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Bei Herzinfarkt: Sofort handeln

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Dossier: Notfall

Dossier: Notfall

800 Patientinnen und Patienten mit verschlossenen Herzkranzgefässen behandeln die Spezialisten des Herzzentrums jährlich. Dafür nutzen sie eine vor über 40 Jahren am Universitätsspital Zürich entwickelte Technik. Frauen sind von der Verschlusskrankheit zwar seltener betroffen, doch sie sterben eher daran als Männer.

Text: Helga Kessler Bild: iStock

Arterienverengung

Starke Schmerzen in der Brust und ein Engegefühl, als «sitze ein Elefant» darauf, sind typische Symptome eines Herzinfarkts – bei Männern. Bei Frauen sind die Anzeichen oft andere: ungewöhnlich starke Müdigkeit, Magenschmerzen, Schwindel oder Ohnmacht. «Die Frauen selbst, aber auch Rettungssanitäter oder Ärzte erkennen die Symptome oft nicht sofort als Herzinfarkt», sagt Christian Templin, Leiter des Herzkatheterlabors am Universitären Herzzentrum Zürich. Weil es bei der lebensbedrohlichen Erkrankung um Minuten geht, hat auch eine leicht verspätete Diagnose Folgen: «Frauen sind zwar seltener betroffen, sie sterben aber eher an einem Herzinfarkt als Männer», sagt Christian Templin.

Der Kardiologe hat eine mögliche Erklärung dafür gefunden: «Wir sehen täglich im Katheterlabor, dass die Frauen schmerzresistenter sind.» Das könne dazu führen, dass sie Anzeichen eines Herzinfarkts weniger ernst nähmen. Studien zeigten ausserdem, dass für Frauen andere Themen als die eigene Gesundheit stärker im Vordergrund stünden, zum Beispiel, die Kinder zu versorgen. Dabei ist bei einem Herzinfarkt immer höchste Eile geboten: Sind Gefässe, die den Herzmuskel mit Blut versorgen, verstopft, bekommen die Muskelzellen keinen Sauerstoff mehr und sterben ab. Je grösser das Areal ist, das das betroffene Gefäss versorgt, desto grösser ist der Schaden. Im schlimmsten Fall hört das Herz auf zu schlagen.

Diagnose auf einen Blick

Ob ein Infarkt vorliegt, lässt sich mit zwei Untersuchungen einfach und schnell klären. Sind Muskelzellen ab gestorben, lassen sich im Blut höhere Konzentrationen von Herzmuskelenzymen finden. Zudem sind die Herzströme, die mit dem Elektrokardiogramm (EKG) aufgezeichnet werden, meist charakteristisch verändert.

Arterien-Stenting

Ein Stent verhindert, dass sich das Blutgefäss wieder verschliessen kann.

«Wir sehen auf einen Blick, wenn wir unmittelbar mit der Behandlung beginnen müssen», erklärt Christian Templin. Weil die Patientinnen und Patienten grosse Schmerzen haben, erhalten sie ein starkes Schmerzmittel, häufig auch ein beruhigendes Medi‑ kament. Zudem bekommen sie Gerin‑ nungshemmer wie Heparin und As‑ pirin, um die Verstopfung im Gefäss aufzulösen (s. Box).

Im Herzkatheterlabor schiebt der Kardiologe einen dünnen Kunststoff‑ schlauch über ein Blutgefäss in der Leiste oder in der Ellenbeuge bis zum Herzen vor. Über einen Monitor sieht er die mit einem Röntgenkontrastmit‑ tel sichtbar gemachten drei grossen Herzkranzgefässe und deren kleinste Verzweigungen. Über den Schlauch schiebt er einen dünnen Draht bis zur verstopften Stelle und versucht, diese zu durchstossen. Gelingt es, weitet er das Gefäss mit einem aufblasbaren Ballon. Damit es sich nach dem Ein‑ griff nicht wieder verschliesst, plat‑ ziert er ein mit einem Medikament beschichtetes Metallgitter, einen so‑ genannten Stent. Entwickelt wurde die Kathetertechnik 1977 von Andreas Grüntzig am Universitätsspital Zürich, der damit die «interventionelle Kar‑ diologie» erfunden hat. Die Methode wird im Prinzip noch heute fast unver‑ ändert angewandt.

