Verkehrshaus Magazin 14/13

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Die schnelle Linie Für die SRF-Sendung «Einstein» brachte das Verkehrshaus zwei historische Strassenfahrzeuge aus seiner Sammlung in den Windkanal der RUAG in Emmen: den Delage D60 von 1937 (Bild 5) und den Tatra T87 von 1938 (Bild 3). Im Windkanal bestätigt sich, dass mit den beiden Wagen zwei Welten aufeinandertreffen. Ihre Karosserien verweisen auf ein faszinierendes Wechselspiel zwischen Kunst und Physik.

Autor This Oberhänsli

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er Traum vom Auto der Zukunft ist so alt wie das Auto selbst. Erste Versuche mit fliessenden oder aerodynamischen Autoformen noch im 19. Jahrhundert machten oft eher Geschwindigkeit sicht- und s p ü r b a r, a l s d a s s s i e e i n e vo n In g e n i e u re n g etr i e bene Optimierung des Wagens umsetzten. Im frühen 20. Jahrhundert erreichten luftwiderstandsoptimierte Spezialkonstruk tionen auf speziellen Versuchs- und Rennstrecken zirka 20 Prozent bessere Verbrauchsoder Geschwindigkeitswerte. Im Alltag liessen die meist noch hohen Autokonstruktionen, die Motoren und vor allem die Strassenverhältnisse jedoch noch keine hohen Geschwindigkeiten zu. Die schnellen Formen der Prototypen vor dem Ersten Weltkrieg standen für die Faszination am motorbetriebenen Wagen. Sie waren Zeichen für Innovation und zeugten vom Aufbruch in die Moderne. Delage: Das Couturier-Auto Nachdem das Auto zu Beginn des 20. Jahrhunderts seine allgemeine Form mit der markanten Kühlernase gefunden hatte, erlebte es in der Zwischenkriegszeit auch dank der mit tler weile zuverlässigen Betriebsweise seine erste Hochblüte. An der Spitze dieser Entwicklung erhielten die Fahrzeuge individuelle, ja zum Teil massgeschneiderte Karosserien. Bei einzelnen Marken setzten die Karosseriekünstler auch ab Werk Automobilträume um. Diese Autos standen für Eleganz, Luxus und durchaus auch für Geschwindigkeit. In der Zwischenkriegszeit entstanden dann auch die vielleicht aufwendigsten, formal schönsten und vielfältigsten Karosserien für Personenwagen. Der französische Hersteller Delage stellte Luxuswagen her, war aber auch bei der Produktion von Rennautos sehr erfolgreich. Der Delage D60 im Windkanal war kein Sportgerät. Er verstand sich aber als sportlicher Luxuswagen, als sogenannte Rennreiselimousine (Bild 2). Tatra: Das Ingenieur-Auto Im Umfeld des einsetzenden Funktionalismus beschäftigten sich Aerodynamiker in verschiedenen Ländern mit dem Automobil und es entstanden unzählige Prototypen und Kleinserien von Stromlinienautos. Paul Jaray, ein österreichischer Ingenieur mit Schweizer Pass, übertrug seine Er fahrungen aus den Zeppelin-Werken auf das

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Automobil und wurde zu einem der wichtigen Stromlinienpioniere. In Zusammenarbeit mit Jaray wagte der tschechoslowakische Hersteller Tatra ab 1932 unter seinem Leiter und Konstrukteur Hans Ledwinka die erste Serienherstellung von Stromlinienwagen (Bild 4). Die Ingenieuridee hinter der heute noch futuristisch anmutenden Form der Tatra-Stromlinienwagen war durchaus vielfältig (Bild 6). Gerade im Umfeld eines Windkanals ist man geneigt, in der Minimierung des Luftwiderstandes primär den Versuch zu sehen, eine höhere Geschwindigkeit zu erreichen. Ein weiterer Grund für die Stromlinienform waren die Strassenverhältnisse der damaligen Zeit. Die meisten Strassen waren Schotter- oder Staubpisten. Diese nicht selten unebenen Strassen limitierten nicht nur die Geschwindigkeit, sondern führ ten bei jedem vorbeifahrenden Automobil zu beträchtlichen Staubwolken. Eines der Ziele von Tatra war es, durch Minimierung des Luf twiderstandes die Luf tver wirbelungen an der Karosserie zu verringern und damit auch die Staubplage zu reduzieren. Die Hinterradabdeckungen oder die Unterbodenverschalung der Tatra-Wagen (Bild 1) trugen dazu bei. Edge-Design: Kanten im Wind Bereits in den 1920er- und 1930er-Jahren erkannten die Wissenschaf tler in den Windkanälen, dass ein hohes Fliessheck mit gerader Kante am hinteren Ende der Fahrgastzelle noch bessere Luf twiderstandswer te erbrachte. Doch der Sprung von den geschwungenen, sc hö n e n K a ros se r i e -Ku nst we r ke n zu d e n k a ntig e n Funk tionskisten war dann doch zu gross. Eine breite Käuferschaft akzeptierte diese Grundform des modernen, strömungsoptimier ten Personenwagens erst mit dem VW Golf I von 1974. n


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