhfleisch zu 3 Mark deutlich. Auf die verschiedenen Zubereitungsarten verweisen die Zutaten Spickspeck und Garn oder Mostert, eine gewürzte Senfsoße, ebenso wie die in der Rechnung auftauchende Zahlung für einen „Speisdreier”, also für jemanden, der am Feuer den Bratspieß drehte. Gespicktes, gebratenes, gegrilltes, vermutlich auch gekochtes oder zu Pasteten verarbeitetes Fleisch, dazu nur wenige Beispeisen, hier mit Wein gekochte Erbsen – mit diesen Gerichten erfüllte die Koechersche, die extra für diesen Anlass engagierte Köchin, vermutlich genau die Erwartungen der anwesenden Schützenbrüder. Denn in der Frühen Neuzeit gehörte Fleisch in verschiedenen Zubereitungsarten und verschiedenen Sorten zum festen Bestandteil einer festlichen Mahlzeit. Schätzungen gehen davon aus, dass in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts im Durchschnitt pro Person 100 Kilo Fleisch im Jahr verzehrt wurden.8 Zum Vergleich: Heute isst jeder Deutsche etwa 60 Kilo Fleisch im Jahr. 9 Gemüse spielte hingegen eine untergeordnete Rolle. Die Jahreszeit, in der das Patronatsessen der Schützen stattfand, wird noch zusätzlich dafür gesorgt haben, dass den Gästen nur eine geringe Auswahl angeboten wurde. „Sättigungsbeilagen” wie Reis, Kartoffeln oder Nudeln, die bei einem modernen Essen nicht fehlen dürfen, gehörten zudem damals noch nicht zum Speiseplan der Menschen.

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Lange 1991, 139 Dazu Wiegelmann 1967, 30 Verbrauch im Jahr 2007, Quelle: ZMP GmbH, Bonn

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Auffällig ist jedoch, dass in der Aufzählung kein Brot genannt wird, das wie das Fleisch ein unverzichtbarer Bestandteil eines frühneuzeitlichen Festessens war. Und auch die Schützen verzehrten sicher größere Mengen von Brot während ihrer Mahlzeit. Dieser Posten taucht allerdings in der vorliegenden Rechnung nicht auf, weil die Bruderschaft es nicht nötig hatte, Brot zu kaufen, sondern dieses eigenen Beständen entnehmen konnte: Die Schützenbrüder verfügten über zahlreiche „Renten”, regelmäßig anfallende Geldbeträge oder Sachleistungen, die ihnen vor allem als Erbe oder durch die Vergabe von Krediten zugefallen waren. So erhielt die Bruderschaft zu dieser Zeit in jedem Jahr 17 Malter, etwa 40 Zentner, Getreide, vorwiegend Roggen, das zu Brot verbacken und zum größten Teil an die Armen verteilt wurde. Die Lohnkosten für den Bäcker trug ebenfalls die Bruderschaft. Ein Teil des Getreides, 1578 etwa 4 Zentner, verzehrten die Brüder bei verschiedenen Gelegenheiten jedoch selbst als Eßbrodt.10 Ein Vergleich mit den von Neusser Zünften im 16. Jahrhundert veranstalteten Essen, zu denen sich die Handwerker regelmäßig zusammenfanden, zeigt, dass sich die beim Bruderschaftsmahl der Sebastianus-Schützen servierten Speisen nur wenig von den dort üblichen Gerichten unterschieden.11 So bestimmt der 1579 erlassene Amtsbrief der Bäcker: Und solle alstan erstlich eine schussel gereuchten fleisch mit ertzen durchgeschlagen aufsetzen, vort demnach zwa schusseln grönes fleisch und zwahe schusseln gebraetz, und hernacher botter, kees, wegk, brot, bier, epfel und knapkoechen.12 Und auch ein am 3. Februar 1583 anlässlich der Wahl der Bürgermeister veranstaltetes Festessen für den Rat der Stadt Neuss und seine Gäste bestand aus einer ganz ähnlichen Speisefolge. Zu diesem Anlass wurden aufgetischt: 56 Pfund Rindfleisch, 47 Pfund Hammelfleisch, 26 Pfund Kalbfleisch, 2 Lämmer, 2 Hasen, 6 Feldhühner, 4 Kaninchen, 5 Hühner, dazu Erbsen, Brot, Butter, Käse und als Dessert Knappkuchen, Äpfel und Nüsse.13 Schützen, Handwerker und Ratsmitglieder feierten also in nahezu gleicher Weise mit vielen Fleischgerichten, begleitet von Gemüse, Brot, Butter und Käse. Während die Zünfte und der Rat ihr Essen jedoch mit Äpfeln und Knappkuchen, einem dünnen, harten Gewürzbzw. Honigkuchen, abschlossen, findet sich bei den Schützen kein Hinweis auf Obst oder eine Süßspeise in den Rechnungsbelegen. Ob die Schützen auf einen solchen „süßen Abschluss” verzichteten oder ob Obst und Kuchen ähnlich wie das Brot aus anderen Quellen stammten und daher nicht in den Rechnungen auftauchen, muss offen bleiben. Aber nicht jedes Festmahl zu dieser Zeit orientierte sich an den beschriebenen Maßstäben: Aufstellungen über die bei den Feierlichkeiten anlässlich der Wahl einer neuen Äbtissin im Neusser Quirinus-Stift in den Jahren 1641 und 1650 angefallenen Kosten belegen, dass ein Festessen außerhalb der bürgerlichen Kreise auch weitaus aufwändiger ausfallen konnte. Hier, wo sich Angehörige des Adels trafen, kamen neben den gewöhnlichen Fleisch- und Fischspeisen auch Austern, Zitronen, Rinderzungen, Oliven, kandierte Früchte und sogar vier indianische hannen, also Truthähne, ein damals noch sehr exotisches Geflügel, auf den Tisch.14 Die erhaltenen Beschreibungen zeigen, dass es in Neuss offensichtlich feste Vorstellungen davon gab, was für ein festliches Essen bei einem offiziellen Anlass wie einer Bruderschaftsversammlung, einer Bürgermeisterwahl oder der Aufnahme eines neuen

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Vgl. Lange 1991, 131 ff Vgl. dazu auch den Beitrag von Carl Pause zu den Neusser Essgewohnheiten vor 500 Jahren in diesem Band Lau 1911, 259 Vgl. Lange 1991, 163 Vgl. dazu den Beitrag von Carl Pause zu den Neusser Essgewohnheiten vor 500 Jahren in diesem Band


Handwerksmeisters angemessen war. Einer Rechnung der Jungen Schützen für das Jahr 1615 lässt sich entnehmen, dass sich auch fast vierzig Jahre nach dem ersten dokumentierten Mahl im Jahr 1578 daran nur wenig geändert hatte. Für ein Essen mit 153 Teilnehmern wurden benötigt: 148 Pfund Kalbfleisch, 31 Pfund Hammelfleisch, Erbsen, 5 Pfund Butter, 2 Quart Wein für die Erbsen, Gewürze. Hinzu kam der Lohn für das Backen von Wecken und Brot. Ob und wie sich die Rezepte im Vergleich zu 1578 verändert hatten, lässt sich nicht feststellen: Die Zutaten waren jedoch über die Jahrzehnte hinweg nahezu unverändert geblieben. Bei bestimmten Anlässen gab es jedoch Ausnahmen von diesem festen Speiseplan, etwa wenn der Tag des heiligen Sebastianus auf einen Freitag fiel und somit die Vorschriften des katholischen Fastengebotes eingehalten werden mussten. Dies war zum Beispiel im Jahr 1617 der Fall. Wie die Rechnung für die Feier in diesem Jahr zeigt, änderte sich an den Speisen jedoch nur insofern etwas, als das Fleisch durch Fisch ersetzt wurde. Angekauft und serviert wurden diesmal Laberdan (gesalzener und in Fässern eingelegter Kabeljau), Bollich (Rhein-Maräne) und grüner (frischer) Fisch. Für die Zubereitung benötigte der Koch an Gewürzen Gekreut, Etzig, Mostersmehl sowie 30 Pfund Butter. Die Beilagen unterschieden sich hingegen nicht von den Gelagen mit Fleischspeisen: Wieder gab es Brot und mit Wein gekochte Erbsen.15 Eine angemessene Beköstigung der Schützenbrüder war offensichtlich von großer Bedeutung für das Gelingen eines Bruderschaftsmahls. So entschlossen sich die Schützen 1612, als das Patronatsfest auch auf einen Freitag fiel, am 20. Januar lediglich den Gottesdienst durchzuführen, das Essen aber auf den folgenden Sonntag zu verschieben, weil es in diesem Jahr offensichtlich zu schwierig war, mitten im Winter genug „Fischwerk” für ein richtiges Festessen zu beschaffen, und man daher lieber auf einen Wochentag ohne Fastengebot auswich.16 Aber die Schützenbrüder wurden nicht nur an ihrem Patronatstag von der Bruderschaft beköstigt. An jedem Freitag vor Pfingsten fand in Neuss eine große Prozession statt, die mehrere Stunden dauerte und bis vor die Tore der Stadt führte.17 Während dieser Prozession, an der auch die Schützen teilnahmen, wurde ein Imbiss serviert, für den die Brudermeister der Alten Schützen 1577 zum Beispiel Eier, Käse und Butter einkauften; vermutlich wurde dazu wieder Brot aus den eigenen Beständen der Bruderschaft gereicht. Nach der Prozession trafen sich die Schützen dann zu einem gemeinsamen Mittagessen, bei dem die anwesenden Brüder – da es sich wieder um einen Freitag handelte – gebratenen und gekochten Salm (Lachs) mit Kraut zu essen bekamen.18 Aber natürlich wurden die Schützenbrüder bei all diesen Gelegenheiten nicht nur mit Essen, sondern auch mit Getränken bewirtet. Die Rechnungen verzeichnen neben den Lebensmitteln und den geringen Mengen von Wein, die für die Zubereitung der Speisen benötigt wurden, auch jeweils ein größeres Quantum Wein und Bier. Für das Bruderschaftsessen 1578, an dem 39 Personen teilnahmen, fielen etwa Kosten für rund 55 Liter Wein und rund 78 Liter Bier an. Die Kosten für den Wein waren mit 8 Albus für das Quart, eine zeitgenössische Maßeinheit, die etwa 1 ½ Liter entspricht, fast viermal so hoch wie für das Bier, das lediglich 2 Albus je Quart kostete.19 Wein war jedoch zu dieser Zeit das übliche Getränk, das zu einem festlichen Essen gereicht wurde. Um die Qualität des Weines zu