«Ein sehr dankbarer Eingriff»

Etwa 800 Herzinfarktpatienten jähr‑ lich behandeln die Kardiologen im Herzzentrum des Universitätsspitals mit der Kathetertechnik. Oft ist das Gefäss nach 30 Minuten wieder geöff‑ net, selten dauert es mehrere Stun‑ den. «Es ist ein sehr dankbarer Eingriff, wir können Leben unmittelbar retten», sagt Christian Templin. Madeleine Beyer, Leiterin des Pflegeteams, das die Patienten während der Behand‑ lung im Herzkatheterlabor eng beglei‑ tet, kennt den Moment, in dem das Blut wieder fliesst: «Die Farbe im Ge‑ sicht des Patienten ändert sich, man sieht, wie der Schmerz nachlässt und der Körper zur Ruhe kommt.»

Bei der grossen Mehrheit der Patienten ist lediglich ein Gefäss verschlossen; für sie beginnt nach dem Eingriff die Phase der Erholung. Die ersten 24 Stunden verbringen sie auf der Intermediate‑Care‑Station, anschliessend wechseln sie in die am‑ bulante oder stationäre Rehabilitation. Die Erholung geht umso schneller, je früher die Behandlung einsetzen kann und je geringer der durch den Infarkt verursachte Schaden ist. Mussten die Patienten nach einem Herzstillstand wiederbelebt werden, ist ihre Chance, den Herzinfarkt zu überleben, deut‑ lich geringer. Denn meist hat die aus‑ bleibende Versorgung mit Sauerstoff nicht nur den Herzmuskel geschädigt, sondern auch das Gehirn.

Nach einer erfolgreichen Behand‑ lung beginnt schon bald die Phase der Prävention eines erneuten Herzin‑ farkts. «Oft zeigen wir den Patien‑ ten die Bilder der verschlossenen Ge‑ fässe und erklären ihnen, dass es nun wichtig ist, an den Risikofaktoren zu arbeiten», sagt Christian Tem‑ plin. Rauchen erhöht die Gefahr eines Infarkts, auch eine fettreiche und stark zuckerhaltige Ernährung. «Übergewicht und Diabetes, Bluthoch‑ druck, ein erhöhter Cholesterinwert, mangelnde Bewegung und zu viel Stress wirken ebenfalls ungünstig», weiss Madeleine Beyer. Je mehr dieser Faktoren zusammenkommen, desto höher ist das Risiko. Männer sind ab Mitte 40 besonders gefährdet, Frauen verstärkt nach den Wechseljahren, weil dann die schützende Wirkung der Östrogene auf die Gefässe nachlässt. Blutdrucksenkende Medikamente und Cholesterinsenker aus der Gruppe der Statine oder, falls diese nicht ver‑ tragen werden, aus der Gruppe der neuen PCSK9‑Inhibitoren können die Gefahr eines Infarkts zwar stark minimieren, aber nicht komplett aus‑ schalten.

Kommt es zum Herzinfarkt, ge‑ schieht er meist überraschend. Dann gilt es, schnell zu reagieren und den Notruf zu wählen. Für Männer wie für Frauen hat Christian Templin eine ein‑ fache Faustregel, die bei der Schnelldia‑ gnose hilft: «Die Symptome sind sehr stark, sie sind vorher noch nie aufgetre‑ ten, und sie gehen nicht mehr weg.»

Ursache eines Infarkts im Herzen oder auch im Gehirn sind krankhafte Veränderungen der Arterien, Arteriosklerose genannt. Sie entsteht, wenn sich an den Innenwänden von Gefässen Blutfette (LDL-Cholesterin) und Kalk (Kalzium) ablagern, sogenannte Plaques. Bei einem Infarkt reissen diese plötzlich auf. «Verletzung», signalisiert der Körper und schickt Blutplättchen, um die Wunde zu schliessen. Doch die Plättchen verklumpen, das Gerinnsel verschliesst die betroffene Arterie teilweise oder vollständig; oft war sie aufgrund der Plaques bereits vorher verengt. Meist ist nur ein Gefäss verschlossen, selten sind mehrere oder sogar alle drei grossen Herzkranzgefässe betroffen. Können die Kardiologen die Arterie mit der Kathetertechnik nicht wieder öffnen oder liegt eine Drei-Gefäss-Erkrankung vor, übernehmen die Herzchirurgen die Behandlung und legen einen sogenannten Bypass: Mit Gefässen, die sie zuvor dem Patienten entnehmen, schaffen sie Umgehungen für die verschlossenen Stellen.

