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Neue Kunstwelt Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs sind die Grenzen durchlässig geworden, und der Geltungsanspruch des westlichen Kunstbegriffs ist nicht mehr haltbar. Von Cornelia Offergeld

Artworks: Dan Perjovschi, MoMA, privat, C. Wachter (S. 28), Donau-Universität Krems (S. 29)

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s braucht Neues, und wo die Reise hingeht, weiß keiner so recht. Eines aber ist offensichtlich: Die ­ Kunstwelt ist in Bewegung gekommen und global geworden. Andrea Buddensieg, die Leiterin des Kompetenzzentrums für „Global Studies“ am ZKM, dem Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe, e ­rforscht die Zusammenhänge zwischen Globalisierung und der Kunstwelt seit vielen Jahren. Gemeinsam mit dem Kunstwissenschaftler Hans Belting sowie Künstler und Medientheoretiker Peter Weibel versucht Buddensieg, die Veränderungen in den Museums- und Kunstlandschaften zu analysieren und inter­ dis­ zi­ plinäre Zugänge für die Anforderungen der neuen Kunstwelt zu finden. Ausgangspunkt für die Forschung Budden­siegs war die sich verändernde Situation der Kunst nach der Moderne, in der die Mitspieler nicht mehr nur aus Europa und Nordamerika kamen. Die neuen „Player“ brachten Erfahrungen und Einflüsse ein, die notwendigerweise den alten westlichen Kunstbegriff auflösen mussten. Während die moderne Kunst in die Zukunft strebte, vermittelt der Begriff der zeitgenössischen Kunst eine ständige Gegenwart, in der es keine allgemeinverbindliche Kunstsprache mehr gibt. Diese wurde vielmehr von einem Sprach-Pluralismus abgelöst, der individuellen Sichtweisen und Interessen verpflichtet ist. Damit entzieht sich der Begriff der Gegenwartskunst erklärtermaßen dem zeitlich linearen Denken und steht für eine Gleichzeitigkeit von vielem. „Globalisierung löst als Begriff die alte Internationale der Kunst ab, die unter westlicher Flagge stand, und bietet vielen Künstlern erstmals die Chance von Parti­ zipation. So handelt es sich hier nicht um

bloße Begriffe, sondern um Inhalte und Hoffnung, die nicht überall das Gleiche bedeuten. Wellen der Globalisierung Versteht man unter Globalisierung eine neue Weltkarte der Kunst, so stellt sich gleich die Frage, wie man sie zeichnen und was man auf ihr bezeichnen soll“, erklären Belting und Buddensieg in ihrem Buch über die neue Weltordnung in der Kunst. Geografie reicht hier laut den Autoren nicht mehr aus, sondern wird durch eine symbolische Geografie überlagert, in der die Selbstreflexion sich vom einstigen Migrationsproblem unterscheidet. In den neuen Kunstregionen sind in den vergangenen Jahren zahlreiche Festivals und Biennalen von Istanbul über Bukarest bis Busan aus dem Boden geschossen. Buddensieg nennt als Beispiel die Ghetto Biennale in Haiti, die 2009 von haitianischen Künstlern als Initiative gegründet wurde, um einen Austausch mit der west­ lichen Kunstwelt zu ermöglichen. Auch wenn heute vermehrt vom „Supermarktsystem ­ Biennale“, von kulturellen Feigenblättern antidemokratischer Staaten und einem neuen Städtetourismus die Rede ist, haben diese Biennalen längst den Museen den Rang abgelaufen, wenn es darum geht, einen „Status quo“ der schier unüberschaubaren Menge an weltweiter Kunstproduktion zu zeigen. Gleichzeitig dienen sie wie auch die zahlreichen Artist-in-Residence-Programme von Institutionen als soziale Kommunikationsplattformen, aus denen Netzwerke hervorgehen. Selbstverständlich hat die Globalisierung auch den Kunstmarkt in eine rasante und ständige Bewegung versetzt. Neue Messen wie in Dubai, Abu Dhabi oder

Oliver Grau Univ.-Prof. Dr. Oliver Grau ist Inhaber des ersten Lehrstuhls für Bildwissenschaften im deutschen Sprachraum an der DonauUniversität Krems. Er setzt sich international für die Archivierung der Medienkunst ein. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Geschichte und Theorie von Medienkunst, Immersion und Emotionen und die Entwicklung von Bildund Videodatenbanken.

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