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Dossier: DNA

Das Alphabet des Lebens

Alle Lebewesen tragen ihre Erbinformation in der DNA im Kern jeder Zelle. Sie enthält die Gene, die Menschen, Tiere oder Pflanzen zu dem formen, was sie sind. Zusammen bilden die Gene das Erbgut oder Genom.

Text: Helga Kessler Bild: Nadja Stadelmann

Zellkern

Chromosom 2 nm

DNA-Doppelhelix

Chromatid

Chromatidfaden Nukleosom

Z Zucker (Desoxyribose) P Phosphorsäure H Wassersto brückenbindung

Basen: A Adenin T Thymin G Guanin C Cytosin P Z P

Z

T Z

C

H

G H

A Nukleotid

P Z

A

H

T

Z

P

Z P G

H

C

Z

3.4 nm P Z

Histonmoleküle

Die Abkürzung DNA steht für den englischen Begriff Desoxyribonucleic Acid, auf Deutsch Desoxyribonukleinsäure (DNS). Einen Abschnitt auf der DNA, der unterschiedlich lang sein kann, bezeichnet man als Gen. Ein Gen dient meist als Bauplan für ein Eiweiss, das dann bestimmte Merkmale ausmacht, zum Beispiel die Blutgruppe. Oft sind an einem Merkmal mehrere Gene beteiligt, etwa bei der Farbe der Haare, der Augen und der Haut. Der kleinste Baustein der DNA ist ein Nukleotid. Es besteht aus einem Zucker (Desoxyribose), einer Base (Nukleobase) und einer Säure (Phosphat). Es gibt vier unterschiedliche Basen, die sich jeweils zu Paaren anordnen. Die Base Adenin (A) paart sich mit Thymin (T), Guanin (G) mit Cytosin (C). Die Abfolge der «Buchstaben» ergibt den genetischen Code, quasi das Alphabet des Lebens. Das grösste menschliche Gen zählt 2.5 Millionen Basenpaare – es liefert die Vorlage für das Eiweiss Dystrophin, das für die Muskelfunktion notwendig ist.

Durch die Paarung der vier Basen entsteht ein DNA-Doppelstrang, eine Art Leiter, die schraubenförmig in sich gedreht ist. Die DNA-Fäden knäueln sich im Zellkern von höheren Lebewesen zu Chromosomen zusammen. Beim Menschen hat jeder Zellkern 46 Chromosomen, die jeweils zur Hälfte von Vater und Mutter stammen. Bei der Vererbung wird die DNA neu gemischt. Die in Ei- und Samenzelle enthaltene Erbinformation fliesst jeweils zur Hälfte ein. Da- durch entsteht ein neues Lebewesen, dessen Zellen nun einen eigenen genetischen Code enthalten.

Teilen sich Zellen, um alte Zellen zu ersetzen, muss die DNA kopiert werden. Dabei können Fehler passieren, die zu Veränderungen der Gene führen. Neben Ablesefehlern können auch Strahlung, Schadstoffe und manche Viren sogenannte Mutationen auslösen. Bei Krebs führen sie dazu, dass sich die Zellen unkontrolliert vermehren – die fehlerhafte Erbinformation findet sich dann in den Tumorzellen. In seltenen Fällen wird die Veranlagung für Krebs an die Kinder vererbt und ist dann in allen Körperzellen vorhanden. Die betroffenen Gene beinhalten meist Informationen für Eiweisse, die die Zellteilung kontrollieren oder Schäden an der DNA reparieren. Mithilfe von Gentests lässt sich das Risiko für manche erblichen Krebserkrankungen erkennen. Selbst wenn man mit einer solchen Genmutation geboren wird, bedeutet das nicht, dass man letztlich auch an Krebs erkrankt.

Genanalysen bei Embryonen

Bei vererbbaren Krankheiten oder nach Fehlgeburten kann ein Gentest des Embryos die Chancen auf ein gesundes Kind verbessern.

Text: Martina Pletscher Bilder: Babett Ehrt (Lichtbildwerkstatt)

Die Möglichkeit, Embryonen gezielt auf genetische Veränderungen zu untersuchen, bevor sie in die Gebärmutter der Frau übertragen werden, steht seit den 1990er-Jahren zur Verfügung. «Die ‹Designerbabys›, die viele damit verbinden, gibt es nicht», stellt Brigitte Leeners, Direktorin der Klinik für Reproduktions-Endokrinologie am USZ aber gleich klar. Vielmehr erhöht die Präimplantationsdiagnostik (PID) für viele Paare die Chance auf ein nicht betroffenes Kind.