Im Einsatz im Irak und in Sierra Leone

Schon zwei Mal war Tanja Karen mit Ärzte ohne Grenzen im Einsatz: 2012 im Irak und ein Jahr später in Sierra Leone. Beide Male hat sie sich um frühgeborene Kinder gekümmert.

Text: Katrin Hürlimann Bilder: Tanja Karen, Christoph Stulz

Irak

Hauptstadt: Bagdad Einwohner: 39,3 Millionen Sprachen: Arabisch und Kurdisch

Sierra Leone

Hauptstadt: Freetown Einwohner: 7 Millionen Sprache: Englisch

Tanja Karen hat im Irak viele Schulungen gegeben – hier für das Pflegepersonal.

In Sierra Leone arbeitete Tanja Karen in einem Krankenhaus, das von MSF betrieben wird. Im Bild mit nationalen Mitarbeiterinnen und Müttern.

ENGAGIERT Immer wieder zieht es Mitarbeitende des USZ zu humanitären oder bezahlten Einsätzen in die ganze Welt. Ob für ein Hilfswerk, einen Rettungseinsatz oder einen speziellen Eingriff: Die Grün‑ de sind vielfältig.

Während ihres Einsatzes im Irak war Tanja Karen auf die Hilfe von Übersetzerinnen und Über‑ setzern angewiesen.

Tanja Karen, Oberärztin der Klinik für Neonatologie

Nach meiner Ausbildung zur Fachärz‑ tin Neonatologie und einigen Jahren Berufserfahrung wollte ich eine Pause vom Alltag, in der ich aber mein Wis‑ sen mit anderen teilen kann. So bin ich auf Ärzte ohne Grenzen (Méde‑ cins sans frontières, MSF) gestossen. Für meinen ersten Einsatz hat MSF mir ein Projekt im Irak vorgeschlagen. Da habe ich mir schon Gedanken ge‑ macht, ob das sicher genug ist. Die Ziele des Projekts und die Gesprä‑ che mit Menschen vor Ort haben mich aber überzeugt.

So habe ich dann in Nadschaf in einer grossen Geburtsklinik auf der Neonatologie gearbeitet. Fast alle Pflegenden dort sind Männer, nur auf der Geburtenabteilung arbeiten auch Frauen. Bei den Ärzten gibt es sowohl Frauen wie Männer. Die Pfle‑ genden sprechen arabisch, weshalb ich immer mit einer Übersetzerin un‑ terwegs war. Extrem herausfordernd war für mich, dass sehr viele Kinder sterben. Und der Umgang des medi‑ zinischen Personals vor Ort damit. Das hat wohl mit der dortigen Kultur und Religion zu tun: Sie haben das teilwei‑ se einfach so hingenommen. Die Si‑ cherheitsvorkehrungen waren hoch: Wir durften uns vor Ort nicht frei be‑ wegen. In die Klinik wurden wir im‑ mer gefahren, und draussen trug ich stets eine Abaya, diesen schwar‑ zen langen Mantel, und ein Kopftuch. Speziell war für mich auch die Zu‑ sammenarbeit der Ärzte mit den Pflegenden. Jeder hat primär für sich gearbeitet. Ich habe deshalb be‑ gonnen, Gespräche mit Ärztinnen und Pflegenden gemeinsam abzuhalten. Durch diese aktive Wertschätzung wurde die Zusammenarbeit besser. Der Einsatz im Irak hat mir so gut ge‑ fallen, dass ich gleich einen zweiten Einsatz angehängt habe. Dieses Mal ging es nach Westafrika, nach Sier‑ ra Leone. In ein Land, in dem es keine ausgebildeten Ärzte gibt.

Dort arbeitete ich in Bo in einem Krankenhaus für Kinder und Mütter, das von MSF betrieben wird. 400 na‑ tionale Angestellte behandeln dort 15’000 Kinder pro Jahr. Sierra Leone gehört zu den ärmsten Ländern der Welt, entsprechend ist die Kin‑ dersterblichkeit sehr hoch. Die Haupt‑ probleme sind Malaria, Unterernäh‑ rung, Atemwegsinfekte und schwere Pneumonien. Ich war verantwortlich für die Stationen für Unterernährung und Neonatologie. Dort habe ich nach einiger Zeit zusammen mit dem Team «Kangaroo Mother Care» eingeführt: Das Neugeborene wird dabei nackt der Mutter auf die Brust gelegt. Nach kurzer Zeit konnten wir nachweisen, dass auf diese Weise weniger Kinder sterben und sie besser an Gewicht zu‑ nehmen. Das hat das Team motiviert, die Methode weiterhin anzuwenden.

