IG-03_Gewerkschaftsbewegung_und_Nord-Sued-_Konflikt

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)NTERNATIONALE 'EWERKSCHAFTSBEWEGUNG IG 3

Oliver PrausmĂźller/Walter Sauer

Gewerkschaften, Globalisierung und der Nord/SĂźd-Konikt INHALT Zur EinfĂźhrung: Die Schere zwischen Nord und SĂźd Ein Kapitel Kolonialgeschichte Nord/SĂźd-Beziehungen im Wandel Mechanismen der Abhängigkeit Globalisierung: Nord-/SĂźd-Konikt unter neuen Vorzeichen? Gewerkschaftsrechte unter Globalisierungsdruck Die Ăśsterreichische Gewerkschaftsbewegung und der Nord/SĂźd-Konikt Glossar Beantwortung der Fragen Literatur Fernlehrgang

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Inhaltliche Koordination: Karl-Heinz Nachtnebel

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Stand: Jänner 2007

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Wie soll mit diesem Skriptum gearbeitet werden?

Anmerkungen

Zeichenerklärung Frage zum Lernstoff im vorigen Abschnitt (vergleichen Sie Ihre eigene Antwort mit der am Ende des Skriptums angegebenen).

Anmerkungen: Die linke bzw. rechte Spalte jeder Seite dient zur Eintragung persönlicher Anmerkungen zum Lernstoff. Diese eigenen Notizen sollen, gemeinsam mit den bereits vorgegebenen, dem Verständnis und der Wiederholung dienen. Schreibweise:

Wenn im folgenden Text männliche Schreibweisen verwendet werden, so ist bei Entsprechung auch die weibliche Form inkludiert. Auf eine durchgehende geschlechtsneutrale Schreibweise wird zu Gunsten der Lesbarkeit des Textes verzichtet.

Arbeitsanleitung – Lesen Sie zunächst den Text eines Abschnitts aufmerksam durch. – Wiederholen Sie den Inhalt des jeweiligen Abschnittes mit Hilfe der gedruckten und der eigenen Randbemerkungen. – Beantworten Sie die am Ende des Abschnitts gestellten Fragen (möglichst ohne nachzusehen). – Die Antworten auf die jeweiligen Fragen finden Sie am Ende des Skriptums. – Ist Ihnen die Beantwortung der Fragen noch nicht möglich, ohne im Text nachzusehen, arbeiten Sie den Abschnitt nochmals durch. – Gehen Sie erst dann zum Studium des nächsten Abschnitts über. – Überprüfen Sie am Ende des Skriptums, ob Sie die hier angeführten Lernziele erreicht haben.

Lernziele Nachdem Sie dieses Skriptum durchgearbeitet haben, sollen Sie – erklären können, inwiefern der europäische Kolonialismus eine Ursache für die heutige Unterentwicklung der Dritten Welt darstellt; – über entwicklungspolitisch wichtige Problembereiche internationaler Wirtschaftspolitik Bescheid wissen; – verschiedene Lösungsstrategien für den Nord/Süd-Konflikt beurteilen können; – begründen können, warum internationale Solidarität aus gewerkschaftlicher Sicht notwendig ist.

Viel Erfolg beim Lernen!

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Zur Einführung: Die Schere zwischen Nord und Süd

Anmerkungen

Die weltwirtschaftliche Entwicklung war in den neunziger Jahren vor allem durch folgende drei Herausforderungen gekennzeichnet:

Weltwirtschaftliche Entwicklung

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Der Zusammenbruch des so genannten „Realsozialismus“ und die zentrale Bedeutung verstärkter weltwirtschaftlicher Verflechtungen: dabei standen vor allem Politiken der Markt-Liberalisierung und zur Herstellung „globaler Wettbewerbsfähigkeit“ zugunsten multinationaler Unternehmen im Vordergrund („neoliberale Globalisierung“).

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Das Zusammenwachsen der Europäischen Gemeinschaft zu einer Wirtschafts- und Währungsunion und ihre Erweiterung um neue Mitgliedstaaten. Das In-Kraft-Treten des nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA zwischen den USA, Kanada und Mexiko sowie anderer regionaler Wirtschaftsabkommen (verstärkte regionale Integration).

O

Die anhaltende Benachteiligung der so genannten „Entwicklungsländer“ in der vorherrschenden Weltwirtschaftsordnung und die Verschärfung der bereits bestehenden Ungleichheiten im Zugang zu lebensnotwendigen Ressourcen (Nord/Süd-Konflikt).

Zur Bedeutung dieser Entwicklungen aus Arbeitnehmer- und Arbeitnehmerinnensicht hat der XV. Bundeskongress des Österreichischen Gewerkschaftsbundes 2003 wie folgt Stellung genommen:

Grundsatzerklärung des ÖGB

„Nur durch den gemeinsamen, weltweiten Einsatz für Frieden und Stabilität, die Beseitigung der Armut, die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen der Erde und die weltweite Durchsetzung der Menschenrechte kann es gelingen, Globalisierung fair zu gestalten. Es müssen neue globale Regeln für Politik und Wirtschaft, für Umweltschutz und Sozialstandards erkämpft werden, die auch die Lebensinteressen der so genannten Länder des Südens und generell der armen und lohnabhängigen Schichten der Bevölkerungen berücksichtigen.”

Definitionen: Als „Industrieländer“ („Länder des Nordens“) bezeichnet man die meisten Mitgliedsländer der „Organisation for Economic Cooperation and Development“/OECD (marktwirtschaftliche Industrieländer) sowie die ehemaligen sozialistischen Staaten in Osteuropa (frühere planwirtschaftliche Industrieländer). Manche, aber nicht alle Industrieländer waren früher Kolonialmächte (etwa Großbritannien, Frankreich). Während die politische Führungsrolle der Industrieländer spätestens seit der Wende von 1989 bei den Vereinigten Staaten liegt, haben sich wirtschaftlich drei miteinander in Konkurrenz stehende Pole herausgebildet: die USA, die EU und Japan.

Industrieländer

„Entwicklungsländer“ („Länder des Südens“) sind im Wesentlichen die Staaten in Lateinamerika, Afrika, Asien und Polynesien; ihre Wirtschaft ist zumeist markt- oder gemischtwirtschaftlich (mit starken informellen Sektoren) ausgerichtet; politisch sind sie in der Regel Mitglieder der

Entwicklungsländer

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Anmerkungen

Bewegung der nichtpaktgebundenen Staaten („Blockfreie“). Die meisten Entwicklungsländer sind ehemalige Kolonien. Der Begriff „Dritte Welt“ wurde 1952 geprägt und bezeichnete – in Analogie zum „Dritten Stand“ der Französischen Revolution – die emanzipatorische Funktion der nach Unabhängigkeit strebenden Kolonialterritorien Außereuropas.

Schwellenländer

Darüber hinaus werden mit „Schwellenländer“ (oder Newly Industrialized Countries/NICs) auch (ehemalige) Entwicklungsländer bezeichnet, die eine starke wirtschaftliche Dynamik aufweisen (z. B. gemessen am Grad der Industrialisierung). Als Kerngruppe galten hier ursprünglich die vier „ostasiatischen Tiger“ Südkorea, Taiwan, Hongkong, Singapur und Argentinien, Brasilien, Mexiko – letztere waren jedoch besonders von der Schuldenkrise der 1980er-Jahre betroffen und verloren an wirtschaftlicher Bedeutung. Mittlerweile werden – je nach Auslegung – etwa auch China, Indien, Malaysia, Thailand, Indonesien oder Vietnam zu dieser Gruppe gezählt. O

Über den Inhalt des häufig gebrauchten Begriffs „Entwicklung“ besteht kaum Übereinstimmung. Wer definiert und worin liegt eigentlich das Ziel von Entwicklung? In der Befriedigung der Grundbedürfnisse (Essen, Kleidung, Wohnen)? Im Erreichen eines europäisch/US-amerikanischen Lebensstandards? Was sagen wirtschaftliche Wachstumsraten über die gesellschaftliche Verteilung des Wohlstands, Geschlechtergerechtigkeit oder etwa politische Beteiligung aus? Gibt es nur materielle oder auch sozial-kulturelle Entwicklungsziele?

Wachsende Kluft zwischen Arm und Reich Das Verhältnis zwischen den Industrieländern und den Entwicklungsländern ist durch historisch gewachsene Unterschiede in Lebensstandard und wirtschaftlicher Leistungskraft charakterisiert, die sich vor allem in den letzten zwei Jahrzehnten noch verstärkt haben. Auf die ärmsten 40 Prozent der Weltbevölkerung – 2,5 Milliarden Menschen, die von weniger als zwei US-Dollar pro Tag leben – entfallen nur fünf Prozent des gesamten globalen Einkommens. Die 50 Reichsten der Welt verfügen zusammen über ein Einkommen, das größer als das der ärmsten 416 Millionen Menschen ist. (Bericht über menschliche Entwicklung/HDR 2005). Die Einkommensunterschiede zwischen armen und reichen Ländern werden immer größer: Zwischen 1960 und 1962 betrug das Durchschnittseinkommen in den 20 reichsten Ländern etwa das 53fache der 20 ärmsten Länder der Welt. Dieser Unterschied hat sich bereits auf das 121fache zugunsten der reichsten Länder vergrößert (siehe Abb.).

Einkommensunterschiede zwischen Arm und Reich

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Anmerkungen

Quelle: Bericht „Eine faire Globalisierung“/ILO; Weltbank 2003

Auch innerhalb der Industrie- und Entwicklungsländer haben sich in den letzten Jahrzehnten die Gegensätze zwischen Arm und Reich verschärft. Quer über den Globus wird eine Zunahme sozialer Ungleichheiten verzeichnet. Die folgende Tabelle kontrastiert die Fortschritte und Kehrseiten der menschlichen Entwicklung in den 1990er-Jahren (HDR 2005):

Gegensätze zwischen Arm und Reich verschärfen sich überall

Menschliche Entwicklung in den 1990er-Jahren Die Fortschritte

Die Kehrseite

130 Millionen Menschen wurden aus extremer Armut befreit

2,5 Milliarden leben noch immer von weniger als zwei US-Dollar pro Tag

2 Millionen weniger Todesfälle bei Kindern pro Jahr

Jährlich 10 Millionen Todesfälle bei Kindern, die vermeidbar wären

30 Millionen Kinder mehr, die zur Schule gehen

Noch immer 115 Millionen Kinder, die nicht zur Schule gehen

1,2 Milliarden Menschen erhielten Zugang zu sauberem Wasser

Noch immer haben über eine Milliarde Menschen keinen Zugang zu sauberem Wasser; 2,6 Milliarden haben keinen Zugang zu Sanitärversorgung

Die Frage von Arm oder Reich bestimmt unmittelbar über die Lebenschancen. Menschen in den ärmsten Staaten des Südens sterben durchschnittlich 24 Jahre früher als Bewohner/-innen des Nordens. Von 1.000 Kindern erreichen in den ärmsten Entwicklungsländern 161 nicht ihren fünften Geburtstag (im Vergleich zu 14 in den Industrieländern). Eine Verbesserung der medizinischen Versorgung hat auf die Verbesserung dieser (Über-) Lebenschancen nur relativ geringen Einfluss, solange Menschen weiterhin unter den Bedingungen der Armut leben. Sie betreffen direkt die Ausstattung mit lebenswichtigen Gütern, Ernährung und Trinkwasserversorgung, die Wohnverhältnisse, den Zugang zu Bildung etc. – kurz: die grundlegendsten Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe. 5


Anmerkungen

Diese wachsende Schere zwischen Nord und Süd darf gerade vom gewerkschaftlichen Standpunkt aus auf Dauer nicht unbeachtet bleiben. Solidarität und die Sorge um Stabilität stellen die Hauptmotive dafür dar. O

Die sozialen Folgen weltwirtschaftlicher Ungleichheit (Massenarbeitslosigkeit, unzureichende Bildungs- und Gesundheitsversorgung, Zerstörung traditioneller Versorgungskreisläufe, Hungersnöte und Epidemien) bedeuten für Millionen von Menschen einen Zustand absoluter Verelendung. Soziale Unruhen werden nicht selten durch verstärkte Militarisierung und die Nichtbeachtung der Menschenrechte zu unterdrücken versucht. (Solidaritätsargument)

O

Die auseinanderklaffende Schere zwischen Nord und Süd verhindert eine langfristige Stabilisierung der Weltwirtschaft: Exportmärkte in der Dritten Welt brechen mangels Kaufkraft zusammen, Rohstofflieferungen werden aus politischen Gründen gefährdet, Migrationsbewegungen vom Süden in den Norden nehmen zu. Auch auf dem Gebiet der Umwelt – etwa hinsichtlich des Treibhauseffekts – ist die gegenseitige Abhängigkeit von Nord und Süd besonders deutlich spürbar. (Stabilitätsargument)

Folgen der wachsenden Schere zwischen Nord und Süd

Ohne einen Ausgleich der „Ungleichmäßigkeiten“ in der globalen Wirtschaftsstruktur sind weder Wohlstand für alle noch eine Sicherung der ökologischen Lebensgrundlagen der Erde möglich. Die Bewältigung des Nord/Süd-Konflikts zählt daher zu den dringendsten Aufgaben einer weltweiten Wirtschafts- und Sozialpolitik, soll ein Überleben der Menschheit in „Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit“ gewährleistet werden.

Meinungen Jean Ziegler, UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, kommentiert seinen Kampf gegen Hunger in der Welt: „Ich stehe jetzt dem gegenüber, was eigentlich die Essenz unserer Wirtschaftsweise ist. 100.000 Menschen sterben täglich an Hunger oder seinen unmittelbaren Folgen. Alle fünf Sekunden verhungert ein Kind unter zehn Jahren. 856 Millionen Menschen sind schwer unterernährt – einer von sechs Menschen auf diesem Planeten. Und das auf einem Erdball, der vor Reichtum überquillt. Schon heute könnten ohne Probleme 12 Milliarden Menschen ernährt werden, also das Doppelte der Weltbevölkerung. Das heißt: Ein Kind, das heute an Hunger stirbt, wird ermordet.“ Margarita Posada ist Koordinatorin der Bürger- und Bürgerinnenbewegung gegen die Privatisierung des öffentlichen Gesundheitswesens in El Salvador: „Die neoliberale Globalisierung teilt die Gesellschaft durch zwei und man kann sich dabei nicht als neutral erklären. Denn die Unterlassung einer Parteinahme, also sich seiner Verpflichtung zu stellen, begünstigst die, die uns ausnutzen, und stellt uns dadurch auf deren Seite. Wenn wir sagen: ,Was kann ich tun, was tue ich, um das Leben zu schützen und zu verteidigen? Was tue ich für den Weltfrieden?‘ Dann stellt uns das auf die Seite derer, die an die Menschenrechte glauben und die daran glauben, dass die Menschenrechte über den Rechten des Marktes stehen.“

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Ein Kapitel Kolonialgeschichte

Anmerkungen

Die Ursachen der „Unterentwicklung“ der Dritten Welt sind nur aus der Geschichte heraus zu verstehen: Fast alle heutigen „Entwicklungsländer“ waren früher Kolonien (oder politisch abhängige Gebiete) europäischer Staaten, wurden von diesen wirtschaftlich ausgebeutet und konnten ihre staatliche Unabhängigkeit erst nach langwierigen, vielfach kriegerisch verlaufenden Befreiungskämpfen erringen: O

O

O

Lateinamerika erkämpfte seine Unabhängigkeit von Spanien und Portugal in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die politische Macht verblieb allerdings den aus Europa stammenden Oberschichten, während die einheimische (indianische) Bevölkerung diskriminiert blieb. Auch die politische Vereinigung der Länder Lateinamerikas, wie sie beispielsweise Simon Bolivar erstrebt hatte, kam nicht zustande. Das Schicksal des Subkontinents wurde aufgrund der so genannten Monroe-Doktrin im Folgenden weitgehend von den Vereinigten Staaten von Nordamerika bestimmt. Afrika, jahrhundertelang Lieferant von Sklaven, Gold und Elfenbein, wurde erst im 19. Jahrhundert wirtschaftlich stärker erschlossen, vor allem von Großbritannien und Frankreich; aber auch Belgien, Portugal, das Deutsche Kaiserreich oder Italien verfügten über afrikanische Kolonien. Der Kampf der Afrikaner und Afrikanerinnen gegen den Kolonialismus führte ab den späten 1950er-Jahren zur politischen Selbstbestimmung. Auf dem asiatischen Kontinent wurden vor allem die Länder Süd- und Südostasiens sowie große Teile des Nahen Ostens von europäischen Mächten (die USA verfügten über die Philippinen und zahlreiche pazifische Inseln als Kolonien) unterworfen. Jahrzehntelange Unabhängigkeitsbemühungen (z. B. Gandhis gewaltlose Bewegung in Indien) führten nach 1945 schrittweise zum Erfolg.

