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Nebenwirkungen. Erst mit der Entdeckung des Antibiotikums Penicillin fand die 450-jährige Suche nach einem wirksamen Medikament ein glückliches Ende. Mit Penicillin war Syphilis – wenn recht­zeitig entdeckt – restlos zu besiegen, und Resistenzen gegen das Wundermittel hat der Syphilis-Erreger bis anhin glücklicherweise noch keine entwickelt. Doch: «Wenn rechtzeitig entdeckt» – genau hier liegt das Problem, auch heute noch. Denn erstens ist Syphilis von Auge kaum zweifelsfrei zu diagnostizieren, und zweitens lässt sich das Bakterium, das für die Krankheit verantwortlich ist, nicht direkt nachweisen, weil es im Unterschied zu vielen anderen Erregern im Labor nicht kultiviert werden kann. Züchten lässt sich das störrische Bakterium einzig im Hoden eines lebenden Kaninchens. «Diese Erkenntnis hat man früher diagnostisch genutzt», erklärt Bosshard. «Heute macht man das nur noch, wenn man zu Forschungszwecken grössere Mengen des Erregers braucht.» Als einzige Diagnosemethode bleibt also der indirekte Antikörper-Nachweis, wie ihn August von Wassermann 1906 schon entdeckt hatte. Allerdings: Das Zürcher Universitätsspital hat mittlerweile einen neuen Weg gefunden. Den Forschern um Philipp Bosshard ist es gelungen, einen DNA-Nachweis zu etablieren. Damit lassen sich jene Bakterien identifizieren, welche die kleinen Geschwüre an Patienten der ersten Krankheitsphase bevölkern. Der neue Test funktioniert und ist anwendungsreif. «Der Vorteil ist, dass er sehr schnell geht. Nach 24 bis 48 Stunden ist der Nachweis erbracht», sagt Bosshard. «Der Nachteil ist, dass dieser Test teurer ist als herkömmliche Methoden.»

Neue Kondom-Müdigkeit Bosshards Labor diagnostiziert wöchentlich zwei bis vier neue Syphilis-Fälle. Das sind mehr als zehn Prozent aller Fälle in der Schweiz. Nach der Entdeckung des Penicillins war die Fallzahl schlag­artig zurückgegangen, und als Folge der Massnahmen gegen die Ausbreitung von HIV gingen die An­ steckun­gen weiter zurück. In den 1970er- und 1980er-Jahren sprach niemand mehr von Syphilis, die Krankheit war vergessen. Doch seit der Jahrtausendwende nimmt die Fallzahl wieder zu, und zwar markant. 2006 waren es schweizweit etwa 600 Ansteckungen, 2013 schon fast das Doppelte. Für das Comeback der Krankheit sieht ­Philipp Bosshard drei Gründe. Erstens habe HIV dank der heutigen Therapiemöglichkeiten seinen Schrecken verloren, «es ist kein Todesurteil mehr». Dadurch sei man beim Geschlechtsverkehr wieder nach­ lässiger geworden – man nennt das Kondom-Müdigkeit. Dafür spricht auch, dass Gonorrhoe-An-

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steckungen und Chlamydien-Infektionen ebenfalls zugenommen haben. Zweitens sei vielen nicht bewusst, dass Syphilis nicht nur durch «normalen» Geschlechtsverkehr, sondern auch durch analen und oralen Sex übertragen werde, man sich also auch dabei schützen müsse. Und drittens sieht Bosshard in den vielen neuen Dating-Plattformen im Internet eine gewisse Gefahr. Gerade Apps wie etwa Grindr, die homo- und bisexuellen Männern auf einfache Art Kontaktmöglichkeiten anbieten, können die Verbreitung sexuell übertragbarer Krankheiten fördern. Rund die Hälfte aller Syphilis-Ansteckungen sind denn auch bei männlichen Homosexuellen zu finden. Was tun? «Sich schützen, wie damals in Zeiten von Aids», sagt Philipp Bosshard. Helfen können auch Aufklärungskampagnen wie die Love-Life-Aktion des Bundesamts für Gesundheit sowie regelmässige Tests bei homosexuellen HIV-Patienten.

Grausliche Syphilis-Studie Seit 2006 gilt für Syphilis-Ansteckungen wieder die nationale Meldepflicht, nachdem diese aufgrund der rückläufigen Fallzahlen aufgehoben worden war. Die Bemühungen scheinen zu fruchten: 2018 ist die Kurve der Syphilis-Fälle in der Schweiz erstmals leicht abgeflacht; es wurden weniger Ansteckungen verzeichnet als im Vorjahr. Dennoch bleibt Philipp Bosshard am Ball. «Besonders bei der Diagnose besteht noch Verbesserungsbedarf», sagt der Laborleiter. «Syphilis ist diagnostisch extrem knifflig. Genau das macht meine Arbeit so interessant.» Und mit Schaudern erinnert Bosshard an einen der grössten Skandale der Medizingeschichte, bei dem es unter anderem auch um das Problem der kniffligen Syphilis-Diagnose ging. In Tuskegee, einer Kleinstadt im US-Bundesstaat Alabama, wurden von 1932 bis 1972 rund 400 schwarze und bildungsferne Einwohner mit einer Syphilis-Ansteckung bewusst nicht therapiert, damit Mediziner die Spätfolgen der Krankheit beobachten konnten. Die ahnungslosen Opfer der Studie vertröstete man mit der Diagnose, sie hätten «only bad blood». Die Studie wurde selbst dann fortgesetzt, als Penicillin als wirksames Mittel gegen Syphilis auf den Markt kam. Und sie nahm erst ein Ende, als erstmals Informationen durchsickerten – nach sage und schreibe 40 Jahren. Michael T. Ganz ist freier Journalist. KONTAKT: PD Dr. Philipp Bosshard, philipp.bosshard@usz.ch


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