UnAufgefordert Nr. 158

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Titel Wer über zu volle Seminare schimpft, sollte sich mit dem Studium beeilen. Denn bald kommt eine Masse von Studierwilligen auf die Universitäten zu.

Studentenberg und Klagewelle > Die Metapher von der geplatzten Bombe ist in diesem Fall nicht übertrieben. Ein halbes Jahr lang hielt die Kultusministerkonferenz (KMK) ein Paket mit Zahlen zurück, das einmal veröffentlicht, ein Medienecho erfuhr, wie es sonst auf Hochschulebene der Diskussion um die Eliteförderung vorbehalten ist. Auf achtzig Seiten sind die Prognosen der Kultusministerien zu den Studierendenzahlen bis 2020 publiziert. Und die haben es, vor dem Hintergrund der derzeitigen Lage an den Universitäten, in sich: Bis zum Jahr 2012 sollen die Zahlen derer, die mit dem Studium beginnen, auf jährlich 450.000 steigen und sich auf diesem Niveau bis 2020 einpendeln. Zum Vergleich: Im vorigen Jahr lag die Zahl bei 368.000. Im Jahr 2012 könnte es somit 700.000 Studierende mehr als heute an den Universitäten geben. Nun geht ein Gespenst in Deutschlands Hochschullandschaft um: der »Studentenberg«. Das Problem hat zwei Seiten: Auf der einen fordern Politik und Wirtschaft eine Erhöhung der Studierendenzahlen, aber auf der anderen haben die Hochschulen keine Mittel, diese Masse aufzunehmen. Denn die finanziellen und materiellen Möglichkeiten der Universitäten werden in den nächsten Jahren nicht in ausreichendem Maße steigen, trotz Studiengebühren und der Beschleunigung des Studiums durch kürzere Bachelor-Studiengänge. Schon in den letzten zehn Jahren hat sich die Studierendenzahl an der Humboldt-Universität (HU) um etwa 16.000 erhöht – ein Anstieg von 40 Prozent – gleichzeitig ist die Zahl der Lehrenden immer weiter geschrumpft. Nicht nur die Betreuungsqualität leidet darunter, sondern auch Vorlesungssäle und Seminarräume platzen in vielen Studiengängen schon jetzt aus allen Nähten. Im Vizepräsidium für Studium und Internationales der HU hat man den Ernst der Lage erkannt. Anna Blankenhorn, Referentin der Vizepräsidentin Susanne Baer, spricht von einer möglichen Welle von Studierwilligen, die sich an der HU einklagen wollen. Wie man damit umgehen will, stehe aber noch nicht fest. »Bis wir eine Linie in Absprache mit dem neuen Präsidenten festlegen können, wird noch etwas Zeit vergehen«, sagt Blankenhorn.

UNAUFgefordert

November 2005

Eine weitere Senkung der Zulassungszahlen, wie sie im ReferentInnenRat (RefRat) der HU erwartet wird, macht diese Klagewelle noch wahrscheinlicher. Der bürokratische Aufwand ist jetzt bereits immens und wird noch steigen. Aber schon heute wird nur wenigen Klagen stattgegeben. Laut Tobias Roßmann, im RefRat zuständig für Studium und Lehre, liegt die Erfolgsquote an der HU bei lediglich fünf Prozent. Durch dieses Nadelöhr werden deshalb nur wenige in die Hörsäle gelangen und die meisten draußen bleiben. Die KMK hat noch keine überzeugende Antwort geliefert, wie auf den von ihr prognostizierten Studentenberg zu reagieren sei. Peter Gaethgens, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), forderte umgehend mehr finanzielle Mittel für die Hochschulen und kündigte weitere Lösungsvorschläge für Ende November an. Aber mehr Geld wird es kaum geben. Das befürchtet auch seine Pressesprecherin Susanne Schilden: »Die Kapazitäten der Universitäten werden in den nächsten Jahren noch abnehmen, das macht die Lage sehr kompliziert.« Die Metaphern »Studentenberg« und »Klagewelle« werden dem hochschulpolitischen Wortschatz also noch eine Weile erhalten bleiben. Benjamin Reuter <

Illustration: Anna Sartorius

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