Lateinamerika

Afrika

Asien

In seiner ersten Phase war der Kolonialismus vor allem daraufhin ausgerichtet, durch ungezügelten Raubbau an den wirtschaftlichen und menschlichen Ressourcen der Kolonien den Reichtum bzw. die Staatseinnahmen des „Mutterlandes“ zu vergrößern. Als besonders einträglich erwies sich etwa der Abbau von Edelmetallen in Lateinamerika oder der so genannte Dreieckshandel (Luxuswaren – Sklaven – tropische Produkte) zwischen Europa, Afrika und Lateinamerika.

Ökonomische Ausbeute der Kolonien

Durch die militärische, politische und religiöse Einflussnahme, die mit der ökonomischen Ausbeutung der „neu entdeckten“ Gebiete einherging, wurden die traditionellen Gesellschaftsstrukturen weitgehend zerstört. Durch Zwangsarbeit, Zivilisationskrankheiten und Hungersnöte kam etwa in Lateinamerika im Verlauf des 16. und 17. Jahrhunderts ein großer Teil der einheimischen Indio-Bevölkerung ums Leben. Aus Afrika wurden im selben Zeitraum Dutzende Millionen Menschen als Sklaven an amerikanische Plantagenbesitzer verkauft. Die Gier der europäischen Kolonialherren nach Gold, Silber, Elfenbein, Gewürzen und anderen Rohstoffen verstärkte noch die Deformierung der traditionellen wirtschaftlichen und politischen Strukturen und wirkte sich auch in weit entlegenen Gebieten aus, in die die weißen Eroberer noch nicht vorgedrungen waren.

Sklavenhandel

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Anmerkungen

Dieser Prozess setzte sich fort, als in einer zweiten Phase die systematische Ausbeutung der Kolonien in den Mittelpunkt des europäischen Interesses rückte. Nun ging es verstärkt um die Beherrschung der Exportund Importmärkte, die Anlegung von Plantagen und Bergwerken in europäischem Eigentum (Entstehung multinationaler Konzerne) und – nicht zuletzt aus strategischen Gründen – um die politische Beherrschung der Kolonialgebiete insgesamt. Im Sinne einer internationalen Arbeitsteilung wurde die Förderung bestimmter mineralischer oder agrarischer Rohstoffe in bestimmten Kolonien vorangetrieben, die Entwicklung anderer wirtschaftlicher Sektoren jedoch bewusst vernachlässigt. In den meisten Kolonialgebieten entstanden somit exportorientierte Monokulturen mit einer einseitig ausgerichteten Infrastruktur (z. B. Reisanbau in Südostasien, Viehzucht in Argentinien oder Erdöl im Nahen Osten). Große Teile der Landbevölkerung wurden durch steuerliche und andere Maßnahmen in niedrigst entlohnte Arbeitsverhältnisse in Bergwerken oder Plantagen gezwungen. Während Fertigprodukte aus Europa einen gewissen Absatzmarkt fanden, wurde der Aufbau einheimischer Industrien in den Kolonien weitgehend verhindert. Allerdings: Die Exportmöglichkeiten der Industrieländer blieben im Rahmen dieses Systems durch den Mangel an Kaufkraft in den Kolonien begrenzt.

Wirtschaftsstruktur der Kolonien

Mit Erlangung der staatlichen Unabhängigkeit befanden sich die ehemaligen Kolonien somit international in einer strukturell abhängigen Position. Ihre Wirtschaftsstruktur war einseitig auf die Bedürfnisse der früheren Kolonialmächte bzw. der Industrieländer hin ausgerichtet. „Unterentwicklung“ ist demnach als das Resultat einer vierhundertjährigen kolonialpolitischen Einflussnahme Europas zu verstehen.

Meinungen Von Befürwortern des Kolonialismus wurde diese einseitige wirtschaftliche Ausrichtung des Südens auf den Norden folgendermaßen gerechtfertigt. Der Großhändler Adolph Woermann 1885 im Deutschen Reichstag: „Die Bedeutung (einer Handelskolonie) besteht darin, daß für den Handel jene Gebiete am vortheilhaftesten sind, welche in ihrer Produktion von der Produktion des Mutterlandes am verschiedensten sind. Gerade dort, wo man Produkte herholen kann, welche für uns von Wichtigkeit sind, und wo man Waaren und Industrieerzeugnisse hinschaffen kann, welche dort von großem Werthe sind, gerade dort ist der Werthunterschied zwischen beiden ein verhältnismäßig großer, und diese Thatsache bewirkt, daß für den Handel in solchen Gebieten ein besonderer Gewinn erwächst; daß aber mit dem Gewinn für den Handel, mit dem Gewinn für den einzelnen auch für das allgemeine ein Vortheil geschaffen wird, das kann man wohl nicht ganz in Abrede stellen. Denn wir sehen, wie sehr die englische Industrie durch diesen Export gehoben ist, und wie viel Arbeiter in England dadurch beschäftigt sind, daß England seine Kolonien gehabt hat. Ich bin fest überzeugt, daß, wenn Deutschland auf diesem Wege, auf dem es begonnen hat, fortschreitet, daß dann in Deutschland wesentlich mehr Arbeiter beschäftigt werden können, als jetzt beschäftigt werden, und zwar durch die Kolonialpolitik.“

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Vertreter der antikolonialen Bewegungen, wie etwa der algerische Freiheitskämpfer Frantz Fanon, sahen die Dinge 1961 freilich anders:

Anmerkungen

„Der Kolonialismus und der Imperialismus sind mit uns nicht quitt, wenn sie ihre Fahnen und ihre Polizeikräfte von unseren Territorien zurückgezogen haben. Jahrhunderte lang haben sich die Kapitalisten in der unterentwickelten Welt wie wahre Kriegsverbrecher aufgeführt. Deportationen, Blutbäder, Zwangsarbeit, Versklavung sind die Hauptmittel zur Vermehrung ihrer Gold- und Diamantenreserven, ihrer Reichtümer und Machtpositionen gewesen. Der Reichtum der imperialistischen Länder ist auch unser Reichtum. Europa hat sich an dem Gold und den Rohstoffen der Kolonialländer unmäßig bereichert; aus Lateinamerika, China und Afrika, aus all diesen Kontinenten, denen Europa heute seinen Überfluss vor die Nase setzt, werden seit Jahrhunderten Gold und Erdöl, Seide und Baumwolle, Holz und exotische Produkte nach eben diesem Europa verfrachtet. Dieses Europa ist buchstäblich das Werk der Dritten Welt.“

1. Beschreiben Sie kurz die wesentlichen Elemente der ersten bzw. der zweiten Phase des Kolonialismus (Raubkolonialismus – Imperialismus).

2. Stellen Sie anhand der Karten (auf Seite 6) die internationale Arbeitsteilung im Bereich der landwirtschaftlichen Produktion dar. Welche entwicklungspolitischen Probleme ergeben sich durch die Anlegung exportorientierter Monokulturen?

3. Diskutieren Sie mit Ihren Kolleginnen und Kollegen die Aussage des deutschen Kolonialhändlers Woermann und des algerischen Freiheitskämpfers Fanon. Worin stimmen Sie überein, worin nicht?

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Nord/Süd-Beziehungen im Wandel

Anmerkungen

Die Beziehungen zwischen den Industrieländern und den Entwicklungsländern seit 1945 können grob in folgende Etappen gegliedert werden:

a) Die Neuordnung der Weltwirtschaft Bretton Woods

Bereits 1944 wurde mit den Planungen für die Neuordnung der Weltwirtschaft nach Kriegsende begonnen. Die in Bretton Woods (USA) geschlossenen Verträge sahen zunächst vor, den US-amerikanischen Dollar als Leitwährung der Weltwirtschaft anzuerkennen (womit sich die Vereinigten Staaten einen beträchtlichen handelspolitischen Vorteil gegenüber Europa verschafften). Um dieses System der fixen Wechselkurse gegenüber dem Dollar abzustützen, wurde der Internationale Währungsfonds (IWF) gegründet. Parallel dazu errichtete man die Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (Weltbank), die das erforderliche Kapital für die wirtschaftliche Nachkriegsentwicklung vor allem der Industrieländer aufbringen sollte. Fragen der Dritten Welt widmete man vorerst nur geringes Interesse.

b) Der Kalte Krieg In dieser Phase wurden die Länder bzw. Kolonien in der Dritten Welt zunehmend in die Systemauseinandersetzung zwischen West und Ost einbezogen. Durch ein weltweites Paktsystem versuchten die USA, die Sowjetunion auch außerhalb Europas „einzukreisen“ (SEATO-, CENTOPakt). Der 1. Indochinakrieg (1946–1954), zunächst ein klassischer Kolonialkrieg Frankreichs gegen die vietnamesische Unabhängigkeitsbewegung, entwickelte sich ebenso wie der Koreakrieg (1950–1953) rasch zu einer „heißen“ Auseinandersetzung zwischen den beiden Supermächten und ihren Verbündeten. Sozialreformerische Bestrebungen in den Kolonien bzw. Entwicklungsländern wurden häufig als „stabilitätsgefährdend“ abgeblockt (und nahmen damit an Radikalisierung zu). 1947 sicherten sich die USA im so genannten Rio-Pakt ein militärisches Interventionsrecht in ganz Lateinamerika; 1954 nahmen sie dieses „Recht“ gegen Guatemala (wo eine Landreform vorbereitet wurde) und 1961 gegen die kubanische Revolution auch in Anspruch (in letzterem Fall allerdings erfolglos). Bereits 1953 war im Iran die Regierung Mossadegh, welche die Nationalisierung der Erdölindustrie vorangetrieben hatte, durch einen Militärputsch gestürzt worden.

Stellvertreterkriege

Für die Dritte Welt wichtige wirtschaftspolitische Entscheidungen – wie die Errichtung einer Internationalen Handelsorganisation – kamen infolge des Ost/West-Konflikts nicht zustande. Kooperationen mit Entwicklungsländern wurden in diesen Jahren fast ausschließlich unter sicherheitspolitischen Aspekten betrachtet (Militärhilfe).

c) Entkolonialisierung und Entwicklungshilfe Die zunehmende Entkolonialisierung in Asien, Nahost und Afrika, die Entstehung der Blockfreien-Bewegung (1961) und die zunehmende Gewichtsverschiebung in den Vereinten Nationen zwangen die Industrie-

Entkolonialisierung

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länder zu einer Neubesinnung: Die Forderung vieler Länder der Dritten Welt nach finanzieller Kompensation für die Ausbeutung der Kolonialzeit wurde von ihnen zwar abgelehnt, zu punktuellen Unterstützungsmaßnahmen waren sie aus politischen, wirtschaftlichen und humanitären Gründen jedoch bereit.

Anmerkungen

1961 rief die UNO die „Erste Entwicklungsdekade“ aus; aufgrund einer internationalen Vereinbarung von 1970 sollten die Industrieländer 0,7 Prozent ihres Bruttosozialprodukts als öffentliche Entwicklungshilfe an die Dritte Welt vergeben. Neue internationale Organisationen wie die UNIDO (für industrielle Entwicklung) und UNCTAD (für Handel und Entwicklung) entstanden und setzten sich vor allem die Förderung der Entwicklungsländer zum Ziel. Ebenso entstanden zahlreiche private Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs) zur Durchführung von Entwicklungshilfeprojekten.

d) Der Nord/Süd-Dialog Schon 1969 hatte der so genannte Pearson-Bericht der Weltbank auf die Notwendigkeit hingewiesen, Entwicklungshilfe durch weltwirtschaftliche Strukturveränderungen zugunsten der Dritten Welt zu ergänzen. Zu ähnlichen Resultaten gelangte auch die Gruppe der 77, die politische Vereinigung der meisten Entwicklungsländer, deren politisches Selbstbewusstsein durch den Ölpreisschock des Jahres 1973, den Sieg Vietnams über die USA im 2. Indochinakrieg und den Zusammenbruch des portugiesischen Kolonialreichs 1974/75 gestärkt wurde.

Gruppe der 77

1974 beschloss die Generalversammlung der UNO auf Antrag des mexikanischen Staatspräsidenten Echeverria eine „Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten“, die die Grundlage für eine „Neue Weltwirtschaftsordnung (NWWO)“ bilden sollte. Unter anderem standen dabei Maßnahmen zur Kontrolle der Aktivitäten transnationaler Konzerne besonders im Vordergrund:

Kontrolle transnationaler Konzerne

Wirtschaftliche Rechte und Pflichten der Staaten „Artikel 1: Jeder Staat hat das souveräne und unveräußerliche Recht, sein Wirtschaftssystem sowie sein politisches, soziales und kulturelles System entsprechend dem Willen seines Volkes ohne Einmischung, Zwang oder Drohung irgendwelcher Art von außen zu wählen. Artikel 2 (1): Jeder Staat hat die volle und ständige Souveränität einschließlich des Besitz-, des Nutzungs- und des Verfügungsrechts über alle seine Reichtümer, Naturschätze und wirtschaftlichen Betätigungen und übt diese Souveränität ungehindert aus ... (2b) Jeder Staat hat das Recht, die Tätigkeit transnationaler Gesellschaften in seinem nationalen Hoheitsbereich zu regeln und zu überwachen und Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass diese Tätigkeiten seinen Rechts- und sonstigen Vorschriften entsprechen ...“

Die Verhandlungen über diese Forderungen bildeten bis in die achtziger Jahre hinein den Gegenstand des so genannten Nord/SüdDialogs. Zur Einigung kam es dabei freilich nur in einigen Teilbereichen, so beim so genannten „Integrierten Rohstoffprogramm“. Dennoch gab der Nord/Süd-Dialog wichtige Anstöße zur Bewusstseinsbildung über die weltweiten wirtschaftlichen Strukturen und Abhängigkeiten. Vor allem eine Kommission prominenter Politi11


ker/-innen und Experten/-innen unter Vorsitz des früheren deutschen Bundeskanzlers Willy Brandt vertrat 1980 die These eines gegenseitigen Aufeinander-Angewiesen-Seins von Industrie- und Entwicklungsländern (Interdependenz). Der Nord/Süd-Dialog war wesentlich mit der Entspannungspolitik in Europa verbunden.

Anmerkungen

Aus dem Brandt-Report 1980: „Mancherorts ist die Öffentlichkeit tatsächlich unzureichend über die Fakten informiert. Im Norden ist beispielsweise in den Medien oft von der ,Flut‘ billiger Importwaren aus dem Süden die Rede, die seine ,Wachstumsindustrien‘ bedrohe; aber wer achtet darauf, welche Geschäfte der Norden auf den Märkten des Südens macht? Wie gut weiß man darüber Bescheid, daß ein großer Teil der Arbeitsplätze im Norden vom Verkauf in den Süden abhängt und daß viele Waren für den Verbraucher im Norden sehr viel teurer wären ohne diese Importe? (...) Um zum Sieg über Hunger und Armut beizutragen und eine gerechtere und effizientere internationale Wirtschaftsordnung zu schaffen, müssen grundlegende Strukturveränderungen in den Märkten vorgenommen werden, auf denen Entwicklungsländer als Anbieter – von Rohstoffen, Industrieprodukten, Arbeitskraft – oder als Abnehmer – von Kapital und Technologie – auftreten. (...) Man kann von systemüberwölbenden Problemen sprechen: von der Energie bis zur Ökologie, von Rüstungsbegrenzung bis zur Umsetzung von Arbeitsplätzen, von der Mikroelektronik bis hin zu neuen wissenschaftlichen Optionen, die sich heute erst in Umrissen andeuten. Ob solche Fragen in Boston oder Moskau, in Rio oder Bombay diskutiert werden, überall gibt es Menschen, die erkennen, daß in einem atemberaubenden Tempo der ganze Erdball betroffen ist: Von den gleichen Problemen der Energieknappheit, der Verstädterung mit Verschmutzung der Umwelt, und einer immer moderneren und komplizierteren Technologie, bei der die menschlichen Werte zu kurz kommen und welche die Menschen nicht mehr richtig handhaben können.“

e) Das verlorene Jahrzehnt Mit dem Ende der Ära Carter brachen auch für den Nord/Süd-Dialog und Entspannungspolitik schwierigere Zeiten an. Bei vielen Forderungen der Entwicklungsländer im Rahmen ihres Programms zur „Neuen Weltwirtschaftsordnung“ kam es trotz der Bemühungen, vor allem der skandinavischen Länder, zu keinem Kompromiss zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Ein letzter Versuch zur Wiederbelebung des Dialogs – das gemeinsam vom mexikanischen Präsidenten Echeverria und dem österreichischen Bundeskanzler Kreisky organisierte Gipfeltreffen von Cancun – blieb ebenfalls ergebnislos.

