12 minute read

Parodontale mesenchymale Stammzellen

Schlüsselspieler in parodontaler Gesundheit und Krankheit.

Die Parodontitis ist eine chronische Erkrankung des Zahnhalteapparates, an der etwa 50 Prozent aller Menschen im Laufe ihres Lebens leiden und die unbehandelt zum Zahnverlust führen kann. Eine bedeutende Rolle in diesem Prozess nehmen mesenchymale Stammzellen aus dem Zahnhalteapparat (parodontale MSCs) ein. Diese sind nicht nur maßgeblich an der Aufrechterhaltung der parodontalen Gewebehomöostase beteiligt, sondern gelten auch als potenzielles therapeutisches Tool. Um einen standardisierten klinischen Einsatz in Zukunft zu ermöglichen, ist es notwendig, die Eigenschaften parodontaler MSCs weiter zu untersuchen. In ihrer Habilitationsschrift beschäftigt sich Alice Blufstein daher mit den verschiedenen Aspekten dieser Zellen.

Advertisement

Zu diesem Zweck wurden parodontale MSCs von gesunden SpenderInnen isoliert und unter verschiedenen Bedingungen kultiviert. So wurden die Zellen unter anderem mit entzündlichen Stimuli und Vitamin D3 behandelt. Darüber hinaus erfolgten Co-Kultur-Experimente mit unterschiedlichen Immunzellen.

Im Rahmen zahlreicher Studien wurde die Rolle parodontaler MSCs als Sensoren von Bakterien und Viren näher beleuchtet. Dabei konnte etwa beobachtet werden, dass die gleichzeitige Stimulierung von MSCs mit viralen und bakteriellen Bestandteilen eine synergistische Aktivierung der Expression proinflammatorischer Zytokine zur Folge hat. Darüber hinaus wurde gezeigt, dass parodontale MSCs gegenüber Endotoxinen keine Toleranz entwickeln.

Die immunmodulatorischen Eigenschaften parodontaler MSCs, im Speziellen deren Interaktion mit Immunzellen, stellten einen weiteren Schwerpunkt der Forschungsarbeiten dar. So konnte unter anderem erstmals ein Co-KulturModell zwischen gingivalen MSCs und neutrophilen Granulozyten etabliert und ein anti-apoptotischer Effekt der MSCs nachgewiesen werden.

Als weiterer Fokus wurde im Zuge einiger Publikationen der Einfluss von Vitamin D3 auf verschiedene Funktionen parodontaler MSCs beleuchtet. Im Zuge dessen konnte etwa beobachtet werden, dass die osteogene Wirkung von Vitamin D3 auf parodontale MSCs unter inflammatorischen Bedingungen stark eingeschränkt ist.

Zusammenfassend zeigen die in der Habilitationsschrift enthaltenen Publikationen neue Einblicke in die Pathogenese der Parodontitis auf und liefern Hinweise für die Optimierung der stammzellbasierten Therapie. Die weitere Erforschung parodontaler MSCs könnte in Zukunft einen standardisierten therapeutischen Einsatz dieser Zellen für die Parodontitis, aber auch für andere entzündliche und degenerative Erkrankungen ermöglichen.•

Über die Autorin:

Akademischer und beruflicher Werdegang

Seit 2022 Curriculum Kinderzahnheilkunde (ÖGKiZ) 2021 Verleihung der Venia docendi 2019–2021 Master Program Periodontology & Implantology (MUW) 2016–2020 Doktoratsstudium (MUW) Seit 2016 Zahnärztin im Fachbereich Zahnerhaltung und Parodontologie Seit 2016 Zahnärztin in eigener Praxis 2010–2016 Diplomstudium Zahnmedizin (MUW)

Die Autorin

Priv.-Doz.in Dr.in med. dent. Alice Blufstein, PhD, MClinDent Zahnärztin und Postdoc Fachbereich Zahnerhaltung und Parodontologie Universitätszahnklinik Wien

