VISIER 08/2012 Leseprobe

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Von Agram bis Zagi | Kroatische Maschinenpistolen

Keine Meilensteine der Waffengeschichte , aber hervorragende Improvisationen — kroatische Maschinenpistolen aus der Zeit des Unabhängigkeitskrieges. Text: Michael Heidler und Andreas Skrobanek Fotos: Michael Heidler, Polizeimuseum Zagreb, Andreas Wilhelmus, VISIER-Archiv

Im nächsten Jahr soll Kroatien Mitglied in der Europäischen Union werden. Lange her scheint der Bürgerkrieg, welcher vor zwei Jahrzehnten den Vielvölkerstaat Jugoslawien zerriss. Wie aus einer anderen Epoche sehen auch die kroatischen Maschinenpistolen aus diesem Konflikt aus – seltsame Mischungen aus WK-II-Feuerspritzen und moderneren Waffen, oft mit skurrilem Aussehen und grobem Finish. Sie belegen, mit welchen Schwierigkeiten die im September 1991 aus Polizei und Nationalgarde gegründete kroatischen Armee (Hrvatska Vojska) anfänglich kämpfte: Viele Depots und Fabriken lagen plötzlich im serbischen Feindesland. Die internationale Staatengemeinschaft hatte ein Waffenembargo verhängt, aus Drittstaaten erhielt die kämpfende Truppe nur Schmuggelware. Beutewaffen aus Beständen der jugoslawischen Armee JNA waren deshalb begehrt. Selbst Überbleibsel aus dem II. Weltkrieg nutzte die Truppe. Doch das Problem lösten diese Lückenbüßer nicht. So blieb den Kroaten nur zu improvisieren und die nötigen Waffen selbst zu bauen.

VISIER | 8-2012

Zuverlässigkeit tat das aber meist keinen Abbruch. An der Funktionstüchtigkeit vieler Modelle hatten Polizei und Armee kaum etwas auszusetzen, berichten Zeitzeugen.

Die kroatischen Maschinenpistolen der 1990er Jahre lassen sich keiner MPi-Generation eindeutig zuordnen. Weil geeignete Maschinen und Werkzeuge fehlten, entstanden die Waffen größtenteils in einer überholten Fertigungsweise: Keine Blechprägetechnik, man fräste die Teile aus dem Vollen. Das kostete zwar mehr Zeit, doch so konnten sich viele kleine Werkstätten mit einfachen Maschinen an der Produktion beteiligen. In den meisten Fällen ging die Ware der Zulieferer an einen größeren Betrieb, der die MPi fertigstellte – dieser Artikel ist einer der ersten Versuche, einen chronologisch geordneten Überblick zur MPi-Technik dieses Konflikts zu geben.

A w i e A g r a m : Die erste im unabhängigen Kroatien gefertigte Maschinenpistole heißt A g r a m – ein deutsches Wort für Zagreb. Mirko Vugrek entwickelte und produzierte sie in seiner Firma in Novi Golubovec nördlich der Landeshauptstadt. Bei der zuschießenden Waffe mit Masseverschluss handelt es sich um eine Kopie der MP TEC-9 von Interdynamic/ Intratec. Die ersten Versuchsstücke entstanden schon Ende 1990, ein Jahr später lief die Fertigung an. Mit der „Agram 2000“ entstand 1992 eine verbesserte Ausführung, nachdem Ivan Vugrek die Waffe seines Vaters überarbeitet hatte. Das neue Modell konnte auch einen Schalldämpfer aufnehmen. Den gelochten Handgriff entwarf ein Restaurator namens Deglin – spezialisiert ausgerechnet auf historische Möbel. Die zweireihigen Stangenmagazine fassen 20 oder 32 Patronen. Im Jahr 1992 wäre die Agram beinahe die neue Standard-MPi der Armee geworden. Doch die politischen Verbindungen zur Militärführung waren nicht gut genug. Als Ausgleich wurde Vugreks Firma Reparaturbetrieb für Polizeiwaffen. Mit nur 1,8 Kilogramm Gewicht und ihrer robusten Bauweise eignete sich die handliche Agram hervorragend für den Häuser- und Nahkampf. Das erkannten auch schnell Drogenhändler und andere Kriminelle in ganz Europa. In Zagreb starb 1998 der berüchtigte Mafiaboss Zlatko Bagari im Kugelhagel einer Agram. Und trotz des Kampfes der britischen Polizei gegen die Schmuggler der „Croatian Connection“ gehen bis heute viele Tote im kriminellen Milieu auf das Konto dieser MPi. Ihr Konstrukteur Mirko Vugrek starb 2006 im Alter von 80 Jahren an einem Herzinfarkt – kurz nach seiner Festnahme durch die Polizei wegen Waffenschmuggels.

So manches Exemplar erinnert an das alte Lied „Du bist so hässlich” – viele Hersteller verfügten vor 20 Jahren über keinen großen Maschinenpark, oft mangelte es auch an Erfahrungen im Waffenbau. Der Qualität und der

P w i e P l e t e r : Ab 1991 nutzten die bewaffneten Kräfte Kroatiens neben der Agram noch mindestens vier weitere neue MPi-Modelle: Pleter, Sokac, Jelen und Crogar. Andere Entwicklungen wie die Maschinenpistolen Pauser 89


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