Stocken des Nord/Süd-Dialogs

Unter dem Druck der Schuldenkrise sanken die politische Bedeutung sowie die wirtschaftliche Leistungskraft der Dritten Welt. Zugleich verschärfte sich die soziale Krise in den Entwicklungsländern, verbreiterte sich die Schere zwischen Nord und Süd. Die achtziger Jahre werden mittlerweile auch von der Weltbank als das „verlorene Jahrzehnt für die Entwicklung“ bezeichnet.

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Anmerkungen

Aus dem Weltentwicklungsbericht der Weltbank 1990: „Für die Millionen von Menschen, die weltweit unter besonders prekären Bedingungen leben, stellen sich die vergangenen zehn Jahre weit düsterer dar. Vielen Entwicklungsländern ist es nicht nur misslungen, mit den Industrieländern Schritt zu halten; ihre Einkommen sind vielmehr absolut gesunken. Der Lebensstandard von Millionen Menschen in Lateinamerika ist jetzt niedriger als zu Beginn der siebziger Jahre. In den meisten afrikanischen Ländern südlich der Sahara ist der Lebensstandard auf ein Niveau gesunken, das zuletzt in den sechziger Jahren erreicht worden war. (...) Für viele Arme in der Welt waren die achtziger Jahre ein ,verlorenes Jahrzehnt‘ – in der Tat eine Katastrophe.“

f) Der Süden in der Defensive Das Ende des Ost/West-Konflikts weckte unter den Entwicklungsländern Hoffnungen auf eine „Friedensdividende“: Frei werdende Mittel durch Abrüstung sollten in den Entwicklungsländern investiert werden und das Ende des Kalten Krieges einen „Neubeginn“ für den Nord/Süd-Dialog ermöglichen. Im Nyerere-Bericht von 1990 griffen die Länder des Südens nochmals die Forderungen nach einer neuen Weltwirtschaftsordnung und selbstbestimmter Entwicklung auf:

Ende des Kalten Krieges und neue Hoffnungen

„Entwicklung (ist) ein Prozess, der es Menschen ermöglicht, ihre Fähigkeiten zu entfalten, Selbstvertrauen zu gewinnen und ein erfülltes und menschenwürdiges Leben zu führen. Entwicklung ist ein Prozess, der die Menschen von der Angst vor Armut und Ausbeutung befreit. Sie ist der Ausweg aus politischer, wirtschaftlicher oder sozialer Abhängigkeit. (...) Entwicklung ist (...) gleichbedeutend mit wachsender individueller und kollektiver Eigenständigkeit.“ Doch seitens der Industrieländer blieben selbst die 1970 vereinbarten 0,7 % des Bruttosozialprodukts für öffentliche Entwicklungshilfe aus (nur Schweden, Norwegen, Dänemark und die Niederlande haben diesen Wert jemals erreicht). Die Zeichen standen auf „weniger Geld zu härteren Bedingungen“: Finanzhilfen wurden gekürzt und verstärkt an Bedingungen wie z. B. „gutes Regierungshandeln“ („good governance“) gebunden. Mit dem Ende der Blockkonfrontation verloren die Länder des Südens zudem an geostrategischer Bedeutung. Im Zuge der neunziger Jahre verschwanden ihre Forderungen nach einer Neuen Weltwirtschaftsordnung weitestgehend von der politischen Tagesordnung. Unter diesen Bedingungen rückten Programme zur Armutsbekämpfung, nachhaltigen Entwicklung (vgl. Brundtland-Bericht 1987) und Geschlechtergerechtigkeit in den Vordergrund. Unzählige „Mega-Konferenzen“ der Vereinten Nationen widmeten sich in diesem Jahrzehnt Beratungen über die Lage des Planeten. So verpflichteten sich bspw. die Teilnehmerstaaten des Weltsozialgipfel 1995 (Kopenhagen), das „Ziel der weltweiten Armutsbeseitigung durch entschiedenes nationales Handeln und internationale Zusammenarbeit zu verfolgen“. Bekenntnisse wie diese blieben jedoch unverbindlich. Andererseits erhöhten die Länder des Nordens im Rahmen der 1995 gegründeten Welthandelsorganisation (WTO) weiter den Druck, die Märkte der Entwicklungsländer zu liberalisieren und für transnationale Unternehmen zu öffnen.

Programme zur Armutsbekämpfung

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g) Die Millenniums-Ziele

Anmerkungen

Im Jahr 2000 verabschiedeten die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen die so genannte „Millenniumserklärung“. Die darin enthaltenen acht „Millenniums-Entwicklungsziele“ stellen seither den zentralen Bezugspunkt für entwicklungspolitische Fragen dar. Diese Hauptziele wurden bis 2015 ausgegeben:

Millenniumserklärung

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Extreme Armut und Hunger beseitigen Grundschulausbildung für alle Kinder gewährleisten Gleichstellung und größeren Einfluss der Frauen gewährleisten Die Kindersterblichkeit senken Die Gesundheit der Mütter verbessern HIV/AIDS, Malaria und andere Krankheiten bekämpfen Eine nachhaltige Umwelt gewährleisten Eine globale Partnerschaft im Dienste der Entwicklung schaffen

Die Quantifizierung der Ziele – bspw. bis 2015 der Anteil der Menschen an der Weltbevölkerung zu halbieren, deren Einkommen weniger als einen US-Dollar pro Tag beträgt – soll dabei eine bessere Überwachung der Fortschritte gewährleisten. Angesichts der Ergebnisse des Berichts über die menschliche Entwicklung 2005 wird ein entschlossenes Handeln eingefordert: „Dieser Bericht (…) spricht eine klare Warnung aus. Wir wissen, dass die Millenniums-Entwicklungsziele erreichbar sind, doch wenn wir so weitermachen wie bisher, werden die Versprechen der Millenniumserklärung gebrochen (…). Vor allem für die Armen dieser Welt wäre das eine Tragödie. Doch auch die reichen Länder wären gegen die Konsequenzen des Versagens nicht immun. In einer von gegenseitigen Abhängigkeiten geprägten Welt hängen unser gemeinsamer Wohlstand und unsere kollektive Sicherheit entscheidend von den Erfolgen im Kampf gegen die Armut ab.“ UNDP-Administrator KEMAL DERVIS

4. Auf welchen Prinzipien beruhte die Neuordnung der Weltwirtschaft nach 1945?

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Anmerkungen

5. Welche verschiedenen Interessen führten in den sechziger Jahren zur Schaffung der so genannten Entwicklungshilfe? Inwieweit wurden die Interessen der Dritten Welt dabei berücksichtigt, inwieweit nicht?

6. Was verstand die Brandt-Kommission unter dem Begriff „Interdependenz“?

7. Warum wäre die Erreichung der so genannten Millenniumsziele aus Arbeitnehmersicht wichtig?

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Mechanismen der Abhängigkeit

Anmerkungen

a) Abhängigkeit vom Rohstoff-Export Im Rahmen der internationalen Arbeitsteilung wurde in den Kolonien der Abbau bestimmter mineralischer oder agrarischer Rohstoffe (Monokulturen) vorangetrieben, die Entwicklung anderer wirtschaftlicher Sektoren jedoch bewusst vernachlässigt. Als sie ihre politische Unabhängigkeit durchgesetzt hatten, waren die meisten Entwicklungsländer deshalb weiterhin auf eine Rolle als Lieferanten eines einzigen oder einiger weniger Rohstoffe für den Weltmarkt festgelegt, wobei unter „Weltmarkt“ in der Regel die ehemalige Kolonialmacht bzw. dort ansässige multinationale Konzerne zu verstehen war. Industrielle Produktionskapazitäten, d. h. die erforderlichen Betriebe zur Weiterverarbeitung der geförderten oder angebauten Rohstoffe, gab es ebenso wenig wie das dazu nötige Investitionskapital. Neben der Aufnahme von Auslandskrediten war der Rohstoffexport daher für viele Entwicklungsländer die einzige Möglichkeit, die für Importgüter notwendigen Devisen zu beschaffen. Bis heute konnte nur eine Minderheit ihre wirtschaftliche Abhängigkeit von Rohstoffexporten zurückdrängen. In mehr als fünfzig Entwicklungsländern hängt der überwiegende Teil der Exporteinkünfte von drei oder weniger dieser Güter ab (vor allem in Afrika südlich der Sahara, zudem im Karibischen Raum und Zentralamerika; siehe Tabelle unten).

Rohstoffexporte und Auslandskredite

Abhängigkeit ausgewählter Länder von einem Exportprodukt

Quelle: http://www.suedwind-institut.de/0dt_sw-start-fs.htm; IWF 2002

Die betroffenen Entwicklungsländer befinden sich damit in einer strukturellen Abhängigkeit von den weltweiten Rohstoffmärkten und ihren Mechanismen zur Preisgestaltung. Dies hat mehrere wirtschaftliche Nachteile:

Folgen der strukturellen Abhängigkeit

x Erstens besteht eine hohe wirtschaftliche Abhängigkeit gegenüber Nachfrage- und Preisschwankungen (z. B. Konjunkturentwicklung, Börsenspekulationen) auf den Rohstoffmärkten. x Zweitens sind die internationalen Rohstoffmärkte zum Teil stark kartelliert: Sie werden von einigen wenigen multinationalen Konzernen kontrolliert (siehe Tabelle „Marktmacht transnationaler Konzerne im Agrarbereich).

16


x Drittens wird durch diese hohe Anfälligkeit gegenüber Außenfaktoren eine alternative Entwicklungsstrategie massiv erschwert („Handelsfalle“, siehe unten).

Anmerkungen

Während Industrieländer die im eigenen Land geförderten Rohstoffe weitestgehend selbst verarbeiten können, ist der Anteil der Entwicklungsländer am Welthandel mit Primärgütern (z. B. Mineralien) überproportional groß. Die Abnehmer können bspw. durch Vorratshaltung, Ländersubstitution (wenn ein Entwicklungsland den Preis erhöht, wird auf ein anderes ausgewichen) oder Produktsubstitution (z. B. Ersatz von Rohrzucker durch Rübenzucker) ihre Marktmacht untermauern. Steigern die betroffenen Entwicklungsländer ihre Exporte angesichts von Einnahmeausfällen, führt dies zu einer Überproduktionskrise und weiterem Preisverfall. Vor diesem Hintergrund kann folgender handels- und entwicklungspolitischer „Teufelskreis“ skizziert werden: geringer wirtschaftlicher Entwicklungsstand ª hoher Anteil von Rohstoffen an Exporten ª Verwundbarkeit durch Nachfrage- und Preisschwankungen ª Devisenknappheit, geringe Spar- und Investitionsfähigkeit ª geringe Produktivitätsforschritte ª Verfestigung der einseitigen Produktions- bzw. Exportstrukturen, wirtschaftliche Diversifizierung (Auffächerung auf mehrere Wirtschaftszweige) bleibt aus (vgl. Nuscheler 1996).

Rohstoffabhängigkeit

Marktmacht transnationaler Konzerne im Agrarbereich

Produkt

Anteil der weltweiten Exporte, die von 3 bis 6 der größten transnationalen Konzerne im Agrarhandelsbereich vermarktet werden

Weizen Mais Zucker Kaffee Reis Kakaobohnen Tee Bananen Holz Baumwolle Tabak Naturkautschuk

85–90 % 85–90 % 60 % 85–90 % 70 % 85 % 80 % 70–75 % 90 % 85–90 % 85–90 % 70–75 %

Jute und Juteprodukte

85–90 %

Quelle: Schlussbericht der Enquete-Kommission Globalisierung der Weltwirtschaft; GERMANWATCH 2002

Zu der Rohstoffabhängigkeit kommt, dass sich langfristig die „terms of trade“ – das in Preisen ausgedrückte Austauschverhältnis von Import- und Exportgütern – für Primärprodukte verschlechtern, d. h. dass die Kaufkraft von Rohstoffen generell sinkt; Ausnahmen von dieser Regel finden bspw. dann statt, wenn ein Erzeuger-Kartell die Preise anzuheben imstande ist (so in den 70er-Jahren die OPEC beim Erdöl). Die betroffenen Entwicklungsländer sind also langfristig gezwungen, steigende Mengen von Rohstoffen zu exportieren, um eine konstante Menge an Industriegütern importieren zu können. In den achtziger Jahren ist es zu einem besonders dramatischen Verfall der Rohstoffpreise gekommen. Zwischen 1984 und 1986 sanken beispielsweise 17


Anmerkungen

die durchschnittlichen Preise auf dem Weltmarkt für Mais um 31 %, für Jute um 40 %, für Zinn um 46 %, für Tee um 45 % und für Baumwolle um 44 %. Gründe für diese für zahlreiche Länder der Dritten Welt katastrophale Entwicklung lagen u. a. in der wirtschaftlichen Rezession im Norden und im Gefolge der Schuldenkrise auftretenden Überangebot auf den Rohstoffmärkten.

Problem Rohstoffpreise

Gegenwärtig verzeichnen die Preise von Rohstoffen (abgesehen von Erdöl z. B. auch Uran oder Kupfer) einen Anstieg. Dieser beruht laut UNCTAD auf der stark gestiegenen Nachfrage durch China, Ostasien und Indien. Auch vor dem Hintergrund der Millenniumsziele fordert sie von der internationalen Gemeinschaft Maßnahmen, die Preisinstabilitäten für die rohstoffexportierenden Länder reduzieren.

Rohstoffprogramme

Forderungen wie diese sind jedoch alles andere als neu: Im Zuge der Diskussion über eine Neue Weltwirtschaftsordnung wurde von den Staaten der Dritten Welt das so genannte Integrierte Rohstoffprogramm vorgelegt und die Einrichtung eines Rohstofffonds gefordert. Ein Grundprinzip war, dass durch gezielte An- oder Verkäufe von bestimmten Rohstoffen drastische Preisschwankungen stabilisiert werden. Eine geschmälerte Variante trat zwar 1989 in Kraft, gilt jedoch mittlerweile als weitgehend bedeutungslos. Eine bestimmte Gruppe von Entwicklungsländern („AKP-Staaten“) konnte ihre Verluste aus den Weltmarktschwankungen für Rohstoffpreise über die STABEX- und SYSMIN-Systeme der Europäischen Union mindern; unter diesen Programmen, die im so genannten Lomé-Abkommen festgeschrieben waren, konnten besonders betroffene Entwicklungsländer z. B. Ausgleichszahlungen beantragen, die den Rohstoffpreisverfall zumindest zum Teil kompensieren. Sie blieben jedoch unterfinanziert und sind im neuen „Cotonou-Abkommen“ nicht mehr verankert. Das Beispiel Kaffee So zeigt der Bericht beispielsweise auf, dass die Kaffee exportierenden Länder, die Ende der 1980er Jahre noch rund zwölf Milliarden US-Dollar für ihre Exporte erlösten, im Jahr 2003 zwar mehr Kaffee exportierten, doch mit 5,5 Milliarden US-Dollar nur noch weniger als die Hälfte an Einnahmen dafür erzielten. Derweil blüht die „Kaffeewirtschaft” in den reichen Ländern – seit 1990 ist der Einzelhandelsumsatz von 30 Milliarden auf 80 Milliarden US-Dollar gestiegen. Durch die niedrigen Weltmarktpreise und den hohen Umsatz des Einzelhandels sind die Gewinnspannen der sechs größten Kaffeeröster, die inzwischen 50 Prozent des Welthandels auf sich vereinen, enorm gestiegen. „Von jedem US-Dollar an Arabica-Kaffee aus Tansania, der in einem Café in den Vereinigten Staaten verkauft wird, erhält der Erzeuger heute weniger als einen US-Cent”, berichten die Autoren. In Äthiopien ist das Exportvolumen seit Mitte der 1990er-Jahre um zwei Drittel gestiegen, doch die Exporterlöse sind dramatisch gesunken. Dadurch ist das Einkommen der Kaffee erzeugenden Haushalte weggebrochen. Bei einem Verfall der Preise von 1 US-Dollar pro Kilo im Jahr 1998 auf heute nur noch 0,30 USDollar pro Kilo schätzt der Bericht den durchschnittlichen Rückgang des jährlichen Haushaltseinkommens in Äthiopien auf 200 US-Dollar – ein riesiger Verlust für ein Land, in dem mehr als ein Drittel der ländlichen Bevölkerung von weniger als einem US-Dollar am Tag lebt. Auf die nationale Ebene übertragen bedeutet dies Einbußen in Höhe von 400 Millionen US-Dollar – dies entspricht der Hälfte der Entwicklungshilfe, die aus dem Ausland geleistet wurde. Quelle: HDR 2005