Bei den Einsätzen habe ich ge‑ lernt: Man kann mit sehr wenig sehr viel erreichen. Es braucht aber sei‑ ne Zeit. Anfangs stand ich je‑ weils da und dachte: Wo fange ich denn jetzt an? Und: Das schaffe ich nie. Das Wichtigste ist, sich auf die Kultur, die Umgebung und die Menschen vor Ort einzulassen. Und dann nach Dringlichkeit zu priorisie‑ ren und sich selber Ziele zu stecken. Irgendwann werde ich bestimmt wie‑ der einen Einsatz mit MSF machen!

Mehr Informationen zu Ärzte ohne Grenzen gibt es unter www.msf.ch

Epilepsie: bekannte Unbekannte

Sie ist eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen. Jede zehnte Person erlebt einmal im Leben bewusst oder unbewusst eine epileptische Episode. Trotzdem kämpfen Betroffene mit Vorurteilen.

Text: Cindy Mäder Bild: Adobe Stock

Die meisten denken beim Stichwort Epilepsie an den generalisierten Krampf‑ anfall mit Bewusstseinseintrübung, krampfartigen Bewegungen und Schaum vor dem Mund. Das löst Unsi‑ cherheit und Ängste aus. So sehr, dass Kinder mit Diagnose Epilepsie nicht mehr zu Kindergeburtstagen eingela‑ den werden, weiss Niklaus Krayenbühl, der auf Epilepsie spezialisierte Neu‑ rochirurg am USZ und im Kinderspital. Manche Familien ziehen sich deshalb zurück und isolieren sich zunehmend. «Es ist wichtig, dass wir über Epilepsie sprechen», betont Niklaus Krayen‑ bühl. «Diese Menschen werden immer noch stigmatisiert. Deshalb sind wir sehr froh, wenn Betroffene offen von ihrer Krankheit erzählen und anderen damit Mut machen.» Auch deshalb, weil heute viele Epilepsien gut therapierbar sind. Doch was geschieht eigentlich bei einem epileptischen Anfall?

Gewitter im Kopf

Beim gesunden Menschen laufen pau‑ senlos eine Unmenge elektrischer und chemischer Signale zwischen den Mil‑

ERSTE HILFE BEI EINEM ANFALL

1. Vor Verletzungen schützen: Nichts zwischen die Zähne schieben! Etwas Weiches unter den Kopf legen. Kleidung lockern. Gegenstände aus dem Weg räumen. Bewegung nicht blockieren.

2. Die Ambulanz nur rufen, wenn der Anfall länger als drei Minuten dauert oder die Person verletzt ist.

3. Nach dem Anfall: Die Person in stabile Seitenlage bringen und bei ihr bleiben.

liarden von Nervenzellen des Gehirns ab. Diese Signale sind genau aufeinan‑ der abgestimmt. Bei einem epilepti‑ schen Anfall entladen sich dagegen plötzlich viele Nervenzellen gleichzei‑ tig und sorgen damit für eine Art «Ge‑ witter im Kopf». Geschieht dies nur in einem bestimmten Areal, spricht man von einem fokalen Anfall. Die Ursache sind hier zumeist lokale Veränderun‑ gen im Gehirn. Beim generalisierten Anfall ist dagegen das gesamte Gehirn vom «Gewitter» betroffen. Von einer Epilepsie spricht man jedoch erst, wenn die Anfälle wiederholt auftreten.