Die PID ist eine Kombination modernster Verfahren der Fortpflanzungsmedizin mit den neuesten Methoden der genetischen Diagnostik. Dabei wird ein Embryo vor der Übertragung in die Gebärmutter gezielt auf genetische Veränderungen untersucht. Dafür werden im Labor der Klinik für Reproduktions-Endokrinologie nach einer künstlichen Befruchtung, bei der ein einzelnes Spermium direkt in die entnommene Eizelle eingesetzt wurde, aus den dabei entstandenen Embryonen am fünften oder sechsten Entwicklungstag (Blastozysten-Stadium) vorsichtig einige Zellen entnommen. Die Blastozysten werden darauf eingefroren, bis das Resultat der genetischen Untersuchung bekannt ist. Untersucht werden die entnommenen Zellen dann von spezialisierten Genetikerinnen und Genetikern der Universität Zürich. Mit verschiedenen Verfahren werden beispielsweise Abschnitte der DNA aus den Embryonen mit DNASequenzen abgeglichen, die für bestimmte Krankheiten bekannt sind. Auffälligkeiten wie Bruchstellen und Abweichungen in der Struktur oder in der Zahl der Chromosomen deuten auf Schädigungen hin oder sind ein klarer Nachweis dafür. Sobald das Ergebnis vorliegt, werden mit dem Paar die weiteren Schritte geplant. Unter anderem wird die Gebärmutterschleimhaut mit Hormontabletten so vorbereitet, dass der Embryo ideale Bedingungen für die Einnistung hat.

Min Xie, Leiterin des Kinderwunschlabors der Klinik für Reproduktions-Endokrinologie, führt eine ICSI (Intrazytoplasmatische Spermieninjektion) durch.

PID ist streng geregelt

Mithilfe der PID kann die Übertragung schwerster, familiär gehäufter, genetischer Erkrankungen vermieden, die Chancen auf eine Schwangerschaft verbessert und das Risiko für eine Fehlgeburt gesenkt werden. Die Paare, die die Klinik für eine Beratung aufsuchen, kommen denn auch vor diesem Hintergrund.

Bei der Mehrzahl dieser Paare ist bekannt, dass in der Familie gehäuft genetisch bedingte Erkrankungen auftreten. Sie wollen mittels PID die Übertragung dieser Krankheit auf ein Kind vermeiden. Bei anderen Paaren sind wiederholte Fehlgeburten der Anlass, mithilfe einer PID den Grund dafür herauszufinden und damit die Aussicht auf eine Schwangerschaft und die Erfüllung ihres Kinderwunsches zu verbessern.

«Die genetische Untersuchung richtet sich an der medizinischen Situation des Paares aus», erklärt Brigitte Leeners. «Ist keine Ursache bekannt, weshalb es mit der Schwangerschaft nicht klappt, wird der Embryo auf die häufigsten Auffälligkeiten und Erkrankungen untersucht, um durch eine Auswahl genetisch unauffälliger Embryonen das Risiko einer Fehlgeburt zu reduzieren. Ist eine bestimmte genetische Erkrankung bekannt, wird gezielt nur nach dieser gesucht, oder in Kombination mit den häufigsten Auffälligkeiten.»

Der erste Schritt sind jedoch gründliche Abklärungen und eine umfassende Beratung der Paare. Die Erfolgsaussichten, Risiken und Grenzen der PID werden dabei klar benannt. In der Schweiz ist die PID zudem streng geregelt. Jeder einzelne Fall muss individuell daraufhin geprüft werden, ob diese Diagnostik medizinisch sinnvoll ist und gemäss den Vorgaben des Fortpflanzungsmedizingesetzes durchgeführt werden darf. Am USZ wird jeder Fall in einem interdisziplinären PIDBoard besprochen. Eine PID nur auf Wunsch des Paares ist in der Schweiz nur zugelassen, um chromosomale Auffälligkeiten zu testen, jedoch nicht, um auf spezifische Erbkrankheiten zu testen.

Keine absolute Sicherheit

«Wenn wir die PID zur Vermeidung der Übertragung schwerster, familiär bekannter, genetischer Erkrankungen einsetzen, überweisen wir die Paare im Rahmen der Vorbereitung zu einer

genetischen Abklärung und Beratung.» Der Entscheid für eine PID bringt auch eine enorme psychische Belastung mit sich, weiss Brigitte Leeners aus Erfahrung. Es ist deshalb

Den Embryonen werden für die Untersuchung wenige Zellen entnommen.