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Vgl. Lange 1991, 219 Vgl. Lange 1991, 205 Vgl. Wisplinghoff 1989, 25 Vgl. Lange 1991, 136 f Vgl. Lange 1991, 139

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gewährleisten – so lautete jedenfalls die offizielle Begründung –, war es üblich, dass am Vorabend des Festtages eine Abordnung der für die Organisation Verantwortlichen eine sogenannte Weinprobe veranstaltete. Auch die verantwortlichen Schützenbrüder trafen sich vor dem Patronatstag und probierten gemeinsam den Wein, der am folgenden Tag kredenzt werden sollte. Insgesamt vertranken sie bei dieser Gelegenheit 6 Liter Wein und verzehrten zudem einen Imbiss aus Kerpen und Kraut, also Karpfen und Kraut – alles auf Kosten der Bruderschaftskasse. Ein Teil des für das Bruderschaftsmahl gekauften Bieres war, wie eine Anmerkung in der Abrechnung belegt, zudem für einen „Nachtrunk” am Tag nach dem Bruderschaftsessen bestimmt, sodass sich die Feierlichkeiten letztlich über drei Tage hinzogen. Die Schützenbrüder zahlten für ihre Teilnahme am Bruderschaftsessen lediglich einen geringen Eigenanteil von 6 Albus. Die Summe von etwa 19 Mark, die durch den „Verzehrbeitrag” der 39 Teilnehmer zusammenkam, entsprach damit aber nicht einmal einem Viertel der tatsächlich für das Gelage angefallenen Kosten. Die verschiedenen Feierlichkeiten belasteten die Kasse der Bruderschaften daher nicht unerheblich: Die Kosten für das Bruderschaftsmahl der Alten Schützen am Patronatstag, die Weinprobe am Tag davor sowie für den Imbiss und das Essen am Prozessionstag betrugen 110 Mark. Da die Gesamteinkünfte der Bruderschaft für das Rechnungsjahr 1577/78 rund 256 Mark betrugen, wurden also mehr als 40 Prozent der Einkünfte in die Beköstigung investiert. Tatsächlich waren die Ausgaben für die Geselligkeiten der Bruderschaften sogar noch höher, denn in den Rechnungen finden sich außer den Kosten für die Lebensmittel und Getränke auch Posten für Glaseren und Potten das gantse Jahr verdan, für Fleschen, Kannen, Telleren, Leuchteren diß gantze Jahr gemacht und verbessert und für den Kauf von neuen „Paßgläsern”, die sich auf über 25 Mark summieren.20 Die Ausgaben für die Anschaffung und Reparatur von Geschirr und Gläsern zeigen, dass die Schützenbrüder über einen eigenen Bestand an derartigen Ausstattungsstücken verfügten. Wie umfangreich dieser Bestand tatsächlich war, lässt eine Rechnung der Jungen Schützen von 1607 erahnen: Die Bruderschaft kaufte in diesem Jahr an die hundert Gläser und Römer und schaffte sogar einen eigenen Stempel an, da man den Zinn mit zeichnet, 21 mit dem man also Zinnteller, platten und -schüsseln als Eigentum der Bruderschaft kennzeichnen konnte. Wie bei den Neusser Schützen war es in der Frühen Neuzeit üblich, dass Bruderschaften, Gilden und Zünfte eigenes Geschirr aus Zinn besaßen und dieses bei ihren Versammlungen und Festessen nutzten.22 Die Statuten der Großen Schützenbruderschaft aus Münster aus dem Jahr 1557 enthalten zum Beispiel eine Bestimmung, dass jeweils zwei Brüder einen Becher stiften sollen, um der Bruderschaft Geld für das Leihen des Geschirrs zu ersparen. Und in einer erneuerten Fassung der Statuten, die um 1600 entstanden ist, beschäftigt sich sogar ein eigener Abschnitt unter dem Titel Vom Zinnwerck, wie eß verwahret und verhuret werden sall mit der Aufbewahrung und der Verleihung der eigenen Teller und Becher.23 Das Zinngeschirr hatte dabei nicht nur praktische Bedeutung, sondern der gemeinsame Besitz verstärkte auch das Zusammengehörigkeitsgefühl der Mitglieder einer solchen Vereinigung. Gravuren und Prägungen, die Symbole der Zunft oder den Namen der Bruderschaft wiedergaben, verwiesen auf die Existenz der Gruppe und auf die oft lang

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Vgl. Lange 1991, 141 Vgl. Lange 1991, 199 Vgl. hierzu Zischka u. a. 1993, 187-196 Vgl. Stober 2007, 202; 214


101a-b Silbernes Trinkgefäß der St. Antonius Bruderschaft Kalkar in Form eines Schweins, datiert 1635. Der Kopf des Schweins kann abgeklappt und das Gefäß dann als Becher verwendet werden. Die auf dem Rücken befestigten Medaillons tragen die eingravierten Namen der Brudermeister. Kölnisches Stadtmuseum

zurückreichende gemeinsame Tradition. Neben dem Gebrauchswert besaßen viele Stücke auch repräsentativen Charakter. Dazu zählten vor allem die prächtigen Kannen und Pokale der Zünfte, die oft als „Willkomm-Pokal” eine wichtige Rolle im zeremoniellen Leben der Gemeinschaften spielten. Mit einem Trunk aus diesem Gefäß wurden Meister und Lehrlinge aufgenommen oder besondere Gäste begrüßt. Vor allem in wohlhabenden Städten wie Nürnberg oder Köln waren diese Pokale nicht aus Zinn, sondern aus Silber gefertigt und aufwändig verziert – die gesellschaftliche Bedeutung der Zunft und ihrer Mitglieder sollte in der Gestaltung und im Wert des Gefäßes sichtbar werden. Auch die Schützen besaßen Trinkgefäße, denen eine besondere Bedeutung zukam. Diese Pokale wurden ähnlich wie die Zunftgefäße genutzt, dienten daneben aber auch zur Ehrung des neuen Schützenkönigs, dem nach dem Vogelschießen als Zeichen der neuen Würde ein Gefäß mit Wein gereicht wurde. Und wie die Verzierungen auf den Zunftpokalen auf das jeweilige Handwerk hindeuten, so verweisen auch manche der Schützenpokale auf ihre besonderen Benutzer: So sind Trinkgefäße in Form von Vögeln erhalten geblieben, deren Kopf zum Trinken abgenommen werden konnte und die durch ihr Aussehen direkt Bezug auf das Vogelschießen nehmen. Solche Gefäße besitzen zum Beispiel die St. Sebastianus Schützengesellschaft Ehrenbreitstein (datiert 1752) und die St. Sebastianus Bruderschaft und Schützengilde 1357 e.V. Andernach (datiert 1657). Ein noch ungewöhnlicheres Trinkgefäß befindet sich im Besitz der St. Antonius Bruderschaft in Kalkar: Hier tranken die Schützen aus einem Becher in Form eines Schweins, dem Attribut des Schutzheiligen der Bruderschaft (Abb. 101a-b). Andere Pokale folgen hingegen eher traditionellen Gestaltungsmustern und ähneln Pokalen, Kannen oder Bechern.24 Ob auch die Schützen in Neuss derartige ausgefallene oder traditionelle Pokale besaßen, ist nicht überliefert. Die Rechnungsbelege zeigen jedoch, dass auf die repräsentative Ausgestaltung des Mahls großer Wert gelegt wurde, denn regelmäßig wurde der eigene Bestand an Geschirr ergänzt durch zusätzlich gegen Geld entliehene Zinnschüsseln und

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Weitere Beispiele für Trinkgefäße von Schützenbruderschaften finden sich bei Blum 1974

