Draghi: Vom Zentralbanker zum Regierungschef

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Vom Zentralbanker zum Regierungschef: was seinen Erfolg ausmachte, und warum er nicht Präsident wurde

Markus Krienke Marco Cecchini, Un anno da Draghi. La metamorfosi di un banchiere, Fazi, Roma 2022, 235 Seiten, ISBN 979-12-5967-199-8, 18,50 Euro.

Nach der italienischen Präsidentenwahl gewinnt die nunmehr zweite Draghi-Biographie Marco Cecchinis einen vom Autor zugegebenermaßen nicht intendierten Erklärungswert: Während man einerseits spürt, warum für viele in Italien der Aufstieg des einstigen europäischen Zentralbankers zum Staatsoberhaupt eine fast vorherbestimmte Erfolgsstory war, versteht man andererseits aber auch die Gründe, die ebendiesen dann doch verhindert haben. Draghi hatte am 13. Februar 2021 das Regierungsamt übernommen, das Parteiengezänk dem nationalen Interesse untergeordnet und Italien einen erfolgreichen und versöhnlichen Jahresausklang bereitet: höchste Impfrate und größtes Wirtschaftswachstum in Europa. Im Sommer erfreute sich Draghi 71% der Zustimmung, die er sich auch durch die praktisch komplette Normalisierung des Lebens nach den Restriktionen des Corona-Winters erworben hatte. Italien wurde Fußball-Europameister und am Ende hat sogar Standard & Poor’s Italiens Rating verbessert. Ende Oktober war «Mr Fix-it», wie ihn die New York Times einmal bezeichnete, beim G20-Kulturgipel im Kolosseum der gefeierte Staatsmann. Doch zum Jahresende verdichteten sich bereits die Wolken: Der Spread (Differential zwischen den italienischen (BTP) und deutschen (Bund) Staatsanleihen) stieg rasant auf über 140 Punkte – bei Amtsantritt Draghis waren es 90 – und die indirekte, politisch fast unbeholfene Selbstkandidatur Draghis für das Präsidentenamt sorgte für Unruhe. Bereits im September musste er sich zu seiner großen Enttäuschung davon überzeugen, dass von den so wichtigen

Durchführungsmaßnahmen

für 1

das

nationale

Resilienz-

und


Wiederaufbauprogramm – dessen Funktionieren Voraussetzung für die Zuweisung der 209 Milliarden Euro im Rahmen des Next Generation EU ist – gerade einmal 13 von 51 bestanden und zudem nur 8 von 27 Reformen bzw. 5 von 24 Investitionen beschlossen waren. Dafür waren seine Minister bzw. die dahinterstehenden Parteien verantwortlich, die sich zudem im Lauf des Januars auf die Präsidentenwahl konzentrierten und diese als Stresstest für die Regierung im nunmehr letzten Jahr vor den italienischen Wahlen 2022 inszenierten. In diesen Wirren zeigten sich nun auch die Grenzen des Charakters Mario Draghis, der von Cecchini sehr deutlich als nüchtern, pragmatisch und determiniert beschrieben wird, aber eben deswegen auch als wenig politisch. Emotionale Momente wie bei der Vorstellung des Regierungs-programms waren ersichtlich die Ausnahme. Für den Autor dieser Biographie ist es zwar unbezweifelbar, dass Draghi seine Aufgabe als Politiker hervorragend angenommen hat und sich auch deswegen für das höchste Staatsamt empfahl, dennoch resümiert er aber am Ende, dass das Gesamturteil über seinen Lebensweg immer noch von jenem whatever it takes vom 26. Juli 2012 bestimmt wird, mit dem er als Chef der Europäischen Zentralbank den Euro gerettet hat. Dies heißt mit anderen Worten, dass selbst seine großen Erfolge des ersten Regierungsjahres (oder besser der ersten 10 Monate, da das Buch bereits Mitte Dezember 2021 geschlossen werden musste) sich in seinen Aufstieg durch die drei Stationen des Generaldirektors im Finanzministerium, des Gouverneurs der italienischen Zentralbank und des Präsidenten der Europäischen Zentralbank lesen lässt: Wertete der Autor dies in gewisser Weise auch als gutes Omen für die Aspirationen Draghis auf das Amt des Staatspräsidenten, so versteht man nun im Nachhinein in vielen aufschlussreichen Details, die Cecchini im ersten Kapitel über den Regierungspräsidenten Draghi darlegt, den Schlüssel für das, was man – dank der guten Kenntnis seiner Biographie nach der Lektüre des Buchs – das erste Scheitern des einstigen Jesuitenschülers nennen könnte. Wer Cecchinis vorhergehendes Buch gelesen hat (L’enigma Draghi; vgl. die Rezension: https://www.villavigoni.eu/mario-draghi-raetsel-oder-methode/?lang=de ), wird seine dort beschriebene Karriere bis zum Vorabend seiner Berufung an die Spitze der Regierung nun im neuen Buch in den Kapiteln zwei bis vier wiederfinden. Zwei Aspekte, welche die Politik Draghis kennzeichnen und dafür stehen, dass er aber auch nicht einfach Banker geblieben ist, werden von Cecchini im ersten Kapitel besonders hervorgehoben: Einerseits seine „Übersetzung“ der Politik des Quantitative Easing der EZB in die Strategie der „guten Schulden“. Nicht Austerität und Sparen, so seine Devise, sondern 2