Fokale Epilepsien werden oft übersehen

Während schwere Formen von Epilep‑ sie unschwer zu erkennen sind, gilt dies nicht unbedingt für Epilepsien mit subtileren Anfällen. Vielfach wer‑ den solche Formen nicht entdeckt, zum Leidwesen der Betroffenen. «Nickt beispielsweise die Grossmutter während eines Gesprächs immer wie‑ der weg, wird das vielfach einfach dem Alter zugeschrieben», erläutert der Neurochirurg. Dabei ist es durchaus möglich, dass sie epileptische Episo‑ den erlebt als Folge eines Schlaganfalls. «Es gilt dann, hellhörig zu werden, wenn sich Ereignisse mit neurologi‑ scher Beeinträchtigung wiederholen. Das kann zum Beispiel ein von der Magengegend aufsteigendes unange‑ nehmes Gefühl sein. Oder ein kurz‑ zeitiges, immer wieder plötzlich auf‑ tretendes Kribbeln im Arm oder ein wiederkehrendes kurzzeitiges Angst‑ gefühl» erklärt der Spezialist. In sol‑ chen oder ähnlichen Fällen empfiehlt er eine neurologische Abklärung, denn eine Epilepsie sollte man unbe‑ dingt therapieren.

Medikamente als Therapie der Wahl

«Die erste Therapie ist in jedem Fall medikamentös», erklärt Niklaus Kray‑ enbühl. «Die Chance, dass der Patient dank Medikamenten anfallfrei wird, liegt immerhin bei 60 bis 70 Prozent». Gelingt dies nicht, kann die Chirurgie helfen, sei dies mit dem Ziel der vollstän‑ digen Heilung oder doch wenigstens einer Verbesserung der Lebensqualität, indem Häufigkeit und Intensität der An‑ fälle reduziert werden. «Heute tendie‑ ren wir dazu, die Epilepsie so früh wie möglich operativ zu behandeln, wenn die medikamentöse Therapie nicht an‑ schlägt. Bei Kindern ist das besonders wichtig, weil sie durch die Epilepsie oft in ihrer Entwicklung behindert wer‑ den.» Das Ziel ist in diesem Fall also ein doppeltes: das Kind von der Krankheit heilen und ihm eine normale Entwick‑ lung ermöglichen.

Aufwändige Abklärung

Vor einem chirurgischen Eingriff gilt es jedoch, sehr genau zu verstehen, wo im Gehirn die Anfälle entstehen und was genau passiert. Diese Abklärungen sind äusserst komplex und aufwändig. Sie umfassen neben gewohnten diagnosti‑ schen Verfahren wie MRI auch neu‑ ropsychologische Untersuchungen und Langzeit‑Hirnstrommessungen unter Videoüberwachung, um Anfälle detail‑ liert aufzuzeichnen. Spezialisiert auf diese Voruntersuchungen ist in Zürich die Epiklinik in der Lengg, bei Kindern zudem auch das Kinderspital. Die neu‑ rochirurgischen Eingriffe finden am USZ, bei Kindern seit Neuestem auch im Kinderspital statt – unter der Lei‑ tung von Niklaus Krayenbühl. «Die Zu‑ sammenarbeit zwischen den drei Kli‑ niken funktioniert hervorragend», be‑ tont er. «Wo auch immer eine Patientin zum ersten Mal hinkommt: Gemeinsam suchen wir nach der besten Therapie und begleiten die Patientinnen und Pa‑ tienten auf ihrem Weg, manchmal fast ein Leben lang.»

FILMHINWEIS

Der Dok-Film «Um jeden Preis» zeigt sehr eindrücklich den Weg von Nicolas. Für ein anfallsfreies Leben entscheidet er sich für den neurochirurgischen Eingriff, auch wenn dieser bei ihm riskant ist. www.kliniklengg.ch/news/epi-film

«Plötzlich waren die Begleiterkrankungen erklärbar»

Pathologen schauen ganz genau hin – nicht nur bei der Autopsie. Zsuzsanna Varga, Leitende Ärztin am USZ, über den Schnellschnitt und ihre Entdeckung zu COVID-19.

Text: Martina Pletscher Bild: Christoph Stulz

Zsuzsanna Varga, Leitende Ärztin Pathologie

Zsuzsanna Varga, ich treffe Sie nicht in einem gefliesten Seziersaal an, sondern im Büro.

Der grösste Teil meiner Arbeit ist das Beurteilen von Gewebeproben von Patientinnen und Patienten im Labor oder hier in meinem Büro am Mikroskop. Autopsien gehören aber auch zu meinem Alltag. Dazu kommen noch Lehre und Forschung.

Braucht es Autopsien überhaupt noch?

Die Autopsie oder Obduktion ist die letzte Möglichkeit, Krankheitsverläufe und Therapiefolgen zu überprüfen und unklare klinische Fragen oder die Todesursache zu klären. Sie leistet deshalb immer noch einen wichtigen Beitrag zur Qualitätssicherung in der Medizin.