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-teller, Weingefäße und Tischtücher. Geliehen werden musste jeweils auch das nötige Kochgeschirr wie Pfannen, Bratspieße und Kessel.25 Weitere Kosten entfielen auf die Unterhaltung eines eigenen Versammlungsortes. Die Alten Schützen (die daher manchmal auch als Waagen-Schützen bezeichnet wurden) trafen sich in einem Saal in der Stadtwaage am Markt, die Jungen Schützen nutzten den Söller im direkt neben der Waage liegenden städtischen Kaufhaus (Abb. 102) – damit besaßen beide Bruderschaften Räumlichkeiten in zentralen und repräsentativen Gebäuden der Stadt, die sich die Nutzung jedoch bezahlen ließ: Die Alten Schützen hatten den Neubau der Stadtwaage mit 130 Gulden mitfinanziert, die Jungen Schützen den Söller im Kaufhaus gegen eine jährliche Zahlung gepachtet.26 Für die Ausstattung der Räume waren die Schützen selbst zuständig; so kauften die Jungen Schützen zum Beispiel 1607 in Köln Holz für neue Tische und Bänke, die sie anschließend in Neuss fertigen ließen.27 Die Ausstattung des Saales war offensichtlich von so gutem Standard, dass der Schutzen Suller 1641 vom Stift St. Quirin angemietet wurde, 102 Stadtwaage (z) und Kaufhaus (x) um dort die Wahl der neuen Äbtissin zu feiern.28 Die mit den Versammlungsräumen der Alten und der Jungen Schützen 2 Gulden und 3 Albus, die die Schützen durch die befanden sich direkt am Marktplatz. Vermietung ihres Lokals in diesem Fall erzielten, deckten jedoch ebenso wie die Vermietung an Hochzeitsgesellschaften, die ebenfalls belegt ist,29 nur einen kleinen Teil der Kosten, die für Pacht, Unterhaltung und Heizen der Räume in jedem Jahr anfielen. 1577/78 zum Beispiel zahlten die Alten Schützen allein für Kohle mehr als 37 Mark.30 Letztlich mussten die Schützenbruderschaften somit einen Großteil ihrer Einkünfte zur Finanzierung der direkten und indirekten Kosten für die geselligen Zusammenkünfte – für Lebensmittel, Personal, Miete, die Anschaffung von Geschirr und die Ausstattung der Räumlichkeiten – ausgeben. Die Schützen speisten jedoch nicht ausschließlich auf Kosten der Bruderschaft, sondern bewirteten ihre Mitbrüder zu verschiedenen Gelegenheiten auch selbst. Einmal im Jahr lud etwa der jeweilige Schützenkönig seine Mitbrüder zu einem Essen ein, in den Quellen Conreyde,31 Bewirtung, genannt. Im Laufe des 16. Jahrhunderts werden zudem häufiger Gelegenheiten erwähnt, bei denen ein oder zwei Brüder die Schink zu geben, d. h., ein gemeinschaftliches Mahl auszurichten hatten. Dieser Brauch verfestigte sich zunehmend, sodass Anfang des 17. Jahrhunderts jeden Monat ein solches Schinkengeloecher, ein Schinkengelage, in den Räumlichkeiten der Bruderschaft stattfand. 1615 trafen sich die Jungen Schützen jeweils am 1. Sonntag im Monat sowie am 28. Dezember und am 1. Januar. An den Essen nahmen jeweils zwischen 39 und 99 Brüder teil. Bei den Alten Schützen, die das Schinkenessen ebenfalls kannten, war die Beteiligung sogar noch höher: 1616 nahmen an 13 Treffen, die ebenfalls jeweils am 1. Sonntag, am 28. Dezember sowie am 1. Januar stattfanden, zwischen 60 und 141 Personen teil. In den erhaltenen Auf-

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Vgl. Lange 1991, 189; 215 Vgl. Lange 1991, 87; 126 Vgl. Lange 1991, 199 Vgl. den Beitrag von Carl Pause zu den Neusser Essgewohnheiten vor 500 Jahren in diesem Band Vgl. Lange 1991, 214 Vgl. Lange 1991, 141 Vgl. Lange 1991, 114


zeichnungen beider Bruderschaften werden jeweils zwei „Wirte” als Ausrichter der Veranstaltung namentlich verzeichnet, die auch die Kosten zu tragen hatten. Die Bruderschaft stellte bei diesen Essen das Brot zur Verfügung; zusätzlich musste jeder Teilnehmer 6 Heller bezahlen.32 Wie die „Schinkenwirte” ermittelt wurden, wird nirgendwo näher beschrieben. Joseph Lange vermutet jedoch, dass diese bei den wöchentlichen Treffen und Übungsschießen der Schützen auf dem Schießstand ausgeschossen wurden. Anfang des 17. Jahrhunderts trafen sich demnach sowohl die Alten wie auch die Jungen Schützenbrüder in jedem Jahr 13-mal zu einem Schinkengeloecher, einmal zu einem Conreyde des Königs, einmal zum Bruderschaftsmahl am Patronatstag sowie zu einem gemeinsamen Essen anlässlich der Stadtprozession. Zusätzlich kamen die Brüder sonntags auf dem Schießstand zusammen, um sich dort im Schießen zu üben. Bei dieser Gelegenheit gab es zwar keine gemeinsame Mahlzeit, aber es wurden doch Getränke – wie üblich Wein und Bier – ausgeschenkt. Essen und Trinken spielte bei den zahlreichen Treffen der Schützenbrüder in Neuss also eine zentrale Rolle und war wesentlich mehr als nur eine Nahrungsaufnahme. Die gemeinsamen Mahlzeiten und Feiern, die, wenn man die Menge der verzehrten Lebensmittel und Getränke bedenkt, sicher jeweils mehrere Stunden dauerten, boten den Männern vielmehr Gelegenheit, die Kontakte und Bindungen zu ihren Mitbrüdern regelmäßig zu erneuern und sich gleichzeitig nach außen hin als Gruppe zu präsentieren – denn nicht jeder Neusser war Mitglied bei den Schützen und somit durfte auch nicht jeder an den gemeinsamen Essen teilnehmen. Die Gruppe, die sich hier konstituierte, war relativ homogen und rekrutierte sich aus den gut situierten Händlern und Handwerkern in der Stadt. Unter ihnen befanden sich zahlreiche Ratsmitglieder und Funktionsträger der städtischen Verwaltung wie Bürgermeister oder Schöffen. Lange hat die 39 Teilnehmer am Bruderschaftsessen 1578 näher untersucht und festgestellt, dass sich darunter sechs Schöffen und sechs Ratsherren, zwei Kanoniker von St. Quirin sowie der Verwalter der städtischen Rentkammer befanden. In den nächsten Jahrzehnten stieg die Zahl der Schützen offensichtlich stark an und war Anfang des 17. Jahrhunderts, gemessen an der Zahl der Einwohner, relativ hoch. 1616 nahmen bei den Alten Schützen 210 Männer am Bruderschaftsmahl teil; zwar liegen für die Jungen Schützen aus diesem Jahr keine Aufzeichnungen vor, aber für 1617 verzeichnen die Listen 153 Anwesende am Patronatstag.33 Zieht man die beiden Zahlen zusammen, so waren 363 Neusser bei einer der beiden Schützenbruderschaften aktiv. Ein Vergleich mit der Einwohnerzahl der Stadt von rund 4000 Menschen zu dieser Zeit gibt einen Eindruck von der Bedeutung dieser Vereinigung innerhalb der städtischen Gemeinschaft. Die Ausbildung eines funktionierenden Netzwerkes wurde noch dadurch unterstützt, dass die Bruderschaften zu ihren Veranstaltungen regelmäßig Gäste einluden. 1598 nahmen zum Beispiel bei den Jungen Schützen außer den 93 Brüdern der Pfarrer des Münsters und zwei weitere geistliche Herren, die beim Gottesdienst beteiligt gewesen waren, die zwei Schulmeister der lateinischen und der deutschen Schule, der Küster, drei Brüder aus dem Minoritenkloster, ein städtischer Beamter, der die Bruderschaftsrechnung führte, und drei Brüder der alten Waagen Schützen teil.34 Da die Schützenbruderschaften nicht nur wie andere Bruderschaften religiöse, karitative und gesellige Funktionen übernahmen, sondern durch ihre Fähigkeiten bei der Benutzung von Fernwaffen, von Armbrust oder Büchsen, auch große Bedeutung bei der Verteidigung

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Vgl. Lange 1991, 212 f Vgl. Lange 1991, 216 Vgl. Lange 1991, 189

