Berliner Zustände 2008

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kriminellen Auswüchsen wie dem sexuellen Missbrauch von Kindern den Kampf ansagt. Denn das Ganze sei pervers, nicht nur das Detail. Während sich „das System (...) von innen heraus zerstöre“, müssten „nationale Aktivisten“ im gesamten Land die „vielfältigen Missstände in unserem Volk“ anprangern. Die VertreterInnen des „Systems“ begingen ungestraft „Schweinereien“, die „Krankhaftigkeit“ des Systems werde „von Jahr zu Jahr“ schlimmer. Selbstverständlich sind daran auch Juden beteiligt: um den Drogen- und Prostitutionsskandal Michel Friedmans bei seinen ZuhörerInnen in Erinnerung zu rufen, reichen Wulff die Worte „Pinkel“, „weiße Straße“ und „Weiber aus der Ukraine“ als Chiffre. Und die Linken sind vom System bezahlt, PDS heiße vielleicht „Pädophile Debile Systemlinge“.

Nationalismus und bürgerliche Moral Wer das Andere so beschreibt, reklamiert für sich und seine politischen Ziele eine moralische Respektabilität, die überraschen mag. Wulff selber, Vater von drei kleinen Söhnen, ist es „selbstverständlich“ die „größte Pflicht nationaler Solidarität, wenn eine nationale Mutter aus unseren Kreisen darum bittet, hier aufzutreten“. So sehr „die Systemlinge“ angegriffen werden, eine Kritik an einer bürgerlichen Ordnung, die Frauen keine Chancengleichheit einräumt, findet nicht statt. Im Gegenteil: eine „gesunde Ordnung“, eine „völkische

Ordnung“ müsse die „Gemeinschaft des Volkes“ prägen. Wulff nennt die untergegangene DDR als teilweises Vorbild, „insbesondere was die Förderung von Familie und Kindern anging“, denn in „Mitteldeutschland“ seien die „Nachwehen von einem System“ erhalten geblieben, „von dem wir nicht sprechen dürfen“: dem Nationalsozialismus. Aus seiner Sicht werden Repräsentanten des Systems zu moralischen Außenseitern, die Elite wird mit Drogen und sexuellen Perversionen identifiziert. Sie haben die Grenzen der Respektabilität überschritten und müssen untergehen, zusammen mit dem System, das sie hervorgebracht hat und das sie repräsentieren. Dagegen repräsentieren die „nationalen Aktivisten“ die „gesunde Ordnung“; ihr scheinbar vorbildlicher Lebenswandel beinhaltet das Aufrechterhalten der ehelichen, familiären und völkischen Gemeinschaft. Sie wenden sich nicht gegen die bürgerliche, patriachale Familie, sondern überhöhen sie zu einer alternativlosen naturgegebenen Ordnung. Das nationalistische Gemeinschaftsgefühl stellt sich bei solch banalen Aktivitäten wie dem Säubern von Spielplätzen her, wo das Bezirksamt „unsere Kinder“ im „Modder“ spielen lasse. Dies hält die Pressesprecherin des RNF, Stella Hähnel, für bürgernah, eine vermutlich ‚instinktsichere‘ Einschätzung. Frauen haben ihre zugewiesene Rolle allein im völkischen Gefüge von Ehe, Familie und Volksgemeinschaft. In der Propaganda des RNF ist das Emanzipationsbedürfnis

von Frauen ein unnatürliches Verhalten. Frauenrollen außerhalb der Mutterschaft werden nicht thematisiert und die spezifischen Schwierigkeiten, die Frauen in Betrieben oder akademischen Berufen haben, tauchen beim RNF nicht auf. Die Rolle der Frau wird mit genetischen oder gar, bei Hähnel, mit „hormonellen Unterschieden“ erklärt, auf jeden Fall aber sind diese „von Geburt an angeboren“. Eine antifeministische Motivation ist bei den Argumenten des RNF deutlich sichtbar. Die Linken und die „Emanzen“ hätten ein Problem, sie fühlten sich Männern gegenüber minderwertig und „versuchen so zu tun, als ob sie ein Mann wären“. Gender Mainstreaming sei ein Programm, um die Identität der Geschlechter zu brechen und eine Sexualisierung schon von Kindern durchzusetzen.

Rechtsextreme Frauenemanzipation? Es ist in der Forschung nicht ausgemacht, ob rechtsextreme Frauen sich bei ihrem politischen Engagement von einem Emanzipationsbedürfnis leiten lassen. Oder ob ihr Engagement überwiegend aus dem Bedürfnis gespeist wird, sich im Gegenteil der patriachalen Rollenverteilungen zu vergewissern und aktiv dazu beizutragen, diese aufrecht zu erhalten. Dieser Diskurs kann hier nicht geführt werden; sicherlich trifft beides zu. Vieles spricht dafür, dass sich vor dem Hintergrund einer zunehmenden

Ein Schattenbericht über Rechtsextremismus, Rassismus und Homophobie | Berliner Zustände 2008

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