Auto umweltliste 2014

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INNOVATION Autobau

Wer hats erfunden ? Auch ohne eigene Autoindustrie ist die Schweiz eine Schrittmacherin auf dem Weg zum « grünen » Auto. Vom Turbolader über Dämmmatten bis zum Akku für E-Autos steckt in fast jedem Neuwagen Schweizer Umwelttechnik – Innovation hat bei uns Tradition.

E

in Artikel über den Schweizer Beitrag zur Autowelt kann eigentlich nur mit einer Marke beginnen: Chevrolet. Anno 1911 gründete der Auswanderer Louis Chevrolet (1878 bis 1941) aus LaChaux-de-Fonds in Amerika die heute zu General Motors (GM) gehörende Marke. Natürlich ­ kann man deshalb Umweltinnovationen von «Chevy» nicht der Schweiz zuschlagen. Aber doch weht mit jedem Chevrolet Volt (erster Serienstromer mit Benziner als Stromerzeuger) ein Hauch Schweizer Autogeschichte. Schade eigentlich, zieht sich ­Chevrolet Ende 2015 aus Europa zurück, um nicht weiter GMSchwester Opel zu konkurrenzieren. Zum Trost kann man den technisch identischen Volt-Bruder Opel Ampera kaufen und sich darauf berufen, dass Opel bis 1975 in Biel Autos montierte.

Autotradition lebt weiter Oder einfach irgendein Auto kaufen – denn der Schweizer Beitrag zum Auto führt dazu, dass heute in quasi jedem Neuwagen ein Stück Schweizer Erfindergeist steckt. Vor allem dann, wenn Hightech Autos sparsamer macht. Zwar sind jene Zeiten vorbei, in denen bei uns Fahrzeuge in gros­ ser Serie gebaut wurden: Der bis heute erfolgreichste Schweizer Per­sonenwagen-Hersteller, Martini aus Frauenfeld, ging bereits 1934 ein. Bei den Nutzfahrzeugen baute Saurer im thurgauischen Ar­bon in den Achtzigern seine letzten Lastwagen. Doch so, wie ein Teil von Saurer bis heute als ­einer der grössten Textilmaschinenhersteller der Welt weiter exis52

tiert, lebt das Entwicklungszen­ trum der Marke als Motorenforschungszentrum (FPT) der FiatGruppe aktiver weiter denn je.

Dieselzukunft aus Arbon Am Bodensee entstand und entsteht, was Autos effizienter macht. Noch unter Saurer-Regie wurde 1934 Dieseldirekteinspritzung patentiert: ein Riesenschritt zur effizienteren Verbrennung. Basierend auf Forschungen der ETH Zürich entwickelten die Ingenieu­re Jahrzehnte später die sogenannte Common-Rail-Dieseldirekteinspritzung, die dank sehr hohem Druck unter anderem die Partikel­ emissionen deutlich zu reduzieren hilft. Das am Ende von Bosch erworbene und zur Serienreife entwickelte System war ab 1997 erstmals bei Alfa Romeo zu kaufen und ist heute der unumstrittene Standard bei Dieselmotoren. Ebenfalls längst Dieselstandard und zum Spritsparen heute zunehmend bei Benzinern populär ist die Turboaufladung – eine Schweizer Erfindung! Die Lorbeeren gebühren dem Winter­thurer Alfred Büchi (1879 bis 1959). Der Ingenieur patentierte 1905 die Idee, durch einen Verdichter den Luftdurchsatz des Motors zu erhöhen. Während der Ruhm für die ersten Turbobenziner- und TurbodieselPersonenwagen an Alfa und Oldsmobile beziehungsweise an Mer­ cedes ging, erntete jenen des ersten Turbodiesels in einem Strassenfahrzeug 1938 erneut Saurer. Heute ist der Turbo entgegen dem Vorurteil «Turbo läuft, Turbo säuft» zur Verbrauchsreduktion nicht mehr wegzudenken. Dieselmotoren wurden erst durch ihn

zur Alternative zum Benziner, weil sie ihre Sparsamkeit nicht mehr mit Lethargie erkauften. Bei den Benzinern dient er dem «Down­ sizing»: Hubraum wird durch Turbo­aufladung ersetzt, was kleinere, leichtere und sparsamere Motoren ermöglicht. Zwar trägt das «Down­sizing» auch die Verantwortung für die in den letzten Jahren zunehmende Diskrepanz zwischen Werksangabe und Alltagsverbrauch, weil Turbomotoren auf dem Verbrauchsprüfstand kaum, im Alltag jedoch häufig im Arbeitsbereich des Laders bewegt werden. Unter dem Strich aber ist das Einsparpotenzial des Turbos für künftige Verbrennungsmotoren unverzichtbar.

Entwicklungslabor der Welt Das Streben nach Hightech ist für die Autoindustrie kein Selbstzweck. Die zunehmend verschärf­ te CO2-Gesetzgebung (Europa ma­ximal 130 g/km bis 2015 und maximal 95 g/km bis 2021) verlangt nach entsprechend tiefen Verbrauchswerten, wollen die Hersteller keine Bussen riskieren. Gerade in der Schweiz profitieren davon heute die Zulieferer der Autoindustrie. Eigentlich verblüffend, weil sonst in der stark globalisierten Autowelt jeder Rappen zählt, um die Boommärkte – Schwellenländer wie Brasilien, China oder Indien – zu erobern. Zwar kann das Hochlohnland Schweiz nicht bei der Billigproduktion, aber eben dann mehr als mithalten, wenn Erfindergeist, Präzision, Qualität und Hightech im Fokus stehen. Wir sind eines der Entwicklungslabore der Autowelt. Eine Nische? Von wegen:

­ emeinsam erwirtschaften über G 300 Schweizer Autozulieferer mit 25 000 hiesigen Mitarbeitenden neun Milliarden Franken Umsatz. Damit ist die kaum wahrgenommene Schweizer Autoindustrie noch immer etwa halb so stark wie die berühmte Uhrenindustrie. Dies, obwohl letztere starke Boomjahre hinter sich hat, derweil die europäische Autoabsatzkrise von den – noch vor wenigen Jahren fast ebenso starken – Schweizer Autozulieferern Umsatz- und Arbeitsplatzopfer gefordert hat, zum Beispiel durch Stellenverlegung ins Ausland. Doch jüngst geht es nun wieder bergauf.

Keine Träume, aber Visionen Typisch für die Schweiz sind jene «Hidden Champions», von denen Otto Normalautofahrer noch nie gehört hat, die aber in ihrer Nische ganz vorne mitspielen. Wer etwa irgendwo auf dieser Welt in einem «Cobus» vom Flughafenterminal zum Flugzeug chauffiert wird, sitzt ebenso in einem Produkt der Carrosserie Hess AG aus dem solothurnischen Bellach wie in den meisten Fällen jener, der einen Trolleybus nutzt – etwa den Niederflur-Doppelgelenktrolleybus mit Hybridantrieb. Die Liste liesse sich beliebig erweitern: Im beschaulichen Turbenthal (ZH) ist Suter Racing von Eskil Suter ansässig – einer der weltweit führenden Renntöffhersteller, aber auch Auftragsentwickler für gros­ ­se Automarken und in Sachen Umwelttechnik aktiv. In Sennwald (SG) arbeiten Schrittmacher der Elektroauto-Zukunft: Sind nicht die billigsten, sondern besten Komponenten gefragt, werAUTO-UMWELTLISTE 2014


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