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der Stadt im Falle eines Angriffs hatten, wurden sie besonders unterstützt. Die städtische Obrigkeit richtete Plätze für Übungsschießen ein, stiftete Naturalien wie Fleisch oder Wein für die jährlichen Gelage und belohnte auch den Schützenkönig mit einer Sonderzahlung.35 Auch in Neuss lässt sich diese Förderung nachweisen. Die Stadt richtete, zunächst zwischen Zolltor und Windmühlenturm, später dann auf dem Hamtorwall, eine Schießbahn ein (Abb. 103), gab Zuschüsse für die Unterhaltung der Anlage sowie die Ausstattung der Schützen mit Kogeln, kurzen Umhängen mit angeschnittener Kapuze, und zahlte den Schützen, die ein auswärtiges Wettschießen besuchten, einen Teil der Reise103 Der Stadtplan von Hogenberg aus dem Jahr 1590 zeigt deutlich die kosten. Die Stadt unterstützte auch die gesellizwischen Zolltor und Windmühlenturm direkt an der Stadtmauer gelegene gen Treffen der Schützenbrüder: Jede Woche Schützenbahn der Alten und der Jungen Schützen. erhielten die Brudermeister einen kleinen Geldbetrag, um die Teilnehmer am sonntäglichen Übungsschießen beköstigen zu können.36 Die Schützenkönige beider Bruderschaften bekamen von der Stadt einen Geldbetrag in Höhe von einem oder zwei Kaufmannsgulden sowie etliche Kannen Wein für die Ausrichtung des Conreyds zur Verfügung gestellt. Und Ende des 16. Jahrhunderts wurde es üblich, dass die Bruderschaften den Wein für ihr jährliches Mahl am Patronatstag nicht mehr selbst kaufen mussten, sondern vom Rat gestiftet bekamen. 1608 erhielten die Alten und Jungen Schützen zusammen rund 93 Liter Wein im Wert von 78 Gulden von der Stadt geschenkt. Weitere 60 Liter im Wert von 32 Gulden fielen für die Weinprobe durch die Ratsmitglieder an, die am Vorabend des Bruderschaftsessens durchgeführt wurde. Daneben zahlte die Stadt in diesem Jahr noch 64 Gulden Zuschuss für die Bewirtung bei den wöchentlichen Übungsschießen auf dem Schießstand, 13 Gulden für die Durchführung eines geplanten Schutzen Spills, also eines Wettschießens, an die Bruderschaften und 13 Gulden behoeff eines Kleinodts.37 Das „Kleinod” bezeichnete in der Regel die silberne Kette der Schützenbruderschaften, aber auch den Gewinn, der bei einem Preisschießen ausgesetzt wurde. Ob die Stadt mit ihrer Zahlung die Anschaffung eines silbernen Erinnerungsschildes für den Schützenkönig unterstützte oder ob die Summe für einen Preis für den Gewinner eines Wettschießens gedacht war, lässt sich nicht bestimmen, da aus der Frühzeit des Schützenwesens in Neuss keine Objekte erhalten geblieben sind. Letztlich zeigen aber die verschiedenen Zahlungen, dass die Stadt bereit war, die Schützen mit einer stattlichen Summe in ihren Aktivitäten zu unterstützen. Trotz der engen Verbindungen zwischen städtischer Obrigkeit und Schützen, die sich durch die personellen Überschneidungen und die finanzielle Unterstützung ergaben, fungierte der Rat der Stadt auch als „Aufsichtsbehörde”, die das Geschehen in den Bruderschaften – nicht nur bei den Schützen – beobachtete und regulierend einschritt. So achtete der Rat darauf, dass die Bruderschaften ihren Aufgaben, die Armen und Bedürftigen in der Stadt mit ihren Einkünften zu unterstützen, nachkamen. 1562/63 wurden zum Beispiel die Sebastianus- und die Katharinen-Bruderschaft angewiesen, die inwendigen Hausarmen der Stadt sowie die Schüler der Lateinschule in Neuss wöchentlich mit gebackenen Broten zu

35 36 37

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Vgl. die zahlreichen Beispiele bei Reintges 1963, 243-269 Vgl. Lange 1991, 105; 187 Vgl. Lange 1991, 200 f


unterstützen. Das Brotgetreide stammte aus den Naturaleinkünften der Bruderschaften, die jedoch für das Backen der Brote aufkommen mussten. Die Aufzeichnungen der Schützen für das Rechnungsjahr 1577/78 zeigen, dass in diesem Jahr 17 Malter, also etwa 40 Zentner, Roggen an die Bruderschaft fielen. Davon wurde der größte Teil, nämlich 15 ½ Malter, etwa 36 Zentner, wie vom Rat bestimmt, an die Armen verteilt.38 Den Rest der „Kornrente” verspeisten die Brüder wie oben beschrieben bei ihren verschiedenen Festessen. Die obrigkeitlichen Reglementierungen betrafen jedoch nicht nur die karitativen Pflichten der Bruderschaften, sondern auch ihr geselliges Leben. Die Durchführung von Festessen und die aufwändige Bewirtung von Gästen waren in der Frühen Neuzeit mit großem Prestige verbunden. Um das eigene Ansehen zu steigern, versuchten sich die Menschen bei ihren Einladungen oft gegenseitig bei der Zahl der Gänge, der Anzahl der Gäste oder den ausgetauschten Geschenken zu übertreffen. Die städtischen Gremien fürchteten, der immer höhere Aufwand bei Hochzeiten, Taufen und anderen Feierlichkeiten könnte die Bürger dazu verleiten, sich für die Ausrichtung so einer Festivität zu verschulden, was das soziale Gefüge der Stadt empfindlich stören könnte. Um den „Überbietungsdruck”, 39 der sich innerhalb einer städtischen Gesellschaft entwickelte, zu mindern, erließen die Verantwortlichen immer wieder Ordnungen und Regeln, sogenannte Luxusverbote, die oft aber nur geringe Wirkung zeigten und vielmehr zu Unmut in der Bevölkerung führten.40 1526 beschäftigte sich auch der Rat der Stadt Neuss mit dem Problem der groisse overswintliche coesten 41 bei Feiern und Festen und erließ eine ganze Reihe von Vorschriften, mit denen zum Beispiel festgelegt wurde, dass bei einer Hochzeit künftig nur noch acht, bei einem Begräbnis jedoch zwölf Gerichte serviert werden, Patengeschenke nur noch einen Wert von einem Gulden haben und Brautpaare ihren Freunden keine Kleider schenken durften. Daneben wurden der Anlass für eine Einladung, die Anzahl der Gäste oder der Wert der gegenseitigen Geschenke genau bestimmt.42 Auch die Festessen und Feiern der Schützen wurden von den Reglementierungen erfasst: So durften die Gäste, die zum Conreyde des Schützenkönigs gebeten wurden, als Geschenk höchstens sechs Weißpfennige oder ein Viertel Wein – immerhin etwa sechs Liter – mitbringen. Eine Ausnahme wurde nur für enge Freunde gemacht: Diese durften geben, wat sy willenn.43 Der Rat achtete auch darauf, dass die Einkünfte der Bruderschaft ihrem eigentlichen Zweck zukamen, und am 20. Januar 1536 wies der Rat die Meister der Alten Schützen an, am Sonntag Lätare, dem vierten Sonntag in der Fastenzeit vor Ostern, an dem das Fasten ausgesetzt war und der daher besonders gefeiert wurde, kein zusätzliches Festmahl auf Kosten der Bruderschaft zu veranstalten. Der Rat verbot jedoch nicht die zusätzliche Feier an Lätare an sich, sondern stellte fest, wenn die Brüder etwas verzehren wollten, dat mogen sy up yren budell doin.44 Für die Übertretung dieser Vorschrift war eine hohe Strafe festgelegt: die Lieferung von 10.000 Ziegelsteinen, die je zu einem Drittel den Bürgermeistern, der Stadt und der Bruderschaft zustehen sollten.45

38 39 40 41 42 43 44 45

Vgl. Lange 1991, 131 ff Althoff 2003, 37 Vgl. dazu etwa König 1999 Lange 1991, 113 Vgl. Stenmans u. a. 1970, 114 f Vgl. Lange 1991, 114 Lange 1991, 115 Vgl. Lange 1991, 115

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1611 kam es zu einer Überprüfung der Rechnungsführung bei den Jungen Schützen durch die Bürgermeister der Stadt, bei der einige Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit der Verwendung des „Rentkorn” und der Durchführung und Finanzierung des Bruderschaftsmahls festgestellt wurden. Zur Beseitigung dieser Missstände erließ der Rat am 14. Januar 1612 eine Ordnung, in der unter anderem folgende Punkte festgelegt wurden: 46 1. Die Armen sollten aus den Einkünften der Bruderschaft regelmäßig das erhalten, was ihnen zusteht. 2. Von dem für die Armen bestimmten Getreide durften nur Broedt und Wekgen für das Bruderessen entnommen werden, sonst nichts. 3. Seit einiger Zeit hatte es sich eingebürgert, dass die Brudermeister und Schinkenwirte beim Bruderessen nicht mehr wie alle Teilnehmer ire Helffgens, den halben Unkostenbeitrag, zahlten, sondern sich in Broedt und Wein vor ire Personen freyhielten. Dies sollte in Zukunft unterbleiben. 4. Das Bier sollte beim Bruderessen am Sebastianustag nicht mehr einfach auf den Tisch gestellt, sondern in die Küche gebracht und nur gegen Bezahlung ausgeschenkt werden. 5. Kritisiert wurde auch eine verschwenderische Beleuchtung bei den monatlichen Schinkenessen. Um diese zu verringern, wurde die Anzahl der zugelassenen Kerzen beschränkt; wenn jedoch mehr Kerzen als zugelassen benötigt wurden, durften diese nicht auf Kosten der Bruderschaft gekauft werden. Tatsächlich unterstützte der Rat die Schützen also nicht nur, sondern fungierte auch als „Aufsichtsbehörde” der Bruderschaft und überprüfte, ob die gemeinschaftlichen Einkünfte auch den Statuten gemäß verwendet wurden. Und wie diese Ordnung von 1612 zeigt, befassten sich die Kontrollen nicht nur damit, ob die Bruderschaft ihren karitativen Pflichten nachkam und kein Geld veruntreute, sondern griff auch so weit in die Gestaltung der geselligen Zusammenkünfte ein, dass sogar der verschwenderische Umgang mit Kerzen eingeschränkt wurde. Diese weitreichende kontrollierende und regulierende Funktion der Obrigkeit verweist darauf, dass das Agieren der Bruderschaft und auch ihre gemeinsamen Mahlzeiten keine reine Privatsache, sondern Teil der städtischen Öffentlichkeit waren.