18


Anmerkungen

Überwindung der Abhängigkeit? : Importsubstituierende Industrialisierung Als im Zuge der Weltwirtschaftskrise sowie während des Zweiten Weltkriegs der Welthandel weitgehend zusammenbrach, verfolgten einige Länder des Südens (insbes. in Lateinamerika, aber z. B. auch Ägypten, Zimbabwe, Südafrika) den Weg einer „importsubstituierenden Industrialisierung“ (ISI). Sie begegneten dem Rückgang der Exporterlöse bzw. den Importengpässen mit dem Aufbau eigener Produktionskapazitäten und einer Verbreiterung der ökonomischen Basis („Diversifizierung“). Die ISI baute einerseits auf einer aktiven staatlichen Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik und andererseits auf einer mit protektionistischen Maßnahmen abgesicherten Industrialisierung (z. B. Schutzzölle). Infolge konnte ein relativ stetiges Wachstum des Industriesektors verzeichnet werden (z. B. betrug es in der Phase von 1929–1949 in Argentinien jährlich 4,9 %, in Brasilien 6 % und in Mexiko durchschnittlich 7,4 %). Der Schwerpunkt lag auf bislang importierten Konsumgütern. Die Einfuhr von Fertigwaren war zwar eingeschränkt worden, dafür erhöhte sich – als Folgewirkung der importsubstituierenden Maßnahmen – der Importsog für Investitionsgüter (z. B. Maschinen), Rohstoffe und Halbfertigwaren. So konnten sich die Erfolge des Modells nicht in einer Verbesserung der Devisenbilanz niederschlagen. Schwächen des Modells lagen zudem in den Beschränkungen des einheimischen Marktes und der anhaltenden ungleichen Einkommens- und Landverteilung. Ab ca. der zweiten Hälfte der 50er-Jahren engagierten sich multinationale Unternehmungen zunehmend in Schlüsselindustrien, was wiederum deren Einfluss steigerte. Die aufbrechenden Widersprüche des Modells konnten zunächst mit Auslandskrediten aufgefangen werden. Spätestens mit der Schuldenkrise wird der Niedergang dieses Modells datiert.

b) Verschuldung In höherem Ausmaß als Industrieländer sind die meisten Entwicklungsländer auf die Zufuhr von Auslandskapital angewiesen – auch das ein Erbe der Kolonialgeschichte. Im Entwicklungsoptimismus der 1950er- und 1960erJahre wurden ehrgeizige Industrialisierungs- und Infrastrukturprojekte in Angriff genommen. Das Ziel war eine „nachholende Industrialisierung“ im Schnelldurchlauf. Die erwarteten „Entwicklungserfolge“ sollten wiederum die Rückzahlung der aufgenommenen Schulden gewährleisten. So wird beispielsweise von einer Debatte zwischen dem Ökonomen Walter Rostow und dem Agrarwissenschafter René Dumont aus dem Jahr 1963 berichtet, in der es darum ging, ob Afrika den Entwicklungsstand der Schweiz schon in 20 oder 40 Jahren erreichen würde. Die strukturelle Benachteiligung der Entwicklungsländer im Weltwirtschaftssystem blieb seitens der „Modernisierungsoptimisten“ als Entwicklungshemmnis weitestgehend ausgeblendet. Gelder wurden auch beispielsweise in „gigantomanische“ Staudammprojekte oder Rüstungsausgaben fehlgeleitet. Ungelöste regionale Konflikte sowie die verschiedenen Militärdiktaturen in Lateinamerika, Afrika und Asien heizten die Rüstungsspirale an. All das schien mit Auslandskrediten, die damals auf den internationalen Finanzmärkten günstig zu haben waren, leicht finanzierbar.

Auslandskapital und Verschuldung

19


Anmerkungen

Für die so genannte Schuldenkrise, also die krisenhafte Entwicklung des weltweiten Finanzsystems seit Beginn der achtziger Jahre, war jedoch weniger die absolute Höhe der von den Entwicklungsländern aufgenommenen Kredite maßgebend. Entscheidend war vielmehr, dass sich durch einen plötzlichen Anstieg des internationalen Zinsniveaus – eine Auswirkung der neuen US-amerikanischen Wirtschaftspolitik (Reaganismus) – der Finanzierungsspielraum der Länder der Dritten Welt verengte und sich zugleich ihre Zahlungsverpflichtungen schlagartig erhöhten. Mit dem Übergang der Administrationen Carter zu Reagan in den Vereinigten Staaten waren die Stärkung des US-Dollars und eine forcierte Hochzinspolitik zu Prioritäten der US-amerikanischen Wirtschaftspolitik geworden. Massiv steigende Rüstungskosten führten zu Budgetdefiziten, die durch gewaltige Kreditaufnahmen des Staates gedeckt werden mussten und dadurch Anlass zum Anstieg des Zinsniveaus gaben. Die realen Zinssätze waren 1980–1989 fast sechsmal so hoch (Durchschnitt: 5,85 %) wie in den Jahren 1974–1979 (0,79 %).

Hochzinspolitik der USA

Der Anstieg des Zinsniveaus traf darüber hinaus mit einem drastischen Verfall der Terms of Trade (siehe vorheriger Abschnitt) und den Ölkrisen der 1970er-Jahren zusammen. Der Verfall der Rohstoffpreise (abseits von Öl) traf jene Länder am härtesten, die ihre Devisen großteils über den Export von Rohstoffen erwirtschafteten. Rezessionsbedingte protektionistische Maßnahmen vieler Industrieländer waren ein weiterer Faktor für die Verschlechterung der Position der Entwicklungsländer. Während sich also der Finanzierungsspielraum der Entwicklungsländer verringerte, verteuerte sich gleichzeitig die Rückzahlung für die Kredite. 1982 wurde diese Schuldenkrise mit der Zahlungsunfähigkeit Mexikos (übrigens auch Polens) manifest, und zahlreiche weitere Länder mussten in den folgenden Jahren Zuflucht in Umschuldungsprogrammen und neuen Krediten nehmen.

Schuldenkrise

Anteil der Zinszahlungen hochverschuldeter Länder an den Staatseinnahmen 1999 Prozent der Staatseinnahmen 60 50 40 30 20 10 0 Madagaskar (1996)

Rep. Kongo

Pakistan Guinea

USA

Deutschland (1998)

Quelle: Weltbank 2001 Quelle: Schlussbericht der Enquete-Kommission Globalisierung der Weltwirtschaft; Weltbank 2001

1990 lag nach Angaben der Weltbank die Außenverschuldung aller Entwicklungsländer zusammen bei zirka 1.300 Mrd US-$, für deren Bedienung etwa 20


ein Fünftel aller Exporterlöse aufgewendet werden muss (in vielen Ländern liegt dieser Anteil allerdings wesentlich höher als der Durchschnitt). Seit der Mitte der achtziger Jahre sind die Entwicklungsländer von einem negativen Ressourcentransfer betroffen, das heißt, dass mehr Finanzmittel aus den Entwicklungsländern in die Industrieländer fließen als umgekehrt.

Anmerkungen

Laut Weltbank hatten 2003 90 Länder ein Schuldenproblem (52 hoch und 38 moderat verschuldete Länder). Die Gruppe der 61 Niedrigeinkommensländer wies 2003 einen externen Schuldenstand von 523 Mrd. US-$ auf, seit 1980 ist dieser um 430 % gestiegen. Entwicklungsländer in der Schuldenfalle

Quelle: http://www.blue21.de/PDF/Bildungsbaustein_Verschuldung.pdf; Blue 21; ATTAC Deutschland

Durch den hohen Schuldendienst befinden sich die betroffenen Länder in einer „Schuldenfalle“: Die Ressourcen für die Sicherung einer langfristigen Entwicklung und den Aufbau einer sozialen Infrastruktur fehlen. Die Notwendigkeit, Devisen für den Schuldendienst aufbringen zu können, verfestigt die einseitige Exportorientierung und Krisenanfälligkeit. Unter dem Druck der Schuldenkrise stieg die die Abhängigkeit von den Krediten des Internationalen Währungsfonds (IWF) und Weltbank. Diese waren jedoch an verschärfte Auflagen gebunden.

Schuldenfalle

Ein Insolvenzrecht nach US-Vorbild Dass Insolvenzverfahren auch auf Staaten übertragbar wären, zeigt das Beispiel USA: Dort können Schuldner mit Hoheitsgewalt (z. B. Gemeinden) wie private Firmen Vergleich anmelden. Solche Verfahren werden seit Jahrzehnten durchgeführt. Eine Stadtverwaltung kann bei Gericht Kapitel 9 des US-Insolvenzrechtes geltend machen, wenn sie unfähig ist, ihre Schulden zeitgerecht zu bedienen. Nach Einreichung bei Gericht können Gläubigerforderungen nur noch im Rahmen des Vergleichs befriedigt werden. Die endgültige Lösung muss im Rahmen eines fairen und offenen Verfahrens stattfinden. Bei der Festlegung der Quote werden die Einnahmen und Ausgaben des Schuldners betrachtet. Die vom Vergleichsverfahren betroffene Bevölkerung hat ein Anhörungsrecht. Kapitel 9 des Insolvenzrechts ist sofort auf souveräne Schuldner übertragbar, wie das Beispiel Costa Rica zeigt, dem im Jahre 1984 von einem Gericht in New York der in den USA übliche Schutz eines insolventen Schuldners zuerkannt wurde. Ein internationales Insolvenzverfahren sollte vor einem unparteiischen, von den Gläubigern und dem Schuldner besetzten Schiedsgericht abgewickelt werden. Jede Seite nominiert die gleiche Anzahl von Schiedsrichtern, diese wiederum wählen eine weitere Person für den Vorsitz, so dass eine ungerade Anzahl von Stimmen erreicht 21


Anmerkungen

wird. Die betroffene Bevölkerung kann durch Organisationen und Institutionen vertreten werden, wie z. B. Gewerkschaften, Kirchen, Nichtregierungsorganisationen, Basisgruppen oder internationale Organisationen wie das Kinderhilfswerk UNICEF. Die Schiedsrichter müssen darauf achten, dass ein Minimum an Menschenwürde für die Bevölkerung gewährleistet bleibt – eine Forderung, die in jedem nationalen Insolvenzrecht selbstverständlich ist. Quelle: Raffer, Kunibert: Fairer Ausgleich. Ein Internationales Insolvenzrecht nach amerikanischem Muster senkt die Schuldenlast. In: epd-Entwicklungspolitik 9/98; WEED 2001

Schuldenerlasskampagnen

Die HIPC-Initiative zur Entschuldung der hoch verschuldeten armen Länder Die „Schuldenfalle“ der Entwicklungsländer war immer wieder Anlass für Schulden-Erlass-Kampagnen. Doch erst 1996 lancierte die Weltbank eine Initiative zur Schuldenreduktion für die hoch verschuldeten ärmsten Länder (Highly Indebted Poor Countries). Die so genannte HIPC-Initiative ist zwischen Weltbank, IWF und öffentlichen Gläubigern koordiniert. Die Schuldenlast soll für die betroffenen Länder auf ein „erträgliches“ Niveau gesenkt werden. Für die Aufnahme in die Initiative sind die so genannten TragfähigkeitsIndikatoren zentral: Als nicht tragfähig gelten mittlerweile ein Schuldenstand, der über 150 %, und ein Schuldendienst, der über 15 % der jährlichen Exporterlöse liegt. Bis August 2005 haben sich 28 Länder für eine Teilnahme qualifiziert. Dafür muss ein mehrstufiges Qualifikationsverfahren durchlaufen werden. Kritik an der Initiative richtet sich u. a. gegen das komplizierte Aufnahmeverfahren, eine Fortsetzung der Strukturanpassungspolitik (siehe unten) und die Definition von „tragfähiger Verschuldung“. Darüber hinaus werden andere Entwicklungsländer mit gravierenden Verschuldungsproblemen nicht berücksichtigt.

c) Strukturanpassungspolitik Im Zuge ihrer prekären Lage verpflichteten sich viele Entwicklungsländer zu so genannten Strukturanpassungsprogrammen (SAPs) nach den Vorgaben internationaler Finanzinstitutionen (IWF, Weltbank). Finanzhilfe war an ein Bündel politischer Maßnahmen geknüpft, das unter dem Namen „Washingtoner Konsens“ bekannt wurde. Dazu gehören:

Strukturanpassungsprogramme

x fiskalische Disziplin, die zu Budgetüberschüssen führt, x Umlenkung der fiskalischen Prioritäten in Bereiche mit hohen ökonomischen Erträgen, x Steuerreformen zur Senkung der Grenzsteuersätze, x Liberalisierung der Finanzmärkte, x vereinheitlichte und kompetitive Wechselkurse, x Handelsliberalisierung, Abschaffung von Kontingenten und Senkung von Zöllen, x gleiche Behandlung von ausländischen Direktinvestitionen und einheimischen Investitionen, x Privatisierung, x Deregulierung, auch von Sektoren mit sozialen Zielsetzungen, x Sicherung von Eigentumsrechten.

22


Die SAPs waren das zentrale Instrument zur Durchsetzung marktradikaler Reformen in den Entwicklungsländern. Die Zahlungsfähigkeit der betroffenen Länder sollte durch so genannte Schock-Therapien wiederhergestellt werden. U. a. das Senken von staatlichen Subventionen für Grundnahrungsmittel, Einfrieren von Löhnen, Kürzung von Sozial- und Bildungsausgaben hatten eine Verschärfung der sozialen Krise und politische Destabilisierung zur Folge. Die von Weltbank und IWF geforderte verstärkte Exportorientierung sollte die Bedienung des Schuldendienstes gewährleisten (das sicherte zudem die Interessen der Gläubiger des Nordens). Da sie jedoch von vielen Ländern gleichzeitig erfolgte, führte dies in den 1980er-Jahren zu einer weiteren Verschlechterung der Terms of Trade (siehe oben).

Anmerkungen

Neoliberale Strukturanpassungsprogramme

„Ein Faktor hat mehr als jeder andere den Volkswirtschaften geschadet, Armut und Ungleichheit verstärkt und viele Millionen Menschen hungrig gemacht. Es ist dieses Bündel von Maßnahmen, die man Strukturanpassung nennt. (…) Daraus ergibt sich die entschiedene Schlussfolgerung: wenn es irgendeine Hoffnung auf sinnvolle Entwicklung in den Ländern des Südens und für eine nachhaltige Reduzierung von Armut und Ungleichheit gibt, müssen die vom Westen inspirierte Doktrin der Strukturanpassung und die neoliberale Wirtschaftspolitik aufhören.“ Structural Adjustment: The SAPRI Report, 2004

Das „verlorene Jahrzehnt für Entwicklung“ (Weltbank) hat die Position des Südens nachhaltig geschwächt. Der Spielraum für einen Abbau der Außenabhängigkeit wurde wesentlich eingeschränkt. Die betroffenen Entwicklungsländer stellten ein Experimentierfeld für neoliberale Rezepte dar. Deren Auswirkungen betrafen infolge auch immer mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Nordens. Deswegen wird die „neoliberale Wende“ nicht nur im Süden, sondern auch im Norden in den 1980er-Jahren verortet (vgl. dazu aus dieser Reihe Bauer/Wall-Strasser). Der starke Einfluss neoliberaler Konzepte hat auch maßgeblich die Ausformung der so genannten „Globalisierung“ in den 1990er-Jahren geprägt. Wasserprivatisierung in Bolivien 1997 drängte die Weltbank Bolivien als Bedingung für weitere Kredite dazu, die Wasserversorgung der Stadt Cochabamba (2003: rund 800.000 Einwohner/-innen) zu privatisieren. 1999 vergab die bolivianische Regierung eine 40 Jahre dauernde Konzession an Aguas del Tunari, eine Tochterfirma des US-Konzerns Bechtel. Der Vertrag war für den Konzern mehr als lukrativ, denn er sicherte ihm eine Rendite von jährlich 16 Prozent zu. Innerhalb weniger Monate nach der Privatisierung erhöhte Aguas del Tunari im Januar 2000 die Wassertarife um 100 bis 200 Prozent. Bei einem durchschnittlichen monatlichen Familieneinkommen von 60 bis 100 US-$ sollten die Bewohner/ -innen Cochabambas fortan rund ein Viertel davon für Wasser ausgeben. Dies führte schon bald zu Massenprotesten gegen Bechtel. Höhepunkt war Anfang April 2000 ein Generalstreik, der Cochabamba eine Woche lang lahm legte. Die Regierung verhängte daraufhin den Ausnahmezustand über die Stadt. Sie sah sich schließlich gezwungen, ihre Wasserprivatisierungspläne zurückzunehmen und den Vertrag mit Aguas del Tunari aufzulösen. Im April verließ die Bechtel-Tochter Bolivien. 2001 verklagte sie den bolivianischen Staat beim „Internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten“ (ICSID) auf 25 Millionen US-$ Schadenersatz (die Klage hat Bechtel im Jahr 2006 zurückgezogen).

