VETMED - Das Magazin 04/2015

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Foto: © ÖNB

vetmed 4/2015

SCHWERPUNKT: SICHERESVETCORE FLEISCH SCHWERPUNKT: TECHNOLOGIEPLATTFORM

Innenaufnahme aus dem Schlachthof St. Marx, aufgenommen um 1900

heit für Mensch und Tier versprachen, vorhanden waren, tötete der Wiener Fleischer die Rinder üblicherweise mit dem Beil. Das erforderte freilich viel Erfahrung, Geschick, Kraft und Routine. Hinzu kam, dass die Fleischer-Genossenschaften gut organisierte und durchsetzungsfähige Akteure auf kommunalpolitischer Bühne waren, die das Handwerk als patriotisch, solidarisch und für das städtische Sozialgefüge unerlässlich inszenierten. Wie änderte sich im Untersuchungszeitraum der Umgang mit Tieren? Die 1860er-Jahre markieren eine Umbruchzeit medizinischer Blickhorizonte. Die zellularpathologische Perspektive löst sogenannte humoralpathologische Vorstellungen ab und damit den Glauben an eine animalische Lebensenergie, die sich auf den menschlichen Körper übertrüge. So bot noch Ende der 1850er-Jahre ein Wiener Arzt sogenannte animalische Bäder gegen Hautirritationen und Knochenbrüche an, die aus Blut und den Inhalten von Rindermägen bestanden, um dank einer animalischen Lebensenergie Krank-

heiten zu heilen. Weiters interessant war auch die bürgerliche Vorstellung im 19. Jahrhundert, dass allein der Anblick von misshandelten Tieren eine demoralisierende Wirkung haben könne, vor allem auf Frauen und Kinder. Nicht von ungefähr wurde ab Mitte der 1840er-Jahre Tierquälerei in der Öffentlichkeit per Dekret verboten. Die Gefahr einer Verrohung, so das Argument, drohte aber nur einem bürgerlichen Publikum, das angeblich über feiner entwickelte Sinnesorgane verfügte. Der Metzger hingegen, so das Credo, sei abgestumpft. Für die Schreie der Tiere oder den Gestank im Schlachthof sei dieser nicht empfänglich. Wie haben Sie zum Thema recherchiert? Nachdem mich vor allem die Perspektive der Leute, also der Fleischer selbst, interessierte, war die Quellensuche nicht so einfach. Der Fleischer schrieb kein Tagebuch, in dem er über sich selbst reflektierte. Aber es gibt natürlich viele behördliche Quellen vom Wiener Marktamt oder von der Schlachthofdirektion. Und ich habe Korrespondenzen, Stellengesuche, Fotografien und Baupläne

des Schlachthofs sowie veterinärmedizinische Literatur durchforstet. Eine wichtige Quelle stellen zudem Fleischerzeitungen dar, die speziell ein Publikum aus dem kleinbetrieblich organisierten Fleischergewerbe adressierten.

VORTRAGSREIHE Die Abteilung Ethik der MenschTier-Beziehung am Messerli Forschungsinstitut der Vetmeduni Vienna organisiert regelmäßig Gastvorträge, die sich mit gesellschaftspolitischen Fragestellungen rund um die vielschichtigen Beziehungen zwischen Menschen und Tieren beschäftigen. Am 22. Oktober 2015 war Lukasz Nieradzik, unter anderem tätig als Lektor am Institut für Europäische Ethnologie der Universität Wien, zu Gast und sprach zum Thema „Der Schlachthof als anthropologische Maschine: Praktiken des Lebens und Sterbens in St. Marx im 19. Jahrhundert“.

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