104 Wie hier 1979 versammeln sich in jedem Jahr König, Komitee und Gäste des Neusser Bürger-Schützen-Vereins im Anschluss an die Parade an einer festlich geschmückten Tafel.

46

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Vgl. Lange 1991, 204 f


Mit der Neuorganisation des Schützenwesens im 19. Jahrhundert verloren die Bruderschaften an vielen Orten an Bedeutung und wurden wie in Neuss durch Vereine mit bürgerlicher Ausrichtung ersetzt. Auch die Feierlichkeiten der Schützen veränderten sich in dieser Zeit. Im Mittelpunkt standen nicht mehr die internen Veranstaltungen wie das Bruderschaftsmahl oder Schinkenessen, sondern das Schützenfest selbst, das sich mit Vogelschießen, Kirmes, Kinderbelustigung und öffentlichen Tanzveranstaltungen zunehmend zu einem Fest unter Beteiligung der gesamten Bevölkerung entwickelte. Essen und Trinken spielen auch heute noch eine große Rolle. Zwar können sich inzwischen nicht mehr alle der mehr als 5000 Neusser Schützen an einem Tisch versammeln, um ein Bruderschaftsmahl abzuhalten, aber es gibt doch einen Programmpunkt, der auch heute noch an die gemeinsame Mahlzeit der frühneuzeitlichen Schützen erinnert: In jedem Jahr findet in Neuss im Anschluss an die Königsparade auf dem Marktplatz, dem Höhepunkt des Neusser Schützenfestes, im Zeughaus das sogenannte Königsessen statt (Abb. 104). An einer langen Tafel treffen sich hier die Mitglieder des Komitees, der Schützenkönig, die Majore und Chefs der einzelnen Korps, Vertreter der Stadt sowie einige Ehrengäste. Insgesamt kommen so über 80 Personen an einem festlich gedeckten Tisch zusammen, um zu speisen. Auf dem Tisch befinden sich dann nicht nur Porzellan und Gläser, sondern auch Pokale, Schalen und Leuchter aus Silber, die in den vergangenen Jahrzehnten von Schützenkönigen oder Mitgliedern des Vereins für diesen Zweck gestiftet wurden. Zu den ältesten erhaltenen Stücken dieses besonderen „Tischgeschirrs” zählen zwölf Silberbecher, die Cornelius Thywissen dem Schützenverein im Jahr 1907 als sein Königsgeschenk überreichte (Abb. 105). Diese Becher werden heute allerdings nicht mehr benutzt, sondern befinden sich samt dazugehöriger Schatulle in der Ausstellung im Rheinischen Schützenmuseum Neuss.

105 Cornelius Thywissen übergab dem Neusser Bürger-Schützen-Verein 1907 zwölf Silberbecher als Königsgeschenk.

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Ein anderes Königsgeschenk, der sogenannte MünzPokal von Franz Vell, wird für die Weiterführung einer anderen Tradition genutzt (Abb. 106): In jedem Jahr wird dieser Pokal dem neuen Schützenkönig noch auf der Festwiese zum Königstrunk gereicht. Aber auch abseits dieser offiziellen Programmpunkte treffen sich die Schützen während des Schützenfestes immer wieder zu einem Frühstück, einem Biwak auf der Festwiese oder zum Mittagessen in ihrem Stammlokal – das gemeinsame Essen und Trinken hat somit auch im Schützenwesen der Gegenwart nichts von seiner Bedeutung verloren.

106 Der 1922 von Franz Vell gefertigte Münzpokal wird heute noch in jedem Jahr für den Königstrunk genutzt.

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Sabine Sauer

Die mittelalterliche Wasserversorgung in Neuss im Spiegel archäologischer Zeugnisse Wasser ist das wichtigste Grundnahrungsmittel des Menschen. Schon seit der Jungsteinzeit ist die Technik des Brunnenbaus bekannt. Die Römer scheuten bei der Beschaffung von sauberem Wasser bekanntermaßen keine Mühen und installierten zur Versorgung ihrer Metropole Köln ein ausgeklügeltes Wasserleitungssystem aus der Eifel. Über die Wasserversorgung in römischer Zeit im Bereich der Neusser Altstadt sind wir gut informiert. Im Siedlungsareal des vicus legten die Römer ein dichtes Netz von Brunnen an, obwohl der Rhein damals noch unmittelbar an Neuss vorbeifloss und ein Abschöpfen von Wasser im Uferbereich möglich gewesen wäre. So konnten in den 1980er Jahren beim Neubau des AOK-Gebäudes an der Oberstraße allein drei römische, quadratische Kastenbrunnen aus Holz ausgegraben werden. Bei den Untersuchungen am ehemaligen Omnibusbahnhof an der Brückstraße im Jahr 2005 kam ein weiterer Kastenbrunnen aus dem 2. Jahrhundert zu Tage. Bei dieser Ausgrabung wurde auch der bislang qualitätvollste römische Brunnen freigelegt. Der in die Spätantike zu datierende Tuffsteinbrunnen stand einst unter der Veranda einer römischen Herberge und war aus passgenauen, ca. 60 cm großen Segmentsteinen gesetzt, die eine runde Brunnenröhre von ca. 1,6 m Durchmesser ergaben. Aus den folgenden Jahrhunderten der Völkerwanderungszeit und aus dem frühen Mittelalter liegen keine Erkenntnisse zur Neusser Wasserversorgung vor: So fehlten auf den Grabungsarealen des ehemaligen Omnibusbahnhofs und der AOK trotz reichlicher Keramik- und Siedlungsfunde des 9.-12. Jahrhunderts die Brunnen aus dieser Zeit. Zum Wasserschöpfen wird man an das Ufer des Rheins gegangen sein, der auf der Höhe der Batteriestraße und des Europadamms unmittelbar am mittelalterlichen Siedlungsareal vorbeifloss.

Brunnen des Mittelalters und der Neuzeit Wasserleitungen, Schöpfräder oder Wasserbauwerke, die in süddeutschen Städten, aber auch in Bremen, Lübeck und Einbeck im späten Mittelalter zur Wasserversorgung gebräuchlich waren, sind aus Neuss, aber auch aus Köln noch nicht bekannt. Zur Wasserversorgung der Neusser Bürgerhäuser, Wirtshäuser und Brauereien dienten stets Brunnen, die mit ihrer Sohle das Grundwasser, das bei 32,0034,00 m ü. NN ansteht, erreichen mussten (Abb. 107).1 Die Brunnen waren entweder einem Privathaus oder auch benachbarten Parzellen, die sich gemeinsam um die Unterhaltung kümmern mussten, zugeordnet. So finden sich in den spätmittelalterlichen Archivalien manche Hinweise auf Streitereien betreffs der gemeinsamen Nutzung. Bei einem Hausbestand von ca. 800 Gebäuden in der mittelalterlichen Stadt muss man mit mindestens

1

107 Brunnen mit Steineinfassung. Ausschnitt aus „Maria bei Elisabeth”. Kupferstich von Claes Jansz. Visscher (um 1550 - um 1612). Clemens-Sels-Museum Neuss, 1981Gr1263

Köster 1962; Pause/Sauer 2007; Rech 1985; Sauer 1988; Sauer 1989; Sauer 1991; Sauer 1993; Sauer 1994; Sauer 1998; Zender 1967

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500 Brunnen rechnen. Diese hatten keine unbegrenzte Haltbarkeit und mussten daher öfter erneuert werden. So kann man vermuten, dass mindestens 1.500 Brunnen aus dem 13.-19. Jahrhundert im Neusser Boden verborgen liegen. So wundert es nicht, dass in den letzten 25 Jahren im Bereich der mittelalterlichen Altstadt von Neuss über 100 Brunnen archäologisch untersucht werden konnten; eine Einzelbetrachtung verbietet sich hier aus Platzgründen. Typisch für die frühen Brunnen aus der Zeit um 1200 sind Schächte aus Kieseln, kleinen Tuffbrocken und Basaltbruch. Das Material zum Bau bezog man aus dem Rhein und aus den römischen Ruinen. Im 13. Jahrhundert, als beim Ausbau der Stadtmauer frisches Steinmaterial in die Stadt kam, bevorzugte man rechteckig behauene Tuffe im Verbund mit Säulenbasalten. Im 14. Jahrhundert wurden die Brunnenfassungen häufig aus einem Gemisch von kleinen Basalten und den nun verstärkt verwendeten Feldbrandziegeln errichtet. Erst im 15. Jahrhundert setzten sich Feldbrandziegel als allgemein gebräuchliches Baumaterial durch. In Rheinnähe, so konnte bei archäologischen Untersuchungen an der Deichstraße 1 und 3 in Uedesheim beobachtet werden, baute man die Brunnen bis ins 19. Jahrhundert aus am Ufer aufgesammelten Flusskieseln. Selten sind in Neuss Holzbrunnen überliefert. An der Zollstraße konnten die Verfärbungen eines Holzbrunnens aus dem 13. Jahrhundert nachgewiesen werden. Am Hamtorwall hatte sich ausnahmsweise die quadratische Holzverschalung eines Brunnens aus dem 15. Jahrhundert erhalten (Abb. 108).