Fallbeipiel

Quelle: Erklärung von Bern/EvB

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Globalisierung: Nord-/Südkonflikt unter neuen Vorzeichen?

Anmerkungen

„Globalisierung“ ist auch in der Debatte der Nord/Süd-Verhältnisse ein zwiespältiger Begriff. Geht es um „Globalisierung“, wird zumeist auf x den Anstieg des weltweiten Handels in den letzten Jahrzehnten, x die Liberalisierung der Finanzmärkte („mobiles Finanzkapital“), x den Machtgewinn multinationaler Konzerne gegenüber nationalen Regierungen („Standortwettbewerb“) oder x die verstärkte weltweite Vernetzung durch sinkende Transportkosten sowie neue Informations- und Kommunikationstechnologien („globales Dorf“) verwiesen. Der Begriff „Globalisierung“ machte im letzten Jahrzehnt Karriere: So stieg z. B. seine Verwendung in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung von 34 im Jahr 1993 auf 1062 mal im Jahr 2000. Nichtsdestoweniger ist umstritten, was darunter verstanden wird und welche Interessen damit verfolgt werden.

Begriff Globalisierung

Auch vor dem Hintergrund der historischen Beziehungen zwischen Nord und Süd treten die Widersprüche der „Globalisierung“ zu Tage: Einerseits haben sich die sozialen Spaltungen nicht nur zwischen Entwicklungs- und Industrieländern, sondern auch innerhalb der meisten Länder in den letzten Jahrzehnten verschärft (siehe erstes Kapitel). Arbeitnehmer- und Arbeitnehmerinneninteressen werden weltweit mit dem Verweis auf den Sachzwang „Weltmarkt“ und die „globale Wettbewerbsfähigkeit“ zurückgedrängt und gegeneinander ausgespielt.

Quelle: http://www.welthungerhilfe.de/1072.html

24


Andererseits kann die Debatte über die „Globalisierung“ auch eine Chance darstellen, neue Anläufe für das Lösen globaler Probleme und die Überwindung der Nord/Süd-Kluft zu unternehmen. Die Kritik von Gewerkschaften richtete sich in den letzten Jahren vor allem gegen eine „neoliberale Globalisierung“, die dazu benutzt wird, das Senken von Sozialstandards und eine Umverteilung von Arm zu Reich voranzutreiben.

Anmerkungen

Kritische Meinungen zur „Globalisierung“:

Kritik an der Globalisierung

„Globalisierung ist, was wir in der Dritten Welt einige Jahrhunderte Kolonisierung genannt haben.“ Martin Khor, Third World Network „Nicht die Globalisierung ist das Problem, sondern die Art und Weise, wie sie umgesetzt wurde. Und ein Teil des Problems liegt bei den internationalen Wirtschaftsinstitutionen, dem Internationalen Währungsfonds (IWF), der Weltbank und der Welthandelsorganisation WTO, die die ,Spielregeln‘ der Globalisierung festlegen. Sie haben dies in einer Weise getan, die allzu oft mehr den Interessen der Industriestaaten (...) als denen der Dritten Welt diente (...). Ich glaube, dass die Globalisierung so gestaltet werden kann, dass sie ihr positives Potenzial freisetzt.“ Joseph E. Stiglitz, ehem. Chefökonom der Weltbank „Was also ist Globalisierung? Eine bestimmte Qualität oder Phase der Internationalisierung der Wirtschaft bzw. einzelner ihrer Sektoren und Unternehmen, wobei im Einzelnen zu prüfen ist, ob es die behauptete Globalisierung überhaupt gibt. Zumeist wird der Begriff aber nicht zur bloßen Beschreibung der Entwicklung der Weltwirtschaft verwendet, sondern in Zusammenhang mit der Darstellung weitgehender Bedrohungen und mit der Forderung nach Anpassungen auf nationalstaatlicher Ebene (…). Die erforderliche Art der Anpassung wird meist gleich mitgeliefert: Arbeitskostensenkung, Steuersenkung, Deregulierung. Das Gewicht dieses zuletzt angesprochenen Argumentationsmusters lässt in ,Globalisierung‘ einen Kampfbegriff neoliberaler Politik erkennen.“ Jörg Flecker, wissenschaftlicher Leiter der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA)

Der Aufstieg multinationaler Konzerne Ein zentraler Motor der „Globalisierung“ sind multi- bzw. transnationale Konzerne (Transnational Corporations/TNCs). Waren es Anfang der 1990er-Jahre noch ca. 37.000 TNCs mit 170.000 Auslandsniederlassungen, schätzt die UNCTAD für 2004 ihre Anzahl mittlerweile auf 70.000 TNCs mit 690.000 Auslandsniederlassungen. TNCs sind etwa für zwei Drittel des Welthandels verantwortlich – die Hälfte dieses TNC-Handels wird dabei als konzerninterner Handel abgewickelt (zwischen Mutter- und Tochterunternehmen oder zwischen Tochter- und Tochterunternehmen). Profitsteigerung, aber auch die Sicherung von Rohstoffquellen und neuen Absatzmärkten sind zentrale Motive für ihre Direktinvestionen in Entwicklungsländern. Deren Regierungen versuchen über das niedrige Lohnniveau hinaus durch weitgehende Übernahme der Aufschließungskosten für Produktionsstätten oder Steuersenkungen (bzw. -befreiungen) die Attraktivität ihrer Standorte zu erhöhen. Vielfach wurden so genannte „Freie Exportzonen“ geschaffen, die vom nationalen Steuer- und Sozialrecht ausgenommen waren. Mehr als 43 Millionen Menschen, zumeist Frauen, sind dort mittlerweile zu oft widrigsten Arbeitsbedingungen beschäftigt (siehe nächstes Kapitel). Nach

Rolle der Konzerne

Freie Exportzonen

25


Anmerkungen

Schätzungen der internationalen Arbeitsorganisation (ILO) gab es im Jahr 2004 bereits mehr als 5.000 freie Exportzonen weltweit (siehe auch Tabelle). Schätzungen über die Entwicklung von Freien Exportzonen (FEZ) 1975

1986

1995

1997

2002

Anzahl der Länder mit FEZ

25

47

73

93

116

Anzahl der FEZ

79

176

500

845

3.000

Beschäftigte (in Millionen)

k.A.

k.A.

k.A.

22,5

43

– davon China – andere Länder,

k.A. 0,8

k.A 1,9

k.A. k.A.

18 4,5

30 13

für die Zahlen verfügbar sind –

Quelle: ILO 2002; ICTFU 2004

Viele Entwicklungsländer sehen in der Steigerung der Direktinvestitionen ein zentrales Instrument für die Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Entwicklung. Das Investitionsklima für TNCs zu verbessern war ein wichtiger Eckpunkt der Strukturanpassungspolitik, die der Schuldenkrise folgte. Auch bei den ausländischen Direktinvestitionen (ADI, z. B. Auslandsniederlassungen, Erwerb von Geschäftsanteilen bzw. Übernahme von ansässigen Unternehmen) zeigt sich eine sehr ungleiche Verteilung: Mehr als zwei Drittel werden nach wie vor in den Industrieländern getätigt. Unter den Entwicklungsländern konzentrieren sich die ADI-Zuflüsse auf eine kleine Gruppe, wobei vor allem China hohe Wachstumsraten zu verzeichnen hat (siehe Abb.). In den 1990ern gab es in vielen Entwicklungsländern u. a. infolge von Finanzkrisen einen Rückgang der ADI.

Quelle: Bericht „Eine faire Globalisierung“/ILO ; UNCTAD 2002

26


Transnationale Konzerne bzw. ihre Niederlassungen sind wichtige Antriebskräfte einer exportorientierten Industrialisierung in den Entwicklungsländern. TNCs verlagern vor allem arbeitsintensive Produktionsschritte in Entwicklungsländer, und die (weiter)verarbeiteten (Vor)Produkte sind wiederum für den Export bestimmt. Die Produktion wird in Teilprozesse zerlegt und auf einzelne Standorte verteilt. TNCs umgehen mit dem Aufbau dieser weltumspannenden Produktionsketten Arbeitskosten und erhöhen den Druck auf die Lohnabhängigen („Standortwettbewerb“, „Sozialdumping“). Die Forschritte in Transport- und Kommunikationstechnologien begünstigten in den letzten Jahrzehnten diese Verlagerung von industriellen Fertigungsschritten in die Entwicklungsländer. Sie wird seit den 1970er-Jahren auch als neue internationale Arbeitsteilung bezeichnet, da die Entwicklungsländer damit nicht mehr auf die Rolle von Rohstoffexporteuren beschränkt sind (vgl. „klassische“ internationale Arbeitsteilung im Kapitel zu Kolonialismus). TNCs lagerten insbesondere arbeitsintensive Fertigungen wie etwa von Bekleidung und Schuhen aus. Jedoch werden mittlerweile auch technologie-intensivere Verfahren für die Serienfertigung z. B. in der Automobilindustrie (z. B. Mexiko, Brasilien), der Montage von Mikroprozessoren (z. B. Malaysia, Costa Rica) oder Unterhaltungselektronik (z. B. Singapur, Philippinen) eingesetzt.

Anmerkungen

Der Grad der produktiven Rückflüsse an die jeweilige Volkswirtschaften der Entwicklungsländer ist umstritten (siehe Bsp. „Exportboom: Für wen?“). So werden beispielsweise kritisiert: x Einseitige Weltmarktorientierung und starke Abhängigkeit von der Konzernpolitik (langfristig abgesichert z. B. mit Investitionsschutzabkommen). Die Hierarchie der internationalen Arbeitsteilung wird auf höherer Stufe verfestigt („Billigproduktion im Süden“). x Die Entwicklung der Binnenwirtschaft wird vernachlässigt und so genannte „Linkage-Effekte“ fallen gering aus (z. B. wenig weitere Investitionen und Technologietransfer in ansässige Betriebe; Herausbildung von „Produktionsenklaven“). x Der Abfluss der Gewinne in die Konzernzentralen („Abzug der Wertschöpfung“). Nur wenige Sektoren/Gruppen gewinnen, während sozialpolitischer Spielraum eingeschränkt bleibt (z. B. durch Steuererleichterungen an Konzerne).

Billigproduktion im Süden

Produktionsenklaven

Abzug der Wertschöpfung

Exportboom: Für wen? „Selbst bei den GewinnerInnen fällt es schwer, von Chancen für die mexikanische Wirtschaft zu sprechen. Vom Freihandel profitiert haben nämlich einerseits die Lohnfertigungsindustrien an der Grenze zu den USA (die so genannten ,Maquiladoras‘), deren einzig relevante Beziehung zu Mexiko es ist, dass sie billige Arbeitskraft ausbeuten. Vernetzungen mit der nationalen Wirtschaft haben die Maquiladoras kaum – 77 % ihres Produktionswertes entspricht importierten Maschinen, Vorproduktion und Dienstleistungen. Nationale Zulieferer werden, entgegen den Versprechungen, mehr und mehr aus dem Markt gedrängt. Ähnliches gilt für den zweiten Gewinner, der Auto-, Elektronik- und Elektroindustrie. Dass es hier durchwegs um mexikanische Niederlassungen transnationaler Konzerne (wie General Motors, DaimlerChrysler oder IBM) handelt, muss noch nicht a priori zum Nachteil Mexikos sein. Das allerdings, ähnlich wie im Fall der Lohnfertigungsindustrien, die Verknüpfungen mit der mexikanischen Wirtschaft gering und abnehmend sind, zeigt, dass keine endogenen Wachstumschancen für Mexikos Wirtschaft geschaffen werden. Das steigende Gewicht des intraindustriellen Handels (…) bestätigt, dass die mexikanischen Exporte zunehmend innerhalb so genannter „global commodity chains“ und vielfach innerhalb einzelner Konzerne abgewickelt werden, ohne das Gros der

Fallbeispiel

27


Anmerkungen

mexikanischen Betriebe zu integrieren. Zugespitzt formuliert: Jene Industriebranchen, die vom Freihandel profitieren, sind zwar in Mexiko angesiedelt, sind aber nicht Teil seiner Wirtschaft. Eingebunden in transnationale Produktionsnetze haben sie in Mexiko lediglich Enklavencharakter.“ Quelle: Aus: Parnreiter, Christof: Exportboom ohne Entwicklungspotenzial?, in: Die geheimen Regeln des Welthandels, 2003.

Anfälligkeit für Finanzkrisen Finanzkrisen

Eine Reihe von Finanzkrisen erschütterte Länder des Südens in den 1990erJahren (z. B. Mexiko-Krise 1994/95, Asien-Krise 1997, in Folge auch die Argentinien-Krise 2001). Millionen von Menschen wurden als Folge dieser wirtschaftlichen Ein- bis Zusammenbrüche in Armut und Arbeitslosigkeit gestürzt. Eine zentrale Ursache ist in einem Kernmerkmal der neoliberalen Globalisierung zu finden: der Liberalisierung und dem rasanten Wachstum der Finanzmärkte.

Abschaffung des Systems fixer Wechselkurse

Eine wichtige Wegmarke dafür war die Abschaffung des Systems von Bretton Woods in den 1970er-Jahren. Sein ursprüngliches Ziel: die Gewährleistung eines stabilen internationalen Währungssystems mit fixen Wechselkursen. Dabei diente der US-Dollar als Leitwährung. Er war wiederum mit Gold gedeckt (nach dem Zweiten Weltkrieg verfügten die USA ca. über zwei Drittel der weltweiten Goldreserven). In den 1960er-Jahren konnte der US-Dollar diese Funktion immer weniger erfüllen und die Nixon-Regierung gab 1971 die Golddeckung ihrer Währung auf (u. a. verschlechterte sich das Handelsbilanzdefizit der USA, und andere Staaten wollten nicht mehr den inflationären Druck durch den Angebotsüberschuss an US-Dollar – „Dollarschwemme“– hinnehmen). 1973 wurde der US-Dollar abgewertet und das System fixer Wechselkurse abgeschafft. Im Rückblick kommt eine Analyse der Weltbank zum Ergebnis, dass „Finanzkrisen und Fälle von Überschuldung in der Bretton Woods-Ära, als feste Wechselkurse, Kapitalverkehrskontrollen und eine stringente Regulierung des Finanzsektors praktiziert wurden, relativ selten“ waren.

Deregulierung der Finanzmärkte

Hingegen setzte in den 1970er- und 1980er-Jahren eine Welle der Liberalisierung des Kapitalverkehrs ein. Immer mehr Regierungen schufen Kapitalverkehrskontrollen ab und trieben eine Deregulierung der Finanzmärkte voran. Diese Maßnahmen waren Teil der so genannten neoliberalen Wende in der Wirtschaftspolitik (vgl. Bauer/Wall-Strasser aus dieser Skriptenreihe), die sich vermehrt an den Interessen von Kapitaleigentümern orientierte: z. B. durch das Senken von Unternehmens- und Vermögenssteuern oder die Hochzinspolitik der Zentralbanken. Die internationalen Finanzinstitutionen drängten die Entwicklungsländer im Zuge der Strukturanpassungspolitik zur Liberalisierung ihrer Kapitalmärkte. Die Hochzinsentwicklung trug zuvor maßgeblich zum Ausbruch der Schuldenkrise bei und verstärkte den Anpassungsdruck nach den Vorgaben des „Washingtoner Konsens“ (siehe vorheriges Kapitel). Ein weiterer Faktor für die erhöhte Mobilität von Kapital war die Entwicklung neuer Kommunikationstechnologien: binnen kürzester Zeit kann Kapital ohne wesentliche Transaktionskosten von Land A nach Land B verlagert werden.