Wachstum ist das Mittel zur Bekämpfung des Staatsdefizits. Cecchini sieht ebendiese Politik dann auch von Biden realisiert. Der Parteiführer der sozialdemokratischen Partei PD Enrico Letta wurde dann auch gleich zu Beginn von Draghis Regierung mit seinem Plan der Erbschaftssteuer in die Schranken gewiesen. Seine Worte vom 19. März 2021 haben für Cecchini dabei ähnlich programmatische Bedeutung wie sein whatever it takes: „In diesem Jahr gilt es, nicht von unseren Bürgern Geld einzunehmen, sondern es ihnen zu geben“. Der zweite Aspekt seiner „Metamorphose“ besteht in der gezielten Förderung zwei vielversprechender und moderater Politiker just in den beiden Parteien, welche nach den 2018-Wahlen die populistischen Sieger in Italien waren: Movimento 5 Stelle und Lega. Vor allem in Luigi Di Maio erkannte er, entgegen der öffentlichen Meinung, das Zeug zu einem gestandenen Politiker, und Giancarlo Giorgetti war bereits die kompetente und aufstrebende Nummer zwei hinter Salvini. Wenn nun gerade diese beiden Parteien in der Woche der italienischen Präsidentenwahl ihren politischen Offenbarungseid geleistet haben und sich ihre Leader Giuseppe Conte und Matteo Salvini selbst demontierten, sodass nun der – durchaus konfliktreiche – Weg für eine vernünftige Mitte innerhalb oder als Absplitterung beider Parteien möglich ist, dann ist dies auch eine politisches Ergebnis des ersten Regierungsjahres von Draghi. Dass Berlusconi den Rücktritt von seiner Kandidatur wenige Tage vor Wahlbeginn an das Veto gegen Draghi geknüpft hat, war zwar nicht absehbar, am Ende hat aber auch sein sì den Weg zur Bestätigung des italienischen Stabilitätstandems Mattarella-Draghi geebnet. Da auch Renzi seinen Beitrag hierzu leistete, zeigt durchaus, dass im Ergebnis Draghi seine Regierung zusammengehalten hat. Dies hatte er auch selbst Ende Dezember als Voraussetzung seines zweiten Amtsjahres genannt. Doch wird als Hypothek über diesem zweiten Regierungsjahr das ‚nur im Ergebnis‘ lasten, da sowohl die Rechts- als auch Linkskoalition innerhalb seiner großen Regierungskoalition, aber auch die Parteien intern, große Zerwürfnisse offenbart haben. Und dies bei einer immer deutlicher erstarkenden Giorgia Meloni mit ihren Fratelli d’Italia in der Opposition. Ob Draghis Abgeklärtheit und autoritärer Regierungsstil reichen wird, um diese Regierung und damit auch die Zukunft Italiens zu retten? Zu einer Antwort wird erst eine Bilanz im Moment der Wahlen 2023 in der Lage sein, nach der vielleicht auch mit einer weiteren Aktualisierung der Draghi-Biographie seitens Cecchinis zu rechnen sein wird. Während in Europa und in der Welt die Entscheidung der 1009 „großen Wähler“ Italiens für Stabilität erleichtert aufgenommen und gefeiert wird, bahnt sich für Draghi ein sicher turbulentes Jahr an.

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Was ihm dabei helfen dürfte, ist sein Charakter, Entscheiden und Handeln vor Kommunikation, social media und Selbstinszenierung zu stellen. Zu Beginn seiner Regierungszeit, am 30. März 2021, sagte Draghi: „Ich bin mir sicher, dass wir zusammen jedes Ziel erreichen werden. Dies ist keine Hoffnung und auch keine Voraussage, sondern eine Gewissheit“. Zwar dürfte sich das wie dieses ‚alle zusammen‘ nun deutlich geändert haben und die Töne rauer werden, doch hat sich nichts daran geändert, dass es hierzu keine Alternative für Italien gibt. Auch daran lässt Cecchini in seinem Buch keine Zweifel. Zu hoffen bleibt, dass es für Draghi nach wie vor eine Gewissheit ist...

Markus Krienke

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