108 Holzverschalter Brunnen des 15. Jahrhunderts am Hamtorwall

Die Brunnen wurden zwischen 20 und 300 Jahre lang genutzt, bis sie versandeten oder baufällig wurden. Danach wurden sie meist zu Fäkalienschächten umfunktioniert. Die Verfüllungen, die neben den Fäkalien auch den zu Bruch gegangenen Hausrat und Speisereste enthalten, liefern ein anschauliches Bild des Nahrungsangebotes und der Essgewohnheiten der jeweiligen Zeit. Die Keramikfunde zeigen einen Wandel der Tisch- und Kochsitten.

Durch die Keramik lässt sich auch das Enddatum der Brunnennutzung bestimmen. Das Entstehungsdatum der Brunnen lässt sich häufig durch Beimengungen von Keramikstücken in der Baugrube ermitteln.

Frühe Brunnen aus der Zeit um 1200 Die ältesten mittelalterlichen Brunnen aus Neuss stammen aus dem frühen 13. Jahrhundert und waren bereits aus Stein gesetzt. Die frühen Brunnen haben häufig einen beträchtlichen Durchmesser und stammen aus klösterlichem Zusammenhang oder von den Grundstücken wohlhabender adliger Familien. So konnte 1996 auf dem Gelände des Hauses Niederstraße 47 ein runder Brunnen mit 2,3 m Durchmesser untersucht werden, der zu einem der frühesten Neusser Steingebäude, einer turris aus der Zeit um 1200, gehörte. Als Baumaterial dienten Grauwacken, Tuffe und Basalte. Bereits im 15. Jahrhundert war der Brunnen aufgegeben und mit Hausrat verfüllt worden. Den bislang größten Brunnen erbrachte 1997 eine Grabung im Bereich des ehemaligen Klarissenklosters auf dem Gelände der Sparkasse an der Oberstraße (Abb. 109). Der Brunnen, 164


der nur noch im unteren Bereich erfasst werden konnte, war aus Basalten mehr oval als rund gesetzt und hatte einen Durchmesser von 4,5 m x 3,8 m. Auf Mörtel hatte man verzichtet. Im untersten Bereich wurde der Brunnenschacht schmaler; unter der letzten Steinschicht war ein hölzernes Fass eingetieft, das sich bei der Ausgrabung nur noch als runde 109 Brunnen vom Areal des Klarissenklosters aus der Zeit um 1200 Verfärbung abzeichnete. Auf der Brunnensohle fand sich ein knappes Dutzend Gefäße aus Frühsteinzeug, das offensichtlich beim Wasserschöpfen verloren gegangen war. Es handelte sich um bauchige oder zylindrische Becher aus Siegburg, die in das frühe 13. Jahrhundert datieren. Dies spricht dafür, dass der Brunnen schon vor dem 1283 errichteten Klarissenkloster bestand und nur noch während der Bauzeit zur Wasserversorgung genutzt wurde. Nach Fertigstellung des westlichen Kreuzgangflügels wurde er einplaniert.

Zisternen in den Klöstern Einen Hinweis auf die Wasserversorgung des Klarissenklosters liefert ein Plan aus dem Jahr 1806, der nach der Säkularisation von den Franzosen gefertigt wurde. Auf ihm ist in der Mitte des westlichen Kreuzgangflügels ein Einbau dargestellt. Tatsächlich fand sich in der Grabungsfläche im Jahr 1997 an dieser Stelle ein Brunnenhaus, mit dessen Bau entsprechend der Mauertechnik aus Basalten und Tuffen schon im 13. Jahrhundert begonnen worden sein muss. Brunnenhaus ist eigentlich kein korrekter Ausdruck, handelt es sich doch um eine Zisterne, in der zentral die Dachentwässerung des Kreuzgangs gesammelt wurde (Abb. 110). Im Gegensatz zum unweit freigelegten, älteren Brunnen war die Zisterne in einer wasserundurchlässigen Mörtelbindung gemauert. Brunnen reichten mit ihrer Sohle in das Grundwasser und waren im unteren Bereich ohne Mörtelbindung gesetzt, damit das Wasser auch von der Seite in den Brunnenschacht eindringen konnte. Häufig war unter 110 Zisterne des Klarissenklosters aus dem 13. Jahrhundert dem eigentlichen Brunnenschacht noch ein Holzfass ins Erdreich eingelassen. Zisternen wurden hingegen von Oberflächenwasser gespeist; bei ihnen war der Schacht stets mit Mörtel vermauert, damit das Wasser nicht zur Seite versickerte. Die Böden der Zisternen waren oft mit Steinen, Ziegeln oder einer undurchlässigen Lehmschicht ausgekleidet. Zisternen wurden in Neuss bislang bis auf eine Ausnahme nur im klösterlichen Zusammenhang angetroffen. 165


Die runde, im Durchmesser 2,4 m große Zisterne des Klarissenklosters bestand aus Tuffen und Basalten. Eigenartigerweise zeigte die Brunnenwand in einer Tiefe von 1,8 m ein Loch. Dieses Loch führte in einen Überlaufkanal, der in ein aus Ziegeln gemauertes, trapezförmiges Becken im Innern des Kreuzgangs einmündete.

111 Nördlicher Kreuzgangbereich mit Zisterne im Damenstift St. Quirin

Dieses Becken war zu Beginn des 18. Jahrhunderts während der barocken Umbauphase des Klosters angelegt worden. Offenbar hatte man damals einen größeren Bedarf an Brauchwasser und erhöhte durch das Überlaufsystem die Kapazität der Speicheranlage. Die stabil gemauerte Zisterne des 13. Jahrhunderts hat sich bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts bewährt und diente zuletzt einem Bonbonfabrikanten, der sich auf dem säkularisierten Klostergelände niedergelassen hatte. Auch im Damenstift von St. Quirin lag eine Zisterne in der Mitte eines Schenkels des Quadrums innerhalb des Kreuzgangs (Abb. 111). Sie konnte 1991 unter einem Anbau des Hauses Münsterstraßse 16 ausgegraben werden. Häufig waren innerhalb der Klöster die Zisternen an der der Klosterkirche gegenüberliegenden Kreuzgangseite angelegt, da hier entsprechend der Bauvorschriften der Benediktiner und auch anderer Orden der Küchentrakt untergebracht war. Die Zisterne im Stift von St. Quirin war jüngeren Datums und vermutlich erst im 15. Jahrhundert entstanden (Abb. 112). Sie war als quadratischer, 2,5 m breiter Schacht aus Ziegeln gesetzt; statt mit Mörtel hatte man die Fugen mit Ton ausgefugt. Nach dem Einmarsch der Franzosen im Jahr 1794 wurde das Stift besetzt und die Zisterne zur Kloake umgewandelt.

112 Blick in die Zisterne

Zwei Zisternen wurden im Stiftsbezirk 1999 bei der Sanierung des Freithofes angeschnitten. Ein kleinerer, runder Sammelschacht aus Feldbrandziegeln fand sich vor dem Südportal von St. Quirin. Unmittelbar vor dem Ostchor von St. Quirin konnten Teile eines quadratischen Raumes mit einer runden, ca. 4 m messenden Zisterne aus 60 cm starkem Feldbrandziegelmauerwerk dokumentiert werden, in der wohl im 17. und 18. Jahrhundert die Dachniederschläge von St. Quirin für die benachbarten Kanonikerhäuser gesammelt wurden. Eine weitere, wenn auch etwas kleinere Zisterne mit 1,4 m Durchmesser konnte 2005 beim Abbruch der Bürgergesellschaft an der Mühlenstraße beobachtet werden. Diese Zisterne, aus Basalten und Ziegeln gefertigt, lag im Garten des Minoritenklosters neben einem bislang unbekannten mittelalterlichen Gebäude und datiert in das 14. Jahrhundert. Sie besaß einen Überlauf, der vermutlich zur benachbarten Klosterlatrine, dem Peinturm, führte.