Waterloo Zähne

In der Völkerschlacht bei Leipzig, die das „Waterloo“ Napoleons einläutete, starben etwa 90.000 Soldaten. Zu dieser Zeit war es noch üblich, gefallenen Soldaten ihre noch „schönen weißen“ Zähne herauszureißen und diese zu verkaufen. Sie wurden für die Prothesenherstellung verwendet, manche sogar PatientInnen mit Zahnverlust direkt eingesetzt. So schreibt der Leipziger Stadtreferent: „dass solche Zähne, die nur selten zu haben sind und statt deren man sich immer mit Kälberzähnen behelfen muss, sehr teuer bezahlt werden“. Man befestigte die Zähne mit Metallstiften in einer Prothese aus geschnitztem Elfenbein. Diese „Human-Prothetik“ war aber nur reichen PatientInnen zugänglich, deshalb war die „Zahnfledderei“ auf Schlachtfeldern auch sehr lukrativ. Porzellanzähne gab es ab den 1840er-Jahren. Diese waren aber nicht bruchbeständig genug. Wir lesen bei dem französischen Zahnarzt Christoph François Delabarre (1787–1862), er denke wehmütig an die Zeiten, „als der Krieg seine Ernte eingebracht hatte und man die schönsten Zähne bekam, gesund und geeignet zum Ersatz jener, die so viele Menschen verloren“. Auch im Lehrbuch des später in New York arbeitenden Levi Spear Parmly (17901859) findet sich, er habe in seinem Besitz „tausende von Zähnen, extrahiert aus Leichen von in der Schlacht Gefallenen jeden Alters“. Noch im Krimkrieg (1853–1856) – so berichtet der Medizinhistoriker Walter Hoffmann Axthelm (1908–2001) – wurden von den „Hyänen des Schlachtfeldes“ tausende von Leichenzähnen „geerntet“. Obwohl es in vielen Kriegen solch fragwürdige „Ernten“ gab, hat sich der Begriff Waterloozähne für diese Art der Zahngewinnung verfestigt. Man muss aber feststellen, dass diese Entwicklung bereits ein Schritt in Richtung der allogenen (körperfremden) Zahntransplantation der modernen Zahnmedizin war.

DDR. Johannes Kirchner, Kustos des Zahnmuseums Wien

Robert Gassner (Herausgeber), Springer-Verlag Berlin, 307 Seiten, 219 tw. farbliche Abbildungen, ISBN 978-3030401498

Literaturempfehlung

Komplikationen in der kraniomaxillofazialen und oralen Chirurgie

(Titel im Original: Complications in Cranio-Maxillofacial and Oral Surgery)

Bei vielen Erkrankungen, aber auch bei Fehlbildungen, Infektionen, Traumata und Tumoren kann es während kraniomaxillofazialer und oraler chirurgischer Eingriffen zu chirurgischen und nicht-chirurgischen Komplikationen kommen. Das in englischer Sprache verfasste Buch zeigt auf, unterstützt durch detaillierte Fotodokumentationen, welche Komplikationen im Laufe einer Behandlung auftreten können, und stellt auch effektive Behandlungswege bei Komplikationen sowie vorbeugende Maßnahmen vor. Die dargestellten PatientInnenfälle zeigen unterschiedliche Altersgruppen. Das vorliegende Buch richtet sich an AllgemeinmedizinerInnen, ZahnärztInnen sowie an Medizin- und Zahnmedizinstudierende, die sich auf Mund-, Kiefer-, Gesichts-, Schädel-, plastische, rekonstruktive und Kopf- und Halschirurgie spezialisieren wollen.

Die Mundhöhle als Ökosystem

Die Schlüsselrolle einer balancierten Mundflora.

Die Aufgaben an der Core Facility Oral Microbiology and Hygiene umfassen neben der Gewährung von PatientInnensicherheit im mikrobiologischen und hygienischen Bereich und einem hygienischen und sicheren Arbeitsumfeld für MitarbeiterInnen und StudentInnen auch die Bewusstseinsförderung für hygienerelevante Themen wie Hand- und Wasserhygiene. Ein wichtiger Aspekt, mit dem sich die Core Facility beschäftigt, sind die Betrachtung und das Zusammenspiel von Mikroorganismen und dem Menschen als ein Ökosystem.

Der Mensch ist ein Ökosystem

Im menschlichen Körper finden wir hundert Billionen von Zellen, von denen ein sehr großer Teil seinen Ursprung in Mikroorganismen hat. In unserem Darm sorgen winzige „Gäste“ für Wohlbefinden: Sie brechen für uns komplexe Nahrungsmoleküle und machen so erst die Aufnahme essenzieller Vitamine und Nährstoffe möglich. Objektiv gesehen ist die überwiegende Mehrheit der Mikroorganismen, die wir beherbergen, weitgehend harmlos. Deshalb liegt das Augenmerk in der heutigen Zeit, in der die Wichtigkeit der Symbiose zwischen Wirt und Mikroorganismus bekannt ist, vermehrt darauf, auf die Wahrung der Balance zwischen allen Teilnehmenden zu achten und gleichzeitig auch die Störung dieser durch übertriebene Maßnahmen zu verhindern (wie bei Allergieentwicklung oder Resistenzbildungen der Fall). Die große Herausforderung liegt also in der heutigen Zeit für ÄrztInnen und BiologInnen darin herauszufinden, welche Organismen in welchem Ausmaß und unter welchen Voraussetzungen zu Schmerzen und Krankheit führen.