«Die Paare wünschen sich nicht ein perfektes Kind.»

Brigitte Leeners,

Direktorin der Klinik für Reproduktions-Endokrinologie wichtig, dass sich die Paare intensiv damit auseinandersetzen. Dafür wird auch ein psychologisches Coaching angeboten und empfohlen, das zur Entlastung beitragen kann. Besonders wichtig ist es, dass die Paare sich schon vorab mit der Therapie auseinandersetzen und wie sie mit dem Resultat der Untersuchung umgehen wollen. Ist der Embryo betroffen, wird er in der Regel nicht transferiert. Über den Transfer der nicht betroffenen Embryonen entscheiden die werdenden Eltern. Möglich ist aber auch, dass es Auffälligkeiten und Störungen gibt und der Embryo nur teils betroffen ist. Ob er dann eingesetzt wird, entscheidet ebenfalls das Paar. Wie viele Behandlungen durchgeführt werden, entscheidet das Behandlungsteam zusammen mit dem Paar. Jedoch werden nur die Abklärungskosten von den Krankenkassen übernommen.

Zu den Grenzen der Präimplantationsdiagnostik gehört auch, dass trotz modernster und sorgfältigster Analysen die Tests nie eine absolute Sicherheit geben können. «Eine 100ProzentSicherheit gibt es dabei nicht», hält Brigitte Leeners fest. «Wir empfehlen den Paaren deshalb, nach Eintritt einer Schwangerschaft das Resultat der PID mit einer entsprechenden Untersuchung bestätigen zu lassen.»

Wenn das Erbgut krank macht

Erbkrankheiten beruhen auf Mutationen am Erbgut und können an Nachkommen weitergegeben werden, ohne dass die Eltern selbst erkrankt sind. Die häufigste Erbkrankheit in Europa ist die Stoffwechselstörung Cystische Fibrose. In der Schweiz sind rund 1’000 Menschen davon betroffen.

Text: Jolanda van de Graaf Bilder: Partner & Partner, Nicolas Zonvi

Pflegefachexperte CF Thomas Kurowski führt einen Lungenfunktionstest bei einer CF-Patientin durch.

Erbkrankheiten können durch eine oder mehrere Mutationen des Erbguts entstehen. Müssen sie aber nicht. Nicht selten tritt die Erbkrankheit bei Trägern einer Genveränderung oder deren Nachkommen gar nicht in Erscheinung. Grund dafür sind unterschiedliche Vererbungs, Wiederholungs und Erkrankungswahrscheinlichkeiten. So kann das krankmachende «Erbe» je nach Konstellation über mehrere Generationen verborgen bleiben. Kommt hinzu, dass es Mutationen gibt, die an das Geschlechtschromosom gebunden sind, entsprechend nur bei Männern oder Frauen auftreten.

Angeborene Gendefekte können zu einem Funktionsverlust führen, sich in einem fehlregulierten Gewebewachstum zeigen, bestimmte Stoffwechselreaktionen stören oder gewisse Zelltypen zugrunde gehen lassen. In der Regel sind Erbkrankheiten nicht heilbar. Bei gewissen Störungen kann jedoch der Krankheitsverlauf durch Medikamente und ein breites Therapieangebot verlangsamt werden.

Genetische Sprechstunde schafft Klarheit

Bei Fragen zu möglichen Erbkrankheiten in der Verwandtschaft oder beim Bedürfnis von Paaren, vor der Familienplanung die Trägerschaft einer Erbkrankheit auszuschliessen, schafft ein Besuch in der Genetischen Sprechstunde am Universitätsspital Zürich Klarheit. Mittels Gentests werden die Chromosomen auf zahlenmässige und strukturelle Veränderungen überprüft. Bei einer genetisch bedingten Erkrankung oder Trägerschaft werden in der Sprechstunde der Krankheitsverlauf, allfällige Vorsorgemassnahmen oder besondere Behandlungsstrategien sowie das Vererbungsmuster und das Wiederholungsrisiko erläutert.