Rolle der institutionellen Kapitalanleger

So genannte institutionelle Kapitalanleger (etwa Versicherungsgesellschaften, Investmentfonds oder Pensionsfonds) konzentrieren möglichst große Summen an Kapital und verfügen mit ihren Anlageentscheidungen über hohen Einfluss auf den Finanzmärkten (zur genaueren Funktionsweise von Finanzmärkten vgl. Jörg Huffschmid in dieser Reihe). Nur ein äußerst geringer Anteil der internationalen Kapitalströme dient der Abwicklung des Welthandels. Der Umfang von Devisentransaktionen betrug bereits in den 28


1990er-Jahren das 70fache dessen, was für die Finanzierung von Handel und Direktinvestitionen erforderlich wäre. Davon hatten 80 Prozent einen Zeithorizont von weniger als sieben Tagen. Im Vordergrund stehen kurzfristige Veranlagungen und Spekulationsgeschäfte. Die hohe Krisenanfälligkeit des globalen Finanzsystems machten in den 1990er-Jahren zahlreiche Finanz- und Währungskrisen deutlich, von denen vor allem Entwicklungsländer betroffen waren.

Anmerkungen

Liberalisierung und Finanzkrisen „Es fällt auf, dass genau seit der fortschreitenden Finanzmarktliberalisierung auch Finanzkrisen gehäuft auftreten, mit oft desaströsen Auswirkungen auf die dort lebende Bevölkerung. Die Finanzkrise in Mexiko 1994 wurde als „Tequila-Krise“ bekannt und breitete sich auf fast alle Länder Lateinamerikas aus. 1997/98 beendete die Finanzkrise in Thailand, Südkorea und Indonesien den Mythos der nachholenden Entwicklung der „Tigerstaaten“ (…). Auffällig ist weiters, dass während der oft der Liberalisierung folgenden „Boomzeit“, in der privatisiert wird und Börsenkurse und Zinssätze hoch sind, private Anleger exorbitante Gewinne erzielen. Kommt es zur Finanzkrise, wird jedoch die öffentliche Hand gerufen, die Verluste werden also sozialisiert (…). So stieg die öffentliche Verschuldung von z. B. Thailand um fast 36 Prozent, in Indonesien sogar um 70 Prozent. Die sozialen Auswirkungen waren katastrophal: Ingesamt haben 25 Millionen Menschen durch die Südostasienkrise ihren Arbeitsplatz verloren. In Thailand und Südkorea hat sich die Arbeitslosigkeit verdreifacht. In Indonesien haben sich die Reallöhne halbiert, 40 Millionen Menschen sind unter die Armutsgrenze gerutscht.“ Aus: Küblböck, Karin: Re-Regulierung der Finanzmärkte, in: Geld Macht Krise, 2003.

Unterschiedliche Beteiligung am Welthandel Eine verstärkte weltwirtschaftliche Integration zeigt sich auch angesichts des hohen Wachstums des Welthandels: Zwischen 1948 und 2000 nahm der Warenhandel real jährlich im Durchschnitt um 6,1 Prozent zu und weitete sich damit schneller aus als das globale Sozialprodukt (3,9 Prozent pro Jahr). Es besteht jedoch eine sehr unterschiedliche Beteiligung von Ländern und Regionen an den gegenwärtigen wirtschaftlichen Internationalisierungsprozessen. Sie konzentrieren sich vor allem auf die Triade EU–Nordamerika–Japan. Intra-regionale wirtschaftliche Verflechtungen gewannen zudem an Bedeutung: dieser Trend zur Regionalisierung spiegelt sich in Integrationsgemeinschaften wie etwa der EU (osterweitert), NAFTA (USA, Kanada, Mexiko), ASEAN (10 südostasiatische Staaten), MERCOSUR (5 lateinamerikanische Staaten).*)

Welthandel

Wie viel Anteil haben die Entwicklungsländer an den weltweiten Exporten? Wird die Gruppe der Entwicklungsländer weit gefasst, beträgt er ca. ein Drittel: Nach Daten der UNCTAD (Trade and Development Report 2005) machte ihr Anteil im Jahr 1980 29,5 %, 1990 24,3 %, 2000 31,6 % und 32,1 % im Jahr 2003 aus. Werden dabei die Sonderentwicklungen von Hongkong, Singapur, Südkorea, Taiwan und China ausgeklammert, fällt der Anteil wesentlich geringer aus: 24,8 % (1980), 14,8 % (1990) und 17,5 % (2000) und 16,8 % im Jahr 2003 (also ca. ein Sechstel). Das starke Exportwachstum der Entwicklungsländer beschränkt sich vor allem auf den südostasiatischen Raum (inklusive Indien). Hingegen liegen Lateinamerika und Afrika unter dem Niveau ihrer weltweiten Exportanteile von 1980 (LA: 1980: 5,5 %, 2003:

Anteil der Entwicklungsländer

*) Informationen zur Struktur des Welthandels und zur Problematik der statistischen Bemessung siehe Werner Raza aus dieser Reihe

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Anmerkungen

5,0 %; A: 1980: 5,9 %, 2003: 2,4 %). Insbesonders Afrika südlich der Sahara ist weltwirtschaftlich marginalisiert. Der Handel zwischen den Entwicklungsländern wächst schneller als der Welthandel insgesamt. Doch auch im so genannten Süd-Süd-Handel spielt Afrika wenig Rolle, während dort die wirtschaftlich aufstrebenden Länder Asiens dominieren.

Anm.: „Afrika südlich der Sahara“ umfasst alle afrikanischen Länder (einschließlich des relativ reichen Südafrikas) ohne die vergleichsweise wohlhabenden nordafrikanischen Länder Marokko, Tunesien, Algerien, Libyen und Ägypten

Quelle: http://www.welthungerhilfe.de/1035.html

Auch die Zusammensetzung der Exporte ist unter den Ländern des Südens sehr unterschiedlich: Noch 1980 waren die Exporte des Südens nur zu ca. 20 Prozent weiter verarbeitet. Heute liegt dieser Anteil bei fast 70 Prozent. Hier entfällt der Löwenanteil auf eine verhältnismäßig kleine Gruppe (siehe Grafik unten). Für diese wird auch die Bezeichnung „Newly Industrializing Countries“ (NICs) oder „Schwellenländer“ gebraucht (siehe Definitionen/1. Kapitel). Die Mehrheit der Entwicklungsländer ist jedoch nach wie vor vom Export von Rohstoffen bzw. Primärprodukten abhängig. Für 30 Entwicklungsländer macht ein einziges Exportgut mehr als die Hälfte ihrer Exporterlöse aus. Der Entwicklungsweg einer exportorientierten Industrialisierung stößt auch an zusätzliche Grenzen. Angesichts des Aufstiegs der NICs werden immer mehr verarbeitete Produkte auf den Weltmarkt geworfen und der Konkurrenzkampf unter den Ländern des Südens nimmt zu. Der Ökonom Christoph Scherrer führt hier vier verstärkende Faktoren an: a) einfache Produktionstechniken, die den Markteintritt neuer Konkurrenz erleichtern, b) ein stark wachsendes Arbeitskräftepotenzial aufgrund der Verdrängung der Subsistenzwirtschaften (der landwirtschaftlichen Produktion, die vor allem auf Eigenversorgung ausgerichtet ist), c) die Verschuldungskrise, die die Notwendigkeit für die Erwirtschaftung von Devisen erhöht und d) die Fähigkeit transnationaler Konzerne, Produktionsstätten zu verlagern. 30


Vor diesem Hintergrund ergibt sich das Dilemma, dass sich viele Probleme der Primärgüterexporteure auf höherem Niveau reproduzieren: z. B. Preisverfall durch Überangebot am Weltmarkt und Vernachlässigung der binnenwirtschaftlichen Entwicklung zugunsten der Weltmarktorientierung.

Anmerkungen

Quelle: Bericht „Eine faire Globalisierung“/ILO; UNCTAD 2002

Welthandelsorganisation: Aufstand des Südens? 1995 entstand mit der Welthandelsorganisation (WTO) ein neues Handelsregime. Über den Warenhandel hinaus umfasst die WTO das Regelwerk für den internationalen Handel mit Dienstleistungen (GATS) und geistigen Eigentumsrechten (TRIPS). „Wir schreiben die Verfassung einer vereinigten Weltwirtschaft“, meinte ihr erster Generaldirektor Renato Ruggiero. Spätestens seit den Protesten von Globalisierungskritikern und -kritikerinnen anlässlich des WTO-Gipfels von Seattle (1999) haben dabei die Fragen „Wer sind wir?“ und „Für wen?“ mehr öffentliche Aufmerksamkeit erfahren.

Rolle der WTO

Die WTO zählt derzeit 149 Mitgliedstaaten. Ihr oberstes Organ ist die Ministerkonferenz. Jedes Land hat eine Stimme und Beschlüsse müssen in der Regel einstimmig gefasst werden. Über zwei Drittel der Mitglieder sind Entwicklungsländer. Die Industriestaaten – insbesondere die EU, USA und Japan – verfügen jedoch über große Verhandlungsmacht und konnten vor allem in der Vergangenheit unterschiedliche Interessenslagen unter den Entwicklungsländern zu ihren Gunsten nutzen. Im Kontrast dazu können sich viele Entwicklungsländer nicht einmal eine Vertretung am WTO-Sitz in Genf leisten (für genauere Informationen zur WTO siehe Werner Raza in dieser Reihe). Die WTO wird vielfach als „Kind der 1990er-Jahre“ bezeichnet. Sie entstand unter den verschärften Bedingungen „neoliberaler Globalisierung“, die Position der Länder des Nordens war nach der „verlorenen Entwicklungsdekade“ gegenüber den Ländern des Südens gestärkt. In so genannten „Welthandelsrunden“ soll eine fortschreitende Liberalisierung des Welt31


Anmerkungen

handels bzw. ein Abbau von Handelshemmnissen erreicht werden. In den letzten Jahren haben sich jedoch die Interessensgegensätze innerhalb der WTO zugespitzt. Nach der gescheiterten Ministerkonferenz von Seattle (1999) wurde die „Entwicklungsagenda von Doha“ ausgerufen, um ein verstärktes Augenmerk auf die Interessen der Entwicklungsländer zu signalisieren. Spätestens seit der Ministerkonferenz von Cancun (2003) ist jedoch von einem „Aufstand des Südens“ die Rede. Die Länder des Südens formierten eine Koalition (die so genannten G 20, darunter z. B. Brasilien, Indien, Südafrika), die sich u. a. gegen diese Punkte wendete: O

Während die Industriestaaten die Länder des Südens zu weit reichenden Marktöffnungen drängen, werden diese von den Industriestaaten in für sie wichtigen Exportsektoren benachteiligt. Diese Kritik betrifft vor allem die Zölle und Exportsubventionen im landwirtschaftlichen Sektor (Dumping der Preise am Weltmarkt, Benachteiligung im Marktzugang).

O

Die Industrieländer versuchen vor allem die so genannten „SingapurThemen“ in der WTO voranzutreiben. Diese zielen u. a. auf Regelungen zum Schutz ausländischer Investitionen oder zur Vergabe öffentlicher Aufträge. Das wird als Eingriff in die innerstaatlichen Regulierungsmöglichkeiten abgelehnt. (Souveränitätsvorbehalte, Absicherung der Interessen von TNCs).

Die vorgenommene Welthandelsrunde gilt mittlerweile als gescheitert. Die mangelnde Bereitschaft der Industrieländer zum Abbau ihres Agrarprotektionismus war dabei der entscheidende Knackpunkt. Das bedeutet jedoch zugleich, dass bestehende WTO-Regelungen zum Nachteil der Entwicklungsländer unverändert fortwirken und die großen Wirtschaftsmächte verstärkt versuchen, ihre Interessen mit bilateralen Abkommen durchzusetzen (z. B. USA und die EU mit lateinamerikanischen Staaten).

Agrarprotektionismus

Die negativen Folgen der Agrarsubventionen Heute erleiden die Entwicklungsländer jährlich Einkommenseinbußen in Höhe von rund 24 Milliarden US-Dollar aufgrund von Agrarprotektionismus und -subventionen. Für jeden US-Dollar, der im Handel eingebüßt wird, entstehen aufgrund des Multiplikatoreffekts weitere Einbußen von drei US-Dollar durch verminderte Investitionen und verlorene Arbeitsplätze. Somit betragen die Gesamteinbußen etwa 72 Milliarden US-Dollar pro Jahr – eine Summe, die der gesamten öffentlichen Entwicklungshilfe des Jahres 2003 entspricht. Der Bericht weist darauf hin, dass im Gegensatz dazu die Agrarsubventionen in Europa auf 51 Milliarden US-Dollar gestiegen sind, und dass dieser Sektor zwar weniger als zwei Prozent aller Arbeitsplätze ausmacht, aber mehr als 40 Prozent des gesamten Haushaltes der Europäischen Union verschluckt. Die europäischen Zuckerproduzenten erhalten von der EU das Vierfache des Weltmarktpreises bezahlt. Dies führt wiederum dazu, dass ein Überschuss von vier Millionen Tonnen Zucker erzeugt wird, der dann mit Hilfe von mehr als einer Milliarde US-Dollar an EU-Fördermitteln auf den Weltmarkt geworfen wird. Das Ergebnis: Europa ist weltweit der zweitgrößte Exporteur von Zucker. Diese Überproduktion, so der Bericht, hat den Weltmarktpreis um ein Drittel gedrückt. Quelle: HDR 2005

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Anmerkungen

Walden Bello: „De-Globalisierung“ Für Walden Bello, den Direktor der NGO „Focus on the Global South“ (www.focusweb.org), muss die Kritik an der WTO und den Verhandlungsparteien weiter gefasst werden. Eine einseitige Konzentration auf Fragen des Marktzugangs verstellt den Blick darauf, dass die WTO Liberalisierungen in allen gesellschaftlichen Bereichen vorantreibt und die demokratischen Spielräume der Entwicklungsländer einschränkt (vgl. z. B. „Singapur-Themen“; oder die Frage der Wasserprivatisierung im GATS, siehe www.stoppgats.at). Er sieht ein zentrales Problem in der Freihandelsideologie der WTO, die die Entwicklungsländer zu einer Export geleiteten Wachstumsstrategie drängt. Davon profitieren vor allem die weltmarktorientierten Großbetriebe, während die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung unter die Räder kommen. Bello hat in den letzten Jahren den Begriff der „De-Globalisierung“ geprägt: „Wir sollten uns nicht von der Weltwirtschaft abkoppeln, aber wieder mehr für den internen Verbrauch produzieren“, fordert der Alternativ-Nobelpreisträger. Die Abhängigkeit von ausländischen Investitionen und Finanzmärkten gelte es abzubauen. Sowohl WTO, Weltbank als auch der IWF befinden sich in einer Legitimationskrise und sollen weiter geschwächt werden. Zu seinen Forderungen zählen u. a. eine Demokratisierung der Wirtschaftsbeziehungen, das Zulassen anderer Wirtschaftsformen und eine Veränderung der Land- und Einkommensverteilung. Seine Thesen erhielten auch auf den Treffen von Globalisierungskritikern und -kritikerinnen (wie z. B. dem Weltsozialforum, www.weltsozialforum.org) viel Zuspruch.

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Gewerkschaftsrechte unter Globalisierungsdruck

Anmerkungen

Alleine im Jahr 2005 wurden 115 Gewerkschafter/-innen aufgrund ihres Einsatzes für die Arbeiter/-innenrechte ermordet, mehr als 1.600 wurden gewaltsam angegriffen und rund 9.000 verhaftet. Laut einem Bericht des IBFG (Internationaler Bund freier Gewerkschaften) verloren darüber hinaus 10.000 Menschen wegen ihrer Gewerkschaftstätigkeit ihre Arbeit. Einer Gewerkschaft beizutreten, Tarifverträge durchzusetzen oder gegen ausbeuterische Arbeitsbedingungen zu streiken – um grundlegende Arbeiter/-innenrechte ist es vielen Ländern äußerst schlecht bestellt. Auch der verschärfte internationale Konkurrenzdruck trägt dazu bei, dass nationale Regierungen die Missachtung von Arbeiter/-innenrechten tolerieren, arbeitnehmerfeindliche Gesetze erlassen oder mit Gewalt gegen Gewerkschafter/-innen vorgehen. Niedrige Löhne und Arbeitsstandards gelten vielerorts als „Standortvorteil“ im Werben um ausländische Investitionen und im Kampf um Weltmarktanteile. Transnationale Konzerne können ihrerseits mit Produktionsverlagerungen drohen oder andere Zulieferbetriebe beauftragen. Die Kehrseiten der Internationalisierung der Produktion zeigen sich insbesondere in den „freien Exportzonen“, deren Anzahl in den letzten Jahrzehnten rasant gestiegen ist (siehe auch vorheriges Kapitel). Gab es 1975 noch etwa 79 freie Exportzonen, zählt die internationale Arbeitsorganisation (ILO) mittlerweile mehr als 5.000 weltweit. Die Missachtung von Arbeiter- und Arbeiterinnenrechten steht dort auf der Tagesordnung. Der größte Anteil der FEZ entfällt auf China (vgl. vorheriges Kapitel).