Reichen die modernen bildgebenden Verfahren dafür nicht aus?

Die Bildgebung hat uns fantastische Möglichkeiten gebracht, Erkrankungen abzuklären und Operationen zu planen. Sie ersetzt die Autopsie aber nicht. Bei der Autopsie wird nicht nur die Diagnose überprüft, sondern der Körper nach einem festgelegten Schema untersucht. Immer wieder ergeben sich daraus wichtige Informationen, etwa, dass die Krankheit beim Verstorbenen ungewöhnlich verlief, weil er unbekannte Begleiterkrankungen hatte. Oder wir entdecken bisher unauffällige Tumor- oder Erbkrankheiten. Die Angehörigen können dank so eines Befundes dann abklären lassen, ob sie ebenfalls daran leiden, und entsprechend vorsorgen.

Befunde aus pathologischen Untersuchungen fliessen aber auch unmittelbar in die Behandlung ein.

Beim sogenannten Schnellschnitt untersuchen Pathologinnen und Pathologen Gewebe noch während der Operation und geben den Chirurgen innerhalb von Minuten Rückmeldung, ob ein Tumor restlos entfernt wurde oder eine Gewebeveränderung bösartig ist. Pathologinnen und Pathologen sind auch in allen Tumorboards dabei, in denen die individuelle Behandlungsplanung der Patientinnen und Patienten besprochen wird. Die Befunde ihrer Untersuchungen sind eine unentbehrliche Grundlage für die Wahl der Therapie. Mit zusätzlichen molekularen Analysen hat die Pathologie zur personalisierten Therapie beispielsweise bei Krebserkrankungen massgeblich beigetragen.

Letztes Jahr haben Sie eine bahnbrechende Entdeckung zu COVID-19 gemacht, die weltweit Aufsehen erregte. Wie kam es dazu?

Einer der modernsten und sichersten Autopsiesäle Europas steht im USZ. Wir konnten deshalb Autopsien bei Verstorbenen mit COVID-19 durchführen, als sie anderswo noch verboten waren. Mir sind dabei Gefässveränderungen aufgefallen, die ich nur von Abstossungsreaktionen bei Patienten mit transplantierten Organen kannte. Die Vermutung lag nahe, dass COVID-19 systemisch, also im ganzen Körper gefährliche Gefässveränderungen auslösen kann. Im unmittelbaren Austausch mit den Klinikern aus der Kardiologie, Infektiologie und von den Intensivstationen erhärtete sich diese These. Plötzlich waren damit die Begleiterkrankungen der Patienten erklärbar. Uns war damit ein grosser Schritt zum besseren Verständnis der Krankheit gelungen.

Die Tumor-Profiler-Studie: innovative personalisierte Krebsdiagnostik

Eine grosse Gruppe von Forschenden aus Basel und Zürich hat sich zusammengeschlossen, um eine hochpräzise Untersuchung von Tumoren durchzuführen. Ziel ist es, Ärzt*innen dabei zu unterstützen, eine Behandlung zu wählen, die speziell auf den Krebs einer bestimmten Patientin oder eines Patienten zugeschnitten und somit besonders wirksam ist.

2018 starteten die Forschenden eine genehmigte klinische Studie mit 240 Patient*innen, die unter schwarzem Hautkrebs, Eierstockkrebs oder akuter myeloischer Leukämie leiden. Die Tumore werden mit einer Reihe hochmoderner Analysemethoden untersucht. Die Ergebnisse der Analysen werden verschlüsselt mit einer Gruppe von Wissenschaftler*innen und Mediziner*innen mit Fokus auf die klinisch relevanten Aspekte diskutiert. Der gesamte Prozess wird so schnell durchgeführt, dass die Ergebnisse rechtzeitig zur Behandlungsentscheidung für die jeweilige Patientin oder den Patienten zur Verfügung stehen. Am Ende der Studie wird der alle Patient*innen umfassende, verschlüsselte Datensatz verwendet, um Tumormerkmale zu identifizieren und Algorithmen zu entwickeln, die zu besser wirksamen Therapieentscheidungen für zukünftige Patient*innen beitragen sollen.

Was Tumor Profiler von anderen Studien unterscheidet, ist, dass die Studie über den derzeitigen Einsatz molekularbiologischer Methoden in führenden Spitälern hinausgeht. Bei diesem Ansatz nutzen die Forschenden Spitzentechnologien und untersuchen, wie diese auf klinisch sinnvolle Weise kombiniert werden können, um Patient*innen zu helfen.