Auf Erbkrankheiten fokussieren auch verschiedene Forschungsprojekte, die von der USZ Foundation unterstützt werden. Im Fall der Prionenkrankheit, einer fortschreitenden, degenerativen und bislang tödlich verlaufenden Erkrankung des Gehirns, suchen Forschende nach den verantwortlichen Genen, um damit eine Grundlage für die Entwicklung von Medikamenten zu schaffen. Ein weiteres Forschungsteam untersucht genetisch bedingte Augenerkran

Autosomal-dominanter Erbgang

betroffener Vater unbetroffene Mutter

betroffen unbetroffen

betroffenes Kind unbetroffenes Kind unbetroffenes Kind

Autosomal-rezessiver Erbgang

betroffenes Kind

TrägerVater TrägerMutter

Träger

unbetroffenes Kind Träger-Kind Träger-Kind betroffenes Kind

Beim dominanten Erbgang sind mehr Kinder betroffen als beim rezessiven. Unterschieden wird zwischen autosomalrezessiven, -dominanten, gonosomalen und mitochondrialen Erbgängen. Bei einer weiteren Form, den multifaktoriellen Krankheiten, stellt sich die Krankheit erst im Laufe des Lebens ein. Gonosomen sind die beiden Geschlechtschromosomen X und Y. Alle anderen Chromosomen heissen Autosomen.

Autosomal-dominante Erbgänge Geschlechterunabhängig. Kommt in jeder Generation vor. Ein verändertes Allel, eines von zwei einander entsprechenden Genen homologer Chromosomen, führt zur Merkmalsausprägung. Beispiele: Achondroplasie (Kleinwuchs), Retinoblastom (Netzhauttumor), Polydaktylie (Mehrfingrigkeit).

Autosomal-rezessive Erbgänge Geschlechterunabhängig. Kann Generationen überspringen. Damit die Krankheit ausbricht, muss die Genmutation auf beiden Chromosomen vorkommen. Meistens handelt es sich um eine Funktionsverlustmutation. Beispiele: Cystische Fibrose, Lippen-Kiefer-Gaumenspalte, Albinismus.

Andere Erbgänge Bei gonosomalen Erbgängen betreffen die Veränderungen die Geschlechtschromosomen X und Y. Ist das Erbgut in der Zelle intakt, liegen aber Fehler in der DNA der Mitochondrien vor, spricht man von mitochondrialen Erbgängen.

kungen. Denn je genauer die Mutation bekannt ist, desto klarer können die Auswirkungen auf die Augen eingegrenzt und zielgerichteter schon im Kindesalter behandelt werden.

Bekannt und verbreitet

Zu den bekanntesten Erbkrankheiten gehört die Farbenblindheit (Achromasie). Betroffene nehmen Farben nicht oder nur eingeschränkt (Di-/Monochrasie) wahr. Darum sind sie von gewissen Berufen ausgeschlossen – Pilot, Lokomotivführerin, Autolackierer, Druckbereich, Elektrotechnik. Auf die Bewältigung des Alltags hat diese Krankheit indes nur wenig Einfluss. Rund acht Prozent aller Männer haben eine angeborene Farbsinnstörung. Bei den Frauen sind es lediglich 0.4 Prozent.

Bei der Bluterkrankheit (Hämophilie) handelt es sich um eine vererbte und unheilbare Störung der Blutgerinnung. Dank moderner Therapien können Bluterkranke allerdings ein weitgehend normales Leben führen. Von 10’000 Männern erkranken zwei an einer Hämophilie. Frauen sind praktisch nicht betroffen.

Der Kleinwuchs (Achondroplasie) ist eine zwar bekannte, aber seltene Erbkrankheit. Bei Betroffenen ist das Längenwachstum der Röhrenknochen beeinträchtigt. Oberarm- und Oberschenkelknochen sind bei dieser genetisch bedingten Wachstumsstörung verkürzt. Die Knochen sind aber normal dick, und der Rumpf ist nahezu normal lang. Auf 20’000 Geburten tritt ein Fall von Achondroplasie auf.

Weit häufiger, mit einem Fall auf 700 Geburten, wird ein Kind mit Down-Syndrom (Trisomie 21) geboren. Dabei handelt es sich eigentlich nicht um eine Krankheit, sondern um eine chromosomale Anomalie. Das Chromosom 21 liegt nicht zwei Mal, sondern drei Mal vor. Betroffene

haben somit über 47 statt 46 Chromosomen. Unterschiedlich starke körperliche Fehlbildungen sowie geistige Einschränkungen gehen mit Trisomie 21 einher. Je nach Einzelfall und individueller Förderung können diese Menschen aber ein weitgehend normales Leben führen. In der Schweiz kommen pro Jahr rund 120 Kinder mit DownSyndrom zur Welt.

