UZH Magazin 3/19

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Epigenetik

Einflussreiche Chemie Der Begriff Epigenetik ist vom griechischen Wort epigenesis abgeleitet und bezeichnete die Bildung neuer Strukturen im Verlauf der Entwicklung eines Lebewesens. Die Vor­silbe epi- bedeutet «auf», «darüber» und kenn­zeichnet ein zusätzliches Element zur Genetik. Vor allem Entwicklungsbiologen wie der berühmte Zoologe Ernst Hadorn von der UZH (1902 – 1976) oder der Engländer Conrad C. Waddington (1905 – 1975) beschäftigten sich mit dem Thema. Waddington steht am Anfang eines modernen Verständnisses der Epigenetik, die sich mit der Aktivierung von Genen, der Genexpression, ­beschäftigt. Epigenetische Modifikationen beeinflussen den Organismus – den Phänotyp – ohne die darunter­lie­genden Gene, das heisst ihre DNASequenz, zu verändern. Stattdessen bestimmen epigenetische Markierungen, ob ein Gen abgelesen und damit exprimiert wird oder eben nicht. Wie man unterdessen weiss, funktioniert die Aktivierung von Genen durch einfache chemische Verbindungen (Methylguppen), die an ihre Bausteine – die Nukleotide – angehängt werden. Ihre Entfernung deaktiviert das Gen. Ein zweiter epigenetischer Mechanismus wirkt an Trägermolekülen der DNA, die an die Erbsubstanz DNA binden, den so genannten Histonen. Durch die Bindung verschiedener Moleküle an die Histone lässt sich die Genexpression ebenfalls steuern. Mit diesen ausgeklügelten Mechanismen steuert die Epigenetik die Genaktivität der DNA im Zellkern. Sie beeinflusst den Genaufbau, der durch die Abfolge der Nukleotide bestimmt ist, nicht. Umwelteinflüsse können epigenetische Aktivierungs­ muster verändern. Inwieweit sie vererbt werden, ist je nach Organismus unterschiedlich.

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führte das missglückte Experiment doch noch zu wichtigen Erkenntnissen. Es zeigte, dass die Umwelt Gen­akti­vi­täten direkt beeinflussen und die Nukleo­ tide verändern kann. Man schien einem Mecha­ nismus auf der Spur, der an umstrittene Theorien von Jean Baptiste de Lamarck (1744 – 1829) erinner­ te. Sie besagten, dass erworbene Eigenschaften weitervererbt werden können. So entwickelte sich zum Beispiel der lange Giraffenhals laut Lamarck dank Tieren, die sich in die Höhe streckten und diese Fähigkeit weitervererbten. Darwin hat eine derartig gerichtete Anpassung widerlegt. Neue Eigenschaften werden gemäss der Evolutionsthe­ orie aufgrund zufälliger Mutationen und Selektion durch die Umwelt herausgebildet – der Fitteste überlebt.

Stress vererben? Nach dem Petunien-Experiment gingen Forscher nun wieder der Frage nach, wie Umweltbedingun­ gen die genetische Maschinerie direkt verändern konnten – ein scheinbarer Widerspruch zu Darwin. Sie konnten zeigen, dass in der Erbsubstanz DNA niedergeschriebenen Gene durch chemische Modi­ fi­ka­tionen stillgelegt oder aktiviert werden. Ver­ antwortlich dafür sind aus einem Kohlenstoff- und drei Wasserstoffatomen bestehende Methylgruppen, die an ein bestimmtes Nukleotid angehängt oder von diesem entfernt werden. Nun setzte eine fieberhafte Suche nach der Bedeutung epigenetischer Veränderungen ein. Im Zentrum standen grundlegende biologische Ent­ wicklungsvorgänge, aber auch die Frage, inwieweit Krankheiten epigenetische Ursachen haben. Tat­ sächlich finden sich bei vielen Leiden epigenetische Veränderungen: Bei Krebs können Zellen aufgrund stillgelegter Gene zu wuchern beginnen. Gesichert ist auch, dass äussere Einflüsse wie die Ernährung, Stress oder Infektionen epigenetische Veränderun­ gen auslösen. Sogar traumatische Erlebnisse ver­ ändern den epigenetischen Status von Stressgenen. Kontrovers diskutiert wird dagegen ihre Rolle bei der Vererbung: «Alles dreht sich um die Frage, ob


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