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Privatbrunnen Die privaten Brunnen waren mit einem Durchmesser von 1,2 - 2 m in der Regel enger als die klösterlichen Zisternen. Auch sie zeigen in ihrer Bauweise die jeweils typischen Materialzusammenstellungen der unterschiedlichen Zeitepochen. Ein besonders interessantes Brunnenpaar wurde 1993 am Rheinwallgraben am Rande des historischen Viehmarktes entdeckt (Abb. 113). Dort wurde ein Warenhaus aus den 1960er Jahren abgerissen. Unter den Fundamenten, in der Baugrubensohle in einer Tiefe von 2,5 m, kamen dicht nebeneinander zwei Brunnen zutage (Abb. 114). Der kleinere Brunnen hatte 113 Baustelle am Rheinwallgraben mit zwei Brunnen in der Baueinen ovalen Durchmesser von grubensohle 1,5 -1,7 m. Die rund 30 cm dicke Mauerschale war aus Kieseln, kleinen Tuffen, Basaltbruch und römischen Ziegeln gesetzt. Im unteren Bereich zwischen 34.00 und 35.00 m ü. NN waren die Fugen nur mit Lehm verstrichen und an der Innenseite mit Moos ausgekleidet. Das Ausstopfen der Fugen mit Moos diente zum Filtern des von der Seite eindringenden Wassers. Der obere Bereich des Brunnenschachts zeigte eine 114 Brunnen am Rheinwallgraben, links ein Brunnen aus dem Mörtelbindung. Auf der Sohle 14. Jahrhundert, rechts ein Brunnen aus dem frühen 13. Jahrdes Brunnens lag eine Schicht hundert aus schluffigem und sandigem Material. Darüber konnte eine humose Schicht mit verwitterten Fäkalien ausgenommen werden, die Siegburger Frühsteinzeug und Keramik Elmpter Machart enthielt. Dies spricht dafür, dass der Brunnen zu Beginn des 14. Jahrhunderts verfüllt wurde. Funde in der Baugrube fehlten; jedoch ist die Entstehungszeit des Brunnens auf Grund des Baumaterials in das frühe 13. Jahrhundert zu datieren. Der zweite, größere Brunnen lag in nur rund 30 cm Entfernung. Auch dieser Brunnen war eiförmig gemauert und hatte einen ungewöhnlich großen Durchmesser von 2,5 - 2,8 m. Der Durchmesser verjüngte sich zur Sohle hin um 0,50 cm. Die Mauerschale war ca. 35 cm dick und bestand aus wechselnden Lagen von Säulenbasalten und Tuffen, die in Mörtel gesetzt waren. Die unteren Lagen bestanden überwiegend aus Säulenbasalt. Stellenweise ließen sich nachträgliche Flickstellen aus Feldbrandziegeln ausmachen. Die Brunnensohle reichte einen halben Meter tiefer (bis 33,50 m ü. NN) als die des benachbarten, kleineren Brunnens. In den unteren Bereich des Brunnens, ab einer Höhe von 35,00 m ü. NN, war in den Schacht eine Holzverschalung eingelassen, deren verstürzte Reste noch im Profil festgestellt werden konnten. Auf der Brunnensohle fanden sich kleinere Stücke Elmpter Keramik und Frühsteinzeug.

167


115 Keramik des 17. Jahrhunderts aus der Brunnenverfüllung vom Rheinwallgraben

Darüber war der Brunnenschacht mit wechselnden Bändern von Fäkalien, Bauschutt, Schiefer und Kalk verfüllt. Die Fäkalienschichten enthielten zahlreiche Keramikscherben von mehr als 100 Einzelobjekten des späten 16. und des 17. Jahrhunderts (Abb. 115). Neben einer Vielzahl archäobotanischer Großreste konnten auch zahlreiche Tierknochen und Fischgräten zoologisch bestimmt werden. Projiziert man die Fundstelle der beiden Brunnen in den Kupferstich von Braun und Hogenberg, so gelangt man auf ein Gelände unmittelbar am westlichen Rand des ehemaligen Neusser Viehmarktes, der im frühen 13. Jahrhundert im noch dünn besiedelten Nordteil der Stadt angelegt wurde. Der ältere, kleinere Brunnen aus der Zeit kurz nach 1200 ist als ein typischer Privatbrunnen anzusprechen, der ein Haus oder einen Nachbarschaftsbereich versorgte. Für den Neubau des zweiten, größeren Brunnens zu Beginn des 14. Jahrhunderts werden zwei Aspekte maßgeblich gewesen sein: 1. Der Rhein entfernte sich seit dem 13. Jahrhundert kontinuierlich von der Stadt, was dazu führte, dass Neuss seine Lage am Strom und infolgedessen im Jahr 1372 auch seine Zollstelle verlor. Parallel zu dieser Entwicklung sank in der Stadt der Grundwasserspiegel. Der Brunnen fiel trocken. 2. Der kleine Brunnen genügte nicht mehr den Anforderungen, die sich durch die Lage am Viehmarkt ergaben. Der neue Brunnen musste größer werden und tiefer reichen. Zwar handelt es sich bei dem neuen Brunnen nicht um den öffentlichen, auf dem Kupferstich von Braun und Hogenberg weiter südlich dargestellten Ziehbrunnen, doch schon auf Grund seiner beträchtlichen Größe darf man annehmen, dass er auch von den Viehhändlern frequentiert wurde. Hygienisch bedenklich erscheint es, dass der ältere Brunnen als Abort benutzt wurde, nachdem man den neuen in Gebrauch genommen hatte. Solche Situationen wird es in Neuss häufiger gegeben haben. Denn in den Hinterhöfen lagen oft außer den Brunnen auch die Privees, die Abortgruben, und verunreinigten das Grundwasser. Der jüngere Brunnen scheint nach der Brandkatastrophe des truchsessischen Krieges außer Betrieb gekommen zu sein und wurde in der Folgezeit als Fäkalienschacht benutzt. Die Vielzahl der Knochenreste und die außerordentliche Qualität des in den Abort gewanderten Keramikmaterials lassen an ein Wirtshaus als Nutzer denken.

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Gasthausbrunnen Nicht zu verwechseln mit einem privaten Wirtshaus ist das Neusser Gasthaus. Dieses lag an der Gasthausgaß, der heutigen Peter-Wilhelm-Kallen-Straße, und diente zur Versorgung von Armen, Gebrechlichen und Pilgern. Im Gegensatz zum „alten Gasthaus”, das dem Damenstift von St. Quirin unterstand, wurde das „neue Gasthaus”, das ab 1438 bezeugt ist, von der Stadt betrieben und betreute hauptsächlich die Aachenpilger während der Wallfahrt. Beim Neubau des Neusser Rathauses im Jahr 1987 konnte bei den Ausschachtungsarbeiten ein Brunnen auf dem an das Gasthaus angrenzenden Grundstück untersucht werden. Der Brunnen war aus Feldbrandziegeln gesetzt und hatte einen Durchmesser von 2,1 m. Er gehört damit zu den größeren Exemplaren. Zunächst wurde überlegt, ob es sich bei diesem Schacht um einen planmäßig angelegten Abort und nicht um einen Brunnen in Zweitverwendung handeln könnte. Diese Idee musste allerdings wegen der beträchtlichen Tiefe der Brunnensohle verworfen werden, die bei 31,11 m ü. NN lag. Damit befanden sich rund 1,5 m des Schachtes unter der mittelalterlichen Grundwasserhöhe. Dementsprechend wird der Brunnen ganzjährig Wasser geführt haben. Der Brunnen ist in der Zeit kurz nach 1500 mit Fäkalien und Hausrat verfüllt worden. Rund 200 verschiedene Keramikgefäße und zahlreiche Glasgefäße ließen sich rekonstruieren. An organischen Materialien haben sich neben Knochen und Pflanzenresten auch Leder, Schuhsohlen und Reste von Stoffen aus Seide, Wolle und Baumwolle erhalten. Aufgrund des Ziegelmaterials ist die Bauzeit des Brunnens in das 15. Jahrhundert zu datieren. Es ist denkbar, dass er nur wenige Jahrzehnte vor der Verfüllung, etwa während der burgundischen Belagerung, angelegt wurde, als man auf große, funktionstüchtige Brunnen im Zusammenhang mit der Brandbekämpfung besonders angewiesen war. Ob der Brunnen schon damals zum Gelände des Gasthauses gehörte, muss bezweifelt werden, denn erst im Jahr 1500 wurde im rückwärtigen Teil ein zusätzliches Stück Land mit Haus und Scheune an das Gasthaus abgetreten. Der Brunnen wäre somit kurz nach dem Wechsel in den Besitz des Gasthauses verfüllt worden.

Marktbrunnen Auf dem Kupferstich von Braun und Hogenberg von 1586 ist auf dem Markt auf halber Höhe vor der Marienkirche oberhalb der Stadtwaage ein Ziehbrunnen zu sehen (vgl. Abb. 102). Dieser Brunnen diente zur Versorgung der Marktbuden und der öffentlich genutzten Markteinrichtungen wie Fleischhalle, Brothalle mit Brotbänken, Stockhaus und Gewandhaus. Im Gegensatz zu einem weiteren Brunnen, der an der Unterseite des Marktes auf dem Fischmarkt gelegen war, wurde dieser Brunnen jedoch nicht aus öffentlichen Mitteln unterhalten, wie aus einem erhaltenen Bericht über einen Inspektionsgang durch die Stadt am „geschworenen Freitag” im Jahr 1532 zu ersehen ist. Insgesamt werden in diesem Bericht sieben öffentliche Brunnen genannt. Diese befanden sich in der Brückstraße in der Nähe des Camper Hofes, hinter den Minderbrüdern, beim Fleckenhof, am Finkenhof, an der Straße am Over, am neuen Kirchhof und am Fischmarkt. Bei der Sanierung des Hauses Markt 32 im Jahr 1987 konnte im Keller des Hauses der obere Marktbrunnen wiederentdeckt werden. Er war mit einer Ziegelkuppel geschlossen worden; seitlich war eine Aussparung, in die eine schräg gestellte Schieferplatte führte. Darunter fand sich ein runder Brunnenschacht von 2,1 m Innendurchmesser. Im oberen Bereich ließen sich Flickstellen aus Ziegeln feststellen; im unteren Bereich bestand der Schacht aus Tuffreihen, die stellenweise mit Kieseln durchsetzt waren. Das Mauerwerk war ohne Mörtelbindung gesetzt. In den oberen 1,8 m war der Brunnenschacht leer. Die darunterliegende Verfüllung reichte bis 31,35 m ü. NN und stammte aus der Zeit zwischen 1600 und 1800. Aus den Fäkalienschichten konnten auch hier zahlreiche Keramik, Tierknochen und botanische Großreste geborgen werden.