Cystische Fibrose – nicht geläufig, aber häufig

In Europa am weitesten verbreitet ist die Stoffwechselerkrankung Cystische Fibrose (CF), auch Mukoviszidose genannt. Wegen eines defekten Gens funktionieren bei Betroffenen die schleimbildenden Zellen nicht richtig. Zähflüssiger Schleim belastet die Organe und kann in der Lunge zu Husten, Besiedlung mit Bakterien und Entzündungen führen. Dabei nimmt die Lunge zunehmend Schaden und das Atemvolumen stetig ab. Weil der Körper verschiedene Nährstoffe (v. a. Fette und fettlösliche Vitamine) nicht aufnehmen kann, ist auch die Verdauung, insbesondere die Bauchspeicheldrüse, die Leber und der MagenDarmTrakt, beeinträchtigt. Zu den Folgen gehören Bauchschmerzen, Durchfall und eine reduzierte Gewichtszunahme.

In der Schweiz leben rund 1’000 CFPatientinnen und Patienten. Geschätzte 320’000 Menschen in der Schweiz sind Träger der defekten Erbsubstanz. Weltweit besitzen rund vier Prozent aller Menschen einen Gendefekt, mit dem sie die Cystische Fibrose vererben können.

Jedes Neugeborene wird getestet

Um Betroffene so früh wie möglich optimal versorgen zu können, werden seit 2011 alle Säuglinge in der Schweiz im Rahmen eines NeugeborenenScreenings unmittelbar nach der Geburt auf Cystische Fibrose untersucht. Durch einen Piks in die Ferse wird dem Baby ein Tropfen Blut entnommen. Ist der Wert des immunreaktiven Trypsins erhöht, wird das Blut auf die häufigsten Genveränderungen untersucht. Bei Verdacht auf Cystische Fibrose kommt der sogenannte Schweisstest zur Anwendung, denn in der Schweisszusammensetzung zeigt sich der Funktionsdefekt. Bei vor dem Jahr 2011 Geborenen kann die Krankheit jedoch lange unentdeckt bleiben.

CF-Zentrum am USZ für 140 Betroffene

Cystische Fibrose verläuft chronisch und fortschreitend. Sie kann nicht geheilt, aber mit Therapiemöglichkeiten sowie medikamentös behandelt werden. Schweizweit 24 CFZentren/Ambulatorien kümmern sich um Patientinnen und Patienten. In Zürich behandelt das Kinderspital die Betroffenen bis zur Volljährigkeit. Danach übernimmt das CFZentrum der Klinik für Pneumologie am Universitätsspital Zürich. «Derzeit betreuen wir rund 140 Patientinnen und Patienten», sagt Thomas Kurowski, Pflegefachexperte CF und Koordinator im CFZentrum am USZ. «Unsere älteste Patientin ist 67 Jahre alt.» In der Schweiz sind mittlerweile rund 50 Prozent der CFPatienten Erwachsene. Pro CFZentrum stehen eine breite ärztliche Betreuung, Ernährungsberatung, Sozialdienst, psychologische Beratung, Physiotherapie und mit dem Koordinator eine weitere, wichtige Anlaufstelle zu Verfügung.

Game-Changer Trikafta

Lag die Lebenserwartung von CFBetroffenen in den 1980erJahren noch bei knapp 20 Jahren, beträgt sie aktuell fast 50 Jahre und steigt von Jahr zu Jahr weiter an. Einen grossen Anteil an dieser Entwicklung dürfte das Medikament Trikafta haben. 1989 identifizierten Forscher den Gendefekt, welcher der Cystischen Fibrose zugrunde liegt. Weitere 15 Jahre verstrichen, bis ein erstes Medikament auf den Markt kam, das genau dort wirkt, wo die Erkrankung entsteht: am CFTRKanal. Mit Trikafta steht nun die vierte Generation von CFTRModulatoren im Einsatz.

Am 1. Januar 2021 erteilte die Schweizerische Arzneimittelbehörde Swissmedic Trikafta die Zulassung für CFBetroffene ab zwölf Jahren. Der Einsatz des Medikaments ist ein voller Erfolg. «Rund 80 Prozent der CFPatientinnen und Patienten sprechen auf Trikafta an. Für sie ist die Einnahme mit einer markanten Verbesserung ihrer Lebensqualität verbunden», bestätigt Macé Schuurmans, der Leiter des CFZentrums am USZ. «Trikafta ist ein regelrechter Game Changer. Es kann die Lungenfunktion um 20 Prozent und mehr verbessern.» Das Medikament hat aber mit monatlich rund 15’000 Franken seinen Preis. Macé Schuurmans betont: «Wenn wir es schaffen, dass unsere Patientinnen und Patienten mit diesem Medikament auf eine Lungentransplantation verzichten und berufstätig bleiben können, hat es sich gelohnt.»