Abb. 1: Beziehung Mensch-Ökosystem (Quelle: Prof. Alexander Loy, Centre for Microbiology and Environmental Systems Science)

Abb. 2: Mensch als Ökosystem, Univ.-Prof. Dr. Alexander Loy, Centre for Microbiology and Environmental Systems Science Die Mundhöhle ist eines der komplexesten Biotope in unserem Körper mit vielen Nischen – auch für anaerobe Bakterien. Sowohl der Bereich zwischen den Zähnen als auch die Zunge sind ein Paradies für Bakterien und andere Mikroorganismen. Bei mangelnder Hygiene vermehren sich diese derart, dass sich schwefelige Gase bilden können, welche sowohl die Schleimhaut als auch die Zähne schädigen. Wenn die physiologische Barriere geschädigt ist oder es zu Störungen beispielsweise durch Ernährungsumstellungen, Stress etc. kommt, die interne Kommunikation und Regulation zwischen den Mikroorganismen selber oder zwischen Mikroorganismen und Wirt ins Wanken gerät, können bestimmte Mikroorganismen ein großes Potenzial entwickeln und auch im Wirt Krankheiten verursachen. Generell leben in der Mundhöhle viele Mikroorganismen, entweder einzeln oder, was häufiger der Fall ist, innerhalb einer zellulären Matrix (Biofilm). Diese

Lebensgemeinschaften können sich aus den unterschiedlichen Spezies in unterschiedlichen Formationen zusammensetzen. Mittels biochemischer Signale als wichtiges Kommunikationsmittel sowohl zwischen den Keimen einer Kolonie als auch zwischen unterschiedlichen Spezies erfolgt der Austausch. Diese Signale dienen der Orientierung und Aufrechterhaltung des Metabolismus innerhalb des Biofilms, aber auch in der Besiedelung sowie der Regulation pathogenen Verhaltens gegenüber dem Wirt. Auch Resistenzfaktoren sowie andere genetische Informationen können innerhalb des Biofilms durch Transduktion, Transformation und Konjugation zwischen gleichen oder unterschiedlichen Keimspezies ausgetauscht werden, was zum Beispiel speziell in der Behandlung mit Antibiotika und der damit einhergehenden Resistenzbildung, wenn diese nicht zielführend eingesetzt werden, zum Problem werden kann. Eine kompetente Mundhygiene zerstört die Biofilmformation der pathogenen Bakterien und verbessert ebenso die antibakterielle Wirkung der verabreichten Antibiotika.

Parodontale Erkrankungen

Wenn es infolge einer Disharmonie oder unverhältnismäßigen Biofilmbildung zu einem ökologischen Ungleichgewicht zugunsten der Mikroorganismen kommt, steigt das pathologische Potenzial sehr drastisch, vor allem, wenn anaerobe Keime vorherrschend werden. Häufige Folgen sind parodontale Erkrankungen, ebenso Karies und andere Stomatidien. In den industrialisierten Ländern sind diese Krankheiten zwar selten tödlich und können gut behandelt werden, sie sind jedoch weitverbreitet und können unbehandelt auch Auswirkungen auf den Gesamtorganismus haben wie etwa in Form von Endokarditis, Kopfschmerzen, Morbus Lichen etc. Eine frühzeitige Diagnose mit mikrobiologischer Untersuchung und Bestimmung der Keime ist deshalb für ein erfolgreiches Therapiekonzept entscheidend.

Der Anteil an nicht kultivierbaren Mikroorganismen ist sehr hoch, nur ca. 10 bis 20 Prozent der gefundenen Keime können überhaupt kultiviert werden. Durch neuere molekularbiologische Techniken ist es nun auch möglich, nicht kultivierbare Keime zu identifizieren. Somit wurden inzwischen allein in der Mundhöhle mehr als 700 Bakterienspezies entdeckt, womit wir hier neben dem Magen-Darm-Trakt die höchste Vielfalt an Mikroorganismen finden. Zum einen bietet die feuchtwarme Umgebung ein angenehmes Klima, zum anderen bieten die Zähne eine ungeschützte Oberfläche für die Bildung eines dentalen Biofilms. Im Speichel sowie in den Zahntaschen finden sich wunderbare Nährstoffquellen für das Mikrobiom. Starke Unterschiede in der Mundflora sind von Mensch zu Mensch nachgewiesen, mehr als die Hälfte der menschlichen Population leidet unter Parodontitis.

