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Einführung

Das Feld ist weit, die Ernte ist reich und nicht immer überschaubar. Die Frauen, die in diesem Buch dargestellt werden, faszinieren mich, und so setze ich ihnen ein Denkmal. Zu Recht dürfen sich jene beklagen, die hier keine Aufnahme gefunden haben. Ich vertröste sie auf später.

Hier sind es Beginen im Bodenseeraum, Idda von Toggenburg und Anne von Ramschwag. Gemeinsam haben sie eines: Sie kämpften mit ihrem freiwilligen oder dem ihnen aufgezwungenen Schicksal. Nach und nach wurden sie durch den ihnen zugeschriebenen Heilungen zu Wunderfrauen.

Auch wenn sie und die über sie tradierten Geschichten legendär und kaum historisch belegbar sind, lösten und lösen sie bis heute Ereignisse aus, die nicht vorhersehbar und nicht erklärbar sind. Heiligenlegenden wurden in allen Religionen aus wirklichen Begebenheiten und aus der Tradition und aus der Volksfrömmigkeit Überliefertem zusammengestellt. Obwohl vieles in den Heiligenleben nicht wirklich stattgefunden hat, entfalten die Legenden eine Wirkung bis heute. Entscheidend ist der Glaube der Menschen an die Heiligen. Er kann bekanntlich Berge versetzen und selbst in hoffnungslosen Situationen Heilung bringen. Aufgrund von Heilungen, die wirklich stattgefunden haben, verbreiten sich die Legenden über eine bestimmte Person und können alle Menschen, die dafür empfänglich sind, ansprechen und ihnen Hilfe in der Not bringen.

Meine These in diesem Buch lautet: Frauen sind für das Heilen geschaffen. Der Glaube an einen «Schöpfergott» war den hier dargestellten Frauen allgegenwärtig. Ihm wollten die hier porträtierten Frauen dienen. Dafür wurden und werden sie bis heute besucht und um Hilfe angerufen. Aufgrund ihrer Heilungen verehren sie die Menschen als Heilige.

Männer haben eine andere Aufgabe: Sie wollen Ordnung nach ihren Vorstellungen in die Welt bringen. Und diese durchzusetzen, ist meist mit Kraft oder Gewalt verbunden.

Gossau, Frühling 2023 Hermann Hungerbühler

Idda von Toggenburg wird seit dem 12. Jahrhundert in Fischingen verehrt. Ihr werden bis heute Wunderheilungen zugeschrieben. Darum wird ihr Grab in der Klosterkirche rege besucht. Historisch lässt sich allerdings nur wenig über ihr Leben belegen. Über eine historische Ita aus dem 12. Jahrhundert weiss man heute, dass sie eine nachhaltige Wirkung aufgrund ihrer Lebensweise als Inklusin beim Kloster Fischingen ausgeübt hat. Dort wurde sie von den Menschen um Rat ersucht. Da einige Hilfe erfuhren, verbreitete sich ihr Ruf als Heilerin und Helferin in der Not. Aus mündlichen Überlieferungen, die als Quellen für die schriftlichen Legenden, die gegen Ende des 15. Jahrhunderts verfasst wurden, war bekannt, dass Ita aus dem süddeutschen Raum stammte, die Ehefrau eines Toggenburgers war und in einem von den Toggenburgern erbauten Inklusorium beim Kloster Fischingen lebte. Man sprach von ihrer Heimsuchung durch den Teufel, von der Erweckung eines Toggenburgers und vom Entzünden eines Lichts durch einen Toten. Nach ihrem Tod wurde Ita vor dem Nikolaus-Altar in der Klosterkirche von Fischingen beigesetzt. Ihr Grab wurde von Anfang an in Ehren gehalten, und es wurde immer wieder von Wundern, die dort bewirkt wurden, gesprochen.

Fischingen gehörte zum Herrschaftsgebiet des Bischofs von Konstanz. Dieser gründete das Kloster Fischingen 1138 mit Benediktinermönchen aus dem Kloster Petershausen bei Konstanz. Es war zu Lebzeiten von Ita eine Neugründung und befindet sich am Pilgerweg von Konstanz nach Einsiedeln, der Teil des Jakobswegs ist. Mitte des 15. Jahrhunderts erlebte das Kloster Fischingen eine Krise. 1440 brannte das Kloster ab, und es lebten nur noch wenige Mönche dort. Der Benediktiner Heinrich Schüchti (Geburtsjahr unbekannt, gestorben 1510), der bei der Abtwahl im Kloster St. Gallen 1463 Ulrich VIII. Rösch unterlegen war, übernahm 1465 die Leitung von Fischingen. Sein Vor- gänger, Abt Johannes Mettler, hatte das Kloster heruntergewirtschaftet. Der Weiterbestand des Klosters Fischingen war gefährdet. Der neue Abt brauchte Geld zur Sanierung der Gebäude und neue Mitglieder für seinen Konvent. Er musste darum Fischingen in der Region bekannt machen. Schüchti wusste von St. Gallen, dass Wallfahrten Geld und Ruhm einbrachten. Und er hatte ja das Grab von Ita, auf dem die Reliquie ihres Schädels stand, und kannte die Erzählungen über ihr Leben und die von ihr gewirkten Wunder.