Dank Trikafta sind die Patienten gesünder und weisen weniger Krankheitssymptome auf. Sie erleben eine weitgehende Normalisierung des Lebens, verbunden mit einem grösseren Arbeitspensum. Dadurch entfallen nicht nur Physiotherapie und IVRentenkosten, sondern die Betroffenen gewinnen an Lebensqualität und können auch ihre Rolle in der Gesellschaft wieder einnehmen.

Derweil setzen die Medikamentenentwickler ihre Arbeit unter Hochdruck fort. Bald schon sollen weitere Wirkstoffe einsatzbereit sein. Denn: Noch warten 20 Prozent der CFBetroffenen mit anderen genetischen Ausprägungen auf wirksame Hilfe, um die Folgen ihres krank machenden Erbes abzumildern.

GENETISCHE BERATUNG

Infos zur genetischen Beratung am USZ gibt es unter www.usz.ch/sprechstunde/ genetische-beratung

Tabletten, inhalieren, Physio – los geht’s!

Bei Nora Arpagaus wurde die Erbkrankheit diagnostiziert, als sie ein halbes Jahr alt war. Nebst ihren Pferden hilft ihr die Unterstützung von allen Seiten, stets positiv zu bleiben.

Text: Moritz Suter Bilder: Nora Arpagaus

«Durch meine Krankheit bin ich dankbar für alles, was ich erleben darf.»

Nora Arpagaus, Patientin

Während Nora Arpagaus vor drei Jahren die Krankheit gut anzusehen war, hat sich ihr körperlicher Zustand nach dem Start der CFTR-Therapie stark verbessert.

«Mit der Diagnose Cystische Fibrose lebe ich bereits mein ganzes Leben. Meine ersten Erinnerungen daran sind geprägt von vielen Infekten, ich war sehr oft krank. Dennoch musste ich in meiner Kindheit auf nichts verzichten: Ich fuhr Skirennen und Wasserski auf dem Walensee, ritt auf unseren Pferden, machte Judo. Dadurch kam ich mir selbst nie als die «Kranke» unter allen gesunden Menschen vor. Vielmehr ging es darum, was ich tun musste, damit ich wieder Sport treiben konnte. Wenn ich also krank war, lag ich zu Hause im Bett, nahm meine Tabletten und Inhalationen, ging in die Physio, und dann war ich wieder bereit. Ich stellte mich selbst nie als das arme, kranke Kind dar.

Hilfe von allen Seiten

Von meinen Lehrpersonen wurde ich stets unterstützt, wodurch auch die Teilnahme an Klassenlagern möglich war. Das ist für mich im Nachhinein überhaupt nicht selbstverständlich, denn ich bedeutete für die Lehrerinnen immer einen Mehraufwand. Ich brauchte Zeit, um meine Therapie in einem abgetrennten Zimmer durchzuführen, und musste jederzeit meine Mutter anrufen können. Dennoch wurde mir selten eine Teilnahme verweigert. Auch von meinen Klassenkameraden wurde ich nie gehänselt, wofür ich sehr dankbar bin. Höchstens spürte ich ein wenig Neid, weil ich im Gegensatz zu ihnen immer ein Telefon bei mir haben durfte. Meine Familie ging stets sehr gut mit der Krankheit um. Das grösste Ziel meiner Mutter war und ist es noch immer, dass ich alles im Leben tun kann, worauf ich Lust habe. Sie unterstützte mich bei allem und kommt noch heute jeweils zu den Kontrollterminen mit nach Zürich. Ich lebe gemeinsam mit ihr und unseren Pferden. Im Stall verbringe ich

viel Zeit – die Pferde geben mir neben einer Passion auch Ruhe und Erholung; sie sind für mich ein Teil der Therapie.