Gewerkschaftsrechte

Freie Exportzonen

Fallbeispiel: Freie Exportzonen in Nicaragua Zu den schlimmsten Rechtsverletzungen kommt es wie so häufig in den Freien Exportzonen (FEZ). Knapp 6 % der Beschäftigten sind Gewerkschaftsmitglieder, was größtenteils auf die Gewerkschaftsfeindlichkeit der Arbeitgeber zurückgeht. Nur wenige Gewerkschaften in den Zonen verfügen über eine wirkliche Tarifverhandlungsmacht. (…) Marcelina Garcia, die Generalsekretärin der Bekleidungsarbeitergewerkschaft „Sindicato de Costureras y Modistas“, stellte gegenüber dem IBFG fest, dass die Arbeitgeber von der gewerkschaftlichen Organisierungsarbeit nichts wissen dürften, so dass Sitzungen außerhalb des Betriebes abgehalten werden müssten. Dadurch ergäben sich erhebliche logistische Probleme, da zahlreiche Beschäftigte weit von der Maquila entfernt wohnten. Sämtliche Bemühungen um Verhandlungen über einen Tarifvertrag stießen auf Opposition. Darüber hinaus hielten die Arbeitgeber die Namen von Gewerkschaftsmitgliedern und -organisatoren in einer Datenbank fest, die sie als „schwarze Listen“ untereinander zirkulierten, um auf diese Weise die Einstellung gewerkschaftlich organisierter Arbeitskräfte zu vermeiden. (…) Die erschreckenden Arbeitsbedingungen in den FEZ machen deutlich, warum die Arbeitgeber nicht gewillt sind, mit den Gewerkschaften zu verhandeln. Der durchschnittliche Monatslohn beträgt 1.300 Córdoba, während der monatliche Einkaufskorb schätzungsweise 4.800 Córdoba kostet. Die Gesundheits- und Sicherheitsbedingungen sind erschreckend. Es gibt wenig oder überhaupt keine gesundheitliche Versorgung, und die Arbeitgeber entrichten keine Sozialversicherungsbeiträge für ihre Beschäftigten. Aus: Jährliche Übersicht über die Verletzung von Gewerkschaftsrechten 2006, hg. v. IBFG (Internationalem Bund freier Gewerkschaften)

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In den letzten Jahrzehnten verstärkte sich der öffentliche Druck auf transnationale Konzerne, arbeitsrechtliche Mindeststandards bei der Herstellung ihrer Produkte zu gewährleisten. Sie sollen sich an freiwillige Verhaltenskodizes binden und so ihre soziale Verantwortung unter Beweis stellen („Corporate Social Responsibility“/CSR). Unternehmen können auf diesem Wege auch einem Image-Schaden und Verkaufseinbußen durch zivilgesellschaftliche Kampagnen entgegenwirken (vgl. z. B. Clean clothesKampagne). Gewerkschaften kritisieren an der CSR einerseits das Prinzip der Freiwilligkeit (und die fehlenden gesetzlichen Sanktionsmittel bei der Verletzung von Mindeststandards) und weisen andererseits auf die Schwierigkeiten bei der Kontrolle hin. So werden beispielsweise Kontrollen in Zulieferbetrieben lange im Voraus angekündigt, Arbeitnehmer/-innen mit Drohungen eingeschüchtert, Lohnlisten manipuliert und falsche Arbeitszeitaufzeichnungen angefertigt. Die Gewerkschaften fordern daher, dass Gewerkschaftsvertreter/-innen bei den Kontrollen von Produzenten und Zulieferbetrieben einbezogen werden und unternehmensunabhängige Gewerkschaften zugelassen sein müssen.

Anmerkungen

Corporate Social Responsibility und Kritik an Kontrolle

Fallbeispiel: Arbeitsbedingungen in China 17 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche für 60 Euro im Monat – Für die 20-jährige Jasmin, die in der südchinesischen Stadt Shaxi Jeans für den Export nach Europa und in die USA zuschneidet, ist das Alltag. Überwiegend junge Frauen verlassen ihre Heimatdörfer, um in den Städten Arbeit zu finden. In ländlichen Provinzen sind sie mit begrenzten Ausbildungsmöglichkeiten, Armut, arrangierten Ehen und patriarchalischen Strukturen konfrontiert. In China sterben täglich rund 350 Menschen auf Grund von Arbeitsunfällen. Über 80 Arbeiter/-innen erleiden täglich Verstümmelungen an der Hand durch die Arbeit an nicht ausreichend gesicherten Maschinen. Neun von zehn chinesischen Herstellern missachten nicht nur die internationalen Kernarbeitsnormen, sondern auch Chinas eigene Arbeitsgesetze. So schreibt das chinesische Arbeitsrecht eine tägliche Arbeitszeit von acht Stunden vor, tatsächlich sind die Arbeiter/ -innen 14 Stunden und mehr in den Fabriken beschäftigt. Die Arbeiter/ -innen produzieren sieben Tage die Woche Waren für den Export, obwohl ein freier Tag vorgeschrieben wäre. Die monatlichen Überstunden sind sieben Mal höher als das vom Gesetzgeber definierte Maximum von 36 Stunden. Trotz der überlangen Arbeitszeiten bekommen die Beschäftigten ein Gehalt unter dem Mindestlohn ausbezahlt. Nicht nur die Regierung trägt Verantwortung für die schlechten Arbeitsbedingungen. Besonders der Druck der westlichen Konzerne zwingt die Zulieferbetriebe in China ihre Arbeiter/-innen bis 3 Uhr in der Früh arbeiten zu lassen. Als Strategie zur Kostensenkung lagern multinationale Unternehmen Teile der Produktion in Zulieferbetriebe aus, wobei sich formelle und informelle Wirtschaft immer mehr verschränken. Helga Neumayer vom Verein Frauensolidarität weist auf die besonders prekäre Situation der Frauen hin, die am Ende einer langen Kette von Subunternehmen stehen und die Aufträge in Heimarbeit erledigen. Jene Arbeiterinnen der so genannten „Informellen Wirtschaft“ stehen unter enormen Druck, da sie für die Erledigung von Just-in-time-Aufträgen exzessive Überstunden machen, ihre Kinder zuhause in die Fertigung der Waren einbinden und pro Stück bezahlt werden. Sie arbeiten unter hoher körperlicher Belastung, ohne Arbeitsverträge und Lohnvereinbarungen, ohne Mutterschutz, Pensions-, Kranken- und Unfallsversicherung und ohne arbeitsrechtliche Vertretung z. B. in Gewerkschaften. Quelle: Zusammengestellt nach Informationen der Clean Clothes Kampagne Österreich – http://www.oneworld.at/cck/start.asp; Filmtipp zu den

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Arbeitsbedingungen in der chinesischen Bekleidungsindustrie: China Blue, 2005

Anmerkungen

Quelle: Clean Clothes Kampagne

Druck wird auf Arbeiter/-innen abgewälzt Der 2004 veröffentlichte Oxfam-Bericht „Unsere Rechte im Ausverkauf“ zeigt, wie die Einkaufspraktiken großer Markeninhaber zur Ausbeutung der Beschäftigten durch die Zulieferer beitragen können. Für Zulieferer kann es schwierig sein, die Rechte der Beschäftigten auf angemessene Entlohnung und menschenwürdige Arbeitsbedingungen einzuhalten, wenn ihnen für die produzierten Waren zu niedrige Preise gezahlt werden und sie unter Druck gesetzt werden, schnell und sehr kurzfristig zu produzieren. Oft sind die Markeninhaber nicht zu langfristigen Geschäftsbeziehungen bereit. Um diesen Forderungen gerecht zu werden, wälzen die Zulieferer den Druck auf die Arbeitnehmer/-innen ab, die gezwungen werden, mit großem Einsatz für niedrige Löhne zu arbeiten. Ferner beschäftigen die Zulieferer Gelegenheitsarbeiter oder Personen mit befristeten Arbeitsverträgen, die sie problemlos entlassen können, wenn der Auftragseingang rückläufig ist oder der Markeninhaber den Auftrags36


umfang reduziert. Die stärkere Beachtung der Gewerkschaftsrechte würde zur Überwindung dieses Machtungleichgewichts beitragen und es den Arbeitnehmern/-innen ermöglichen, größeren Einfluss auf die Löhne und die Bedingungen an ihrem Arbeitsplatz auszuüben. Die Gewerkschaftsbewegung spielt eine entscheidende Rolle bei der Abschaffung von Kurzzeitverträgen und so genannten flexiblen Arbeitsverhältnissen.

Anmerkungen

Quelle: Oxfam

Der zentrale Bezugspunkt für die Durchsetzung und Einhaltung von Arbeiter/-innenrechte sind die Kernarbeitsnormen der internationalen Arbeitsorganisation (ILO, siehe Box). Gewerkschaften fordern weltweit ihre verbindliche Verankerung auf internationaler Ebene und Sanktionsmechanismen bei deren Nichteinhaltung. Die Aufnahme der ILO-Kernarbeitsnormen in das Regelwerk der WTO ist jedoch bis heute ausgeblieben (siehe auch Karl-Heinz Nachtnebel aus dieser Reihe).

Kernarbeitsnormen

Der Kern sozialer Rechte Zum Kernbereich der sozialen Rechte im Arbeitsleben zählen folgende Konventionen der ILO (International Labour Organization): Vereinigungsfreiheit und Tarifautonomie: Nr. 87: Übereinkommen über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechts (1948) Nr. 98: Übereinkommen über die Anwendung des Grundsatzes des Vereinigungsrechts und des Rechts zu Kollektivvertragsverhandlungen (1949) Freiheit von Zwangsarbeit: Nr. 29: Übereinkommen zur Zwangsarbeit (1930) Nr. 105: Übereinkommen über die Abschaffung der Zwangsarbeit (1957) Freiheit von Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf, die aufgrund des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, des Glaubensbekenntnisses, der politischen Meinung, der nationalen Abstammung oder der sozialen Herkunft auftritt: Nr. 100: Übereinkommen über die gleiche Entlohnung (1951) Nr. 111: Übereinkommen über die Nichtdiskriminierung am Arbeitsplatz (1958) Verbot der Kinderarbeit: Nr. 138: Übereinkommen über das Mindestalter der Zulassung zur Beschäftigung (1973) Nr. 182: Beseitigung der schlimmsten Formen von Kinderarbeit (1999)

Dan Gallin, Generalsekretär der Internationalen Gewerkschaft der Lebens- und Genußmittelarbeiter/IUL bei der entwicklungspolitischen Enquete des ÖGB, Oktober 1993: „Die Demokratie wird nirgends überleben, wenn es dem transnationalen Kapital gelingt, seine wirtschaftlichen Lösungen auf weltweitem Niveau aufzuerlegen, und wenn es ihm gelingt, den sozialen Standard zum Beispiel Chinas, Indonesiens, Russlands, Brasiliens oder El Salvadors den Arbeitern in Westeuropa und Nordamerika aufzuzwingen. Die Wege, auf denen die Demokratie in Europa und Amerika ausgehöhlt, geschwächt und schließlich zerstört 37


werden kann, können verschieden sein, doch eine Konsequenz steht fest: Wenn die transnationalen Konzerne das erreichen, was sie vorhaben, so bedeutet das das Ende der Arbeiterbewegung als große, historische Kraft zugunsten einer progressiven Veränderung der Welt – ja sogar als Potenzial für den Aufbau einer sozialen Kraft. Auch aus diesem Grund haben die Arbeiter sowohl der industrialisierten Welt, als auch der Entwicklungsländer und der ehemals kommunistischen Länder das denkbar stärkste gemeinsame Interesse: die Vernichtung der internationalen Arbeiterbewegung zu verhindern.“

Anmerkungen

Gründungskongress des Internationalen Gewerkschaftsbundes, Wien, 1. November 2006: „Der Kongress bekräftigt erneut, dass die universelle und uneingeschränkte Achtung der Gewerkschaftsrechte ein Hauptziel des IGB ist und dass die Globalisierung die Erreichung dieses Ziel noch dringlicher macht. Die Achtung der Gewerkschaftsrechte ist eine Vorbedingung für Gerechtigkeit am Arbeitsplatz, in der Gesellschaft und weltweit. Nur wenn sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer uneingeschränkt organisieren können und wenn sie in der Lage sind, freie Tarifverhandlungen zu führen, können sie einen gerechten Anteil an dem von ihnen produzierten Wohlstand einfordern und zu Gerechtigkeit, einem Konsens und Zusammenhalt in der Gesellschaft sowie zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen. Die – immer noch weit verbreitete – Verletzung der Gewerkschaftsrechte führt zu unlauterem Wettbewerb in der globalen Wirtschaft und muss sowohl aus wirtschaftlichen als auch aus Menschenrechtsüberlegungen heraus verhindert werden: Unterdrückung an einem Ort stellt eine Bedrohung für die Freiheit überall dar. Die Ausbeutung von mehr als 50 Millionen Beschäftigten, hauptsächlich Frauen, in den Freien Exportzonen (FEZ) der Welt sind ein konkretes Beispiel dafür, wie die Regierungen dem Druck des unregulierten internationalen Wettbewerbs nachgeben, um die Gewerkschaftsrechte zu verweigern.“

9. Worin liegt der Unterschied zwischen „importsubstituierender“ und „exportorientierter“ Industrialisierung?

10. Unter welchen Voraussetzungen sind Industrialisierungsprojekte in der Dritten Welt als entwicklungspolitisch positiv zu beurteilen, unter welchen negativ?

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Anmerkungen

11. Diskutieren Sie die Ursachen der Verschuldungskrise der Dritte-Welt-Länder in den 80er-Jahren.

12. Was versteht man unter „negativem Ressourcentransfer“?

13. Welche sozialen Auswirkungen hatten diese wirtschaftlichen Vorgänge?

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Die österreichische Gewerkschaftsbewegung und der Nord/Süd-Konflikt

Anmerkungen

Entwicklungspolitik ist für die österreichischen Gewerkschaften nicht nur eine Aufgabe humanitärer Solidarität für die Benachteiligten dieser Welt, sondern zielt auch auf eine Neuordnung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Nord und Süd ab. Gerechte Rohstoffpreise, gleiche Chancen auf dem Weltmarkt, ein stabiles Zinsniveau und Kontrolle über die Aktivitäten multinationaler Konzerne sind dafür wichtige Voraussetzungen. Aus diesen Gründen unterstützt der ÖGB den Solidaritätsfonds des Internationalen Gewerkschaftsbundes/IBG, der vor allem der Organisierung und Ausbildung von Gewerkschaften in Afrika, Asien und Lateinamerika zugute kommt. Gleichzeitig sind der ÖGB und die Gewerkschaften auch direkt in Solidaritätsaktionen aktiv (z. B. gegen die Verletzung von Arbeitnehmerrechten in verschiedenen Ländern). Als Beitrag zum Kampf gegen die Kinderarbeit unterstützt der ÖGB seit 2000 den Bangladesh Free Trade Union Congress (BFTUC) bei der Organisation zweier Schulen in Dhaka und Sylhet für ehemalige Kinderarbeiter/ -innen. In Zusammenarbeit mit dem ILO-Bildungszentrum in Turin werden regelmäßig Studienaufenthalte außereuropäischer Gewerkschafter/-innen in Österreich durchgeführt, die ein wichtigen Modul in einem internationalen gewerkschaftlichen Lehrgang darstellen. Zum Redaktionsschluss wurden von verschiedenen Organisationseinheiten darüber hinaus diverse entwicklungspolitische Projekte mit Gewerkschaftsrelevanz durchgeführt (vom Verein „weltumspannend arbeiten“ in Linz Projekte betreffend Moldawien und China, vom Internationalen Gewerkschaftsinstitut des ÖGB betreffend Zimbabwe).