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Wie gelangte der Marktbrunnen ins Haus? Bei dem großen Brand im truchsessischen Krieg im Jahre 1586, dem zwei Drittel der städtischen Bebauung zum Opfer fielen, wurde auch der Markt zerstört. Kaufhaus, Stadtwaage und die angrenzende Marienkirche wurden Opfer der Flammen. Bei den folgenden Wiederaufbauarbeiten, die nur schleppend in Gang kamen, wurde am Nordrand des Marktes eine neue Häuserzeile errichtet und somit die Breite des Marktes verringert. Der ehemalige Marktbrunnen gelangte dabei in den Kellerbereich eines neu errichteten Hauses. Dort wurde er überkuppelt und erhielt eine Schieferrutsche, über die die Abfälle und Fäkalien in den Schacht gelangten. Die Keramikfunde lassen darauf schließen, dass mit der Umgestaltung am Markt in der Zeit um 1600 begonnen wurde. Die einzelnen Schutteinlagerungen in der Fäkalienverfüllung dürften den jeweiligen Umbauphasen des darüberliegenden Hauses entsprechen. So ist der Bau des ersten Hauses kurz nach 1600 anzusetzen. Aus dieser Zeit dürften die noch heute sichtbaren Fundamente aus wiederverwendetem Abbruchmaterial an der dem Markt zugewandten Seite stammen. Mit einem Umbau des Hauses ist im späten 17. Jahrhundert zu rechnen. Die obere Schuttschicht aus der Zeit um 1800 dürfte beim letzten Umbau des Hauses, der zum heutigen Erscheinungsbild führte, in den Schacht gelangt sein.

Quirinuspütz Obwohl archäologisch bislang nicht nachgewiesen, soll zum Abschluss dieser Ausführungen der Quirinuspütz, ein besonderer Neusser Brunnen, erwähnt werden. Dieser Brunnen lag an der Einmündung der Münsterstraße vor der Nordwestecke des Münsters und war wichtiger Bestandteil der Quirinusverehrung. Er lieferte Pilgern das geweihte Wasser gegen vielfältige Krankheiten. Mit solchem Wasser kühlte und wusch man fiebernde Wunden und kranke Augen; auch krankes Vieh wurde damit getränkt oder gesegnet. Der dem Heiligen geweihte, heilkräftige Brunnen war vermutlich schon um 1150 in Benutzung. Aus einem späteren Reisebericht des Nürnberger Patriziers Gabriel Tetzel, der mit dem böhmischen Adeligen Leo von Rozmital zwischen 1465 und 1467 eine ausgedehnte Pilgerreise unternahm, erfahren wir, dass in Neuss den Pilgern aus der Hirnschale des heiligen Quirinus das Wasser gereicht wurde. Dies ist sicher nicht wörtlich zu nehmen. Vielmehr wird es sich um eine Schale gehandelt haben, in die Teile der Kopfreliquie eingearbeitet waren. Andere Quellen sprechen von einem silbernen Kopf oder silbernen Becher des Heiligen. Der Neusser Quirinusbecher ging in den Kriegswirren des 16. Jahrhunderts verloren. Stattdessen wurde im 17. Jahrhundert im Münster vor dem Hochaltar der „Sarg des hl. Quirinus”, ein Steintrog, mit dem Wasser gefüllt. Bis in das 18. Jahrhundert füllten sich Pilger das Quirinuswasser in Krüge und Flaschen ab, die sie in einem besonderen Haus des Stiftes erworben hatten.

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Carl Pause

Neusser Maßeinheiten Bei der Berechnung der landwirtschaftlichen Produktion und des Lebensmittelverbrauchs der Neusser im 15. bis 17. Jahrhundert stellen vor allem die in den historischen Quellen genannten Maßeinheiten ein großes Problem dar. Bis zur Einführung des metrischen Systems in napoleonischer Zeit waren nämlich lokale Gewichts- und Hohlmaße üblich, die von den jeweiligen Städten festgelegt wurden und sich teilweise erheblich voneinander unterschieden. Konkordanzlisten, die die alten Neusser Maße mit den heutigen, metrischen in Relation setzen, sind erst aus napoleonischer Zeit überliefert, als das französische Kaiserreich Ende des 18. Jahrhunderts am Niederrhein die heutigen Längen-, Hohl-, Flächen- und Gewichtsmaße einführte.1 Allerdings lassen sich diese Angaben aus der Zeit um 1800 nicht ohne weiteres in das 15. und 16. Jahrhundert zurückprojizieren, da keineswegs als gesichert gelten kann, dass die lokalen Neusser Maße über die Jahrhunderte hinweg unverändert geblieben waren. Die Gewichtsangaben in den Beiträgen dieser Publikation beruhen daher auf ungefähren Schätzungen, die sich an den Angaben aus der napoleonischen Zeit orientieren. 1804 betrug ein Neusser Pfund 467,724 g, also knapp ein halbes Kilogramm. Es entsprach 16 Lot. Aus den Einträgen im Rechnungsbuch des Gasthauses zum Heiligen Geist in Neuss lässt sich erschließen, dass die Relation eines Neusser Lots zu einem Pfund im 16. Jahrhundert etwa gleich war: Im Juni 1582 bezahlte man beispielsweise für ein Lot Zucker einen Albus,2 für ein Pfund dagegen im Februar 14 Albus und im Juni 15 Albus.3 Ein Neusser Lot muss demnach etwa 30 g gewogen haben. Ein Neusser Malter betrug in napoleonischer Zeit 155,557 l und entsprach damit dem entsprechenden Kölner Hohlmaß für trockene Güter, d. h. in erster Linie für Getreide. Ein Sümber (oder Sümmer, Scheffel) ist mit 38,938 l angegeben und war equivalent zu einem Viertelmalter. Das Hohlmaß für Flüssigkeiten war das Fuder, das 6 Ohm zu je 12 Quart umfasste. Ein Quart dürfte etwa 1,5 l entsprochen haben.

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Autoren

Dipl.-Biol. Hans-Peter Krull, Kaarst Dr. Thomas Ludewig, Clemens-Sels-Museum Neuss Dr. Jutta Meurers-Balke, Labor für Archäobotanik, Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität zu Köln Herbert Napp, Bürgermeister der Stadt Neuss Dr. Carl Pause, Clemens-Sels-Museum Neuss Sabine Sauer M. A., Bodendenkmalpflege der Stadt Neuss Silke Schamuhn M. A., Labor für Archäobotanik, Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität zu Köln Sandra Schillings M. A., Clemens-Sels-Museum Neuss Dr. Britta Spies, Rheinisches Schützenmuseum Neuss mit Joseph-Lange-Schützenarchiv Dr. Karin Striewe, Clemens-Sels-Museum Neuss Dr. Georg Waldmann, Korschenbroich

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Abbildungsnachweis Labor für Archäobotanik der Universität Köln: Abb. 9, 13, 15, 21, 22, 29 Hans-Peter Krull: Abb. 31- 37, 39 - 41, 45, 46 - 51 Amt für Stadtplanung, Bodendenkmalpflege, Neuss: Abb. 61-76, 108 -115 Rheinisches Schützenmuseum Neuss mit Joseph-Lange-Schützenarchiv: Abb. 99 -106 Martin Langenberg: Abb. 5, 6, 8, 10-12, 14, 16, 17, 23, 27, 28, 32, 38, 42, 45, 53, 55, 56, 59 Alle übrigen Abbildungen: Clemens-Sels-Museum Neuss

Impressum

DRINCK VND EST, GOTS NIT FERGES – Lebensmittel im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Neuss. Gebrauch, Handel und Produktion Herausgegeben von Carl Pause im Auftrag der Stadt Neuss Umschlaggestaltung: Deckerdruck Druck: Decker Druck GmbH & Co KG © Stadt Neuss und die Autoren ISBN 978-3-936542-42-4 Neuss: Clemens-Sels-Museum 2009 Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnd.de abrufbar.

Abbildung auf dem Umschlag „Der reiche Mann und der arme Lazarus”. Kupferstich von Claes Jansz. Visscher (um 1550 um 1612). Clemens-Sels-Museum Neuss, 1981Gr1272

Mit freundlicher Unterstützung 183


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