COVID-19 und ich

Vor gut drei Jahren erlitt ich einen Rückschlag, weshalb Möglichkeiten für eine Lungentransplantation abgeklärt wurden. Das gilt als letzte therapeutische Massnahme. Zum Glück habe ich kurz vorher die CFTRTherapie begonnen, die bei mir sehr gut angeschlagen hat. Eigentlich könnte ich inzwischen wieder einer Teilzeitstelle nachgehen. Gerne würde ich das tun, möchte mich aber dem Risiko einer für mich sehr gefährlichen COVIDInfektion so selten wie möglich aussetzen. So ziehe ich mich stark zurück, wofür ich immer wieder Unverständnis ernte. Aber obwohl ich einen gesunden Eindruck mache, habe ich noch immer nur 40 Prozent der normalen Lungenfunktion! Wieder einer Arbeit nachgehen zu können, das ist mein grosses Ziel.»

DNA-Analysen: (un)ethisch?

Schon vor der Geburt, ja sogar vor der Implantation eines Embryos, kann dessen Erbgut untersucht werden. Welche ethischen Fragen stellen sich dabei? Wir haben mit der Medizinethikerin Tanja Krones gesprochen.

Text: Katrin Hürlimann Bilder: Line Rime

«D er Umgang mit genetischen Informationen eines Kindes ist ein klassisches Thema in der Ethik», weiss Tanja Krones. Die Leitende Ärztin leitet die Klinische Ethik am USZ und ist Mitglied der Nationalen Ethikkommission des Bundes. «Entgegen der landläufigen Meinung moralisiert die Fachethik nicht.» Die Ethikerinnen und Ethiker beurteilen also primär nicht, was richtig oder falsch ist, sondern schauen genau hin, beachten verschiedene Aspekte, fragen nach. Es geht in erster Linie um die sorgfältige Unterstützung der Beteiligten. Und darum, die Menschen zu befähigen, wohlbegründete Entscheidungen zu treffen. Bei der genetischen Untersuchung von ungeborenen Kindern beispielsweise besteht ein Spannungsfeld zwischen den Rechten des Embryos und jenen der Frau bzw. des Paares, sich für oder gegen das Kind zu entscheiden. Im weltweiten Vergleich ist die Schweiz – wie andere mitteleuropäische Länder – bei der Diagnostik an Embryonen sehr restriktiv. Aus ethischer Sicht steht wohl ein christlicher Einschlag dahinter. Im 19. Jahrhundert wurde die befruchtete Eizelle von Papst Pius IX. sozusagen heiliggesprochen. «In unserer Kultur wird unterstellt, dass alles möglichst natürlich laufen soll und Paare unmoralisch handeln, wenn sie sich anders entscheiden», erklärt Tanja Krones. Aus ethischer Sicht ist die Natur jedoch neutral, sie ist einfach da. Das macht das Argument der Natürlichkeit schwierig. «Heute befassen wir uns stark mit dem Thema, welche genetischen Untersuchungen Paare machen lassen und welche Resultate die Fachpersonen überhaupt mitteilen sollen», sagt Tanja Krones. Zum einen, weil die Interpretation einer DNASequenzierung oft schwierig ist. Zum anderen gibt es auch

ein «Recht auf Nichtwissen». Werdende Eltern oder Geschwister der von Erbkrankheiten betroffenen Personen haben genauso das Recht, nicht zu wissen, ob ein Gendefekt vorliegt, wie das Recht, es zu wissen. Deshalb ist es so wichtig, die Menschen zu unterstützen, bevor sie einen Test machen. «Es braucht eine exzellente Aufklärung im Sinne von Shared Decision Making», erklärt Tanja Krones.

Präimplantationsdiagnostik: (noch) wenig reguliert

Die Gründe für genetische Untersuchungen sind verschieden, zum Beispiel bei der Präimplantationsdiagnostik (PID): Ein Teil der Menschen, die sich dafür entscheiden, sind entweder selber von einer Erbkrankheit betroffen oder wollen einem zweiten Kind das Schicksal einer vererbten Krankheit ersparen. Diese Art der Selektion von Embryonen ist in der Schweiz zugelassen. Viel häufiger sind jedoch Abklärungen im Rahmen einer Fertilitätsbehandlung mit InvitroFertilisation, um vor der Implantation des Embryos Fehlverteilungen von Chromosomen auszuschliessen und die Geburtschancen zu erhöhen. Diese Anwendung ist ethisch stärker umstritten als die PID für Eltern, die eine bekannte Veranlagung für genetisch bedingte Krankheiten haben. «Es ist unter anderem nicht sicher nachgewiesen, dass nach Ausschluss gewisser genetischer Konstellationen die Chance auf eine erfolgreiche Geburt höher ist», erklärt Tanja Krones. Zudem ist es derzeit im Rahmen der PID in der Schweiz juristisch nicht ausdrücklich verboten, auch das Geschlecht des Kindes mitzuteilen. «Die rechtlichen Bestimmungen zur Auswahl der Embryonen sind bei der PID weniger restriktiv als bei der Pränataldiagnostik.» Die Nationale Ethik

kommission befasst sich deshalb zur‑ zeit mit diesem Thema und erarbeitet Richtlinien zur PID, die das Fortpflan‑ zungsgesetz konkreter auslegen sollen. «Es geht darum, bessere Hilfe‑ stellungen zu haben und ethische und rechtliche Ziele und Grenzen aufzuzeigen.»