Die Untersuchungen betrachten DNA, RNA und Proteine der Zellen eines Tumors und seiner direkten Umgebung. Daten auf Einzelzellebene bieten den Forschenden einen detaillierten Einblick in die Zellzusammensetzung und somit ein klareres Verständnis der Biologie des Gewebes. Mithilfe von funktionellen Tests, bei denen Zellen des Tumors im Labor mit verschiedenen Medikamenten behandelt werden, wird untersucht, ob diese wirken. Zusätzlich werden Informationen aus der medizinischen Bildgebung und andere klinische Daten berücksichtigt. Die Details des Studiendesigns haben die Forschenden kürzlich in der wissenschaftlichen Zeitschrift «Cancer Cell » veröffentlicht.

Die Rekrutierung der Patient*innen endet im März dieses Jahres, und die Forschenden sind damit beschäftigt, die gesammelten Daten zu analysieren und die Studie abzuschliessen. Tumor Profiler konnte bereits zeigen, dass der routinemässige Einsatz modernster Untersuchungsmethoden in der Krebsdiagnostik möglich ist. Die klinischen Partner in dieser Studie – Mediziner*innen der Universitätsspitäler Basel und Zürich – erachten die Ergebnisse und deren Präsentation als äusserst nützlich, um ihr Verständnis der Tumore und damit potenziell die Behandlung ihrer Patient*innen zu verbessern.

Langfristig strebt Tumor Profiler an, das gewonnene Wissen zu nutzen, um die Behandlungsmöglichkeiten für Krebspatient*innen zu erweitern. Die Forschenden hoffen, damit eine solide Grundlage für eine umfassende Krebsdiagnostik zu schaffen, die eines Tages in der ganzen Schweiz und auch darüber hinaus zur Verfügung stehen wird.

Die Tumor-Profiler-Studie ist eine Zusammenarbeit der ETH Zürich, der Universitätsspitäler Basel und Zürich, der Universität Zürich und der Pharmafirma Roche.

Ximena Bonilla, Postdoc, Biomedical Informatics Group, ETH Zürich, Koautorin der Tumor-Profiler-Studie

Nora C. Toussaint, Senior Bioinformatics Scientist, NEXUS Personalized Health Technologies, ETH Zürich, Koautorin der Tumor-Profiler-Studie

Fünf Frauen für alle Notfälle

38 Notärztinnen und Notärzte arbeiten am USZ. 21 davon sind Frauen. Die Anästhesistinnen sind am USZ angestellt und arbeiten rotierend als Notärztinnen im Spital, für Schutz & Rettung Zürich und für die Rega. Wir haben fünf von ihnen bei der Arbeit begleitet.

Text: Katrin Hürlimann Bilder: Nicolas Zonvi

Sind Personen lebensbedrohlich verletzt, wird zusätzlich zu den Rettungssanitätern eine Notärztin aufgeboten. Sie sorgt zusammen mit einem diplomierten Rettungssanitäter für die präklinische Behandlung der Patienten. Assistenzärztin Melanie Frank fährt mit dem Rettungswagen von Schutz & Rettung Zürich mit und versorgt die Patienten auf der Strasse, zu Hause, an der Unfallstelle oder im Rettungswagen – sodass der Betroffene anschliessend wenn nötig mit ihrer Begleitung ins Spital gebracht werden kann. Bei einem Massenanfall von verletzten oder erkrankten Personen wird eine leitende Notärztin aufgeboten. Anne Kaiser fährt hierbei selbst mit dem Blaulichtfahrzeug zum Ort des Geschehens.

Notärzte begleiten und verlegen auch intensivpflichtige Patienten, die zum Beispiel künstlich beatmet werden müssen oder von kreislaufunterstützenden Medikamenten abhängig sind. Assistenzärztin Myrtha Kohler betreut eine Patientin auf dem Weg ans USZ.

Myrtha Kohler, Anne Kaiser, Celine Roggan, Jeannine Schneider und Melanie Frank (v.l.n.r.) sind alle ausgebildete Notärztinnen. Nebst der Ausbildung zur Anästhesistin verfügen sie über den Fähigkeitsausweis Notarzt der Schweizerischen Gesellschaft für Notfall- und Rettungsmedizin oder werden hierzu ausgebildet. Zusätzlich zum täglichen Einsatz in den Notfalldiensten stellt die Notfall-Equipe 24/7 den Reanima- tionsdienst für das ganze USZ sicher. Dieser kommt zum Einsatz, wenn sich eine Person auf dem Gelände des Spitals unwohl fühlt, sich verletzt oder reanimiert werden muss.