Solidaritätsaktionen

Von der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit Österreichs fordert der ÖGB die verstärkte Berücksichtigung von Arbeitnehmerinteressen sowie die Orientierung an der Beachtung der Gewerkschaftsrechte bei der Planung von Entwicklungshilfeprojekten: Der 16. ÖGB-Bundeskongress forderte im Jänner 2007 darüber hinaus verstärkt die Verantwortung international tätiger Unternehmen für Demokratie und Sozialstandards ein:

Forderungen des ÖGB

„In den vergangenen Jahren haben auch zahlreiche Unternehmen mit Stammsitz in Österreich die Vorteile der wirtschaftlichen Globalisierung genutzt. Zunehmend ist es zur Errichtung bzw. Verlagerung von Produktionsstandorten in bzw. nach Regionen gekommen, in denen es keine oder nur eine sehr geringe gewerkschaftliche Organisierung gibt und in denen die Einhaltung von Demokratie und Menschenrechte sowie Sozial- oder Umweltstandards keine Rolle spielt. Global tätige österreichische Unternehmen tragen daher auch globale Verantwortung für den Schutz oder die Verletzung dieser Werte. Der ÖGB x wird seine internationale Gewerkschaftsarbeit aufwerten und die Internationalisierung seiner sozial- und wirtschaftspolitischen Konzeptionen vorantreiben 40


x wird sich im Rahmen der ILO verstärkt für die Sicherung und Anhebung von Sozialstandards sowie für die Verwirklichung Gewerkschaftsrechte einsetzen; ergänzend dazu sollen verstärkt Solidaritätsaktionen durchgeführt werden x und seine Gewerkschaften sehen es im Sinn internationaler Solidarität als ihre Aufgabe an, menschenrechtswidrige sowie demokratie-, sozial- oder umweltschädigende Praktiken von global tätigen Unternehmen in Österreich im Gespräch mit den betroffenen Betriebsräten sowie unter Heranziehung von Experten und NGOs aufzuzeigen und Alternativen einzufordern. Der ÖGB fordert weiters die Verpflichtung österreichischer Firmen zur Einhaltung der OECD Guidelines for Multinational Enterprises bei Inanspruchnahme staatlicher Export- und Internationalisierungsförderungen. Das Ausfuhrförderungsgesetz (AFG) bzw. das Ausfuhrfinanzierungsförderungsgesetz (AFFG) sollte dahingehend angepasst werden. Der Nationale Kontaktpunkt Österreichs beim BMWA sollte von der Arbeitnehmerseite verstärkt genutzt werden.“

Anmerkungen

Angesichts der wirtschaftlichen Globalisierung werden Jobs, soziale Errungenschaften und Wohlstand in Europa und Nordamerika auf Dauer nur dann sicher sein, wenn auch die extreme Verarmung und der sinkende Lebensstandard der Bevölkerungsmehrheit in den Ländern des Südens überwunden werden. Dazu sind strukturelle Veränderungen der weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen erforderlich – eine Aufgabe, zu der sich die internationale Gewerkschaftsbewegung und mit ihr auch der Österreichische Gewerkschaftsbund bekennt.

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Glossar

Anmerkungen

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Antiinflationäre Maßnahmen: Maßnahmen, die von Regierungen in Absprache mit dem Internationalen Währungsfonds zur Bekämpfung der Inflation gesetzt werden. In der Regel handelt es sich um Beschränkungen der Kaufkraft breiter Bevölkerungsschichten, z. B. Kürzung von Subventionen für Grundnahrungsmittel, reale Lohnsenkungen, Verringerung von Sozialleistungen.

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Barter-Geschäfte: Austausch von Waren unter Vermeidung einer geldmäßigen Verrechnung der Warenwerte; dient vor allem der Einsparung von Devisen.

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Charta: Feierliche Erklärung.

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Dekade: Jahrzehnt.

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Entkolonialisierung (Dekolonisation): Historischer Prozess des 19. und 20. Jahrhunderts, in dessen Verlauf die abhängigen Territorien Lateinamerikas, des Nahen Ostens, Asiens und Afrikas ihre politische (nicht aber die wirtschaftliche) Selbstständigkeit erhielten.

O

Exportorientierte Industrialisierung: Industrialisierungspolitik, die auf die Erzeugung von Exportprodukten abzielt, um dadurch Devisen zu erwirtschaften. In der Regel mit Investitionsanreizen für multinationale Konzerne verbunden.

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Importsubstituierende Industrialisierung: Industrialisierungspolitik, die auf die Herstellung von bisherigen Importprodukten im eigenen Land abzielt, um dadurch Devisen zu sparen. In der Regel mit dem Aufbau eines geschützten einheimischen Produktionssektors – oder, wenn inländisches Investitionskapital fehlt, einer verstaatlichten Industrie – verbunden.

O

Indikatoren: Anzeichen, Merkmale.

O

Informeller Wirtschaftssektor (Schattenwirtschaft): Wirtschaftsbereich außerhalb der öffentlich geregelten Marktbeziehungen sowie der Besteuerungs- und Sozialsysteme (vorwiegend bei Handel und Dienstleistungen). Schattenwirtschaft ist eine Reaktion auf die hohe Arbeitslosigkeit in Entwicklungsländern: Informellen Beschäftigungsmöglichkeiten stehen schlechte Bezahlung, mangelnder sozialer Schutz und häufig persönliche Abhängigkeit gegenüber (hoher Anteil an Kinderarbeit).

O

Interdependenz: In unserem Zusammenhang Aufeinander-Angewiesen-Sein von Industrie- und Entwicklungsländern. Schlüsselbegriff des Endberichts der von Willy Brandt geleiteten „Nord-Süd-Kommission“ von 1979.

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Internationaler Währungsfonds (International Monetary Fonds): Gemeinsam mit der Weltbank (International Bank for Reconstruction and Development) im Juli 1944 in Bretton Woods (USA) gegründet. Ursprüngliche Aufgabe war die Überwachung und Absicherung der Währungsbeziehungen (Paritäten) der Mitgliedstaaten untereinander. Seit Anfang der 80er-Jahre steigende Bedeutung aufgrund der strukturellen Anpassungsprogramme für die Volkswirtschaften der hochverschuldeten Länder (des Südens und des Ostens), die vom IMF durchgeführt werden. Im Gegensatz zum Weltwährungsfonds versucht die Weltbank neuerdings, die Anpassungsprogramme sozial und ökologisch abzufedern. In beiden Organisationen (Sitz: Washington) verfügen die fünf reichsten Industrieländer über die absolute Mehrheit des Stimmrechts.


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Konzession: hier: Genehmigung zur Förderung bestimmter Bodenschätze (Gold, Erdöl ...).

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Marginalisierung: Jemand oder etwas wird in die Bedeutungslosigkeit abgedrängt.

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Migration: Wanderung (z. B. von Arbeitskräften).

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Monokultur: Durch kolonialpolitische Eingriffe bedingte Ausrichtung der (Land-)Wirtschaft von Entwicklungsländern auf ein einziges oder einige wenige Produkte, die in der Regel für den Export bestimmt sind. Gegenteil: diversifizierte Wirtschaftsstruktur.

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Monroe-Doktrin: Erklärung des US-amerikanischen Präsidenten James Monroe aus dem Jahr 1823, die – gegen die europäischen Kolonialmächte, aber auch gegen die eben unabhängig gewordenen Staaten Südamerikas – den Führungsanspruch der Vereinigten Staaten über die „westliche Hemisphäre“ proklamierte.

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Multinationale (Transnationale) Konzerne: Firmen, die abhängige Tochterfirmen in mehr als einem Staat besitzen. Trotz ihrer grenzüberschreitenden Geschäftspolitik bleiben multinationale Konzerne in der Regel hinsichtlich ihres Stammkapitals, ihrer Konzernzentrale und ihrer Geschäftspolitik an ihr Ursprungsland gebunden.

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Negativer Ressourcentransfer: Seit Anfang der 80er-Jahre feststellbares Phänomen: Aus den Entwicklungsländern fließt netto mehr Kapital in die Industrieländer als umgekehrt. „Entwicklungshilfe“ des Südens an den Norden.

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Primärprodukte: Noch nicht weiterverarbeitete Produkte der Landwirtschaft und des Bergbaus (also des primären Wirtschaftssektors).

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Protektionismus: Maßnahmen der Industrieländer zur Abschottung ihrer Märkte gegen Importe aus Entwicklungsländern: z. B. hohe Zölle, bürokratische Hindernisse, Einfuhrkontingentierungen etc.

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Rentabilität: Verhältnis zwischen dem Gewinn einer wirtschaftlichen Aktivität (z. B. Firma) und dem eingesetzten Kapital.

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Ressourcen: Hilfsmittel; im wirtschaftlichen Zusammenhang: alle für die Produktion von Gütern und Dienstleistungen geeigneten Mittel (Anbauböden, Rohstoffe, Energie, Arbeitskräfte und deren Qualifikationsniveau ...).

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Schuldendienstquote: Anteil der Schulden eines Landes an seinen Exporten von Gütern und Dienstleistungen; Maßstab für die Verschuldung.

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Schwellenländer: Entwicklungsländer, die aufgrund ihrer hohen durchschnittlichen Industrieproduktion als „an der Schwelle“ zum Industrieland stehend angesehen werden. Beispiele sind Südkorea, Singapur, Brasilien, Südafrika oder die Türkei. Die Bezeichnung täuscht über die großen sozialen Unterschiede und die Verelendung großer Teile der Bevölkerung in diesen Ländern hinweg.

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Terms of Trade: Verhältnis der Import- und der Exportpreise eines Landes; Gradmesser für die Kaufkraft einer Volkswirtschaft.

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Variable Zinssätze: Zinssätze sind nicht längerfristig vertraglich festgelegt, sondern schwanken täglich je nach Angebot und Nachfrage.

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Weltbank: Siehe Internationaler Währungsfonds.

Anmerkungen

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Beantwortung der Fragen

Anmerkungen

F 1:

– Raubkolonialismus: Rücksichtslose Aneignung von Bodenschätzen in den Kolonien, Versklavung der Bevölkerung. – Imperialismus: Systematische Erschließung von Produktionskapazitäten in den Kolonien (Plantagen, Bergwerke) und flächendeckende politische Beherrschung.

F 2:

Reis- und Schlafmohnanbau in Südostasien, Palmölproduktion in Westafrika, Viehzucht in Südamerika. – Durch die Anlegung exportorientierter Monokulturen kommt es zu einer Zerstörung traditioneller gesellschaftlicher Strukturen, einer einseitigen Ausrichtung von Produktion und Infrastruktur zugunsten des Exports einer oder weniger Produkte sowie zum Verlust der Selbstversorgungsmöglichkeit mit Nahrungsmittel.

F 3:

Woermann und Fanon betonen beide den Vorteil des Kolonialismus für den Aufbau der europäischen Volkswirtschaften. Der Unterschied zwischen ihnen liegt in der politischen und moralischen Bewertung.

F 4:

Die Neuordnung der Weltwirtschaft nach 1945 beruhte auf der Anerkennung des amerikanischen Dollars als Leitwährung und auf einem System fixer Wechselkurse

F 5:

Zur Entwicklungshilfe kam es aus politischen, wirtschaftlichen und humanitären Gründen. Im Vordergrund dabei stand der Versuch der Industrieländer, die traditionellen Beziehungen zu ihren ehemaligen Kolonien nach Möglichkeit aufrecht zu erhalten.

F 6:

Unter „Interdependenz“ verstand die Brandt-Kommission die gegenseitige Angewiesenheit von Industrie- und Entwicklungsländern (z. B.: Hebung der Kaufkraft in der Dritten Welt führt zu verstärkten Exporten der Industrieländer und somit zur Sicherung der Arbeitsplätze).

F 7:

„Terms of Trade“ ist das Verhältnis der Export- und Importpreise eines Landes.

F 8:

Die Möglichkeiten einer Volkswirtschaft zum Erwerb von Devisen liegen entweder im Verkauf konkurrenzfähiger Produkte auf den Weltmärkten oder in der Aufnahme von Krediten oder in Überweisungen von Arbeitskräften im Ausland. Für die Entwicklungsländer, deren Rohstoffexporte von einem langfristigen Preisverfall charakterisiert sind, sind vor allem die Aufnahme von Krediten und teilweise auch Überweisungen von Gastarbeitern wichtig.

F 9:

Importsubstituierende Industrialisierung bezweckt die Produktion von Gütern im eigenen Land, die ansonsten eingeführt hätten werden müssen. Exportorientierte Industrialisierung ist auf die Produktion von Gütern hin ausgerichtet, die auf dem Weltmarkt abgesetzt werden können. Im ersten Fall sollen Devisen erspart, im zweiten erwirtschaftet werden.

F 10: Industrialisierungsprojekte in der Dritten Welt sind entwicklungspolitisch positiv zu beurteilen, wenn sie sich in eine bestehende lokale Wirtschaftsstruktur einfügen, der Entwicklung der Volkswirtschaft dienen, arbeitsintensive Beschäftigungsmöglichkeiten für die einheimische Bevölkerung bieten und ökologisch verträglich sind.

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F 11: Die Verschuldung der Länder der Dritten Welt stieg in den 70erJahren durch Industrialisierungsprojekte, steigende Rüstungsausgaben und die gestiegenen Erdölpreise. Zur Verschuldungskrise kam es in den 80er Jahren jedoch durch den plötzlichen Anstieg des internationalen Zinsniveaus, der von der monitaristischen Wirtschaftspolitik der US-amerikanischen Regierung verursacht wurde.

Anmerkungen

F 12: Unter „negativem Ressourcentransfer“ versteht man das Phänomen, das gegenwärtig mehr Finanzmittel von den Ländern der Dritten Welt in die Industrieländer zurückfließen als umgekehrt. F 13: Die strukturellen Anpassungsprogramme des internationalen Währungsfonds führten in vielen Ländern zum Ansteigen der Lebensmittelpreise, zur Einfrierung bzw. Senkung von Löhnen und zur Verringerung staatlicher Sozial- und Bildungsausgaben. Der Lebensstandard breiter Bevölkerungskreise sank dadurch beträchtlich. Durch die damit erreichte Einschränkung des privaten Konsums wurden entsprechende Finanzmittel zur Rückzahlung der Auslandsschulden frei.

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Literatur

Anmerkungen

ATTAC (Hg., 2003): Die geheimen Spielregeln des Welthandels. WTO-GATSTRIPS-M.A.I. Wien: Promedia. Becker, Joachim/et al. (Hg., 2003): Geld. Macht. Krise. Finanzmärkte und neoliberale Herrschaft. Wien: Promedia. Fischer, Karin/et al. (Hg., 1999): Globalisierung und Peripherie. Umstrukturierung in Lateinamerika, Afrika und Asien. Wien: Südwind. ICTFU/IBFG (2004): Behind the brand names. Working conditions and labour rights in export processing zones. http://www.icftu.org/www/PDF/EPZreportE.pdf ICTFU/IBFG (2006): Jährliche Übersicht über die Verletzung von Gewerkschaftsrechten. http://www.icftu.org/www/pdf/survey06/Survey06-DE.pdf Nohlen, Dieter (Hg., 2002): Lexikon Dritte Welt. Hamburg: Rowohlt. Nuscheler, Franz (1996): Lern- und Arbeitsbuch Entwicklungspolitik. Bonn: Dietz. Schlussbericht der Enquete-Kommission (2002): Globalisierung der Weltwirtschaft – Herausforderungen und Antworten. http://www.bundestag.de/gremien/welt/glob_end/index.html UNCTAD (2005): Trade and Development Report. http://www.unctad.org/Templates/WebFlyer.asp?intItemID= 3453&lang=1 UNCTAD (2005): Worldinvestment Report. http://www.unctad.org/en/docs/wir2004_en.pdf UNDP (2005): Human Development Report. http://hdr.undp.org/reports/global/2005 WEED (2001): Kapital braucht Kontrolle. Die internationalen Finanzmärkte: Funktionsweise – Hintergründe – Alternativen. http://www.weed-online.org/themen/finanzen/30862.html Weltkommission für die soziale Dimension der Globalisierung (2004): Eine faire Globalisierung: Chancen für alle schaffen. www.ilo.org/public/english/wcsdg/docs/reportg.pdf

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Name und Adresse:

Anmerkungen

Fragen zur Internationalen Gewerkschaftsbewegung 3 Wir ersuchen Sie, die folgenden Fragen zu beantworten:* 1. Welche Argumente sprechen für, welche gegen eine verstärkte Unterstützung der so genannten Dritten Welt?

2. Worin sollte Ihrer Meinung nach das Ziel von „Entwicklung“ liegen? Diskutieren Sie mit Kollegen/-innen darüber.

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3. Kontrollierter oder völlig freier Markt? Nehmen Sie zu diesem wirtschaftspolitischen Grundproblem Stellung am Beispiel des Unterschieds zwischen dem Integrierten Rohstoffprogramm und dem Lomé-Abkommen.

Anmerkungen

4. Besprechen Sie mit Kollegen/-innen die im Text angeführten Argumente von Dan Gallin. Worin kann ein gemeinsames Interesse der Arbeitnehmer in Industrieländern und der Dritten Welt liegen?

* Fernlehrgangsteilnehmer/-innen bitten wir, nach Abschluss der Fragenbeantwortung die Seite(n) mit den Fragen abzutrennen und an folgende Adresse zu senden: Fernlehrgang des Österreichischen Gewerkschaftsbundes 1010 Wien, Laurenzerberg 2. 48


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