Vom «Designerbaby» zum «Rettergeschwister»

Und was ist mit sogenannten «Designer‑ babys»? In der Schweiz sind wir weit davon entfernt, weil man gar nicht viel untersuchen darf. Und: Man kann mit genetischen Screenings zwar gezielt nach Krankheiten suchen. Die Resul‑ tate können aber weder zu 100 Prozent belegen, dass eine bestimmte Erkran‑ kung vorliegt, noch dass das Kind tat‑ sächlich vollständig gesund ist. «Wir alle tragen Mutationen in uns, die po‑ tenziell krankheitauslösend sind. Es gibt also keinen ‹genetisch perfekten Embryo›. Natürlich gibt es auf der Welt Praktiken, die in Richtung ‹Designer‑ Frage bis heute unbeantwortet, auf welche Krankheiten und Mutationen zum Beispiel die Spermien von Samen‑ spendern untersucht werden sollen. Die Schweizer Samenbanken screenen zwar auf bestimmte Erkrankungen, über das, was genau gescreent wird, wird aber nicht transparent diskutiert. In anderen Ländern geht diese Diskus‑ sion schon viel weiter, zum Beispiel in Zypern. Das Land hat eine hohe Prä‑ valenz für Thalassämie, eine genetisch bedingte Blutkrankheit, und es gibt bereits Screenings von Paaren, ob sie Träger dieser Krankheit sind. Darüber hinaus wird – nicht nur in Zypern, sondern auch in anderen Ländern wie den USA – ernsthaft darüber disku‑ tiert, ob das Screening für vererbbare Krankheiten schon auf Tinder stattfin‑ den soll. Verabreden würde sich also nur, wer weiss, dass kein Risiko einer vererbbaren Krankheit vorhanden ist.

Die grosse Frage bleibt letztlich, wie Ärztinnen, Hebammen, betroffene Menschen, Kinder und Ethiker mit den vielen Möglichkeiten, vor allem aber den schwierig zu interpretie‑ renden Informationen bestmöglich umgehen sollen. Und die Antworten darauf sind nicht schwarz‑weiss – etwas Schicksalhaftes wird auch im Zeitalter immer besserer DNA‑Ana‑ lysen bleiben.

babys› gehen, zum Beispiel die Samen‑ banken von Nobelpreisträgern», sagt Tanja Krones. «Die Nachfrage ist aber extrem klein.» Ein relevanteres Thema sind die sogenannten Rettergeschwis‑ ter. Wenige Länder lassen diese Praktik zu, nicht so die Schweiz: Paare haben ein Kind mit einer erblichen Mutation. Mit Stammzellen aus dem Nabel‑ schnurblut eines Geschwisters könnte das Kind geheilt oder sein Zustand verbessert werden. Dem Paar werden daher nur Embryonen eingesetzt, bei denen die entsprechende Antigen‑ Kompatibilität vorliegt. «Hier wird oft argumentiert, Kinder dürften nicht zum reinen Zweck der Heilung eines Geschwisters zur Welt gebracht wer‑ den», weiss Tanja Krones. «Deshalb klärt man bei diesen Paaren immer gründlich ab, ob unabhängig davon ein weiterer Kinderwunsch besteht.»

Eine weitere Debatte dreht sich da‑ rum, ob man vererbliche Mutationen nicht schon abchecken soll, bevor man Kinder zeugt. In der Schweiz bleibt die

FORSCHUNG

Der neue Forschungsschwerpunkt Human Reproduction Reloaded untersucht die sich rasch verändernde medizinische Technologie zur menschlichen Fortpflanzung und ihre soziologischen, gesellschaftlichen, ethischen und rechtlichen Auswirkungen. Tanja Krones leitet den Bereich Single Case Studies in Threshold Areas. Mehr Informationen unter: www.humanreproduction.uzh.ch