Im Spital angelangt, sind die Notärzte dafür verantwortlich, dass die Patienten den zustän- digen medizinischen Fachpersonen überge- ben werden. Assistenzärztin Jeannine Schneider informiert im Schockraum über den Gesundheitszustand des Patienten. Im Schockraum sorgen die Anästhesistinnen für die Stabilisierung der Atmung, der Herzkreislauffunktion und beurteilen den Bewusstseinszustand des Patienten. Die notärztliche Versorgung ab der Rega-Basis Dübendorf geschieht vollumfänglich durch die Notärztinnen und Notärzte des USZ. Im Einsatz sind sie zuständig für die medizinische Erstversorgung der Patienten am Unfallort. Auch die Rettung von Pati- enten aus schwie- rigem Gelände mittels Rettungswinde gehört zum Tätigkeitsfeld. Assistenz- ärztin Celine Roggan bereitet sich im Rega-Helikopter auf den nächsten Einsatz vor.

Das medizinische Bilderrätsel

Bild: Martin Oeggerli mit Universitätsspital Basel und Universität Basel

Erkennen Sie das Motiv auf dem Bild? Raten Sie mit beim medizinischen Bilderrätsel. Die Auflösung finden Sie unterhalb des Bildes, kopfüber geschrieben.

Herzinfarkt oder einen Schlaganfall verursachen. man von einer Thrombose. Diese kann einen stoppt. Verstopft ein Gerinnsel ein Gefäss, spricht Verletzung und sorgen dafür, dass die Blutung Diese Blutpfropfen bilden sich nach einer

Blutgerinnsel

Drucksache

myclimate.org/01-20-868598

USZinside

Das Magazin richtet sich an Mitarbeitende sowie Besucherinnen und Besucher des USZ.

Herausgeberin

Universitätsspital Zürich, Unternehmenskommunikation

Redaktionsleitung Katrin Hürlimann

Redaktion USZ

Barbara Beccaro, Manuela Britschgi, Marcel Gutbrod, Claudio Jörg, Cindy Mäder, Martina Pletscher, Maja Rose, Ingrid Slavik

Externe Autoren

Ximena Bonilla, Helga Kessler, Nora C. Toussaint, Jolanda van de Graaf, Yvonne Vahlensieck

Layout

Partner & Partner

Druck

Vogt-Schild Druck AG

Korrektorat

Susanne Brülhart

Bilder

Adobe Stock, Atelier Brunecky (Gabriel Hill), Christ & Gantenbein, Thomas Egli, iStock, Tanja Karen, Martin Oeggerli mit Universitätsspital Basel und Universität Basel, Line Rime, Christoph Stulz, USZ, Tobias Willa, Nicolas Zonvi

Auflage

12’800 Exemplare

Erscheinungsweise

Dreimal jährlich: März/Juli/November

Kontakt

uszinside@usz.ch

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Nicht nur im Notfall: geballte Teamarbeit

Jeder Notfall ist anders: Während manche Patienten direkt im Schockraum behandelt werden, weil sie lebensbedrohlich verletzt sind, reichen bei anderen Patienten ein Gespräch und das Verschreiben von Medikamenten. Wieder andere werden direkt stationär im Spital aufgenommen und behandelt. Der gemeinsame Nenner: Alle Patientinnen und Patienten des USZ werden von Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Berufsgruppen betreut und behandelt – damit sie das Spital so bald wie möglich gesund wieder verlassen können.

38’200

Patientinnen und Patienten wurden 2020 am USZ im Institut für Notfallmedizin behandelt. Die Jahre davor waren es bis zu 45’000 Personen.

> 12

Berufsgruppen arbeiten im Institut für Notfallmedizin: davon 120 Pflegende, 43 Notfallmediziner, 6 Mitarbeitende der Administration und viele mehr.

Expertin Notfallpflege Michèle Tremp, Assistenzarzt Mattia Giarrusso und Oberärztin Judith Engeler (v.l.n.r.) klären eine Patientin im Institut für Notfallmedizin ab.

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