Um sein Kloster zu retten, nutzte Abt Schüchti seine Verbindungen zum Kloster Einsiedeln. Der dortige Dekan Albrecht von Bonstetten war ein bekannter Humanist und Verfasser literarischer Werke. Von Bonstetten beschrieb das Leben der seither Idda von Toggenburg genannten Heiligen auf Deutsch und Latein in den Jahren 1480 bis 1486. Die Lebensgeschichte von Idda reicherte er mit Elementen aus anderen Heiligenerzählungen an. Ausserdem verband er die Szenen ihres Lebens mit realen Örtlichkeiten rund um Fischingen. So entstand auch die heute bekannteste Heiligenlegende der Idda von Toggenburg. Die Burg Alt-Toggenburg oberhalb von Gähwil entstand um das Jahr 1000 und wurde 1044 erstmals schriftlich erwähnt. Sie war die Stammburg der Grafen von Toggenburg. Die Burg wurde seit dem Ende des 14. Jahrhunderts nicht mehr bewohnt und zerfiel. 1861 entstand auf dem ehemaligen Burgplatz der Wallfahrtsort St. Iddaburg mit Wallfahrtskapelle. 1888 wurde die Lourdesgrotte als zusätzlicher Anziehungspunkt für Pilger errichtet. Die heutige Wallfahrtskapelle mit Pfarrhaus und Zufahrtsstrasse entstand 1933/34.1

1 Regula Anna Steinhauser-Zimmermann: «Alt-Toggenburg», in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 17.05.2001. Online: https://hls-dhsdss.ch/de/articles/015961/2001-05-17/, konsultiert am 31.07.2022.

Albrecht von Bonstetten widmete seine Idda-Legende dem Abt von Fischingen. Hier eine Kurzfassung davon. Die heilige Idda entstammte dem Geschlecht der Grafen von Kirchberg bei Ulm. Sie wurde mit einem Grafen Heinrich von Toggenburg verheiratet, der auf der Burg Alt-Toggenburg wohnte. Zur Hochzeit schenkte der Graf Idda einen goldenen Ring. Nach vielen Jahren legte Idda ihre Kleider und ihren Schmuck auf einem Fensterbrett an die Sonne. Unterhalb der Burg befand sich ein grosses Tobel mit dem Namen Rappenstein2, in dem Raben nisteten. Ein Rabe trägt Iddas kostbaren Hochzeitsring in sein Nest. Das liess Gott geschehen, um ein grosses Zeichen durch Idda zu wirken. Der Graf sandte seine Jäger zur Jagd aus. Weil Raben kreischten, stieg einer der Jäger zu ihrem Nest hinauf und fand den Ring darin. Er steckte ihn an seinen Finger und trug ihn lange Zeit. Ein Knecht des Grafen erkannte den Ring und ging zum Grafen. Er sagte ihm, dass der Jäger mit seiner Frau geschlafen habe. Als Zeichen für Iddas Untreue gab er dem Grafen den Ring. Im Jähzorn liess der Graf den Jäger zu Tode schleifen. Dann suchte er seine Frau und warf sie in die Schlucht hinunter.

Idda bat Gott um seine Hilfe und überlebte den Sturz unversehrt. Indess erhielt sich die Gräfin im Herabfall an einem Gesträuch, wovon sie sich Nachts losmachte. Sie ging in einen Wald, lebte von Wasser und Wurzeln, wie die Brüder Grimm in den Deutschen Sagen wissen3.

Sie lebte lange allein in der Einsamkeit und entschloss sich, fortan ihr Leben in einer Höhle allein Gott zu widmen. Im Laufe einer Jagd wurde Idda von einem Jäger ihres Mannes aufgespürt.