Deshalb widmet sich das Team der

Core Facility für Oral Microbiology and Hygiene an der Universitätszahnklinik sowohl der Analyse der im parodontalen Bereich relevanten Keime als auch in weiterer Folge im wissenschaftlichen Bereich der Erforschung um die Entstehung und die Zusammensetzung der Mikroflora und dem Biofilm, auch in Wechselwirkung mit dem Wirt, um daraus resultierende Pathogenitätsfaktoren besser verstehen zu können.

Analyse der wichtigsten Parodontalkeime

Die parodontopathogenen Bakterien werden in Abhängigkeit von ihren Eigenschaften und ihrer Pathogenität in Komplexe unterteilt. Diese Komplexe stehen in engen wechselseitigen Beziehungen zueinander und schaffen sich gemeinsam eine geeignete Lebensgrundlage (Hain Lifescience GmbH, 2018a).

Die Bakterien des grün und orange assoziierten Komplexes können sich mittels Fimbrien an die Pellikel anheften und dadurch der Ausspülung durch die Sulkusflüssigkeit entgehen (Hain Lifescience GmbH, 2018a). Diese „frühen Besiedler“ bilden somit die Grundlage für die Besiedlung des Sulkus mit anderen Parodontitis-assoziierten Bakterien. Sie

werden als mäßig pathogen eingestuft. Eine rein mechanische Therapie reicht aus, um die Anzahl dieser Bakterien in Abhängigkeit von ihrer Konzentration zu verringern.

Der orange Komplex umfasst Bakterien, die als sogenannte „Brückenspezies“ die Verbindung zwischen den Frühkolonisierern und den stark pathogenen Kei-

Abb. 3: Bakterienkomplexe nach Socransky (S. Dombrowa, 2019)

men des roten Komplexes bilden (Hain Lifescience GmbH, 2018a). Das pathogene Potenzial dieser Markerbakterien wird durch die Produktion verschiedener Toxine und Enzyme signifikant erhöht. Die Bakterien aus dem orangen Komplex sind für den fortschreitenden Bindungsverlust und eine Zunahme der Taschentiefe verantwortlich. Diese Bakterien schaffen durch ihren Stoffwechsel auch die Lebensbedingungen für die streng anaeroben Bakterien des roten Komplexes und deren Besiedlung des Sulkus.

Das Auftreten der Keime des roten Komplexes und des Aa-Komplexes ist charakteristisch für die finale Kolonisierungsphase, an deren Ende die Ausbildung einer strukturierten, stabilen bakteriellen Gemeinschaft (Climax community) steht (Hain Lifescience GmbH, 2018a).

Die Besiedlung mit diesen Bakterien, die maßgeblich an der Zerstörung des Parodontiums beteiligt sind, beruht auf der Anwesenheit der oben genannten weniger pathogenen Spezies. Die hoch pathogenen Markerbakterienspezies des roten Komplexes und des Aa-Komplexes treiben dann aggressiv die Zerstörung des Weichgewebes und des Knochens durch die Produktion starker Virulenzfaktoren voran. Ihre Fähigkeit, Gewebe zu durchdringen, erschwert auch die Behandlung, sodass mechanische Methoden allein oft nicht ausreichen. Daher ist vor allem bei Vorliegen von Aggregatibacter actinomycetemcomitans oder Rot-Komplex-Bakterien häufig eine antibiotische Begleittherapie nötig (Dombrowa, 2017).

Unterschiedliche Verfahren

Neben der molekularbiologischen Methode mittels PCR-gestützten Nachweises werden je nach Problemstellung unterschiedliche Verfahren angewendet, wie etwa mikrobiologische Direktnachweise des Erregers als Schnelldiagnostik, die klassische Kultivierung von Bakterien unter aeroben und anaeroben Bedingungen oder die Identifikation und Empfindlichkeitsprüfung (Antibiogramm) von Erregern gegenüber Antibiotika und Antimykotika.

