UZH Magazin 1/18

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SCHLUSSPUNKT  von Simona Ryser

Die Flut im Kopf

N

eulich hatte ich einen Traum. Ich herum das weite Meer, das blaue Wasser. Ich hatte ihn wohl spät in der Nacht, konnte es fühlen, ich war es, die im Wasser war. vielleicht graute schon der Morgen. Ich schnorchelte, unter mir sah ich einen Seestern, Es war einer jener Träume, die einen in der Ferne, hinter dem Horizont, das Flüchtübermannen, wenn man frühmorgens, bevor der lingsboot. Die Bilder füllten jetzt jede Zelle und Wecker klingelt, im Halbschlaf bleischwer im Bett Faser in meinem Kopf aus. Es waren zu viele, liegt. Es kann sein, dass von weitem die Radio- brennende Häuser, Versammlungen und Reden, nachrichten zu mir drangen. Sicher hatte ich ein Abstimmungslokale und lange Gesichter. Als dämmriges Bewusstsein. Mein Kopf fühlte sich wäre mein Kopf ein Fernseher, der automatisch schwer an und gross, eigenartig gross, etwas auf- vor sich hin zappte und ständig den Sender wechgeblasen vielleicht. Bilder tauchten auf, sie ver- selte. Ich versuchte, meine Augen zu öffnen. Aber sammelten sich, Bruchstücke trafen aufeinander es waren nicht die Augen. Dieser Strom der Bilder und häuften sich an, das verzerrte Gesicht von erfasste meinen ganzen Körper. Er machte eine Donald Trump, er war wohl zu einem Gipfel Schwere in mir. Eine Flut, das Wasser stieg. angereist. Eine Fratze, einen verzogenen Mund Ich hätte jetzt gerne den Fernseher abgestellt und nachgedacht, sortiert und geordnet. Doch sah ich, der «America first» schrie. Dann kam einer auf mich zu, gebückt und mit mein Kopf war wie eine Wasserblase. Ich lag ausgestreckter, zittriger Hand, das musste in Zü- schwer und ohnmächtig und fassungslos im Bett. rich am Bahnhof sein. Es war der Mann, den ich Die Worte waren Bilder, sie durchfluteten Kopf seit Jahren immer wieder getroffen hatte, über und Körper. Das Wasser stieg an, die Flut riss die Jahre war er immer krummer und schiefer alles mit sich. Trumps Haartoupet floss vorbei, geworden. Ich kramte in den Taschen nach Klein- Merkels bitteres Lächeln, die sieben Bundesräte geld, dann plötzlich kam eine Lawine auf mich sassen wie eine geschnitzte Miniatur in einem zu, es war ein Berg, ein Bergsturz, vielleicht war kleinen Holzschiff, die Münzen des Bettlers sanes auch eine Schneelawine, gerade neulich war ken ab, ein paar Pillen, Drogen oder Medikamendoch eine ins Tal gedonnert, ein Bergdorf war te schwammen davon und lösten sich im Wasser darunter verschwunden. Vielleicht war Trump auf, dann trieben Schwimmwesten vorüber, ein zum Klimagipfel gereist, ein Sturm brach aus, der Pappkarton, eine Möwe trug ein Stück Brot weg, Gipfel wurde abgesagt. ein Blässhuhn riss an einem Papier, ein paar anIch schloss die Augen, aber ich schlief ja, ich dere Enten kamen dazu. Sie stritten sich um das hatte die Augen schon geschlossen, also schloss Stück zähes Papier, als wäre es Nahrung. Es war ich die geschlossenen Augen. Es ist nur ein Traum, Geld, aufgeweichte Dollars, unzerstörbare Fransagte ich mir im Traum und wusste, dass es kein ken, ein Hecht schnappte zu und riss das Geld in Traum war. Die Bilder drängten, sie drängten sich den Abgrund. mir auf, sie häuften sich an. Ich sah Menschen, die Dann läutete der Wecker. Endlich Zeit, um über Zäune kletterten, manche verletzten sich, aufzustehen. manche schafften es nicht. Ich sah Schlauchboote, Simona Ryser ist Autorin und Sängerin. Im «Schlusspunkt» sie waren überfüllt. Menschen drängten sich an- setzt sie sich jeweils literarisch mit dem Dossierthema des einander, einige trugen orange Westen. Drum UZH Magazins auseinander.

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Illustration: Gerda Tobler


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