Als der Graf die Totgeglaubte entdeckte, wollte Idda nicht wie- der zu ihm zurückkehren. Denn sie sagte, er habe sie von sich geworfen und nun gehöre sie einem anderen Gemahl an, von dem sie sich nie trennen werde, dem Herrn Jesus. Er habe sie behütet vor körperlichem Schaden und wolle nun auch für ihre Seele sorgen. Auf Iddas Wunsch liess der Graf bei der Kirche in der Au eine Klause errichten. Den Gottesdienst besuchte sie frühmorgens im nahen Kloster Fischingen. Dabei begleitete sie ein Hirsch, der auf seinem Geweih zwölf Lichter trug. Später lebte sie als Inklusin beim Kloster Fischingen. Doch der Teufel bereitete ihr viel Leid, verschüttete Speise und Trank und löschte ihr Feuer. Einmal, als der Teufel das Feuer wieder gelöscht hatte, ging sie zum Redfenster ihrer Klause und sprach zu einem Leichnam, er solle ihr Feuer bringen. Das tat er mit den Worten: «Idda, nimm hin das Licht aus meiner Hand! Von Toggenburg bin ich genannt.» Von da an konnte der Teufel ihr keinen Schaden mehr zufügen. So erwarb sie bei Gott grosse Gnaden, auf dass alle, die sie ehren und anrufen, von den Nachstellungen des Bösen keinen Schaden erleiden. Ja, in allen Krankheiten des Leibes, vor allem bei Schmerzen des Kopfes und in den Nöten der Mutterschaft ist sie eine wirksame Fürbitterin bei Gott.

2 Mit dem Raben ist immer auch ein Hinweis zu Rappenstein (Rabenstein) verbunden.

3 Deutsche Sagen, Band 2, erschienen 1818, Nicolai Verlag, Berlin, Seite 221–222.

Idda starb am 2. November, an dem man ihrer bis heute gedenkt. Sie wurde in der Klosterkirche Fischingen vor dem Altar des heiligen Nikolaus begraben. Soweit die Legende.

Hinter der Wallfahrtskirche auf der St. Iddaburg befindet sich eine Tafel, wo der Graf Idda die Felswand hinuntergestürzt haben soll. Das Grab von Idda befindet sich in der Klosterkirche Fischingen. Unter dem Tischgrab, das seit dem Klosterbrand von 1440 leer ist und dem auch das Kopfreliquiar zum Opfer fiel, befindet sich eine kleine Tür, durch die die Pilger ihre wunden Füsse oder ihren Kopf hineinhalten können, um Linderung für ihre Leiden zu erfahren. Im Hohlraum über dem Grab liegen Bittschreiben an die heilige Idda, hinterlegt auch von Menschen un- serer Zeit4. Abt Heinrich Schüchti (Abt von 1466 bis 1506) förderte den Kult der um 1200 verstorbenen Klausnerin Idda und liess 1496 das spätgotische Idda-Grabmal errichten. Es gilt heute als das älteste Monument in Kirche und Kloster.

Die Verehrung der heiligen Idda von Toggenburg erhielt Ende des 16. Jahrhunderts durch die Errichtung der St. Idda-Bruderschaft einen entscheidenden Impuls. Abt Christoph Brunner aus Rorschach (im Amt 1574 bis 1594) propagierte und förderte die kultische Verehrung der heiligen Idda5. Die Bruderschaft war eine Gebetsgemeinschaft, die auf Kapelle und Grabstelle der Idda konzentriert gewesen sein dürfte. Sie zählte zu Beginn des 18. Jahrhunderts mehrere Tausend Mitglieder. Unter diesen waren Prominente wie der Jesuit und später heiliggesprochene Petrus Canisius (1521–1597). Aus seiner Sicht war Idda ein Beispiel für Glaubenstreue und Rechtgläubigkeit. Er nutzte den Idda-Kult als Instrument der Gegenreformation sowie der katholischen Reform in der Eidgenossenschaft. Dabei wurde Idda zur Lichtträgerin (basierend auf einem Motiv ihrer Vita) gegen alle Ungläubigen6.

Die Legende von der heiligen Idda von Toggenburg will nicht ihre Lebensgeschichte erzählen, sondern die Person und das Leben dieser heiligen Frau deuten und darauf aufmerksam machen, wie sie für uns Menschen wegweisend und beispielhaft ist und bleiben kann, sagt Meinrad Gemperli, Präsident der Wallfahrtsstiftung. Mit der bewussten Pflege der Erinnerung an die heilige Idda von Toggenburg hofft die Stiftung, Menschen anzusprechen, die Hilfe suchen.

4 Huber, 150 Jahre, Seite 20.

5 Huber, 150 Jahre, Seite 35.

6 Huber, 150 Jahre, Seite 35.

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