Ein wichtiges Anliegen dieser Core

Abb.4: Arbeiten an der Core Facility Oral Microbiology and Hygiene

Facility ist, ein Bewusstsein für dieses Themenfeld zu schaffen, weshalb auch immer wieder Diplomarbeiten zu den Themen Mundflora, Handhygiene, Wasseranalysen im medizinischen Bereich sowie PatientInnenanalysen (nach Geschlecht, Alter, RaucherIn/ NichtraucherIn, chronische Krankheiten etc.) durchgeführt werden, damit auch der medizinische Nachwuchs zum Thema geschult und informiert ist. Um die Behandlungssicherheit und die damit verbundenen Vorteile nicht nur auf PatientInnen an der Universitätszahnklinik Wien zu beschränken, bietet die Core Facility das Analyseservice zur Identifizierung der elf Markerkeime, microIDent, auch für ZahnärztInnen außer Haus an: Nach Einsendung entsprechender Proben erfolgt eine Analyse im Labor, auf Wunsch kann auch eine Antibiotikaempfehlung erfolgen. Derzeit werden auch Corona-Antigentests, Corona-PCR-Tests und Antikörper-Schnelltests im Labor der Core Facility für Microbiology and Hygiene durchgeführt. Da beim Einsatz der molekularen Diagnostik eine Vielzahl an Möglichkeiten offensteht, wird überlegt, das Angebot an biomolekularer Analyse zu erweitern.•

Das Team

Univ.-Prof. DDr. Apostolos Georgopoulos Leiter Core Facility Oral Microbiology and Hygiene Universitätszahnklinik Wien

Alexandra Wolf BSc. biologische Assistentin Core Facility Oral Microbiology and Hygiene Universitätszahnklinik Wien

Schädigung der Kiefergelenke durch nächtliches Zähneknirschen

Rund 15 Prozent der Bevölkerung knirschen während des Schlafs mit den Zähnen. Besonders häufig ist das Problem im jüngeren Lebensalter. Der oft enorme Druck, der dabei auf Zahnflächen und Kiefer ausgeübt wird, gilt als Auslöser verschiedener Konsequenzen für die Zahngesundheit und kann zu Verlust der Zahnhöcker, Zahnhypermobilität, Schmerz in der Kaumuskulatur und Kopfschmerzen führen. Eine Forschungsarbeit an der Universitätszahnklinik Wien hat die Frage untersucht, ob Schlafbruxismus auch einen negativen Effekt auf die Kiefergelenksstrukturen nach sich ziehen kann. Ausgangspunkt der Forschungen war die Theorie, dass spezielle Kombinationen aus Zahnform und Zahnposition beim Knirschen einen Einfluss auf die mechanische Belastung des Kiefergelenks haben und dadurch als Risikofaktor für Erkrankungen in diesem Bereich gelten können.

Neigungswinkel und Position

Durchgeführt wurden die Untersuchungen an einem hochmodernen Computermodell der Kauregion, das Knochen-, Knorpel- und Muskelstrukturen enthält. Mithilfe solcher Computermodelle können Forschungsfragen untersucht

Abb. 1: Seitliche Ansicht des verwendeten Computermodells der Kauregion

werden, die aus ethischen Gründen an PatientInnen nicht direkt durchführbar sind. Gegenstand der Forschung war das Zusammenspiel zweier Faktoren, die beim Zähneknirschen aufeinandertreffen. Einerseits handelt es sich dabei um die Form des betroffenen Zahnes, insbesondere um den Neigungswinkel jenes Zahnhöckers, der beim Knirschen mit seinem Gegenüber in Kontakt ist. Andererseits wurde die Position des Zahnkontakts (die sogenannte Abnutzungsfacette) während einer dynamischen Knirschbewegung vom Forschungsteam berücksichtigt. Im Rahmen der Studie wurden die Auswirkungen von seitlichem Knirschen am ersten Mahlzahn und am Eckzahn mit sechs verschiedenen Neigungen der Abnutzungsfacetten simuliert, was insgesamt zwölf simulierte Fälle ergibt.

Weitere Forschungen

Die Ergebnisse zeigen, dass sowohl Neigung als auch Position der Abnutzungsfacetten einen Einfluss auf die Stärke der mechanischen Belastung des Kiefergelenks haben. Vor allem aber scheint die Steilheit der Knirschfacette dafür ausschlaggebend zu sein. Je flacher der Zahn, desto höher fällt die Gelenksbelastung und damit das Risiko für eine Kiefergelenkserkrankung aus. Umgekehrt gilt: Haben die beim Bruxismus involvierten Zahnhöcker einen höheren Neigungswinkel, so konnte selbst bei gleicher „Knirschkraft“ (Bruxierkraft) eine niedrigere Belastung im Gelenk berechnet werden. Ob diese Erkenntnis in die Entwicklung therapeutischer Maßnahmen bei Schlafbruxismus einfließen kann, sollen nun weitere mit klinischen Untersuchungen gekoppelte Forschungen zeigen.•

Der Autor

Benedikt Sagl, PhD

Zentrum für klinische Forschung Universitätszahnklinik Wien

This article is from: